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Die Verschwörung der Hexen
ОглавлениеDass es Menschen gibt, die übernatürliche Fähigkeiten haben und mithilfe von Magie Gutes oder Schlechtes bewirken können, war in Europa lange Zeit fester Bestandteil allgemein verbreiteter Glaubensvorstellungen. Mit der wachsenden Bedeutung des Christentums wurde der Glaube an Menschen mit magischen Fähigkeiten in einem neuen Rahmen gedeutet. Zauberei und Magie galten in den frühen christlichen Lehren als heidnischer Aberglaube, als Trugbilder und Täuschungen, die mit dem christlichen Glauben unvereinbar waren und daher bekämpft werden mussten. Allerdings war der Umgang der Kirche mit Menschen, die an magische Kräfte glaubten oder gar selbst Magie praktizierten im frühen Mittelalter noch verhältnismäßig mild. Da es sich aus Sicht der Kirche lediglich um Irrglauben und Täuschungen handelte, sah man keinen Grund, mit aller Strenge dagegen vorzugehen. Die Schuldigen sollten eher bekehrt und belehrt als bestraft werden.10
Diese Haltung änderte sich mit dem Ausgang des 12. Jahrhunderts grundlegend. Ein wichtiger Grund dafür war die an Bedeutung gewinnende Scholastik, einer die Gelehrtenwelt des späten Mittelalters dominierenden, theologisch geprägten Denkweise, zu der auch eine Dämonen- bzw. Teufelspaktlehre zählte. Menschen, so die Vorstellung, könnten einen Pakt mit Dämonen oder dem Teufel eingehen, um so übernatürliche Fähigkeiten zu erlangen.11 Magie und Zauberei waren von nun an also nicht mehr einfach Trugbilder, sondern real und ein Zeichen für den Einfluss und das Wirken von Dämonen und dem Satan. Hinzu kam die beginnende Inquisition gegen Ketzer und Häretiker, etwa gegen die Katharer, die Waldenser und gegen die Tempelritter, denen vorgeworfen wurde, vom ›echten Glauben‹ abgefallen zu sein und mit dem Teufel im Bunde zu stehen. Anfang des 14. Jahrhunderts hatten Tempelritter unter Folter gestanden, dass sie Christus verleugnet hätten, was Papst Johannes XXII. zu der Überzeugung brachte, dass immer mehr Menschen vom Teufel besessen seien. Nachdem auch noch Gerüchte über magische Praktiken am Papsthof zu Avignon aufkamen, erließ er nach Anhörung von diversen Bischöfen und Theologen im Jahre 1326 die Bulle Super illius specula.12 Diese setzte Hexerei und Magie mit Häresie gleich und beauftragte die Inquisition damit, Hexen und Magier zu verfolgen und zu bestrafen.13 Etwa zu jener Zeit entstand auch das Hexenstereotyp, also die Vorstellung, dass es vor allem (alleinstehende) Frauen sind, die durch einen Teufelspakt magische Kräfte erlangt haben, mit denen sie ihren Mitmenschen schaden. Unzählige vermeintliche Hexen ›gestanden‹ unter Folter, dass sie sich mit dem Teufel verbündet, schwarze Magie praktiziert oder mit Dämonen verkehrt hätten. Dies schien die Richtigkeit und Notwendigkeit der Maßnahmen gegen Hexen zu bestätigen und die Situation spitzte sich immer weiter zu. Die Papstbulle Summis desideras affectibus von Innozenz VIII. aus dem Jahr 1484 sowie der Malleus maleficarum (Hexenhammer) von 1486 riefen zum unnachgiebigen Kampf gegen Hexen auf und werteten eine Vielzahl volkstümlicher magischer Praktiken als Hexerei.14 Bis zu ihrem Höhepunkt Mitte des 17. Jahrhunderts hatte sich die Hexenverfolgung zu einem wahren Massenwahn hochgesteigert, der im Heiligen Römischen Reich, Frankreich, Spanien, Italien und Osteuropa wütete.15 »Die Beauftragten des Satans«, schreibt Dieter Groh in diesem Zusammenhang, »waren offenbar überall eingedrungen, denn wie sollte man sonst erklären, daß die ›Hexen‹ trotz wachsender und immer grausamer werdender Verfolgung sich immer stärker vermehrten?«16 Insgesamt, so wird geschätzt, fielen dem Hexenwahn in Europa zwischen 40.000 und 60.000 Menschen zum Opfer, die Mehrzahl der Opfer waren Frauen.
