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Erster Band
XV
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In dem Augenblicke, wo Frau von Marande dies Worte: »Wann Du willst, Carmelite . . . »aussprach, während sie zugleich ins Schlafzimmer eintrat und die Thürvorhänge wieder hinter sich fallen ließ, meldete man an der Thüre des Solon:

»Monseigneur Coletti.«

Benützen wir die paar Secunden die Carmelite brauchen wird, um der Einladung ihrer Freundin Folge zu leisten, und werfen wir einen raschen Blick auf Monseigneur Coletti. den man meldet.

Unsere Leser erinnern sich vielleicht, daß sie den Namen dieses frommen Mannes von der Marquise de la Tournelle haben nennen hören.

Monseigneur Coletti war im Jahre 1827 nicht nur ein Mann in der Gunst, sondern auch ein Mann von Ruf; nicht nur ein Mann von Ruf, sondern auch ein Mann in der Mode. Die Conferenzen, die er während der Fastenzeit gehalten, hatten ihm den Ruf eines großen Predigers eingetragen, welchen ihm Niemand, so wenig devot er auch sein mochte, streitig zu machen nur die Idee hatte ; Jean Robert vielleicht ausgenommen, welcher, vor Allem Dichter und Alles als Dichter sehend, sich immer wunderte, daß die Priester, die einen herrlichen Text wie das Evangelium hatten, gewöhnlich so schlecht inspiriert, so wenig beredt waren. Es schien ihm, der kämpfte und zwar siegreich gegen ein Auditorium kämpfte, das hundertmal widerspenstiger als das, welches sich in den frommen Conferenzen zu erbauen pflegt, es schien ihm, sagen wir, er hätte, würde er die Kanzel bestiegen haben, ein Wort ganz anders überredend oder ganz anders donnernd gehabt, als alle die geschraubten Worte dieser weltlichen Prälaten, deren Homelien er einmal zufällig hörte. Da bedauerte er, daß er nicht Priester war, daß er nicht eine Kanzel statt eines Theaters und christliche Zuhörer statt profaner Zuschauer hatte.

Obschon seine feinen seidenen Strümpfe und sein ganzes veilchenblaues Costume einen der Würdenträger der Kirche offenbarten, konnte man doch Monseigneur Coletti für einen einfachen Abbé aus der Zeit von Ludwig IV. Halten, so sehr verriethen sein Gesicht, seine Tournure, sein Gang und sein Schaukeln eher einen galanten Herumstreicher, als einen in der Fastenzeit Enthaltsamkeit predigenden strengen Prälaten; man hätte glauben sollen, nachdem er, wie Epimenides, ein halbes Jahrhundert im Boudoir von Frau von Pompadour oder Madame Dubarry geschlafen, sei Monseigneur Coletti plötzlich aufgewacht und habe angefangen in der Welt herumzulaufen, ohne sich nach den in den Sitten oder in den Gebräuchen vorgegangenen Veränderungen zu erkundigen, oder auch ganz frisch vom päpstlichen Hofe angekommen, habe er sich mitten unter eine französische Reunion mit seinem Costume eines ultramontanen Abbé verirrt.

Es war beim ersten Anblicke ein hübscher Prälat in der vollen Bedeutung des Wortes, rosenfarbig, frisch, dem Anscheine nach kaum sechsunddreißig Jahre alt; bei näherer Anschauung bemerkte man aber bald, daß Monseigneur Coletti für sein Gesicht die Schwäche hatte, die für das ihrige die Frauen von fünfundvierzig haben, welchen daran liegt, nur dreißig zu scheinen: Monseigneur legte Weiß auf, Monseigneur legte Roth auf.

Glückte es einem, diese Farblinge zu durchdringen und bis zur Haut zu gelangen, so war man erschrocken« unter diesem belebten Anscheine etwas Abgestorbenes, Erloschenes, das kalt machte, zu treffen.

