Читать книгу Der Kampf um die Wahrheit - Alan Schink - Страница 6
Probleme bei der Begriffsbestimmung
ОглавлениеEs gibt bislang keine einheitliche wissenschaftliche Definition des Begriffs ›Verschwörungstheorie‹. Klar ist, dass es bei Verschwörungstheorien um Vermutungen oder Behauptungen über Verschwörungen geht. Letztere wiederum lassen sich recht eindeutig bestimmen. Nach dem australischen Philosophen David Coady zeichnet sich eine Verschwörung im Wesentlichen durch zwei Aspekte aus: Erstens muss es eine Gruppe von Verschwörern geben (denn allein kann man sich nicht verschwören) und zweitens muss die Verschwörung geheim sein (denn so etwas wie eine offene Verschwörung kann es nicht geben).7 In einigen Ländern gelten Verschwörungen als Straftatbestand, etwa in den USA. Hier wird eine Verschwörung als Vereinigung von zwei oder mehr Personen zu dem Zweck der Durchführung einer illegalen oder verbrecherischen Tat definiert.8 Verschwörungen müssen allerdings nicht in jedem Fall eine illegale, kriminelle oder zumindest moralisch fragwürdige Zielsetzung haben. Fest steht aber: Verschwörungen folgen einem Plan oder haben ein Ziel. Man könnte, um es auf eine generelle Formel zu bringen, eine Verschwörung daher wie folgt definieren: Eine Verschwörung liegt vor, wenn zwei oder mehrere Personen in geheimer Kooperation einen Plan entwickeln und diesen umsetzen oder umzusetzen versuchen, um ein konkretes Ziel zu erreichen.
Sind Verschwörungstheorien dann nicht einfach Annahmen über solche Verschwörungen? Ganz so einfach ist es leider nicht. Verschwörungstheorien, darin sind sich alle Wissenschaftler einig, handeln von Verschwörungen. Darüber, was diese Verschwörungen auszeichnet, herrscht allerdings größte Uneinigkeit. Viele Wissenschaftler, die sich mit dem Thema beschäftigen, betonen, dass der Kern von Verschwörungstheorien darin besteht, dass sie Vermutungen über Verschwörungen anstellen, die aber real nicht existieren. Sie behaupten, es sei ein Charakteristikum von Verschwörungstheorien, dass sie immer falsch sind. Diesen Standpunkt vertritt etwa der bereits erwähnte Amerikanist Michael Butter. Er unterscheidet daher strikt zwischen echten Verschwörungen auf der einen und Verschwörungstheorien auf der anderen Seite, die nach seinem Verständnis von imaginären oder fiktiven Verschwörungen ausgehen.9 Dieses Verständnis entspricht in gewisser Weise auch der Verwendung des Begriffes ›Verschwörungstheorie‹ in den Massenmedien und in der Alltagssprache. Hier gilt er in aller Regel als Synonym für irrationale, unwahre, abwegige oder gar gefährliche Haltungen. Daher weisen einige Forscher darauf hin, dass der Begriff inzwischen derart negativ konnotiert ist, dass er eigentlich gar nicht mehr in einem neutralen oder gar analytischen Sinne gebraucht werden kann. Er tauge letztlich nur noch als Schimpfwort, als Kampfbegriff und als Mittel zur Abwertung und Ausgrenzung missliebiger Meinungen.10 Und in der Tat: Es gibt kaum jemanden, der sich selbst gerne als Verschwörungstheoretiker bezeichnet.11 Hinzu kommt eine zunehmende Verwässerung des Begriffs. Als Verschwörungstheorien werden heute auch Ansichten bezeichnet, die gar nichts mit einer behaupteten Verschwörung im eigentlichen Sinne zu tun haben. Wenn etwa Menschen glauben, dass die Erde vor geraumer Zeit von Außerirdischen besucht wurde und es dafür archäologische Belege gibt, ist dies zunächst keine Verschwörungstheorie. Auch nicht, wenn Menschen glauben, dass es sich bei manchen gesichteten UFOs um außerirdische Raumschiffe handelt. Zu einer Verschwörungstheorie wird das Ganze erst dann, wenn angenommen wird, dass eine geheime Verschwörung die Beweise für eine außerirdische Präsenz auf der Erde systematisch vertuscht. Man nennt diese Art der Vertuschung auch eine »Cover-up«-Verschwörung.12
Wie sollte die Wissenschaft nun also mit dem belasteten Begriff ›Verschwörungstheorie‹ umgehen? Ihn vermeiden? Einen alternativen Begriff wählen? Aus unserer Sicht ist die negative Bedeutung des Begriffs im allgemeinen Sprachgebrauch kein zwingender Grund, ihn im Rahmen einer wissenschaftlichen Diskussion komplett zu vermeiden – und die meisten wissenschaftlichen Arbeiten, die sich mit dem Thema beschäftigen, nutzen ihn auch weiterhin. Allerdings erscheint es uns wichtig, deutlich zwischen der alltagssprachlichen Bedeutung des Begriffs und einer wissenschaftlichen Definition zu unterscheiden, die möglichst sachlich und neutral sein sollte.
