Читать книгу CHAOS - Alec Xander - Страница 11

2.3

Оглавление

Der Schulgong ertönte und läutete die lang ersehnte Pause und damit das Ende der Schulstunde ein. Hastig klaubte Bastian seine Sachen zusammen, war schon zur Tür hinaus, bevor irgendwer noch irgendetwas zu ihm sagen konnte. Mit einem kaum hörbaren Seufzer der Erleichterung stieß er die Luft aus. Endlich hatte er fünfundzwanzig Minuten für sich allein. Er drängte sich durch die Menge, während er Bücher in seinen Rucksack steckte, als ihm plötzlich ein Typ die Tasche aus der Hand schlug und lachend davonrannte. Verstimmt ging Bastian in die Hocke, um die herausgefallenen Sachen aufzuheben. Rücksicht schien keiner auf ihn nehmen zu wollen. Andauernd wurde er angerempelt. Manche besaßen sogar die Frechheit, voller Absicht auf sein Hab und Gut zu treten.

„Warte“, sagte unerwartet eine freundlich klingende Stimme zu ihm, „ich helfe dir.“ Verwundert blickte Bastian auf und schaute in ein leicht markantes Gesicht, das ihn auf der Stelle in seinen Bann zog. Die blauen Augen, die wie wunderschöne Juwelen funkelten, hatten es ihm unverzüglich angetan.

„Pass doch auf, du Pisser!“, regte Lucas sich über einen Schüler auf, als dieser ihm fast auf die Hand getreten wäre. Als Lucas alles beisammen hatte, überreichte er dem Jungen die Sachen mit einem Lächeln. „Hier.“

So viel Gutherzigkeit war Bastian absolut nicht gewohnt. Mann, ist der vielleicht süß! Seine Miene hellte sich schlagartig auf. „Danke dir“, flüsterte er, nahm seine Sachen schamhaft entgegen und erhob sich.

Irgendwie fand Lucas den Typen knuffig – so wie einen Teddybär, den man die ganze Zeit über knuddeln wollte. „Lucas.“ Er reichte dem Jungen mit den weichen Gesichtszügen die Hand.

Wie in Trance sah Bastian einen Moment auf die Hand, die ihm gereicht wurde. Ihm gefiel es, dass keiner von Lucas‘ Nägeln von der Lunula befallen war. Die meisten Menschen hatten nämlich diese weißen Halbmonde auf den Nägeln, und das fand er ziemlich unattraktiv. Er selbst besaß ebenfalls keine, was aber in der Familie lag. Niemand hatte sie, weder Mutter noch Großvater oder sonst wer.

Nachdenklich spitzte Lucas die Lippen. Warum nahm der Putzige seine Hand nicht an? „Ähm, ist nur eine Hand – beißt nicht.“

„Häh?“ Bastian schaute ihm ins Antlitz und spürte prompt eine unglaubliche Wärme in seinem Gesicht. Bekam er etwa Fieber?

„Was is‘n mit dir los?“, fragte Lucas und zog seine Hand zurück.

„Nichts“, schwindelte Bastian mit gesenktem Blick.

„War ja nicht gerade sehr freundlich von dem Pisser.“

„Häh?“ Bastian fühlte sich regelrecht benebelt. „Pisser?“

„Der Schüler.“

„Oh, ja“, bestätigte Bastian kaum vernehmbar.

„Ist wirklich alles in Ordnung?“

Die frische und liebevoll jugendliche Stimme, die sehr besorgt klang, ging Bastian geradewegs unter die Haut. „Häh?“

„Du scheinst ein wenig …“, er verstummte kurz und fuhr dann mit Bedacht fort. „Sag, kann es sein, dass du irgendwelche Medikamente nimmst? Du wirkst gerade ein wenig benommen.“

Bastian dachte sich verhört zu haben und riss sich schleunigst zusammen, um nicht als vollständiger Vollidiot dazustehen. Den verrückten Gedanken, in dem Attraktiven eventuell einen Freund oder gar den Mann seiner Träume gefunden zu haben, wischte er mit einem falschen Lächeln beiseite. Ein gut aussehender Typ, der dazu auch noch nett war, konnte nämlich niemals schwul sein. Das wäre gegen alle Regeln gewesen, war sich Bastian sicher. „Alles ist in bester Ordnung“, log er und verabschiedete sich hastig mit einem Nicken.

