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Zur Psychologie von Verschwörungstheorien

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Zum Klischee des Verschwörungstheoretikers gehört, dass er ein Spinner, ein Außenseiter, paranoid oder zumindest in irgendeiner Weise seltsam ist. In letzter Zeit wird Verschwörungstheoretikern häufig und gerne unterstellt, dass sie aus Aluminiumfolie geformte Kopfbedeckungen tragen. Bekanntlich beinhalten Klischees häufig zumindest ein Fünkchen Wahrheit. Gilt das auch für Anhänger von Verschwörungstheorien? Die Psychologie hat sich über lange Zeit nur wenig für Verschwörungstheorien und ihre Anhänger interessiert. Das hat sich in den letzten fünfzehn Jahren grundlegend geändert. Inzwischen gibt es einen wahren Boom psychologischer Forschung über Verschwörungstheorien. Im Kern geht es dabei immer um dieselbe Frage: Was bringt Menschen dazu, an Verschwörungstheorien zu glauben?

Eine der ersten sozialpsychologischen Studien über den Glauben an Verschwörungstheorien wurde 1994 veröffentlicht und stammt von dem amerikanischen Soziologen Ted Goertzel. In einer Telefonbefragung wurden 348 zufällig ausgewählte Einwohner des US-Bundesstaates New Jersey nach ihrer Meinung zu zehn verschiedenen Verschwörungstheorien gefragt, etwa jener, dass die U.S. Air Force Beweise für die Existenz von UFOs vertuscht, oder jener, dass das FBI in die Ermordung Martin Luther Kings involviert war. Die meisten der Befragten gaben an, dass eine oder mehrere der Verschwörungstheorien wahr sein könnten. Personen, die von einer Verschwörungstheorie überzeugt waren, glaubten mit höherer Wahrscheinlichkeit auch an eine oder mehrere andere. Der Glaube an Verschwörungstheorien korrelierte dabei mit mangelndem zwischenmenschlichem Vertrauen und der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Afroamerikaner und Amerikaner mit hispanischen Wurzeln hielten Verschwörungstheorien häufiger für wahr als weiße US-Amerikaner. Jüngere Menschen stimmten Verschwörungstheorien eher zu als ältere. Das Bildungsniveau, Geschlecht oder die Berufsgruppe hingegen hatten keinen besonderen Einfluss.62

Weitere Studien fanden Zusammenhänge zwischen dem Glauben an Verschwörungstheorien und Gefühlen der Entfremdung, Machtlosigkeit, Feindseligkeit und Benachteiligung63 oder zwischen der Neigung zu Verschwörungstheorien und Kontrollverlust.64 Anhänger von Verschwörungstheorien sind eher weiblich, weniger gebildet und religiös65 oder aber eher männlich und von sozioökonomischen Abstiegsängsten geplagt.66 Sie haben eine »autoritäre Charakterstruktur«67 und tendieren zu politischen und religiösen Extremen.68 Andere Studien suchten nach psychologischen Auffälligkeiten oder gar Pathologien bei Anhängern von Verschwörungstheorien – und wurden fündig. Eine Untersuchung der Psychologen Daniel Freeman und Richard P. Bentall kam zu dem Ergebnis, dass Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, ein geringeres physisches und psychisches Wohlbefinden aufweisen, vermehrt Selbstmordgedanken und schwierige Familienerfahrungen haben und häufiger die Kriterien für eine psychiatrische Störung erfüllen.69 Der Psychiater und Therapeut Hans-Joachim Maaz erklärt sich die Akzeptanz von Verschwörungstheorien durch pathogene Störungen in der frühkindlichen Eltern-Kind-Beziehung.70 Laut weiterer Studien gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Glauben an Verschwörungstheorien und Merkmalen von Persönlichkeitsstörungen.71 Anhänger von Verschwörungstheorien haben ein niedriges Selbstwertgefühl, heißt es in einigen Studien, andere wiederum gehen davon aus, dass Narzissmus eine Ursache für die Neigung zu Verschwörungstheorien sein kann.72 Und natürlich gibt es Untersuchungen, die – ganz in der Tradition Hofstadters – zu dem Ergebnis kommen, dass Verschwörungstheorien mit paranoiden Denkformen assoziiert sind.73 Darüber hinaus spiele bei der Akzeptanz von Verschwörungstheorien eine selektive, einseitige oder eingeschränkte Wissensbasis (»verkrüppelte Erkenntnisse«) eine entscheidende Rolle74 und Verschwörungstheoretiker würden »grundlegende Attribuierungsfehler« machen.75 Last but not least steht sogar Langeweile im Verdacht, den Glauben an Verschwörungstheorien zu begünstigen.76

