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Carlshaven, Polizeirevier, 10. September 2014

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„Und? Was hat Weidmann gesagt?“, fragte Anna ihre Kollegen, die gerade von der Gerichtsmedizin zurückkehrten.

„Sie wurde möglicherweise brutal vergewaltigt. Dabei stand sie vermutlich auch unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln, aber als sie sich von der Brücke stürzte, muss die betäubende Wirkung kaum noch spürbar gewesen sein. Und Weidmann hat an ihren Händen Hautschäden festgestellt, die darauf hindeuten, dass sie entweder sehr viel oder mit sehr aggressiven Mitteln geputzt hat. Hier hast du den Bericht“, antwortete Handerson.

„Mh. Aber wirklich weiter sind wir jetzt immer noch nicht, oder? Hat er euch ein brauchbares Foto gegeben?“

„Ja“, antwortete Peter. „Aber bevor wir eine Fahndung einleiten, sollten wir noch einmal die Vermisstenmeldungen durchgehen, ob eine junge Frau um die zwanzig mit afrikanischen Wurzeln irgendwo als vermisst gemeldet ist.“

„Wie schön politisch korrekt du das formulierst“, stichelte Handerson. „‚Junge Frau mit afrikanischen Wurzeln‘.“

„Na, Afrikanerin kann ich ja wohl schlecht sagen. Wer weiß, vielleicht ist sie ja hier geboren. Denk doch mal daran, was die anhatte. Das waren richtig teure Sachen.“

„Ja, ja, hast ja recht.“

Anna rief die Vermisstendatenbank im Computer auf und gab die Daten ein.

„Nein, laut Datenbank ist keine junge Frau als vermisst gemeldet, auf die diese Beschreibung passt. Sehr schade, da werden wir wohl oder übel kreativ werden müssen, um die Identität unserer großen Unbekannten klären zu können.“

„Tja, dann werdet ihr mal kreativ“, meinte Peter. „Ich muss mit Hektor zum Training.“

„Das tut dir jetzt vermutlich auch gar nicht leid“, grummelte Handerson.

„In der Tat nicht. Ihr könnt mir ja dann morgen berichten, was ihr herausgefunden habt. Viel Spaß noch.“

Peter griff seine Jacke und die Autoschlüssel und ging. Eigentlich war es nicht üblich, dass ein Polizeibeamter in seiner Position einen Diensthund führte, aber es war immer sein großer Traum gewesen, einen Spürhund zu haben. Seine Frau war lange Zeit Rettungshundeführerin gewesen und es hatte ihn immer fasziniert, was die Tiere leisteten, aber ein Rettungshund kam für ihn nicht in Frage. Er hatte so lange auf die Revierleiterin eingeredet, bis sie nachgegeben hatte. Den Hund durfte er sich sogar selber aussuchen. Er hatte sich für einen Groenendael entschieden. Die tiefschwarzen belgischen Schäferhunde hatten es ihm schon lange angetan. Hektor war jetzt sechs Monate alt und musste noch viel lernen. Wenn Peter mit Handerson oder Anna unterwegs war, dann passte derzeit noch seine Frau auf das Tier auf. Helga arbeitete als Sekretärin bei der Polizei und hatte ihr Büro auf demselben Gang wie die Mordkommission. Peter fand dieses Arrangement äußerst praktisch. Er holte Hektor ab und verschwand danach mit ihm auf den Trainingsplatz, wo er, wie jeder gute Polizeihund, zunächst als Schutzhund ausgebildet wurde. Später sollte Hektor noch eine Ausbildung zum Leichenspürhund bekommen – was auch sonst, wenn Herrchen bei der Mordkommission arbeitete?

„Oh, da fällt mir ein, ich habe gleich noch ein Meeting mit den anderen Abteilungsleitern. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, aber vermutlich lange, da wir den Haushaltsplan für nächstes Jahr diskutieren müssen. Du wirst also alleine weiter machen müssen“, sagte Handerson und setzte einen Blick auf, von dem er dachte, dass er tiefstes Mitgefühl ausdrückte.

„Na, das war ja wieder mal klar…“

~

Eine Stunde später war Anna alleine im Büro. Sie war immer noch wenig begeistert davon, dass die Herren der Schöpfung sie mit der Arbeit einfach so alleine gelassen hatten. Nachdem Handerson gegangen war, hatte sie sich erst mal einen Kaffee und ein Stück Kuchen aus der Cafeteria geholt. Kaffee und Zucker halfen ihr immer beim Denken. Jetzt saß sie wieder am Computer. Auch eine nochmalige Datenbankabfrage hatte sie nicht weitergebracht. Sie hatte zur Sicherheit noch den Kollegen bei der Vermisstenstelle angerufen und gefragt, ob er vielleicht in der Zwischenzeit eine Meldung hereinbekommen habe. Aber auch das war nicht der Fall. Der Kollege dort war aber sehr hilfsbereit und versprach, sich umgehend bei ihr zu melden, wenn eine Meldung hereinkäme, die auf die unbekannte Tote passte.

