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Erster Band
XIX
Wie das Liebesgesetz gestorben war

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Machen wir ein paar Schritte rückwärts; denn wir bemerken, daß wir, weil es uns drängte, in den Salon von Frau von Marande einzutreten, cavalièrement über Ereignisse und Tage weggestiegen sind, welche ihren Platz in dieser Erzählung haben müssen, wie sie ihn schon in der Geschichte haben.

Man erinnert sich des Scandals, der sich bei der Beerdigung des Herzogs de la Rochefoucauld zugetragen hatte.

Da Einige von den Personen, welche den ersten Rang in unserer Geschichte einnehmen, eine Rolle dabei spielten, so haben wir es versucht, in allen ihren Einzelheiten diese entsetzliche Scene zu erzählen, bei der die Polizei zu dem Resultate gelangt war, das sie sich vorgesetzt hatte: Herrn Sarranti verhaften und erforschen, welchen Grad von Widerstand die Bevölkerung der unglaublichsten Beschimpfung, die man dem Leichname eines Mannes, welchen sie mit ihrer Ehrfurcht und ihrer Liebe umgab, entgegenzusetzen fähig wäre.

Die Macht war dem Gesetze geblieben! wie man in der Regierungssprache sagt.

»Noch ein solcher Sieg,« sprach Pyrrhus, der kein constitutioneller König, aber ein verständiger Tyrann war, »und ich bin verloren!« Das hätte sich Karl X. nach dem traurigen Siege, den er auf den Stufen der Himmelfahrts-Kirche davon getragen, sagen müssen.

In der That, sie war tief gewesen, die nicht nur bei der Menge, – von der der König wenigstens momentan zu weit entfernt war, um das Schauern durch die verschiedenen socialen Schichten zu fühlen, welche ihn von ihr trennten, – sondern auch auf die Pairskammer, von der er nur durch den auf den Stufen des Thrones ausgebreiteten Teppich getrennt war, hervorgebrachte Aufregung.

Die Pairs hatten sich, wie gesagt, vom Ersten bis zum Letzten beleidigt gefühlt durch die den Ueberresten des Herzogs de la Rochefoucauld angethane Beschimpfung. Die Unabhängigsten hatten ganz laut ihre Entrüstung kundgegeben; die Ergebensten hatten sie in die Tiefe ihres Herzens verschlossen; hier aber brudelte sie beim Hauche des furchtbaren Rathgebers, den man den Stolz nennt. Alle warteten auf eine Gelegenheit, entweder dein Ministerium oder sogar dem Königthum diesen unfläthigen Fußtritt, den die hohe Kammer von der Polizei erhalten hatte, zurückzugeben.

Der Liebesgesetzes-Entwurf sollte diese Gelegenheit bieten.

Er war der Prüfung der Herren von Broglie, Portalis, Portal und le Bastard unterworfen worden.

Wir haben die Namen der anderen Mitglieder der Commission vergessen: – es sei dies gesagt ohne die Absicht, die Ehrenwerthen auf irgend eine Art zu verletzen.

Die Prüfungs-Commission schien schon bei ihren Sitzungen weit davon entfernt, eine Sympathie für den Entwurf zu hegen.

Die Minister selbst fingen an mit demselben Schrecken, der Reisende ergreift, welche, ein unbekanntes Land durchwandernd, sich plötzlich am Rande eines Absturzes finden, die Minister selbst fingen an zu bemerken, daß unter der politischen Frage, welche die Hauptfrage zu sein schien, eine individuelle viel ernstere Frage verborgen war.

Das Gesetz gegen die Preßfreiheit wäre in der That vielleicht durchgegangen, hätte es sich nur an den Rechten der Intelligenz vergriffen. Was lag an den Rechten der Intelligenz dem Bürgerthum, der höchsten Macht jener Zeit? Doch das Gesetz gegen die Preßfreiheit vergriff sich an den materiellen Interessen, was eine viel gewichtigere Lebensfrage für alle Subscribenten auf Voltaire-Touquet war, welche das Dictionaire philosophique lasen und dabei eine Prise aus einer Tabaksdose à la charte nahmen.