Stirnrunzelnd blickte Lucas ihm nach. Sollte er ihm folgen oder ihn in Ruhe lassen?

Bastian hastete regelrecht vom Schulhof, damit ihm kein Lehrer den Weg würde versperren können. Mehrfach war dies in der Vergangenheit schon geschehen. Eine Standpauke hatte man ihm gehalten, dass die Schule bei einem Unfall außerhalb des Geländes nicht haften würde. „Lucas“, hörte Bastian sich verknallt wispern. Er fühlte ein seltsames Zucken um seinen Mund herum. Ein so breites Lächeln war ihm beinahe schon fremd. Grinsend rieb er sich über die Wangen, da die Haut zu ziehen begann. Gott, war der süß! Er schlenderte zu einem naheliegenden Spielplatz, der zu einer Mehrfamilienhäusersiedlung gehörte und setzte sich auf die Lehne der Bank. Eine Weile grinste er vor sich hin, bis er zu der festen Überzeugung kam, auf ewig alleine sein zu müssen. Keine Freunde, kein Partner. Niemals.

Lucas fragte sich, wo der Junge abgeblieben war, und suchte aufmerksam nach ihm. „Vielleicht wohnt er ja in einem der Häuser“, murmelte er nachdenklich, als er den Knuffigen kurz darauf, glücklicherweise, auf der Bank des kleinen Spielplatzes sitzen sah. Dass der Braunhaarige dort alleine hockte, war ihm ganz recht. „Hey, yo!“, rief Lucas ihm ausgelassen zu.

Verwundert kratzte Bastian sich am Nacken. Hatte da jemand etwas von sich gegeben? Zuerst guckte er fragend über die Schulter zu den vielen dichten Bäumen, anschließend nach links zum Gehweg. Ganz große Augen bekam er, als er Lucas auf sich zukommen sah. Dieses Lächeln, dachte er, die Art wie er geht – diese Hose!

„Hey, Mann!“, grüßte Lucas, als er ihn erreichte und sich lässig vor ihn stellte. „Alles klar?“

Bastian wusste gar nicht, wohin er schauen sollte. Hätte er den Hübschen zu lange angeguckt, hätte der doch sofort gemerkt, dass er schwul war. „Ähm, ganz gut.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Wie heißt’n du eigentlich?“, wollte Lucas wissen und zog an seiner Zigarette.

„Bastian.“

„Warteste auf jemanden?“

„Nein, wieso?“

Sofort war Lucas sich sicher, dass Bastian ein Einzelgänger war. Ein zaghafter obendrein. „Nur so.“ Er betrachtete den Schüchternen einen Moment. „Bei dem Haufen kann man nur das Weite suchen, nicht?“

„Du meinst die anderen?“

„Yep.“

Bastian schmunzelte. „Du bist neu hier, oder?“

„Bin ein Glückskind, nicht?“, fragte Lucas voller Ironie.

„Total. Du hast mit dieser Schule den Jackpot geknackt“, witzelte Bastian.

„Ja, ganz offensichtlich.“ Er seufzte und warf den Rucksack gezielt auf die Bank, um sich darauf zu setzen. Auf keinen Fall wollte er seine Hose schmutzig machen. „Kennste den Bröller?“

„Jupp. Leider.“

„Haste bei dem ein Fach?“

„Gleich drei“, sagte Bastian schweren Herzens. „Sport, Technik und Physik.“

„Dann haste es im Gegensatz zu mir gut, denn ich hab den Lackaffen als Klassenlehrer.“

„Echt jetzt?“

„Total echt, Mann.“

„Mein Beileid.“

„Der Penner hat mal voll den Arsch auf“, meinte Lucas abfällig und schüttelte lächelnd den Kopf. „Der macht auf mich den Eindruck, als würde der auf kleine Jungs stehen.“

Sofort sprang Bastians Kopfkino an. Erotische Fantasien mit Herrn Bröller wollte er zwar nie haben, aber die Vorstellung, von einem großen Kerl in die Arme geschlossen zu werden, war schon schön.

