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ZWEI 2.1

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Ein Handy klingelte schrill und bereitete dem Schlaf des Teenagers ein jähes Ende. Benommen und blind wie ein Maulwurf versuchte Lucas die Ziffern auf seiner Armbanduhr zu erkennen. Kurz nach halb sieben, beinahe mitten in der Nacht! Wer besaß nur die Frechheit, zu solch einer Zeit bei ihm anzurufen? Lucas war eine Nachteule und alles andere als ein Frühaufsteher. Und so war es kein Wunder, dass dieser Morgen einen Lucas Travino sah, der höchst verstimmt nach dem Handy griff und versuchte, seine Gedanken zu ordnen, bevor es sein Ohr erreicht hatte. „Ja, hallo?“ Sein Kinn war stoppelig und das kurze, blondierte Haar stand wirr vom Kopf ab.

„Guten Morgen, Lucas. Bist du schon wach?“, fragte sie am anderem Ende der Leitung.

„Was? … Was ist denn, Elke?“

„Es wird Zeit, aufzustehen. Heute ist schließlich ein bedeutsamer Tag.“

Lucas unterdrückte den Impuls aufzulegen und schloss für einen Moment die Augen. „Wir haben kurz nach halb sieben“, erinnerte er sie barsch, jedes einzelne Wort zwischen den Zähnen hervorpressend. „Mein Handy hätte mich schon rechtzeitig geweckt.“

„Jaja. Diese Art des Weckens kenne ich schon von dir. Ich bin in einer halben Stunde da. Sei bis dahin bitte fertig.“

„Scheiß doch einer die Wand an.“ Mit diesen Worten legte er auf und ließ sich in das Kissen sinken. Wie gern hätte er noch ein paar Stunden die Glotzkorken zugemacht. Brummend schlug Lucas die Decke zurück und setzte sich auf. Er rieb sich den restlichen Schlaf aus den Augen und streckte sich gähnend. „Dann mal los!“ Wie an jedem Tag machte er als Erstes zwanzig Liegestütze, gefolgt von zwanzig Ausfallschritten und dreißig Sit-ups. Schon immer hatte Lucas auf seinen Körper geachtet, und er tat wirklich so einiges, um fit und in Form zu bleiben. Nur das Rauchen konnte er sich nicht abgewöhnen und die erste Zigarette folgte meistens nach den ersten Minuten des Wachseins.

Lucas war alles andere als begeistert, als die Fahrerin des Wagens das Tempo auf dreißig verringerte und an all den schnatternden Schülern vorbeifuhr, die an diesem spätsommerlichen Morgen auf dieser Gemeindestraße entlangliefen.

„Soll ich wirklich nicht mit reinkommen?“

„Scheiße, nein, Elke. Ich bin groß, ich schaffe das schon“, gab Lucas mit dem Blick auf ein paar Schüler zurück, die ziemlich dämlich gafften. Als ob sie noch nie jemandem in einem Auto zur Schule fahren gesehen hätten, dachte er und rieb sich über das frisch rasierte Gesicht. Für den ersten Tag an seiner neuen Schule hatte er sich extra schicke Klamotten angezogen: eine eng sitzende weiße Jeans, gleichfarbene Sneakers und ein graues Shirt mit schwarzen Streifen.

Elke hielt auf dem kleinen Parkplatz an, der von Bäumen umgeben war. „Denk daran, was ich dir gesagt habe.“

Lucas rollte die Augen und setzte ein geheucheltes Lächeln auf. „Ich benehme mich, schwänze den Unterricht nicht, verprügle keine Leute“, versicherte er beschwingt, wurde jedoch mit jedem Wort träger: „Und so weiter und sofort.“

„Ich werde dich um Punkt vierzehn Uhr abholen.“

„Ich kann es kaum erwarten.“

„Und dann werden wir zu …“

Seufzend schnitt er ihr das Wort ab. „Musst du mich jedes Mal daran erinnern?“ Er stieg aus dem Wagen.

„Ja, das muss ich.“

„Nein, musst du nicht. Mir reicht es schon, dass wir nachher…“, er verstummte, als er das Gekicher einiger Schüler vernahm. Stirnrunzelnd schaute er über die Schulter und schreckte zusammen, als Elke die Hupe betätigte. „Scheiße! Musst du mich so erschrecken?“

Bestimmend zeigte Elke zu einer Tür des weißblauen Gebäudes, das ziemlich verdreckt war.

„Ist ja schon gut.“

„Und benimm dich.“

„Du darfst dann jetzt fahren“, sagte er freundlich, aber auffordernd und schlug die Tür zu. Er ging an den großen, mit grauen Gardinen verhängten Fenstern vorbei und warf einen Blick auf sein Handy. Sechs Minuten hatte er noch, bis es acht Uhr war und der Unterricht beginnen würde. Warten wollte er allerdings nicht. Vergebens versuchte er die Tür aufzudrücken. Neuer Versuch. Er zog an der Türklinke. Wieder ließ sie sich nicht öffnen. „Das darf doch nicht …“, er unterdrückte seine aufkommende Wut, als er die kleine, runde Klingel erblickte. Zweimal schellte er und spähte, während er wartete, durch das Glasfenster. Anscheinend schien das, was er da sah, eine Art Pausenraum zu sein. Ein paar Holzbänke und gigantische Fensterscheiben, die den Blick auf einen Haufen Schüler ermöglichte, die vor einer anderen noch geschlossenen Tür auf dem Schulhof standen. Gerade, als Lucas sich umdrehen und gehen wollte, kam eine Frau mit Lockenkopf auf die Tür zu. Sie schien sichtlich genervt, als sie ihn anguckte. Die Tür wurde geöffnet und Lucas grüßte freundlich. „Hallo. Ich bin …“

„Wie oft“, unterbrach sie ihn abweisend, „muss man es euch Kindern eigentlich noch erklären?“

Lucas war irritiert, denn mit seinen siebzehn Jahren fühlte er sich gewiss nicht mehr wie ein Kind. „Ähm, ja. Ihnen auch einen wunderschönen guten Morgen. Ich bin Lucas …“

„Geh gefälligst hinten rum“, verlangte sie und winkte ihn weg.

„Ja, aber, ich …“ Er kam nicht dazu, sich als Neuling vorzustellen. Die Tür wurde ihm vor der Nase zugeschlagen. „Was für eine unfreundliche Mistkuh!“ Verständnislos schüttelte er den Kopf und machte auf dem Absatz kehrt. Er folgte den anderen Schülern auf den Schulhof. Bei dem Blick darauf hätte er am liebsten das Weite gesucht. Vieles war er gewohnt, Chaos, Dreck … Dies war eine Steigerung, die er niemals für möglich gehalten hätte – zumindest nicht bei einer Schule. Grauer Asphalt, in dem sich Schlaglöcher befanden, zwei seltsam aussehende Bäume in der Nähe der Tischtennisplatte, ein weiterer zwischen all den Leuten, die palaverten. Das gesamte Gebäude schien aus dem letzten Weltkrieg zu stammen. Marode, beschmierte Wände, verdreckte Fenster. Wo bin ich hier nur gelandet?, schmollte er im Geiste.

CHAOS

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