Читать книгу Der Verleger, der seinen Verstand verlor und sich auf die Suche machte - Achim Albrecht - Страница 15
ОглавлениеSehr geehrte Frau Ogonnek,
wir leben nun schon Tür an Tür, seit ich das Haus von meinem Onkel geerbt und entschieden habe, den Scientia Verlag samt Verwaltung, Lektorat und Vertrieb in dieser Immobilie anzusiedeln.
Ich glaube an viele Dinge. Eines davon ist der Segen, den eine gute Nachbarschaft bringt. Wir sind Nachbarn, geehrte Frau Ogonnek.
Lassen Sie es mich so ausdrücken: Unser nachbarschaftliches Verhältnis scheint getrübt, vielleicht sogar belastet. Um es vorwegzunehmen – dies soll kein Beschwerdeschreiben sein, kein Abwälzen einer vermeintlichen Schuld auf Sie, werte Nachbarin. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ich kann mir vorstellen, dass eine ältere, arbeitsame Dame wie Sie irritiert gewesen sein muss, als in die ruhige, abgeschottete Vorstadtwelt mit ihrem regelmäßigen Rhythmus etwas so paradiesvogelartiges Einzug hielt wie ein Verlag, der Kunst und Literatur nicht nur verlegt, sondern lebt.
Es bleibt nicht aus, dass diese andere Lebens- und Ausdrucksform nach außen sichtbar wird und bisweilen Befremden, ja sogar Ängste auslösen kann. Ich habe in meinen Kalendernotizen nachgeforscht und herausgefunden, dass zwischen uns alles in Ordnung war, solange meine Frau Marie noch die täglichen Verrichtungen im Haushalt wahrnahm. Marie war es auch, die mir berichtete, dass Sie, werte Frau Ogonnek, unter Gehbeschwerden und Schwerhörigkeit leiden, ansonsten aber über gesunde und feste Ansichten über den Papst, die polnische Regierung und eine korrekte Lebensführung verfügen. ‚Charakterstark‘ nannte sie Sie und ich glaube, dass ich nun beginne zu verstehen, was sie meinte.
Ich erinnere mich auch daran, dass Sie den Postboten als ‚gottlosen Kommunisten‘ bezeichneten, weil er eine Werbebroschüre der Gewerkschaften austrug. Dann schafften Sie sich ein leistungsstarkes Fernglas an.
Werte Frau Ogonnek, es gibt mehr Skandalöses, als Sie sich vorstellen können und es liegt in der entgegengesetzten Himmelsrichtung meines Hauses: Polenhasser, Sodomiten, böse Menschen, die sich an einer weltweiten Verschwörung beteiligen, die zum Ziel hat, dass Hilfsmittel für das Alter nicht mehr auf Krankenschein erhältlich sein sollen.
Mir fehlt die Zeit, um mich intensiv um derart komplex wuchernde Missstände zu kümmern. Aber Sie, Sie, liebe Frau Ogonnek, auf Sie setze ich meine ganze Hoffnung. Wir sind Verbündete. Sobald Sie über Ergebnisse verfügen, rege ich an, mir diese schriftlich mitzuteilen. Ich sorge für die Veröffentlichung und Verbreitung.
Seien Sie versichert, dass ich unsere Zusammenarbeit vertraulich behandeln werde.
Als kleines Zeichen meiner Hochachtung überreiche ich Ihnen unseren Erfolgsband ‚Würdiges Altern bei den Inuit‘, der reich bebildert ist und von dem bekannten Ethnologen Edgar Cheevers erarbeitet wurde.
In geduldiger Erwartung,
Ihr Nachbar
Peter Korff