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2.2

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Das Klingelzeichen ertönte und läutete somit das Ende von Bastians Freiheit ein. „Dann wollen wir mal.“ Er stieß einen schweren Seufzer aus und begab sich aufs Schulgelände und kaum hatte er es betreten, da vernahm er diese grauenvolle Stimme, die mitunter ein unangenehmes Maß an Schrillheit annehmen konnte.

„Da kommt ja die Schwuchtel!“

Bastian hatte Miranda noch nie ausstehen können. Selbst als er noch mehr oder weniger beliebt gewesen war, hatte er einen großen Bogen um die oftmals herumkeifende Tusse gemacht, die ziemlich eingebildet war. Sie war ihm eindeutig zu dumm. Eine kleine, mollige Klugscheißerin mit kurzem Haar, das an eine Kampflesbe erinnerte. Unentwegt hielt sie sich für das Beste, was der Welt geschehen konnte. Dabei war sie alles andere als das. Im Grunde war sie ein hässliches Ding, das bis auf die große Schnauze nichts auf dem Kasten hatte.

„Schwuli!“ Absichtlich rempelte sie ihn an.

Ihre türkische Freundin Aidin fand das sehr belustigend. „Guck mal, wie blöd der gucken kann.“

Bastian war von Beginn an klar gewesen, dass sich das Mannsweib mit der Stimme, die Ohren förmlich zum Bluten bringen konnte, ebenfalls zu Wort melden würde.

„Guck mal“, machte Aidin auf Bastians schnellen Gang aufmerksam, „wie der läuft.“

„Wie so eine Schwuchtel!“, hörte Bastian die Mollige lästern.

„Der wurde bestimmt in den Arsch gefickt“, mutmaßte Aidin abfällig.

Dummes Pack, dachte Bastian nur.

Lucas betrat die Pausenhalle. Er fühlte sich komplett fehl am Platz und das lag nicht nur daran, weil er mit seinen 180 Zentimetern größer als alle anderen zu sein schien. Das ganze Umfeld kam ihm wie ein Kindergarten vor. Schüler, die ihn ansahen und sich dann, aus welchem Grund auch immer, laut lachend an ihren Freundinnen festhalten mussten. Er legte die Stirn in Falten und schaute über die Köpfe hinweg zu einer gläsernen Tür, durch die ein paar Lehrer traten. „Wahrscheinlich muss ich dorthin“, nahm er an und ging auf die Tür zu. Gerade, als er sie öffnen wollte, motzte eine Frau: „Wo willst du denn bitteschön hin?!“

„Häh, was?“ Verdutzt wandte er sich um. Wo kam diese markerschütternde Stimme her?

„Das ist nur für die Lehrer!“, stellte sie ausdrücklich klar.

Fragend guckte Lucas ein Stückchen nach unten und machte ein verwirrtes Gesicht. Hatte ihn etwa diese kleine Frau, die ihm nicht mal bis zu den Brustwarzen reichte, so angekeift? So, wie sie ihn anstierte, konnte es nur diese Person gewesen sein.

„Was guckst du mich denn so seltsam an?“, wollte sie unfreundlich wissen.

„Ich muss mich anmelden“, erwiderte er und unterdrückte den Impuls, ihr für ihre Unfreundlichkeit ihm gegenüber eine zu knallen.

„Neues Gesicht oder was?!“

„N-Nein“, erwiderte er in seiner gewohnten ironischen Art. „Ist noch mein altes, hab mich heut nur rasiert.“

Solch zynischen Bemerkungen konnte sie nicht leiden. „Willst du mich eigentlich verarschen?“

„Nein, natürlich nicht“, sagte er mit einem scheinheiligen Lächeln. „Wie könnte ich nur?“

„Und was willst du hier?“

„Bin neu hier.“

„Wie neu?“

„Neu eben. Bedeutet, dass ich noch nie zuvor hier gewesen bin.“

„Und wo sind deine Eltern?“

Lucas machte ein grüblerisches Gesicht. „Das ist eine wirklich sehr gute Frage.“ „Wie wär’s?“, schlug er nett vor. „Bei Kaffee und Kuchen können wir uns gern darüber unterhalten.“

„Willst du mich eigentlich verarschen oder was?!“, fragte sie abermals, nur lauter.