Zwei Dinge lebten indessen in diesem wie eine Wachsmaske unbeweglichen Gesichte : die Augen und der Mund; – die Augen klein, schwarz und tief, rasche, sogar drohende Blitze schleudernd, alsdann sich sogleich unter einem süßlichen, gottseligen Augenlide verhüllend; der Mund klein, sein, mit der spöttischen geistreichen, in Momenten bis zum Gifte boshaften Unterlippe.

Das Ganze dieser Physiognomie konnte zuweilen den Geist, den Ehrgeiz, die Sinnlichkeit offenbaren, doch nie die Seelengüte. Man fühlte vom Anfang an, man habe jedes Interesse, diesen Mann sich nicht zum Feinde zu machen; Niemand aber hätte uns dem Gesichtspunkte der Sympathie den Wunsch gefühlt, sich einen Freund aus ihm zu machen.

Ohne groß zu sein, war er, wie die Bürger sagen, wenn sie von einem Geistlichen sprechen, ein stattlicher Mann. Man füge diesem etwas ausnehmend Hoffärtiges, Verächtliches, Impertinentes in seiner Art, den Kopf zu tragen, die Leute zu grüßen, in einen Salon einzutreten, daraus wegzugehen, sich zu setzen und aufzustehen, bei . . . Dagegen schien er für die Frauen die feinsten Blüthen seiner Höflichkeit aufbehalten zu haben; er blinzelte, wenn er sie anschaute, auf eine so bezeichnende Art mit der Augen, und gefiel ihm die Frau, die er anredete, so nahm sein Gesicht einen unbeschreiblichen Ausdruck von unzüchtiger Süßigkeit an.

Mit diesen halbgeschlossenen, blinzelnden Augen trat er in diesen Solon ein, den man den Frauensalon nennen konnte, während der General, der Monseigneur Coletti seit langer Zeit kannte, als er ihn melden hörte, zwischen den Zähnen murmelte:

»Treten Sie ein, Monseigneur Tartusse!«

Diese Meldung, dieser Eintritt, dieser Gruß, das Zögern von Monseigneur Coletti, sich zu setzen, die Wichtigkeit, die den berufenen Prediger der letzten Fastenzeit umgab, hatten einen Augenblick die Aufmerksamkeit von Carmelite abgewandt, wir sagen einen Augenblick, denn es war nur ein Augenblick, zwischen dem Momente, wo Frau Marande den Thürvorhang fallen ließ, und dem verlaufen, wo sich der Vorhang wieder aufhob, um den zwei Freundinnen Durchgang zu gewähren.

Es war nicht möglich, einen ergreifenderen Contrast zu sehen, als den, welcher zwischen Frau von Marande und Carmelite bestand.

War es aber auch wirklich Carmelite?

Ja, sie war es . . . doch nicht Carmelite, deren Portrait wir aus der Monographie der Rose copirt haben; nicht mehr die Carmelite mit den purpurnen Wangen, mit dem glänzenden Teint, mit der von Reinheit und Unschuld strahlenden Miene; nicht mehr die Carmelite mit der lächelnden Lippe, mit der um den Wohlgeruch jenes Blumenfeldes, das sich unter ihrem Fenster ausbreitete und das Grab der la Vallière balsamisch umduftete, einzuathmen weit geöffneter Nase . . . Nein, die neue Carmelite war eine große junge Frau, deren Haare immer noch mit derselben Ueppigkeit aus ihre Schultern fielen; doch die Schultern waren von Marmor! Es war dieselbe Stirne, hoch, entblößt, verständig; doch die Stirne war von Elfenbein! es waren dieselben einst von den rosigen Nuancen der Jugend und der Gesundheit gefärbten Wangen, heute aber entfärbt, verbleicht und seltsam matt geworden!

