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Carlshaven, Handersons Wohnung, 22. September 2014, abends

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Was Maria gesagt hatte, ging Handerson nicht mehr aus dem Kopf. Geistesabwesend kraulte er seine zwei Norwegischen Waldkatzen.

„Natürlich hat sie irgendwo recht“, sagte er zu Morse und Poirot, die schnurrend auf dem Sofa neben ihm lagen und die Streicheleinheiten sichtlich genossen.

„Man springt nicht einfach so von einer Brücke. Es muss einen Grund geben. Was ist dieser Nana nur passiert, dass sie das als einzigen Ausweg sah?“

Morse sah ihn durchdringend an und miaute.

„Ja, du hast recht. Wir müssen herausfinden, wo Nana im letzten Jahr war. Nur so finden wir eine Antwort.“

Er stand auf und ging zur Garderobe. Die Katzen folgten ihm und sahen ihm interessiert zu. David hatte ihm seine Karte gegeben und er meinte, sie in sein Portemonnaie gesteckt zu haben. Ah, ja, da war sie. Handerson nahm das Handteil des schnurlosen Telefons mit zum Sofa und rief David an.

„Kame.“

„Handerson hier. David, könnte ich Sie treffen? Ich möchte gerne mehr über Mabunte und diese Mädchenhändler erfahren. Es hilft mir vielleicht bei den Ermittlungen und möglicherweise verstehe ich dann auch, was mit dieser jungen Frau geschehen ist.“

„Ja, natürlich. Kennen Sie das kleine Kaffeehaus in der Fischerstraße?“

„Ja, das kenne ich sehr gut.“

„In einer halben Stunde?“

„Bis dann.“

~

Eine halbe Stunde später betrat Handerson das kleine Kaffeehaus. David saß in einer Ecke und winkte ihm zu. Er ging zu ihm.

„Wo ist Maria?“

„Sie ist bei mir zu Hause. Meine Schwester kümmert sich um sie.“

„Wie lange wird Maria hier bleiben?“

„Ihr Touristenvisum erlaubt ihr einen vierwöchigen Aufenthalt. Solange will sie bleiben. Es sei denn, Sie finden vorher raus, was genau mit Nana geschehen ist.“

„Das würde ich gerne, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.“

Der Kellner kam an ihren Tisch und Handerson bestellte einen Milchkaffee. Als der Ober sich entfernte, wandte sich Handerson wieder David zu.

„Glauben Sie, dass Nana das Gleiche passiert ist, wie diesen Mädchen in Deutschland und England?“

David nahm einen Schluck von seinem Kakao, stellte die Tasse ab und schaute Handerson direkt in die Augen.

„Ja.“

„Die Kleidung in der sie sich umbrachte, sah nicht wirklich so aus, wie das, was man seiner Sklavin zum Anziehen gibt.“

„Sie werden bestimmt herausfinden, warum sie so gekleidet war. Aber ich denke, dass sie ein Opfer der Menschenhändler geworden ist. Wenn nicht, wieso hätte sie sich nicht mehr bei ihrer Familie melden sollen?“

„Meine Kollegin hat mit den ausländischen Kollegen Kontakt aufgenommen. Viel konnten die Mädchen nicht sagen. Nana kannten die Mädchen nicht. Dafür haben sie von einem Michel gesprochen. Er scheint derjenige gewesen zu sein, der die Mädchen in Europa in Empfang genommen und dann zu ihren ‚Familien‘ gebracht hat.“

„Nana hat Maria gegenüber auch einen Michel erwähnt. Sie war in Kontuba bei einer Agentur, die angeblich Hausmädchen nach Europa vermittelt. Wo genau die Agentur ist, wollte Nana ihr nicht sagen, da sie nicht wollte, dass Maria sich dort auch bewirbt.“

„Wieso?“

„Die Mutter ist sehr krank, der Vater früh verstorben. Zunächst hatte sich Nana um die Familie gekümmert. Nun wollte sie ins Ausland und dort Geld verdienen. Maria als zweitälteste sollte zu Hause bleiben und sich um alles kümmern. Nana fand, die anderen Geschwister seien noch zu jung, um Verantwortung für die Familie zu übernehmen und dass es daher wichtig sei, dass Maria in Kontuba bliebe, statt auch ins Ausland zu gehen und dort Geld zu verdienen.“

„Was hat sie über diesen Michel gesagt?“

„Nana hat den Flug von der Agentur bezahlt bekommen. Sie sollte in Amberland von einem Vertreter der Agentur namens Michel in Empfang genommen und von ihm zu ihrem Arbeitsplatz gebracht werden. Wenn es nicht mehrere Männer gibt, die für die Agentur arbeiten und sich Michel nennen, dann muss es wohl ein und derselbe Mann sein.“

„Dieser Michel ist dann wohl recht umtriebig, wenn die Mädchen in Deutschland und England ihn auch kannten.“

„Sieht so aus. Vielleicht ist er ja auf den Überwachungsbändern des Flughafens zu sehen, wie er Nana abholt. Dann hätten wir wenigstens eine Vorstellung davon, wie er ausschaut.“