„Ho!“, machte Lucas und hob erschrocken die Hände. „Ganz ruhig, Kleine.“

„Wie war das? Wie hast du mich gerade genannt?“

Gleich am ersten Tag ausfallend werden wollte Lucas keinesfalls. Hinterher wäre Elke wieder die Wände hochgegangen. „Ich“, sagte er und zeigte lächelnd zum Eingang, „gehe da jetzt rein.“

„Und ich komme mit“, stellte sie klar und blieb vor der Tür stehen.

Warum sie diese nicht selbst öffnen wollte, dämmerte ihm nicht.

„Willst du sie mir vielleicht mal aufhalten?“, meckerte sie auffordernd.

Richtig zusammenreißen musste Lucas sich, um ihr keine zu donnern. Wortlos öffnete er die Tür.

„Geht doch!“ Sie ging an ihm vorbei.

Blöde Kuh, fluchte Lucas innerlich und betrat das Sekretariat, und während er sich total dummen Fragen ausgesetzt sah, ging Bastian aufs Neue durch das Fegefeuer seiner Mitschüler.

„Ey, guck mal da“, sagte Aidin zu Peter und zeigte zu Bastian, der etwas abseits von den anderen stand und gedankenversunken auf den Boden starrte.

„Was denn?“, wollte Peter, verpennt wie er war, wissen.

„Wie der da steht“, meinte Aidin abschätzig.

Bedauerlicherweise konnte Bastian jedes Wort hören. Peter war für ihn nichts als ein Wichtigtuer. Ein großer Kerl mit einem verunstalteten blondierten Kopf. Ein Typ, der andauernd einen auf ganz cool machte, meistens aber ziemlich verpeilt wirkte. Gern erinnerte er sich an den vergangenen Winter zurück, als Peter eine Erkältung gehabt hatte und im Unterricht hatte niesen müssen. Niemandem war es aufgefallen, nur Bastian war es nicht entgangen: Peter hatte eine fette Ladung Rotze auf den Tisch geniest und diese unauffällig mit dem Ärmel seines Pullovers weggewischt. Am besten hatte Bastian dabei diesen schockierten Gesichtsausdruck gefunden.

„Dass der sich nicht schämt“, lästerte Miranda weiter. „Würde ich so aussehen, ich würde mich gar nicht auf die Straße trauen.“

Aidin spielte an ihrem langen schwarzen Pferdeschwanz herum und hatte mit einem Mal eine Erkenntnis. „Jetzt weiß ich, warum der keinen Sport mitmacht!“, sagte sie in ihrer übertriebenen Art. „Ihr duscht doch nach dem Sport, oder?“, fragte sie an Peter gewandt.

„Ja, wieso?“

„Na, deswegen macht die Schwuchtel nicht mit!“

Miranda brauchte einen Moment, bis sie folgen konnte. „Natürlich! Er hat Angst, einen Steifen zu bekommen, wenn er bei euch ist!“ Diese Feststellung musste sie Bastian sofort mitteilen. „Ey, Schwuli!“

Bastian schenkte ihr keine Aufmerksamkeit.

„Ey!“, regte Aidin sich gekünstelt auf. „Die da redet mit dir!“

„Die da“, fuhr Miranda sie an, „hat auch einen Namen.“

„Weiß ich selbst“, gab Aidin patzig zurück.

„Ey, Schwuli“, rief Miranda aufs Neue. Ihr passte es nicht, dass Bastian nicht auf sie reagierte. „Du blöde Schwuchtel, hör mir gefälligst zu!“ Ihre keifende Stimme machte die anderen Schüler aufmerksam.

Lass sie tot umfallen, hoffte Bastian. Lass sie einfach nur umfallen und nie wieder aufstehen. Koma oder noch besser, ab ins Grab mit ihr. Ob die Würmer wohl einen großen Bogen um eine tote Miranda machen würden?

„Ich weiß“, rief Miranda ihm zu, „warum du keinen Sport mitmachst!“

Na, jetzt bin ich aber mal gespannt, dachte Bastian amüsiert, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

„Du hast Angst, die ganzen Schwänze zu sehen!“

Sofort stellte sich Bastian die Frage: Welche Schwänze? Er guckte von einem männlichen Mitschüler zum nächsten. Er bezweifelte, dass überhaupt einer von ihnen so etwas wie einen Penis besaß. Außerdem fand er keinen der pubertierenden Jungs in irgendeiner Art und Weise attraktiv.

„Wenn du sie nämlich sehen würdest, dann würdeste einen Steifen bekommen!“, war sich Miranda sicher.

