Читать книгу Kommissar Handerson - Sammelband - Adrienne Träger - Страница 12

Carlshaven, Polizeirevier, 22. September 2014

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„So gegen eins? Ja, wir treffen uns dann hier und fahren gemeinsam in die Gerichtsmedizin. Bis später.“ Anna legte den Telefonhörer auf die Gabel.

„War das Herr Kame?“, fragte Handerson.

„Ja. Er holt jetzt Maria Makame vom Flughafen ab und bringt sie her. Wir fahren dann zusammen in die Gerichtsmedizin. Die beiden werden in etwa einer Stunde hier sein.“

„Wie alt ist denn diese Maria?“, fragte Peter.

„Maria ist fast siebzehn. Ihre Schwester war zwei Jahre älter. Wenn es wirklich Nana ist, die im Kühlhaus liegt, dann tut Maria mir leid. Seine Schwester so wiederzusehen, muss schrecklich sein.“

„Haben wir eigentlich schon irgendetwas Neues herausgefunden?“, fragte Handerson.

„Nein, nicht wirklich“, antwortete Peter. „Die jungen Frauen, die man in Deutschland und England befreit hat, konnten nur sehr spärliche Angaben machen. Sie haben immer wieder irgendetwas von einem Michel erzählt, aber dessen Identität konnte noch nicht geklärt werden. Die Leute, die sich diese Mädchen als Sklavinnen gehalten hatten, waren alle Diplomaten, die auf ihre Immunität bestanden haben und obendrein so bald als möglich ausgereist sind. Sie haben jetzt neue Jobs in anderen Ländern und wurden durch neue Diplomaten ersetzt.“

„Wie praktisch“, konstatierte Handerson.

„Ich kann mir aber irgendwie nicht vorstellen, dass diese Nana hier als Haussklavin gehalten wurde“, sagte Peter.

„Wieso nicht?“, fragte Handerson.

„Na, denk doch einmal dran, was sie anhatte. Das war doch ein sündhaft teures Abendkleid. Gibt man denn so etwas seinem Sklavenmädchen?“

„Und was ist mit den Händen?“, entgegnete Handerson. „Denk daran, was Weidmann gesagt hat. Sie hat entweder sehr viel geputzt oder mit sehr scharfen Mitteln. Und die Schwester schrieb, sie hätte hier eine Stelle als Hausmädchen vermittelt bekommen.“

„Also, irgendwie passt das doch alles nicht zusammen.“

~

Maria war etwas eingeschüchtert. Sie war zum ersten Mal im Ausland und die Polizei war eigentlich etwas, um das man in Mabunte einen großen Bogen machte, wenn man im Township wohnte. Der Mann, der sie kontaktiert und nun auch vom Flughafen abgeholt hatte, war sehr nett zu ihr und sprach glücklicherweise ihre Sprache, sie konnte zwar auch ein paar Bröckchen Englisch, aber viel war es nicht. Dass dieser David auch aus Mabunte kam und ihr alles erklärte und übersetzte, was sie nicht verstand, beruhigte sie ungemein. Er war ihr gleich sympathisch gewesen, und sie hatte sofort Vertrauen zu ihm gefasst.

Als sie das Büro im Polizeipräsidium betrat, kam ein schwarzer Hund schwanzwedelnd auf sie zu, um sie zu begrüßen. Eigentlich hatte sie ein bisschen Angst vor Hunden, aber er schien noch sehr jung zu sein und war verspielt. Er brachte ihr einen kleinen Ball und schaute sie erwartungsfroh an. Sein Schwanz wedelte nicht nur hin und her, sondern schien sich wie ein Propeller zu drehen. Sie verstand, was er von ihr wollte, nahm und warf den Ball. Er lief sofort hin und brachte ihn zurück. Dabei machte er ein paar lustige Luftsprünge. Sie lachte. Dieser Hund wirkte gar nicht so bedrohlich, wie die Polizeihunde, die sie in Mabunte gesehen hatte. Irgendwie war hier in Europa alles ganz anders.

„Nun ist es aber gut, Hektor“, sagte Peter streng, aber er konnte sich ein Lächeln nicht verbeißen. Die junge Frau hatte so verschüchtert ausgesehen, als sie das Büro betreten hatte, und nun war sie sichtlich lockerer. Aber sie hatten sehr ernste Dinge zu besprechen, also schickte er Hektor auf seine Decke in der Ecke.

Handerson bedeutete Maria, sich zu setzen und bot ihr etwas zu trinken an. David dolmetschte. Nachdem sich alle gesetzt hatten, erklärte Björn ihr mit Davids Hilfe, wozu man sie nach Amberland geholt hatte und was sie gleich würde tun müssen. Maria nickte. Nachdem sich ihre Schwester nicht mehr gemeldet hatte, hatte sie schon befürchtet, dass ihr etwas Schlimmes zugestoßen sein müsse. Dass sie nun hier, in diesem kleinen Polizeibüro in Europa saß, war nur die logische Konsequenz.