„Wo biste denn gerade?“, wunderte Lucas sich.

„Häh, was?“

„Du wirkst schon wieder so abwesend.“

„O n-nein. Ich, ähm … mir geht gerade nur so einiges durch den Kopf. Das ist alles.“

„Verstehe. Viel Stress?“

„Wenn du wüsstest.“ Bastian seufzte und schielte unauffällig auf Lucas‘ rechten Oberarm, auf dem eine Hautbemalung zu sehen war. „Cooles Tattoo.“

Lucas sah auf seine Tätowierung. „Danke. Ist aber nur ein kleines Tribal.“

„Tribal?“

„So nennt sich das.“

„Ach so.“

„Deine Reaktion lässt darauf schließen, dass du keines hast und dich damit auch nicht auskennst.“

„Nein, ich bin nicht so ein Tattoo-Fan, aber steht dir.“

„Es steht mir?“

„Ja, schon.“ Bastian verlor beim Anblick von Lucas‘ hinreißendem Gesicht den Faden. „Warum denn nicht? … Häh? … Was?“

Lucas fand diese Reaktion dermaßen süß, dass er einfach lachen musste.

Vor Scham lief Bastian förmlich rot an. „Entschuldige.“

„Ach, passt schon, Mann.“ Er schnippte den Zigarettenstummel weg und sah auf Bastians Hände. „Du rauchst nicht, oder?“

„Nein, aber wenn das so weitergeht, fange ich noch damit an.“

„Lass mich raten“, mutmaßte Lucas, „dir geht jemand gehörig auf die Nüsse.“

„Nicht nur einer.“

„Ach, weißt, scheiß auf die Penner, ey!“

„Scheiß auf die Penner?“, echote Bastian verwundert.

„Die Pisser haben doch alle den Knall nicht gehört.“

„Und mit Pissern meinst du?“

„Na, die Pisser eben. Als ich heute hier abgesetzt wurde und durch den Eingang vorn wollte“, erzählte Lucas, „hat mir diese unkultivierte Sekretariatsschlampe die Tür vor der Nase zugeschlagen.“

Diese Wortwahl fand Bastian ziemlich amüsant – und sehr passend. „Ja, ist nur für die Lehrer.“

„Wieso?“

„Keine Ahnung. Vielleicht fühlen sie sich dann besonders.“

„Von wegen besonders.“ Abwertender hätte er nicht klingen können. „Gehst du schon lange hier auf diese Schule?“

In Windeseile rechnete Bastian aus, wie lange er schon auf dieser Schule ging und war über die Zahl entgeistert, die ihm auf der Zunge lag.

„Was’n?“

„Ist das dritte Jahr.“

„Scheiß die Wand an!“ Lucas war entsetzt, aber auch erstaunt darüber, dass der Süße es so lange mit all den Idioten ausgehalten hat. „Echt jetzt?“

„Ja, sind wirklich drei Jahre. War vorher auf der Gesamt, aber da gab es auch nur Probleme und dann sind wir hierher in diese Kackstadt gezogen und …“

„Kackstadt“, wiederholte Lucas kichernd.

„Ist doch wahr. Wie auch immer. Nach dem Umzug musste ich wechseln, weil der Weg bis zur Gesamt halt einfach zu weit war. Hatte absolut keine Lust darauf, jeden Morgen um kurz vor sechs aufzustehen und dann ’ne halbe Ewigkeit mit dem Bus zur Schule zu fahren.“

„Kann ich verstehen. Hätte ich auch keine Lust zu. Pennste lange?“

„Würde ich ja, aber man lässt mich ja nicht.“

„Kenne ich. Werde erst gegen Abend so richtig fit und bleib gern bis spät in die Nacht wach.“

„Ja, ich auch. Die zeigen oftmals geile Horrorfilme in der Nacht.“

„Auch ‘n Horrorfreak?“

„Ich liebe Horror. Aber auch Mystery.“

„Korrekt, Mann.“

„Leider verpasst man die besten Filme ständig, weil man früh aufstehen muss.“

„Wäre ja auch ‘ne Schande, wenn die Schule erst um zehn Uhr beginnen würde. Wir könnten ja mal ausgeschlafen etwas lernen.“

„Oder überhaupt etwas lernen“, warf Bastian ein.