„Genau!“, stimmte Aidin ihr zu. „Und dann willste ficken oder was auch immer ihr Schwutten so tut!“

Wenn Frau Pan eines nicht ausstehen konnte, dann waren es dumme Sprüche von noch dümmeren Menschen am frühen Morgen. In ihr brodelte es und als sie auch noch Aidins unausstehlich lachendes Gesicht sah, war es ganz aus. „Jetzt ist aber mal Schluss hier!“

„Müssen Sie mich so erschrecken?!“, maulte Aidin die klein gewachsene Lehrerin an, die sie an den Pinguin von Batman erinnerte.

Dieser Ton gefiel der Sechzigjährigen überhaupt nicht. „Ja, hör mal! Wie redest du denn mit mir?!“

„Ja, du mich auch“, brummelte Aidin.

„Für dich immer noch Sie!“

„Jaja, ist gut.“ Sie verzog das Gesicht zu einer höhnischen Grimasse und imitierte die Lehrerin stumm hinter deren Rücken nach.

„Ein wenig Respekt würde dir vorlautem Gör ganz gut bekommen!“, beendete Frau Pan die sinnlose Konversation und schloss die Klassentür auf.

„Boah“, meckerte Aidin leise weiter. „Die fuckt mich so ab, nä?!“

Bastian konnte sich das Schmunzeln nicht verkneifen. Er wartete, bis alle vierundzwanzig Schüler hineingegangen waren, und begab sich zügig auf seinen Platz. Ganz vorn saß er, immer in der Nähe eines Lehrers. Dabei hätte er sich, wie früher, viel lieber nach hinten verzogen, aber dort hockten die ganzen Hohlköpfe, die vom Unterricht meistens nicht viel mitbekamen und ihm obendrein ständig auf die Nerven gingen. Vorne zu sitzen, gab ihm ein kleines Gefühl von Sicherheit.

Lucas hatte absolut keine Ahnung, wo er langgehen musste. Fest hatte er sich vorgenommen, nicht zu spät zu kommen, und was war? Alle Schüler waren bereits in ihren Klassen. Ihm war klar, dass es nicht seine Schuld war, aber einen Lehrer von seiner Unschuld zu überzeugen, so wusste er, war beinahe unmöglich – egal, wie nett er sich auch gab. Links oder rechts?, fragte er sich und ging in den linken Flügel der Schule, auf der nur rund vierhundert Schüler unterrichtet wurden.

„Scheiß doch einer die Wand an!“, regte Lucas sich leise auf, als er wenige Minuten später wieder am Pausenraum ankam. „Dann rechts entlang.“ Kaum hatte er die Tür aufgedrückt, wo sich zu seiner Rechten auch der Eingang für die Schüler befand, rümpfte er angewidert die Nase. Sein Blick schweifte zu den beiden Toilettentüren, die verschlossen waren. Dieser absonderliche Pissgeruch widerte ihn zutiefst an. Er überlegte einen Moment und sah zur abgesperrten Doppelglastür. Warum sie mit dem Riegel verschlossen war, verstand er nicht, zumal es der einzige Eingang für Schüler zu sein schien. Was, wenn jemand verschlafen hatte und zu spät kam? Kopfschüttelnd entriegelt er sie, um zum einen frische Luft hineinkommen zu lassen und zum anderen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Wenn es nämlich eins gab, was Lucas verabscheute, dann war es Hektik. Genüsslich zog er an dem Sargnagel.

„Das darf ja jetzt wohl nicht wahr sein!“, meckerte ihn plötzlich ein Lehrer an.

„Verfickte Scheiße!“, erschreckte Lucas sich und trat schnell die Zigarette aus. Er drehte sich um und sah dem dünnen Hünen, der einen ganzen Kopf größer war als er selbst, in die grauen Augen. Für einen Moment dachte Lucas, er stünde dem Sensenmann gegenüber. Ein unangenehmer Schauer überlief ihn.

„Kannst du mir mal bitte sagen, was das soll?!“

„Bloß keinen Stress, Mann“, meinte Lucas und rieb sich übers Auge, da etwas Qualm hineingelangt war.

„Bitte?!“ Empört stemmte der Lehrer die Hände in die Hüften, was nicht gerade sehr männlich aussah.

„Bin neu hier und hab mich verlaufen“, klärte Lucas ihn ruhig auf.