Diese Auflistung von kognitiven, psychischen und sozioökonomischen Defiziten und Mängeln sowie sonstigen Problemen, die Anhänger von Verschwörungstheorien angeblich auszeichnen, ließe sich noch lange fortsetzen. Allerdings brächte dies kaum einen Erkenntnisgewinn, da sich die Ergebnisse der entsprechenden Studien zum Teil widersprechen und in einigen Fällen von höchst fragwürdigen Grundannahmen ausgehen. Vor allem die Tendenz, Anhänger von Verschwörungstheorien pauschal zu pathologisieren, erscheint angesichts des Umstandes in höchstem Maße zweifelhaft, dass in den meisten Ländern diejenigen, die an irgendeine Verschwörungstheorie glauben, in der Mehrheit sein dürften.77 Der Psychologe Marius Raab stellt fest, dass innerhalb der Psychologie eine abwehrend-abwertende Haltung gegenüber Verschwörungstheorien dominiert und der Glaube an Verschwörungstheorien einseitig mit problematischen Ansichten wie der Leugnung des Klimawandels, der Ablehnung von Schutzimpfungen und antisemitischen Stereotypen in Verbindung gebracht wird.78 In der Tat scheinen viele psychologische Studien von der Prämisse auszugehen, dass Verschwörungstheorien ein Problem darstellen. Und zwar in dreierlei Hinsicht: Erstens wird oftmals pauschal unterstellt, dass Verschwörungen von falschen Behauptungen, unwahren Informationen und fiktiven Zusammenhängen ausgehen (mithin: sachlich falschen Wirklichkeitsaussagen). Zweitens wird angenommen, der Glaube an eine entsprechende Verschwörung würde nicht nur einfach auf sachlich falschen Vorstellungen beruhen, sondern darüber hinaus Zweifel an der geistigen Gesundheit jener ›Gläubigen‹ erlauben, wenn nicht gar nahelegen. Und drittens schließlich stellten Verschwörungstheorien eine politische Gefahr dar, da sie einen Nährboden für irrationale, politisch extreme Haltungen böten – und daher gesellschaftlich und politisch riskant und verwerflich seien.79 Verschwörungstheorien erscheinen aus dieser Perspektive gewissermaßen als eine ›Krankheit‹, die es gesellschaftlich, politisch und womöglich auch medizinisch-psychologisch zu behandeln gilt.

Auf Grundlage dieser Prämissen wird in psychologischen Studien oftmals eher die Zustimmung zu jenen Verschwörungstheorien abgefragt, die aus Sicht der Wissenschaftler falsch, problematisch oder auch gefährlich sind. Die Auswahl ist dabei oftmals vollkommen willkürlich.80 Werden ausschließlich oder mehrheitlich negativ bewertete Erscheinungsformen von Verschwörungstheorien in Studien untersucht, ergibt sich ein verzerrtes, irreführendes Bild. Das ist in etwa so, als würde man in Studien lediglich Mitglieder von extremen Parteien befragen, um daraus allgemeine Aussagen über ›die Politik‹ abzuleiten. Eine solche Vorgehensweise erzeugt kaum Erkenntnisse über die Anhänger von Verschwörungstheorien, sondern bestätigt eher die Vorurteile der Wissenschaftler, die sie untersuchen.

Einige Studien fragen die Zustimmung zu sehr verschiedenen Verschwörungstheorien ab, darunter auch solche, die nicht ganz abwegig sind. Dabei taucht allerdings ein anderes Problem auf: Ist es wirklich sinnvoll, Menschen mit sehr unterschiedlichen verschwörungstheoretischen Vorstellungen in einen Topf zu werfen und nach gemeinsamen psychologischen Ursachen für ihre Vorstellungen zu suchen? Jemand, der es für möglich hält, dass Geheimdienste in Terroranschläge verwickelt sind und dass die Gründe für den Irak-Krieg bewusste Lügen waren, hat mit Chemtrails-Anhängern nicht zwingend etwas gemeinsam. Jemand, der davon überzeugt ist, dass die amerikanische Regierung Wissen über UFOs verschleiert, kann antisemitische Verschwörungstheorien genauso abstoßend finden wie jemand, der das gesamte UFO-Thema für ausgemachten Unsinn hält.