„Hast du in diesen drei Jahren hier schon überhaupt etwas gelernt?“, wollte Lucas mit einem frechen Grinsen wissen.

„Ähm …“ Bastian musste wirklich nachdenken. Verkrampft versuchte er sich an etwas Erlerntes zu erinnern.

Das nachdenkliche Gesicht seines Gegenübers brachte Lucas unwillkürlich zum Kichern. „Hätte mich auch gewundert, wenn dem so gewesen wäre.“

„Mir fällt gerade echt nichts ein.“ Bastian war konsterniert.

„Mir aber.“

„Ach und was?“

„Ausdauer.“

„Ausdauer?“, wiederholte Bastian langsam fragend.

„Yep. Für drei Jahre des Aushaltens auf dieser Schule. Dafür sollte man dir ’n Orden verleihen“, war er überzeugt.

„Vielleicht bekomme ich den ja noch.“

„Ernsthaft. Ich hätte mich schon gleich zu Beginn prügeln können.“

Wenn der herausfindet, dass ich schwul bin, bangte Bastian innerlich. „Mit wem denn?“

„Ach, ich weiß nicht. Mit fast jedem. Die sind alle so unfreundlich und ziehen eine Fresse, als sei die Welt untergegangen.“

„Du prügelst dich also gern?“, horchte Bastian vorsichtig auf.

„Nein, nicht wirklich. Nur, wenn jemand versucht, mich anzugreifen, dann …“

„Dann?“

„Yep.“

„Wie meinst du das?“

„Wie meine ich was?“

„Du sagtest, wenn jemand versucht …“

„Yep.“

„Wieso versuchen?“

„Na, weil sie es nicht schaffen“, stellte Lucas selbstbewusst klar.

„Okay. Dich mach ich mir dann mal lieber nicht zum Feind.“ Er verzog die Mundwinkel.

Als brutaler Schlägertyp wollte Lucas nun wirklich nicht rüberkommen und Bastian Angst zu machen, lag auch nicht in seinem Interesse. „Keine Sorge. Ich schlage keine Menschen, die mir sympathisch sind.“

Hatte Bastian sich etwa verhört? „Du kennst mich kaum“, sagte er überrascht.

„Die ersten Sekunden sind doch immer die wichtigsten überhaupt.“

Bastian versuchte das aufkommende Grinsen zu unterdrücken.

„Du warst echt ohne Scheiß der Erste hier, dem ich nicht sofort ein paar Zähne ausschlagen wollte.“

„Ich fasse das jetzt mal als Kompliment auf.“

„Oh, ja“, sagte Lucas zustimmend. „Das kannst du. Allerdings kann sich ja auch noch herausstellen, dass du genauso ein Arschloch bist wie diese Spastis.“

„Nein, keine Sorge.“

Eine kurze Grabesstille folgte.

„Wie alt bist’n eigentlich?“, erkundigte Lucas sich.

„Ich?“

Scherzend sah Lucas um sich. „Ich sehe hier sonst niemanden.“

Abermals lief Bastian regelrecht rot an. „Ich, ähm bin sechzehn. Selbst?“

„Siebzehn.“

„Und, wo kommst du her?“, traute sich Bastian, ihn neugierig zu fragen.

„Aus meiner Mutter“, erwiderte Lucas trocken, musste sodann aber lachen. Er stieß den Entgeisterten sanft gegen die Schulter und streckte ihm scherzhaft die Zunge heraus.

„Das ist ekelig.“

„Tja, leider kommen wir alle aus einer Muschi.“

„Hör auf oder ich kotz gleich!“

„Was’n? Ist doch so. Oder schon mal einen schwangeren Mann gesehen?“

„Komische Vorstellung. Ein Mann mit Bauch. Wobei, davon gibt es reichlich.“

„Ich rede nicht von einem Bierbauch“, entgegnete Lucas.

„Dann nicht.“

War Bastian nur ein zurückhaltender und schamhafter Typ oder war er auch schwul? Lucas wollte dies unbedingt in Erfahrung bringen. „Du, Basti?“

„Hm?“

„Kann ich dich was fragen?“

„Ja, klar.“

„Hast du eigentlich ‘ne Perle?“

Bastian machte ein bedauerliches Gesicht. „Schmuck besitz ich nicht wirklich.“

Unwillkürlich musste Lucas lachen.