Die Frage ist nun: Handelt es sich im Fall des Hexenwahns um eine Verschwörungstheorie? Oder wie der Historiker Werner Tschacher fragt: »Kann das Hexereistereotyp des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit als eine vormoderne Variante von Verschwörungstheorien oder gar als eine bereits moderne Verschwörungstheorie bezeichnet werden?«17 Grundsätzlich enthält der Hexenglaube alle Elemente einer Verschwörungstheorie: Es geht um einen geheimen Bund zwischen Menschen und teuflischen Kräften mit dem Ziel, düstere Pläne umzusetzen und anderen Menschen Schaden zuzufügen. Die Hexen sind damit ein »höchst gefährlicher Teil der vom Teufel angeführten kosmischen Verschwörung gegen Gott«18 und bei der Hexenlehre »handelt es sich im Kern um den Glauben an eine metaphysisch begründete Verschwörung zwischen Mensch und Teufel«19, argumentiert Tschacher. Genau an diesem Punkt hakt Michael Butter ein: Da der Hexenglaube metaphysisch begründet sei, könne man ihn nicht als Verschwörungstheorie im engeren Sinne betrachten. »Es geht nicht nur um menschliche Akteure«, so Butter, »sondern die Hexen werden vom Teufel gelenkt, der, so die christliche Vorstellung, letztendlich von Gott kontrolliert wird. Entsprechend werden Hexenverschwörungen oft als eine Strafe Gottes interpretiert.«20 Das kann man so sehen. Die Frage ist jedoch, ob der metaphysische Bezug ein sinnvolles Argument ist, um den Hexenglauben von Verschwörungstheorien zu unterscheiden. Auch heute gibt es viele Verschwörungstheorien, die metaphysische Bezüge aufweisen. Darüber hinaus waren Dämonen genauso wie Engel im Mittelalter keinesfalls rein übernatürliche Wesen, sondern wurden als real existierende und in der Welt handelnde Akteure betrachtet.21
Es hängt, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart, von kulturellen und sozialen Kontexten ab, ob und inwieweit Verschwörungstheorien von religiösen Überzeugungen geprägt sind. Anders ausgedrückt: Menschen legen ihr Weltbild oder zumindest Teile davon in Verschwörungstheorien hinein. Die jeweils in einer Kultur oder Gesellschaft dominierenden Weltbilder bestimmen, wie Verschwörungstheorien konkret ausgestaltet werden. Religion und Verschwörungstheorien sind in manchen Epochen oder Kulturen stärker, in anderen schwächer miteinander verbunden. Im Mittelalter waren Verschwörungstheorien stark religiös geprägt; in der Antike gab es allerdings Verschwörungstheorien ganz ohne religiöse Bezüge, die modernen politischen Verschwörungstheorien in verblüffender Weise ähneln.22 Verschwörungstheorien scheinen demnach ein historisch recht stabiler Faktor zu sein. Für manche Epochen lassen sich zwar keine Verschwörungstheorien nachweisen, doch das hängt auch mit einem generellen Quellenproblem zusammen: Aus manchen geschichtlichen Zeitabschnitten sind nur sehr wenige oder gar keine schriftlichen Quellen überliefert. Fehlende Belege für Verschwörungstheorien bedeuten aber natürlich noch lange nicht, dass es sie nicht gab. Die Erfindung des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts dürfte erheblich zur Verbreitung und Bedeutung von Verschwörungstheorien beigetragen haben.23 Verschwörungstheorien unterliegen sicher auch gewissen Konjunkturen, spielen mal eine größere, mal eine unbedeutendere Rolle. Es weist jedoch einiges darauf hin, dass sie, genau wie Verschwörungen, eine historische Konstante sind.24 Alles andere wäre letztlich auch verwunderlich, denn wo es Verschwörungen gibt, gibt es auch Menschen, die Vermutungen über Verschwörungen anstellen – und seien es zunächst nur die Verschwörer selbst, die sich imaginär in die Rolle der Getäuschten hineinversetzen müssen, um mögliche Entlarvungen ihrer konspirativen Täuschung zu antizipieren und rechtzeitig zu verhindern.
Das Wissen über Verschwörungen ist insofern immer auch ein kulturelles Wissen. Es unterscheidet sich in der Perspektive oder im Grad der Anerkennung zwischen verschiedenen Individuen oder Gruppen und ist insofern vom Wissen über Verschwörungstheorien nicht prinzipiell zu trennen. Es gibt historische Verschwörungstheorien, die bis heute einflussreich sind. Zwei davon wollen wir uns im Folgenden näher ansehen: antisemitische Verschwörungstheorien und Verschwörungstheorien über Freimaurer und Illuminaten.