Der Begriff ›Verschwörungstheorie‹ wird von manchen Wissenschaftlern aber auch aus anderen Gründen abgelehnt. Da Verschwörungstheorien keine Theorien im wissenschaftlichen Sinne seien, sei der Begriff irreführend und sollte durch andere Begriffe ersetzt werden. Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber etwa schlägt vor, statt von Verschwörungstheorien von ›Verschwörungshypothesen‹, ›Verschwörungsideologien‹ oder ›Verschwörungsmythen‹ zu sprechen. Die drei Formen unterscheiden sich vor allem dadurch, wie offen sie für Kritik und Gegenargumente sind und ob die vermutete Verschwörung realen oder fiktiven Personengruppen zugeschrieben wird.13 In ähnlicher Weise argumentieren auch Katharina Nocun und Pia Lamberty. Bei Verschwörungstheorien, so die beiden Autorinnen, könne man nicht von Theorien im wissenschaftlichen Sinne sprechen, da sie sich einer systematischen Überprüfung ihrer Argumente entziehen würden. Daher sei der Begriff ›Verschwörungstheorie‹ abzulehnen. Als Alternativbegriff schlagen sie ›Verschwörungserzählungen‹ vor.14 Auch Katrin Götz-Votteler und Simone Hespers, beide wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikation der Universität Erlangen, legen Wert auf die Unterscheidung zwischen wissenschaftlichen Theorien und Verschwörungstheorien. Verschwörungstheorien seien nicht das Ergebnis eines wissenschaftlichen oder epistemischen Prozesses, sondern das Resultat einer subjektiven Interpretation selektiver Wahrnehmungen und würden in der Regel für ihre Aussagen keine belastbaren Beweise liefern.15
Die strikte Unterscheidung zwischen Verschwörungstheorien auf der einen und wissenschaftlichen Theorien auf der anderen Seite mag auf den ersten Blick plausibel erscheinen. Sie ergibt aus unserer Sicht jedoch analytisch wenig Sinn. Zum einen gibt es durchaus verschwörungstheoretische Spekulationen, die wissenschaftlichen Theorien ziemlich nahekommen. Wenn etwa ein investigativer Journalist auf der Grundlage recherchierter Fakten über eine mutmaßliche Verschwörung spekuliert und nach Belegen dafür sucht, bei fehlenden Hinweisen aber auch von dieser Vermutung Abstand nimmt, entspricht dies im weitesten Sinne einer ergebnisoffenen wissenschaftlichen Herangehensweise zur Überprüfung einer Theorie. Zum anderen gibt es verschiedene Bedeutungen des Begriffs ›Theorie‹. Eine Theorie kann nicht nur im (natur-)wissenschaftlichen Sinne eine wissenschaftlich begründete Aussage zur Erklärung bestimmter Erscheinungen sein, sondern, was der Bedeutung des Begriffs im allgemeinen Sprachgebrauch entspricht, auch schlicht eine zunächst unbewiesene Behauptung oder These.16 Der Philosoph Karl Hepfer betont, dass Theorien, egal ob in der Wissenschaft oder im Alltag, letztlich immer dazu dienen, uns mit Erklärungen für Fremdes und Unbekanntes zu versorgen und damit einerseits unsere Neugierde zu befriedigen, uns andererseits aber auch die Angst vor dem Unbekannten, Unverstandenen zu nehmen. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Verschwörungstheorien nicht von anderen Theorien. Mit den Worten Hepfers: »Theorien treten allgemein mit dem Versprechen an, uns zu einem besseren Verständnis der Welt zu verhelfen, und Verschwörungstheorien sind hier keine Ausnahme.«17
Letztlich gibt es keinen zwingenden Grund, in der wissenschaftlichen Diskussion auf den Begriff ›Verschwörungstheorie‹ zu verzichten oder ihn durch einen anderen zu ersetzen.18 Eine Verschwörungstheorie ist, fasst man die vorangegangenen Überlegungen zusammen, zunächst einmal nichts anderes als ein Erklärungsansatz, der aktuelle oder historische Zustände oder Ereignisse als Ergebnis einer Verschwörung interpretiert.19 Diese Definition unterscheidet sich deutlich von der negativen Verwendung des Begriffs im allgemeinen Sprachgebrauch. Doch woher kommt eigentlich der schlechte Ruf von Verschwörungstheorien?