„Oh!“, machte Bastian, als er schnallte, was der Attraktive damit gemeint hatte. „Nein, so meinte ich das nicht.“

„Scheiße, bist du vielleicht mal cool, Mann“, gestand Lucas und zündete sich eine weitere Zigarette an.

„Ähm, gleichfalls.“ Leichter Wind ließ seine Haare wehen. „Ist dir nicht kalt?“, wunderte er sich mit dem Blick auf Lucas‘ Oberteil.

„Nein, sollte es?“

„Sag du es mir.“

„Nicht wirklich. Ham doch irgendetwas mit zwanzig Grad oder so.“

„Siebzehn.“

„Hast’n Thermometer dabei?“

„N-nein. Ich schau morgens meistens nur ein wenig fern. Musik meistens, aber manchmal schaue ich kurz vorm Gehen den Wetterbericht.“

„Ich treibe lieber Sport.“

„Man sieht es.“

„Echt?“ Lucas erhob sich, um mit seinen Armmuskeln Eindruck zu schinden. „Findeste?“

„Ähm, ja schon“, entgegnete Bastian, als Lucas seine Muskeln anspannte. Wie schön es wohl sein muss, von ihm in den Arm genommen zu werden, träumte er vor sich hin.

„Alles okay?“, fragte Lucas, als er erkannte, dass sein Gegenüber wieder dieses seltsame Gesicht machte. War seine Aktion vielleicht zu angeberisch?

„Wieso fragst du mich das ständig?“, wollte Bastian lächelnd wissen.

„Sorry, Mann. Du wirkst halt nur manchmal etwas … verträumt.“

„Bin noch nicht ganz bei mir“, redete Bastian sich gekonnt raus und sah stracks auf sein Handy. Acht Minuten hatte er nur noch, bis er zurück in den Unterricht musste.

„Welches Modell?“, fragte Lucas.

„Ähm, 3310, glaube ich.“

„Hab das gleiche, nur in Rot.“ Lucas versuchte sein Handy aus der Tasche zu holen, was gar nicht so leicht war, da der Stoff verdammt eng ansaß.

Bastian traute sich kaum, dabei zuzusehen, wie der Begehrenswerte beinahe schon verzweifelt probierte, das Handy aus der Jeans zu bekommen. Abwechselnd fielen seine Blicke auf Lucas‘ Schritt und die Hand, die sich bemühte, in der Tasche zu wühlen.

„Leck mir doch einer das Fell vom Kopf!“ Endlich schaffte er es, das Handy herauszuholen.

„Ganz schön gewagt“, entfuhr es Bastian, wobei er auf Lucas‘ Hose blickte.

„Und was genau meinst du?“

„Diese Hose.“

Grüblerisch sah Lucas an sich herab. „Was stimmt denn mit der Hose nicht?“

„Gar nichts. Sie sieht gut aus“, sagte er und fügte ungewollt hinzu: „Steht dir.“

„Ach, sie steht mir?“

„Ja, schon.“ Bastian versuchte sich das Grinsen zu verkneifen.

Lucas war der Ansicht, dass Bastian noch viel mehr aus sich machen könnte. Die Kleidung passte seiner Meinung nach nicht wirklich zu ihm: normale Jeans ohne jedes Muster, Fransen oder Schlag, ein blauer Pullover. Da fehlte es an Pep. „Wieso trägst du keine?“

„Ähm …“, stirnrunzelnd sah Bastian auf seine Beine, „ich trage eine.“

„Ich meinte …“

„Ich weiß“, unterbrach Bastian ihn. „Würde ich ja, aber …“

„Kein Geld?“, fiel Lucas ihm ins Wort.

„Das auch.“

„Und wenn du welches hättest?“ Irgendwie war er sich sicher, dass der Knuddelige den Kopf schütteln würde, und er tat es. „Und warum nicht?“

„Ahhh … ich, ähm …“ Bastian wusste nicht, wie er es hätte erklären können.