Als Handerson mit seinen Erklärungen fertig war und Maria keine Fragen mehr hatte, gingen Handerson, David und Maria zum Auto, um in die Gerichtsmedizin zu fahren. Handerson hatte sich entschieden, mit seinem Privatwagen zu fahren. Er hatte die Befürchtung, dass ein Streifenwagen Maria verschrecken könnte.

~

Eine halbe Stunde später kamen die drei vor dem großen, weißen Gebäude der Gerichtsmedizin an. Sie gingen zu Weidmanns Büro und Handerson hoffte, dass er sich nicht so benehmen würde wie sonst. Ein schlechtgelaunter Weidmann war das letzte, was die junge Frau jetzt brauchen konnte.

Aber er hätte sich keine solchen Sorgen machen brauchen, denn Weidmann erwies sich zur Abwechslung einmal als äußerst freundlich und einfühlsam. Er erklärte der jungen Frau mit Davids Hilfe, was auf sie zukommen würde, bevor er mit ihnen in den Leichenkeller ging. Dort öffnete er ein Schubfach der Kühleinheit und zog die Leiche hervor. Er deckte sanft das Gesicht der wie schlafend aussehenden jungen Frau auf. Handerson dachte, dass es gut war, dass der Rest unter dem Leichentuch verborgen blieb. Die Mitarbeiter der Gerichtsmedizin hatten die abgetrennten Gliedmaßen so hingelegt, dass sie unter dem Tuch so wirkten, als sei der Körper ganz. Es war schwer genug für Angehörige, eine Leiche zu identifizieren, aber fehlten Teile, das wusste Handerson aus Erfahrung, wurde es für die Angehörigen nur umso schwerer.

Maria warf einen kurzen Blick auf die Leiche und schmiss sich David dann weinend in die Arme. Sie schluchzte etwas in seine breite Schulter. Handerson wusste genau, was diese Reaktion bedeutete. Er hatte sie in seiner Karriere schon oft genug miterlebt, aber er musste trotzdem fragen.

„Es ist ihre Schwester, nicht wahr?“, fragte Handerson.

„Ja“, antwortete David.

„Was hat sie gesagt?“

„‚Ich habe es gewusst. Ich habe es geahnt‘“, übersetzte David.

„Kommen Sie. Wir müssen hier nicht länger herumstehen, als nötig. Tschüss, Weidmann.“

Sie verabschiedeten sich von dem sonst so grummeligen Gerichtsmediziner und brachten die schluchzende Maria nach draußen. Handerson führte die beiden in den Park des gerichtsmedizinischen Instituts, wo sie sich auf eine Bank setzten und Maria eine Weile leise vor sich hin weinte. Handerson sah sich um. Es war irgendwie pervers. Dieser sonnige Herbsttag und dieser gepflegte Park auf der einen Seite und die Leichen im Keller des schönen, weißen Hauses auf der anderen.

Er war tief in den Gedanken versunken, wie nah doch Leben und Tod beieinander lagen, als Maria irgendetwas sagte. Er schreckte hoch und sah David fragend an.

„Was sagt sie?“

„Sie möchte wissen, was mit ihrer Schwester passiert ist. Dass sie tot sei, hatte sie sich gedacht, aber sie hatte angenommen, dass irgendjemand Nana umgebracht hätte. Sie sagt, Nana hätte niemals Selbstmord begangen.“

„Wieso nicht?“

„Die Menschen in Mabunte sind sehr arm. Was man ihnen aber nicht nehmen kann, ist ihr Glauben. Viele Menschen in Mabunte sind Anhänger einer sehr konservativen Form des Christentums. Die Familie Makame auch. Die Selbsttötung ist verpönt und ein sehr gläubiger Mensch, wie es Nana anscheinend war, würde sich nicht selber umbringen“, erklärte David.

„Aber trotzdem hat sie es getan“, sagte Handerson. „Es gibt einen Augenzeugen, der sie hat springen sehen. Es war niemand auf der Eisenbahnbrücke, der sie hätte stoßen können.“

David übersetzte Maria Handersons Worte. Sie senkte den Blick Richtung Boden und schüttelte entschieden den Kopf. Dann schaute sie Handerson in die Augen und sagte etwas.

„‚Dann muss ihr hier etwas wirklich Schreckliches widerfahren sein, das sie dazu getrieben hat, diesen Weg zu wählen. Ich will wissen, was es ist‘“, übersetzte David.

„Eine Frage muss ich Ihnen noch stellen, Maria. Hat Ihre Schwester jemals mit Drogen zu tun gehabt?“

Nachdem David die Frage übersetzt hatte, sah Maria Handerson entsetzt an. Sie schüttelte vehement den Kopf und sagte etwas.

„‚Nein, wie kommen Sie darauf?‘“, übersetzte David.

„Weil man ein Betäubungsmittel in ihrem Blut gefunden hat.“

David übersetzte und hörte sich Marias Antwort an.

„‚Nana war immer der Ansicht, Drogen seien Teufelszeug. Sie war ein anständiges Mädchen. Nie hätte sie so etwas freiwillig genommen. Was auch immer passiert ist, man muss sie damit regelrecht in den Tod getrieben haben‘.“

Kommissar Handerson - Sammelband

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