Die Augen besonders, schon so schön und so groß, schienen um die Hälfte größer geworden zu sein: sie schleuderten immer noch Flammen, doch die Funken waren Blitze geworden, und, bei dem dunkelfarbigen Kreise, der sie umgab, hätte man geglaubt, diese Blitze kommen aus einer Gewitterwolke hervor.

Sodann ihre Lippen, einst von Purpur; ihre Lippen, welche nach ihrer Ohnmacht so viel Mühe gehabt hatten, um wieder zum Leben zurückzukehren, ihre Lippen hatten ihre ursprüngliche Farbe nicht wieder annehmen können; sie hatten nur, und zwar mit großer Mühe, die bleiche Nuance der rosenfarbenen Koralle erlangt, doch, man muß sagen, gerade hierdurch vervollständigten sie trefflich das seltsame Ganze, das immer aus Carmelite eine Schönheit ersten Rangs machte, aber dieser Schönheit eine fantastische Tinte gab.

Sie war einfach, indessen anbetungswürdig gekleidet.

Durch ihre drei Freundinnen angetrieben, in die Soirée von Lydie zu kommen, und mehr noch unterstützt durch ihren Entschluß, sich schnell unabhängig zu machen, war die Frage der Toilette, in der sie erscheinen wurde, lange erörtert worden. Es versteht sich von selbst, daß Carmelite an der Debatte keinen Antheil genommen hatte; sie hatte von Anfang erklärt, sie sei die Witwe von Colombau, um den sie ihr Leben lang trauern werde, und sie werde nur in schwarzem Kleide kommen: Fragola, Lydie und Regina konnten nun dieses Kleid schneiden und ordnen, wie es ihnen beliebte.

Regina beschloß, das Kleid sollte von schwarzen Spitzen auf Leib und Rock von schwarzem Atlaß sein, und sie sollte, statt jeder Verzierung, eine Guirlande von jenen düsteren, veilchenblauen Blumen, dem Embleme der Traurigkeit haben, die man Alzei nennt; mit den Blumen sollten Cypressenzweige vermengt sein.

Der von Fragola, der Gelehrtesten von den Dreien bei dieser geschickten Blumenvermählung, bei dieser verständigen Verschmelzung von Nuancen, geflochtene Kranz bestand wie die Guirlande des Kleides, wie der Strauß des Leibes, aus Cypressenzweigen und Alzeibläthen.

Ein Collier von schwarzen Perlen, ein kostbares Geschenk von Regina, umschloß den Hals.

Als Carmelite, bleich und dennoch geschmückt, aus dem Schlafzimmer von Frau von Marande heraustrat, gaben diejenigen, welche sie erwarteten, aber nicht so zu sehen erwarteten, einen Ausruf von sich, in welchem sich die Bewunderung und der Schrecken vermengten. Man hätte denken sollen, es sei eine antike Erscheinung, die Norma oder die Medea. Ein Schauer durchlief alle Adern.

Der alte General, so sehr er Skeptiker war, begriff, es sei hier etwas Heiliges wie die Ergebenheit, etwas Großes wie das Märtyrerthum. Er stand auf und wartete.

Regina ihrerseits lief auf Carmelite zu, sobald sie erschien.

Das glänzende Gespenst trat zwischen die von Leben und Glück strahlenden zwei Frauen.

Jedermann folgte mit dem Blicke dieser stillen Gruppe mit einer gewissen Neugierde, welche an die Gemüthserregung grenzte.

»Ah! wie bleich bist Du, meine arme Schwester!« sagte Regina.