„Liegt an den Pissern, oder?“

Ein wenig unheimlich fand Bastian es schon, dass der Hübsche so rasch darauf gekommen war. „Ja, schon.“

„Ich würd’n Scheiß darauf geben, was andere über mich denken oder sagen.“

„Du hast leicht reden.“

„Hab ich nicht.“

„Mit diesem Körper schon“, entfuhr es Bastian unbewusst. „Ich meine …“

„Mit diesem Körper?“, wiederholte Lucas aufhorchend.

„Ja, du scheinst echt viel Sport zu treiben.“

„Du nicht?“

„Weniger.“

„Gar keinen?“

„Nun ja …“

„Nicht mal den wohltuenden Matratzensport?“ Mit einem kecken Ausdruck auf dem Gesicht wackelte er zweimal mit den Augenbrauen.

Dass Bastian noch Jungfrau war, wollte er nun wirklich nicht offenbaren. „Nein, weniger.“

„Und weniger bedeutet?“ Erneut sah er ihn keck an.

Darauf fand Bastian keine passenden Worte.

Lucas kicherte. „Ist nur Spaß“, versprach er und strich kurz über Bastians Wange – zu flüchtig, selbst für einen Schnappschuss.

Bin ich jetzt auf dem Kopf gefallen?, fragte Bastian sich. Seine Blicke tanzten von links nach rechts.

„Du hattest da was“, behauptete Lucas einfach.

„Okay.“ Verlegen schaute Bastian erneut auf sein Handy. „Wir sollten wohl so langsam gehen.“ Er erhob sich, auch wenn er lieber sitzen geblieben wäre.

„Wie lang geht die Pause überhaupt?“ Im perfekten Gleichklang lief er neben dem Zaghaften her.

„Fünfundzwanzig Minuten.“

„Und die nächste ist nach der Vierten, richtig?“

„Jupp. Allerdings nur fünfzehn.“

„Laber!“

„Nein, ist wirklich so. Aber oft ist eh nach der Fünften Schluss. Im Pausenraum hängt so ein Informationskasten. Am besten morgens und nach den Pausen immer wieder mal drauf schauen.“

„Mangelt es denn dermaßen an Lehrern?“

„Keine Ahnung. Oft sind sie in der Früh noch da und dann ganz plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Nur der Bröller in der Regel nicht.“

„Ich sagte ja, dass ich ein wahnsinniges Glück habe.“

Ja, vor allem mit deinem Aussehen. „Er kann ein ziemliches Arschloch sein, da gebe ich dir recht.“

„Er kann? Er ist ein ziemliches Arschloch. Ein Pisser, der sich offensichtlich für den König der Welt hält.“

„Freunde werdet ihr also nicht mehr“, schmunzelte Bastian mit gesenktem Blick.

Lucas pustete den Qualm aus und schnippte den Zigarettenstummel weg. „Eher kracht ein Flugzeug vom Himmel und nietet mich um.“

„Ey, die Möglichkeit besteht sogar.“

„Kann schnell rennen“, beteuerte Lucas mit einem Achselzucken.

„Will ich auch hoffen.“ Kurz sahen sie einander lächelnd an.

„Warte!“ Bastian hielt ihn instinktiv am Oberarm zurück, was sich, wie er sich eingestehen musste, verdammt gut anfühlte.

„Was ist?“, wunderte Lucas sich.

„Eine Lehrerin“, flüsterte er, sich immer noch an dem Oberarm festklammernd.

Lucas verzog den Mund zu einem kleinen Lächeln, als er auf die Hände blinzelte, die sich um seinen Arm gelegt hatten. „Wer is’n das?“

„Das ist die Biologielehrerin“, klärte Bastian ihn auf und realisierte erst jetzt, dass er den Ansehnlichen immer noch festhielt. Ganz große Augen machte er. Um es nicht ganz so peinlich werden zu lassen, ließ er langsam von ihm ab und lästerte einfach währenddessen über die Frau. „Ist eine Alki-Tante, musst du wissen.“

„Ah, eine verkackte Trinkerin also. Verstehe.“ Zuerst spielte Lucas mit dem Gedanken, ihn auf die Sache mit dem Arm anzusprechen, ließ es jedoch lieber bleiben. Es hatte ohnehin den Eindruck, dass man Bastian schnell hätte vergraulen können.