Nun überlegte sie, was sie tun könnte. Sie schaute sich noch einmal die Fotos an und da kam ihr eine Idee. Grit von der IT-Abteilung hatte ihr neulich beim Mittagessen erzählt, dass sie ein Programm geschrieben hatte, das das Gesicht auf einem eingescannten Foto mit Fotos verglich, die es im Internet fand. Es hatte irgendetwas mit Suchmaschinen und Algorithmen zu tun. So richtig hatte Anna es nicht verstanden, zumal sie von solchen Dingen eh wenig Ahnung hatte. Grit hatte das Programm geschrieben, weil ihre Freundin wissen wollte, ob es irgendwo peinliche Partyfotos von ihr im Netz gab. Die üblichen Suchmaschinen halfen da nicht weiter, da sie nur Fotos ausspuckten, die irgendwie mit dem Namen der Person oder dem Ort verknüpft waren. Wer erinnerte sich schon an alle peinlichen Partys, auf denen er einmal war? Nun gut, um der Freundin zu helfen, hatte Grit also dieses Programm geschrieben und die Freundin hatte wohl tatsächlich Fotos von sich gefunden, die sie vorher über die Eingabe von Stichwörtern in die Suchmaschine nicht angezeigt bekommen hatte. Vielleicht war das ja die Lösung für Annas Problem. Die Unbekannte war jung und heutzutage waren doch alle irgendwo im Internet zu finden. Einen Versuch war es zumindest wert. Sie griff zum Telefon.

„Polizei Carlshaven, IT-Abteilung. Grit Seidler am Apparat.“

„Hallo, Grit, hier ist Anna. Sag mal, hast du noch dieses Programm, von dem du mir neulich erzählt hast?“

„Ja, wieso?“

„Na ja, ich habe hier so einen Fall und komme nicht weiter. Vielleicht hilft mir die Software ja herauszufinden, wer die Frau ist.“

„Ich habe gleich Dienstschluss, dann bringe ich es dir vorbei. Du bist doch im Büro, oder?“

„Ja, bin ich, bis gleich.“

Zwanzig Minuten später stand Grit mit einem USB-Stick in Annas Büro.

„Hier ist es drauf.“

„Und wie funktioniert das?“

„Ganz einfach. Zunächst musst du es erst mal auf dem Rechner installieren. Dann scannst du das Foto ein, stellst sicher, dass du mit dem Internet verbunden bist, und klickst auf „OK“. Den Rest macht das Programm von alleine. Es erkennt bestimmte Parameter im Gesicht einer Person und gleicht diese mit Fotos ab, die es im Internet findet. Wenn es etwas findet, zeigt es dir das Ergebnis in einem Fenster an. Da brauchst du dann nur noch auf das Bild klicken und gelangst so zu der Webseite, auf der das Bild drauf ist. Es dauert etwa eine Dreiviertelstunde, bis der Suchlauf beendet ist.“

Grit half Anna, die Software zu installieren und das Foto zu scannen. Zehn Minuten später tranken die beiden eine Tasse Kaffee, während das Programm vor sich hinarbeitete. Die beiden Frauen waren zusammen zur Schule gegangen und hatten auch da schon ähnliche Interessen gehabt, daher hatten sie sich immer viel zu erzählen und die Zeit verging schnell. Sie unterhielten sich gerade über einen Roman, den Grit vor Kurzem ausgelesen hatte, als der Computer ein deutlich hörbares „Ping“ ertönen ließ.

„So, da wollen wir doch einmal sehen, ob er etwas gefunden hat“, sagte Grit.

Sie gingen zum Computer hinüber. Tatsächlich. Das Programm zeigte einige Fotos von der unbekannten jungen Frau. Aber auf diesen lebte sie noch und lächelte winkend in die Kamera. Anna klickte auf eines der Fotos. Sie landete in einem sozialen Netzwerk, von dem sie noch nie gehört hatte und auch die Sprache auf der Seite verstand sie nicht.

„Mh, sieht so aus, als käme deine Unbekannte irgendwo aus Afrika.“

„Ja, scheint so. Komisch. Die sah gar nicht so arm aus, wie hier auf dem Foto. Hast du irgendeine Ahnung, was das für eine Sprache ist?“

„Nee, aber vielleicht kann dir Kemi weiterhelfen.“

Eines Tages, als sie beide in der sechsten Klasse gewesen waren, kam die Schulleiterin herein und brachte ein dunkelhäutiges Mädchen mit. Kemi war damals gerade mit ihren Eltern als Flüchtling nach Amberland gekommen, weil in ihrem Heimatland Bürgerkrieg herrschte. Anna erinnerte sich noch gut daran, dass das fremde Mädchen damals die ersten Wochen in der Schule nur geweint hatte. Sie hatte Anna und Grit sehr leid getan und sie hatten ihr geholfen, wo es nur ging. Mit Händen und Füßen hatten sie sich verständigt, bis Kemi irgendwann genug Deutsch sprach, um sich auch einmal richtig mit ihnen unterhalten zu können. Kemi hatte ihnen damals erklärt, dass sie so viel geweint hatte, weil sie in diesem Land, das so ganz anders war als ihres, zur Schule gehen musste und nichts verstand. Dabei war sie früher immer so gut in der Schule gewesen. Sie war Anna und Grit sehr dankbar dafür, dass sie ihr so viel geholfen hatten und die drei waren bis heute gut miteinander befreundet und halfen sich, wo sie nur konnten.

„Dann fragen wir sie doch am besten gleich“, sagte Anna und druckte die Seite aus.

Kommissar Handerson - Sammelband

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