»Wie schön bist Du, o Carmelite!« sagte Frau von Marande.«

»Ich habe Euren dringenden Bitten nachgegeben, meine Vielgeliebten,« sprach die junge Frau; »doch wahrhaftig, Ihr müßtet vielleicht, während es noch Zeit ist, mich zurücktreten heißen.«

»Warum dies?«

»Wißt Ihr, daß ich kein Klavier geöffnet habe, seitdem wir, er und ich, mit einander unsern Abschied vom Leben gesungen? Wenn mich die Stimme verließet wenn ich Alles vergessen hätte!«

»Man vergißt nicht, was man nicht gelernt hat, Carmelite,« sagte Regina. »Du sangst wie die Vögel: verlernen die Vögel zu singen?«

»Regina hat Recht,« sprach Frau von Marande; »und ich bin Deiner sicher, wie Du selbst Deiner sicher bist. Singe also ohne Befangenheit, meine gute Geliebte! Nie, dafür stehe ich Dir, wird ein Künstler, um gehört zu werden, ein mehr sympathetisches Auditorium gehabt haben!

»Ah! singen Sie, singen Sie, Madame!« sagten alle Stimmen, – außer den Stimmen von Susanne und Lorédan, denen des Bruders und der Schwester, welche, der Bruder mit Erstaunen, die Schwester mit Neid, diese düstere, aber glänzende Schönheit anschauten.

Carmelite dankte den Kopf neigend und ging weiter auf das Klavier und zugleich auf den Grafen Herbel zu.

Dieser machte zwei Schritte ihr entgegen und verbeugte sich.

»Herr Graf,« sagte Frau von Marande, »ich habe die Ehre, Ihnen meine theuerste Freundin vorzustellen; denn von meinen drei Freundinnen ist diese die unglücklichste.«

Der General verbeugte sich zum zweiten Male und sprach mit einer der ritterlichen Zeiten würdigen Höflichkeit:

»Mein Fräulein, ich bedaure, daß mir Frau von Marande nicht eine schwierigere Aufgabe beschieden hat, als die, Ihr Lob zu verkündigen. Glauben Sie mir, daß ich mit ganzer Seele hierfür besorgt sein, und dennoch mich als Ihren Schuldner betrachten werde.«

»Oh! singen Sie, singen Sie, Madame!« riefen einige Stimmen mit dem Ausdrucke der Bitte.

»Du siehst, liebe Schwester,« sagte Frau von Marande, »Jedermann wartet mit Ungeduld . . . Willst Du anfangen?«

»Auf der Stelle, wenn man es wünscht,« antwortete einfach Carmelite.

»Was willst Du singen?« fragte Regina.

»Wählet selbst.«

»Du gibst keinen Vorzugs«

»Keinen.«

»Ich habe den ganzen Othello hier.«

»Also Othello.«

»Begleitest Du Dich selbst?« fragte Lydie.

»Wenn ich es nicht anders machen kann,« antwortete Carmelite.

»Ich werde Dich begleiten,« sagte rasch Regina.

»Und ich, ich werde die Blätter umwenden,« fügte Frau von Marande bei,« Zwischen uns Beiden wirst Du keine Angst haben?«

»Ich werde keine Angst haben . . . « erwiderte Carmelite schwermüthig den Kopf schüttelnd.

Carmelite war in der That vollkommen ruhig.

Sie legte ihre kalte Hand auf die Hand von Frau von Marande; ihre Stirne drückte eine unaussprechliche Seelenheiterkeit aus.

Frau von Marande wandte sich nach dem Klavier und nahm aus den aufgehäuften Partituren die von Othello.

Carmelite blieb auf Regina gestützt ungefähr bei zwei Dritteln des Boudoir stehen.

Jedermann hatte sich gesetzt; man hörte aus Aller Brust keinen Hauch mehr hervorkommen.

Frau von Marande legte die Partitur auf das Klavier, während Regina, ebenfalls hinzutretend, sich setzte und rasch das Klavier in einem glänzenden Vorspiele durchlief.

»Willst Du die Romanze von der Weide singen ?«

»Gern,« erwiderte Carmelite.

Frau von Marande öffnete die Partitur bei der vorletzten Scene des letzten Actes.

Regina wandte sich, die Hände ausgestreckt und ganz bereit, zu beginnen, gegen Carmelite um.

In diesem Augenblicke meldete der Diener:

»Herr und Frau Camille von Rozan.«

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