„Ja, sie erscheint ziemlich oft schon angetrunken zum Unterricht. Hat auch ständig eine Fahne. Aber …“

„Es gibt ein aber?“

„Sie ist eigentlich ganz nett. Immer, wenn wir einen Test schreiben, gehen wir die Antworten vorher durch.“

„Wie jetzt?“

„In der ersten Stunde lehrt sie uns die Antworten, die einfacher wirklich nicht sein könnten, und in der zweiten Stunde schreiben wir dann die Arbeit.“

„Also bekommt jeder immer die volle Punktzahl.“ Lucas war sich da ziemlich sicher.

„Nein.“

„Wie jetzt?“

„Nur die wenigstens bekommen eine Eins. Die meisten schaffen gerade mal so eine Zwei oder eine Drei. Aber auch Vieren, gar Fünfen sind üblich.“

„Laber!“

„Ist so.“

„Krasser Scheiß!“

„Total krasser Scheiß“, stimmte Bastian ihm zu.

„Du gehst in die Neunte, oder?“

„Jupp.“

„Sehr bedauerlich.“

„Was meinst du?“

„Wenn du in meiner wärst, in der Zehnten, hätten wir auf alle Fälle ’ne Menge Spaß.“

„Da könnte ich mich doch glatt in den Hintern beißen, dass ich in der Achten patzen geblieben bin.“

„Ohne Scheiß?“

Eigentlich behielt Bastian dies gerne für sich. Warum es ihm so leicht über die Lippen gegangen war, wusste er selbst nicht. „Ja, ähm …“ Beschämt lächelte er.

„Ey, ich halt dir keinen Vortrag oder so. Bin selbst sitzen geblieben …“ Mit dem Blick himmelwärts wackelte er nachdenklich mit dem Kopf. „Zweimal“, gestand er.

„Halt dir auch keinen Vortrag“, versprach Bastian schmunzelnd.

„Danke. Finde ich sehr nett.“

Kurz sahen sie einander kichernd an.

„Sie geht weg“, erkannte Bastian.

„Sie taumelt“, korrigierte Lucas.

„Oder so.“

Das Klingelzeichen zum Ende der Pause ertönte.

„Und jetzt sollten wir uns beeilen.“ Bastian legte an Tempo zu.

„Wieso so eilig?“, wunderte Lucas sich und hastete hinterher.

„Weil sie ziemlich schnell die Türen verschließen.“

„Ist doch voll der verfickte Scheiß, Mann! Dafür, dass du keinen Sport treibst, bist ganz schön flott.“

„Entschuldige.“ Stehen bleiben war trotzdem keine Option. Sie erreichten den Schulhof.

„Treffen wir uns in der nächsten Pause wieder hier?“

Auf diese Frage hatte Bastian nur gewartet. „Ja, klar, warum denn nicht?“

„Cool.“

Bastian sah die Lehrerin, die schon dabei war, die Türen zu schließen. „Warten Sie, bitte!“, rief er und rannte auf sie zu.

„Aber schnell“, sagte sie ungeduldig und ließ die beiden ausnahmsweise noch hinein.

„Danke Ihnen.“ Bastian flitzte an ihr vorbei.

Lucas hob, als er sie flüchtig ansah, nur kurz die Mundwinkel an. Solche Frauen kannte er zu Genüge. Und es war eindeutig, dass diese Person eine Alkoholikerin war. „Hey, Basti!“

Fragend schaute Bastian, als er die Tür aufzog, über die Schulter. „Hm?“ Dieses Grienen fand er frech, aber auch verdammt süß. „Was denn?“

„Lass dich nicht unterkriegen“, bat Lucas mit einem charmanten Lächeln.

Bastian spitzte grinsend die Lippen und blieb vor seiner Klasse stehen. „Werde ich nicht.“

„Versprochen?“

Warum Lucas das so wichtig schien, kapierte er zwar nicht, aber diese Worte fühlten sich wohltuend an. Richtig erfrischend und energiebringend. „Dann bis nachher.“

„Und immer fleißig lernen“, feixte Lucas, ehe er sich umwandte.