„Gute Idee. Wann war Nana noch einmal geflogen?“

„Ich glaube, es war der zweite oder dritte September 2013. Vielleicht war es auch der fünfte. Ich kann Maria aber auch noch einmal danach fragen.“

„Arbeiten Sie eigentlich hauptberuflich bei Amnesty International?“

„Nein. Wir haben zwar einige Hauptamtliche hier in Carlshaven, aber im Grunde sind wir eine Organisation von Ehrenamtlern. Ich bin in einer speziellen Gruppe, die die Informationen zu Mabunte für die amberländische Sektion koordiniert. Das heißt, dass wir einzelne Gruppen, die gerne etwas zu Mabunte machen möchten, bei ihrer Arbeit unterstützen und mit Informationen über das Land, die Leute und die Menschenrechtsverletzungen, die dort begangen werden, versorgen. Solche Koordinationsgruppen gibt es für einzelne Länder aber auch für bestimmte Themen, wie etwa Folter oder Todesstrafe. Die Mitglieder dieser sogenannten Koordinationsgruppen sind über ganz Amberland verteilt und arbeiten sehr eng mit den Hauptamtlichen in Carlshaven und London zusammen.“

„Interessant. Wie hat ihre Organisation eigentlich von diesen Skandalen erfahren?“

„Wie sagt man im Deutschen so schön? Durch ‚Kommissar Zufall‘. Einem der Mädchen in England gelang die Flucht. Sie hatte das Glück einer Amnesty-Mitarbeiterin direkt in die Arme zu laufen. Die Kollegin hat sich die Geschichte der jungen Frau angehört und die Behörden eingeschaltet. Bei weiteren Nachforschungen kam die Polizei dann auf die anderen Mädchen. Sagen Sie mal, dürfen Sie eigentlich mit mir so freizügig über den Stand der Ermittlungen reden?“

„Eigentlich nicht. Aber wir unterhalten uns ja auch nicht über den Stand der Ermittlungen. Sie sind in diesem Fall ein von der Polizei einbestellter Berater, der von der amberländischen Polizei auf Grund seines Fachwissens dringend benötigt wird...“, er zuckte mit den Achseln. „Wenn man andauernd das Geld für vernünftige Ermittlungsarbeit einspart, müssen wir uns eben etwas einfallen lassen, wie wir an die Informationen kommen.“

„Und das gibt keinen Ärger?“

„Meine Chefs müssen ja nicht alles wissen“, er zwinkerte David verschwörerisch zu, der verständig nickte.

„Sie haben gesagt, dass die Hauptkunden dieser – ähm – ‚Agenturen‘ Diplomaten und reiche Geschäftsleute sind. Wie viele gibt es denn von denen hier in Amberland?“

„In ganz Amberland? So an die dreißig. Hier in Carlshaven sind es etwa sechs mit ihren Familien, die in Frage kämen. Da ist der Botschafter mit seiner Frau, die drei Botschaftsangehörigen und dann gibt es noch den Besitzer einer Import-Export-Firma und einen Kunsthändler.“

„Arbeiten bei dem Importeur und dem Kunsthändler auch noch andere Mabunter?“

„Ja, es gibt etwa fünfzig Mabunter hier in Carlshaven, aber reiche Mabunter und Diplomaten eben nur die sechs.“

„Mh, zu denen hinzufahren, ihnen ein Foto von Nana zu zeigen und sie zu fragen, ob sie die junge Frau kennen, wird wohl eher keinen Erfolg bringen. Da könnte ich sie vermutlich gleich fragen, ob sie private Sklaven halten.“

„Und wenn man sich einmal vorsichtig bei den Nachbarn umhört?“

„Ich dachte, die Mädchen kommen nicht vor die Tür.“

„Im Allgemeinen nicht, aber vielleicht hat sie doch einmal jemand gesehen. Niemand kann einen Menschen in einem Wohngebiet so gut vom täglichen Leben abschirmen. Und ein Jahr lang schon gar nicht.“

„Na ja, das ist wohl das einzige, was wir machen können.“

David schaute auf die Uhr.

„Ich möchte Maria nicht so lange mit meiner Schwester alleine lassen, sie ist doch ziemlich geschockt.“

„Ja, natürlich. Gehen sie nur zu ihr“, sagte Handerson und erhob sich, um dem Afrikaner zum Abschied die Hand zu schütteln.

~

Eine Stunde später saß Handerson wieder auf seinem Sofa und kraulte Morse und Poirot. Er überlegt, wie er es wohl anstellen könnte, die Nachbarn der reichen Mabunter zu befragen, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn die Polizei im Umfeld des mabuntischen Botschafters herumstocherte, gab das über Kurz oder Lang bestimmt Ärger von allerhöchster Stelle.

„Wenn ich nur wüsste, was ich machen soll. Das mit dem Botschafter ist so kompliziert“, sagte er zu den beiden Katern. Morse sah ihn an, kletterte auf den Couchtisch, ließ sich auf der zusammengefalteten Tageszeitung nieder und maunzte.

„Das meinst du nicht wirklich ernst, oder?“ Morse sah ihn provokativ an.

Kommissar Handerson - Sammelband

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