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2. Zur Geschichte von Verschwörungen und Verschwörungstheorien Verschwörungen als historische Konstante
ОглавлениеWie so häufig liegen die Anfänge und der genaue Ablauf der Verschwörung im Dunkeln. Doch offensichtlich dauerte es nicht allzu lange, eine ausreichende Zahl von Mitverschwörern zu gewinnen, um den Plan umzusetzen, jenen Mann zu töten, der das Römische Reich wie zuvor kein anderer beherrschte. Am 15. März des Jahres 44 v. Chr. war es so weit: Während einer Senatssitzung im Theater des Pompeius wurde Gaius Julius Cäsar, Alleinherrscher im gesamten römischen Imperium und Diktator auf Lebenszeit, von einer Gruppe Senatoren mit 23 Dolchstichen ermordet. Angeführt wurde die Verschwörung, an der zwischen 60 und 80 Personen beteiligt waren, von den Senatoren Marcus Iunius Brutus und Gaius Cassius Longinus. Unter den Verschwörern waren einige Vertraue und Günstlinge Cäsars, doch offenbar war ihre Feindschaft gegen den Diktator derart ausgeprägt, dass niemand den geheimen Plan verriet. »Die klare Erkenntnis«, schreibt der Historiker Martin Jehne, »daß Caesar sich zum Alleinherrscher auf Dauer aufgeschwungen hatte und folglich die alte Republik nicht mehr bestand, hatte die Männer zusammengeführt; sie wollten, wie einige der legendären Vorbildfiguren, Rom von einem Tyrannen befreien und so selbst durch eine heroische Tat in die Geschichte eingehen.«1 Letztlich war die Verschwörung gegen Cäsar ein Misserfolg, denn die politischen Ziele, die seine Ermordung motiviert hatten, konnten in der Folgezeit nicht verwirklicht werden. Das Mordkomplott gegen Caesar kann dennoch als eine der bekanntesten historischen Verschwörungen gelten.
Die Geschichte ist voll von Verschwörungen – missglückten und erfolgreichen. Sie ziehen sich gleichsam wie ein roter Faden durch die historischen Epochen.2 Einige Verschwörungen haben den Gang der Geschichte verändert. »Die spektakulärsten und folgeschwersten Fälle«, fasst Daniel Pipes zusammen, »betreffen den Mord an Führerpersönlichkeiten (Julius Cäsar, Zar Alexander II., Erzherzog Ferdinand, Anwar Sadat) und den Akt der Machtergreifung (durch Napoleon den III., Mussolini, Franco, Gamal Abdel Nasser).«3 Der Renaissance-Gelehrte Machiavelli hob, wie bereits erwähnt, die Bedeutung von Verschwörungen für politische und historische Entwicklungen hervor und widmete dem Thema in seinem Werk Discorsi aus dem Jahr 1531 ein ganzes Kapitel. Durch Verschwörungen, so Machiavelli gleich zu Beginn des Kapitels, hätten »mehr Machthaber Leben und Herrschaft verloren als durch offenen Krieg«.4 Machiavelli bezieht sich auf eine ganze Reihe historischer Verschwörungen und unterscheidet zwei Grundformen: (1) Verschwörungen, die sich gegen einzelne Machthaber richten, und (2) Verschwörungen gegen einen ganzen Staat, also Putschversuche oder Staatsstreiche. Als mögliche Motive der Verschwörer nennt er den Hass auf einen Herrscher, das Bedürfnis nach Rache, das Streben nach Freiheit und die Gier nach Macht.5 Verschwörer besäßen in der Regel selbst schon eine gewisse Macht und kämen oftmals aus der nächsten Umgebung der Herrscher, die sie stürzen wollen. Machiavelli beschäftigt sich auch damit, wie schwierig es ist, eine Verschwörung erfolgreich umzusetzen, weshalb Verschwörungen in vielen Fällen scheitern würden. Je höher die Zahl der Mitwisser, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Verschwörung aufgedeckt wird. In den Worten Machiavellis: »Vor diesen Ursachen der Entdeckung einer Verschwörung, die auf Bosheit, Unvorsichtigkeit oder Leichtsinn zurückzuführen sind, kann man sich unmöglich schützen, sobald die Zahl der Mitwisser drei oder vier übersteigt.«6
Das Spektrum historischer Verschwörungen ist breit. Sie führten zu Gewaltherrschaft und Tyrannei, hatten aber auch den Sturz von Despoten und die Befreiung von willkürlicher Machtausübung zum Ziel. In besonderer Erinnerung scheinen uns jene Verschwörungen zu bleiben, hält der Publizist Uwe Schultz fest, die sich, ob erfolgreich oder nicht, auf die Tötung eines mächtigen Tyrannen richten, wie – neben dem bereits erwähnten Komplott gegen Cäsar – etwa das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944.7
Darüber, dass Verschwörungen eine Konstante in der menschlichen Geschichte bilden, sind sich Historiker weitestgehend einig. Völlig anders hingegen verhält es sich bei Verschwörungstheorien.8 Hier gibt es im Wesentlichen zwei Fraktionen: Für die einen sind Verschwörungstheorien, genau wie Verschwörungen, eine historische oder gar anthropologische Konstante und existieren damit genau so lange, wie es menschliche Kulturen gibt. Andere hingegen sehen die Phase zwischen Renaissance und Aufklärung in Europa als Ursprungszeit und -ort für das, was wir heute unter Verschwörungstheorien verstehen.9 Beide Ansätze haben gute Argumente für sich. Es hängt letztlich wieder davon ab, was genau man unter einer Verschwörungstheorie versteht. Schauen wir uns diese Diskussion anhand eines konkreten Beispiels näher an: der Hexenverfolgung.