Bastian sah ihm verträumt nach. Mann, dieser Hintern!

Ob er noch guckt? Lucas sah über die Schulter und lächelte erfreut.

Bastian hingegen war das total peinlich. Verlegen hielt er sich die Hände vors Gesicht und atmete tief durch, bevor er die Klassentür öffnete.

Verdutzt blickte Frau Pan zu ihm auf. „Wo kommst du denn jetzt bitte her?“

„Häh?“ Bastian war noch ganz duselig in der Birne. „Was?“

Die Schüler begannen zu kichern und zu tuscheln.

„Wir haben Unterricht“, erinnerte die Lehrerin ihn.

Bastian, der weiterhin wie festgenagelt an der Tür stand, nickte nur.

„Wärst du dann vielleicht mal so freundlich“, forderte die Lehrerin ihn mit einer Geste zum Stuhl hin auf, „und würdest dich endlich setzen?“

„Aber sicher doch.“

Miranda konnte es sich nicht verkneifen. „Haste dich wieder knallen lassen, ja?“

Was auch immer da mit Bastian geschah, Miranda schien auf einmal so unbedeutend und klein, als er zu ihr blickte.

„Was guckste denn so blöd?“, regte sie sich auf.

Bastian gab einen belustigten Laut von sich, als er zu seinem Platz ging.

„Der lacht dich aus!“ Aidin war entsetzt. „Der hat dich ausgelacht!“

Gerade, als die Lehrerin das Großmaul zum Schweigen bringen wollte, wurde sie von Bastians Worten überrascht.

„Jetzt wo ich dich so anschaue, fällt mir ein, dass ich vergessen habe, den Müll runterzubringen.“

Ein Gelächter schallte durch den Raum. Auch Frau Pan schmunzelte. Nur Miranda und Aidin stand der Mund fassungslos offen.

„Hast du das gehört?!“, fragte Aidin ihre Freundin. „Hast du das gehört?“

„Hm-hm“, knurrte Miranda. „Ich geb dem gleich!“ Das Lachen der anderen machte sie fortwährend wütender. „Wenigstens bin ich kein Arschficker!“, konterte sie.

„Wow“, tat Bastian einen auf gekränkt. „Der hat gesessen.“

„Ganz schön frech!“, meldete Aidin sich zu Wort.

„Ja und ich“, sagte Miranda laut, nachdem ihr ein passender Spruch eingefallen war, „habe gestern deine Eltern gesehen. Waren zwei ältere Herren. Mit denen machste wohl auch rum!“

„Weißt du Miranda?“, sagte Bastian. „Ich habe schon gegen Dinge gepinkelt, die bei weitem klüger waren als du.“ Abermals lachten seine Mitschüler. Selbst Frau Pan konnte sich das Lachen nicht verkneifen.

Vor Wut lief Miranda hochrot an. „Du bist schwul!“

„Ja und wenn ich dein Gesicht hätte, würde ich lachend in eine Kreissäge laufen. Okay?“ Aufs Neue lachten die anderen. „Hätten wir das jetzt also geklärt, ja?“

Miranda schossen Tränen des Zorns in die Augen. „Du wirst schon noch sehen, was du davon hast!“

Kichernd ging die Lehrerin dazwischen. „Wären wir dann jetzt fertig, ja?“ Erfreut darüber, dass sich ihr Schüler endlich mal zur Wehr gesetzt hatte, lächelte sie Bastian an.

Was auch immer mit Bastian geschehen war, er fühlte sich großartig. War Lucas etwa der Grund dafür? Immerhin hatte der Athletische gesagt, dass er sich nicht unterkriegen lassen sollte. Während des Unterrichts musste Bastian sich des Öfteren richtig zusammenreißen, um nicht breit zu lächeln oder ausgelassen drauf loszulachen. Irgendwann fing er sogar an, Lucas‘ Namen wieder und wieder in sein Schulheft zu kritzeln. Erst als die Seite voll war und er schnallte, was er da eigentlich getan hatte, wurde es ihm ein wenig peinlich. Wenn das jemand sieht, dachte er. In aller Stille blätterte er um und schaute dabei zur Tafel. Es sollte ja nicht auffallen.

CHAOS

Подняться наверх