In einer Reihe von psychologischen Studien wird davon ausgegangen, dass der Glaube an Verschwörungstheorien eine stabile Persönlichkeitseigenschaft ist, dass es so etwas wie eine Verschwörungsmentalität gibt. Die Ausprägung der Verschwörungsmentalität wird nicht anhand der Zustimmung zu bestimmten Verschwörungstheorien gemessen, sondern über die Bewertung allgemeiner Aussagen mit Bezug zu Verschwörungstheorien, etwa »Es geschehen sehr viele wichtige Dinge in der Welt, über die die Öffentlichkeit nie informiert wird« oder »Die internationalen Geheimdienste mischen viel mehr in alltäglichen Dingen mit, als man denkt.«81 Derartige Aussagen werden von den Teilnehmern der Studien dann in der Regel im Rahmen einer mehrstufigen Skala von »Stimme überhaupt nicht zu« bis hin zu »Stimme voll und ganz zu« bewertet. Abgesehen davon, dass einige der Aussagen je nach politisch-gesellschaftlichem Kontext eher dem gesunden Menschenverstand als einer Verschwörungsmentalität entsprechen,82 stellt sich die Frage, was genau es eigentlich bedeutet, wenn die Teilnehmer solcher Studien derartigen Aussagen zustimmen oder auch nur teilweise zustimmen. Drücken sich darin tatsächlich feste Überzeugungen aus, die auf eine Verschwörungsmentalität, auf spezifische psychologische Merkmale schließen lassen? Geht es, gerade bei Verschwörungstheorien, nicht auch oft um Unsicherheiten, Vermutungen und vage Vorstellungen? Mit den Worten Karl Hepfers: »Denn nicht jede Vermutung, an einer Sache könnte mehr dran sein, als auf den ersten Blick zu erkennen ist, nicht jeder Verdacht, es gehe nicht alles mit rechten Dingen zu, begründet bereits eine Verschwörungstheorie. Im Gegenteil: Meistens sind derartige Vermutungen schlicht ein verdecktes Eingeständnis unserer Unwissenheit und weit von der Behauptung entfernt, die Undurchsichtigkeit einer Situation müsse dem planvollen Wirken verborgener Mächte zugeschrieben werden.«83 Dies alles soll nicht negieren, dass Verschwörungstheorien psychologische Funktionen erfüllen. Sie können sinn- und identitätsstiftend wirken; sie bieten Deutungen und Erklärungen für eine immer komplexer erscheinende Welt; sie können Bedürfnisse nach Einzigartigkeit befriedigen oder bestehende Vorurteile bestätigen. Allerdings sind dies keine Alleinstellungsmerkmale von Verschwörungstheorien, sie treffen genauso auf viele andere Erklärungsmodelle, Deutungsmuster und Haltungen zu, etwa auf politische Einstellungen oder religiöse Überzeugungen.

Kommen wir zu der Ausgangsfrage dieses Kapitels zurück: Sind Anhänger von Verschwörungstheorien in irgendeiner Weise psychologisch auffällig oder gar psychisch krank? Die Ergebnisse der psychologischen Studien sind sehr uneindeutig und lassen diesen Schluss nicht zu. Alles andere wäre im Prinzip auch verwunderlich, da Verschwörungstheorien kein Phänomen von Minderheiten, sondern weitverbreitet sind. Insbesondere die häufig wiederkehrende Behauptung, dass Verschwörungstheorien mit klinischer Paranoia in Verbindung stehen, ist eher ein Klischee als ein wissenschaftlich eindeutiger Befund. Auch die Annahme, Anhänger von Verschwörungstheorien unterlägen kognitiven Verzerrungen, lässt sich empirisch nicht klar belegen.84 Dasselbe gilt für soziodemografische Aspekte: Die Befunde über den Einfluss von Faktoren wie Alter, Bildung, Geschlecht, Berufsgruppe etc. auf die Zustimmung zu Verschwörungstheorien sind so widersprüchlich, dass sich daraus keine eindeutigen und generalisierbaren Aussagen ableiten lassen.85 Kurzum: Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, scheinen sich im Allgemeinen kaum oder gar nicht von Menschen zu unterscheiden, die dies nicht tun.

Verschwörungstheorien scheinen mehr ein genuin soziales als ein psychologisches Phänomen zu sein. Ihre Erscheinungsformen reichen von vollständigem Unfug bis hin zu legitimen und faktenbasierten Überlegungen. Ohne jeden Zweifel bedürfen die problematischen, gefährlichen gesellschaftlichen Aspekte des Verschwörungsdenkens besonderer Beachtung in der wissenschaftlichen Analyse. Allerdings können, so unsere Überzeugung, Verschwörungstheorien analytisch nicht auf irrationales Denken und ein gesellschaftspolitisch negatives oder destruktives Wirkpotenzial reduziert werden.

Der Kampf um die Wahrheit

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