„Auf dem Schulhof wird nicht geraucht!“

„Ja, mein Fehler. Nur …“, amüsiert sah er auf den dreckigen Boden, „hier liegen so viele Zigarettenstummel, da dachte ich …“

„Was dachtest du?“, fiel der Lehrer ihm ins Wort.

„Na, dass …“

„Warst du schon im Sekretariat?“, unterbrach er ihn abermals.

„Ja, und die sagte mir, wohin ich soll, aber ich …“

„Wohin?“

„Ja, zu einem …“

„In welche Klasse gehst du denn?“

Lucas konnte es nicht leiden, wenn man ihn nicht ausreden ließ. „Ich gehe in die Zehnte“, antwortete er annähernd gereizt. Dabei war Lucas im Grunde genommen eine Frohnatur. Immer freundlich zu seinem Gegenüber, hilfsbereit und gutherzig – trotz der Erfahrungen, die er hatte machen müssen.

„Ach, sieh einer an.“

„Was denn?“

„Und zu wem sollst du?“ Der Lehrer verschränkte die Arme vor der Brust.

Lucas blickte auf den Zettel, den man ihm mitgegeben hatte. „Zu einem Herrn Bröller.“

„Dann kannst du gleich mitkommen.“

„Wieso?“

„Weil ich dein Lehrer bin!“, gab er ihm zu verstehen.

„Oh.“ So viel Glück konnte auch nur er haben.

„Ja, genau: Oh!“

„Na, denn. Bin Lucas“, stellte er sich, weiterhin lässig, vor. „Er reichte Herrn Bröller die Hand, doch dieser nahm sie nicht an.

„Hast du auch einen Nachnamen?“

„Haben den nicht die meisten Menschen?“, fragte er trocken.

„Ach, sieh einer an“, meinte Herr Bröller kopfschüttelnd. Den Neuen konnte er jetzt schon nicht ausstehen. „Ein ganz Schlauer.“

„Travino“, sagte Lucas.

„Was?“

„Mein Name“, erwiderte er. „Travino ist mein Name.“

„Dann komm mal auf der Stelle mit, Lucas Travino.“ Herr Bröller ging voran.

Im Geiste stellte Lucas sich vor, wie er dieses Großmaul auseinandernehmen würde. Und es gefiel ihm, wie Bröller um sein Leben bettelte.

„Ist das jetzt wieder in Mode?“, wollte Herr Bröller mit höhnischem Unterton wissen.

„Was?“

„Na, das“, meinte er und deutete auf Lucas Schopf.

„Haare zu haben?“ Lucas wusste, dass den Lehrer diese Antwort innerlich zum Kochen bringen würde, denn Herr Bröller hatte sehr tiefe Geheimratsecken.

Richtig zusammenreißen musste Herr Bröller sich, um nicht auszuholen und dem Schüler eine Ohrfeige zu geben. Tagtäglich hatte er damit zu kämpfen und es fiel ihm jedes Mal schwerer, nicht auf Jugendliche einzuprügeln.

Lucas lief hinter dem Lehrer her, an mehreren Klassenzimmern vorbei, ehe es wenige Stufen hinauf in den ersten von zwei Geschossen ging. Das Licht schien entweder kaputt zu sein oder man hatte Strom sparen wollen. „Ziemlich düster hier.“ Dunkelheit war eins der wenigen Dinge, die den sonst so selbstbewussten Jugendlichen nervös machten.

Herr Bröller reagierte nicht darauf und öffnete die Tür zum Klassenraum. „Such dir einen freien Platz“, sagte er auffordernd.

Kaum hatte Lucas den Raum betreten, waren alle Augen auf ihn gerichtet. Mädchen begannen zu tuscheln, Jungs zu kichern.

„Wir haben einen Neuen!“, verkündete Herr Bröller, während er die Tür hinter sich schloss und dann nach vorn zum Pult ging.

„Der ist doch schwul“, hörte Lucas ein Mädchen flüstern. Solche Bemerkungen hatte er gekonnt zu ignorieren gelernt. Zu seinem Glück war gleich der erste Tisch vor ihm unbesetzt – und das direkt an der Tür. Perfekt!, dachte er und nahm Platz. Dass er ständig von irgendjemandem angeglotzt wurde, bekam er zwar mit, nur interessierte es ihn nicht. Neun Monate, wusste Lucas, und ich habe meinen Abschluss in der Tasche.

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