Was ihnen allmählich die Augen öffnete, diesen armen Blinden mit hunderttausend Franken Gehalt, war der Umstand, daß alle die Preßfreiheit und die Interessen der Industrie verletzenden Dispositionen einstimmig von der Commission der Pairskammer verworfen wurden.

Da fingen sie an eine absolute Verwerfung zu fürchten.

Was ihnen am wenigsten Unangenehmes begegnen konnte. war, daß der Entwurf vor der Kammer mit solchen Amendements erschien, daß es diesen Amendements gelang, die Wirkung davon zu zerstören.

Man mußte zwischen einem Rückzuge und einer Niederlage wählen. Es fand eine Berathung statt; Jeder theilte Allen seine Befürchtungen mit, und man kam überein, die Diskussion sollte auf die nächste Sitzung verschoben werden.

Herr von Villèle übernahm es, durch eine von jenen Combinationen, mit denen er vertraut war, mittlerweile dem Ministerium in der hohen Kammer eine Majorität so botmäßig und so regelmäßig diszipliniert zu geben, als die war, auf welche er in der Kammer der Abgeordneten zählen konnte.

Am 12. April, – einem der Tage, über die wir so cavalièrement hinweggestiegen sind, – war der Jahrestag der ersten Rückkehr von Karl X. Nach Paris am 12. April 1814. An diesem Tage gab die Nationalgarde den Militärdienst der Posten in den Tuilerien und ersetzte so die anderen Truppen des Palastes.

Das war eine Gunst, mit der der König die Ergebenheit der Nationalgarde belohnte, welche mehrere Wochen lang seine einzige Garde gebildet hatte; es war endlich ein Zeichen von Vertrauen, das er der Bevölkerung von Paris gab.

Doch dieser Tag, was man unmöglich hatte verhindern können, fiel im laufenden Jahre auf den grünen Donnerstag.

Am grünen Donnerstag konnte aber der König, der sich ganz seinen Andachten widmete, seinen Geist keiner politischen Beschäftigung hingeben: man verschob also den Dienst der Garde vom 12. auf den 16. vom grünen Donnerstag auf den Ostermontag.

Dem zu Folge stieg, am 16. Morgens, in dem Augenblicke, wo die Wache bezogen wurde, als es eben neun Uhr im Pavillon de l’Horloge schlug, König Karl X. die Freitreppe der Tuilerien in der Uniform eines Generals der Nationalgarde herab. Er erschien in Begleitung des Herrn Dauphin und war umgeben von einem zahlreichen Generalstabe.

Er kam auf den Carrouselplatz, wo sich von allen Legionen der Nationalgarde, die Cavalerie-Legion im begriffen, gelieferte Detachements versammelt fanden.

Als er vor die Schlachtordnung der Nationalgarde gelangte, grüßte er nach seiner Gewohnheit mit herzlichem Ergusse.

Obschon bei seinen täglichen Spazierfahrten Karl X., allmählich depopularisirt, – nicht durch seine persönlichen Fehler, sondern durch die Irrthümer seiner Regierung, welche eine antinationale Politik angenommen hatte, – obschon bei seinen täglichen Spazierfahrten, sagen wir, Karl X. seit einem Jahre an einen ziemlich kalten Empfang gewöhnt worden war, rief er doch noch von Zeit zu Zeit durch das Lächeln und die Grüße, die er der Menge zusandte, sympathetische Acclainationen hervor.

An diesem Tage aber war der Empfang eiskalt. Kein Feuer, keine Begeisterung; einige spärliche Rufe: »Es lebe der König!« schüchtern vorgebracht, kaum gehört, und wie unter Weges aufgehalten.

Er musterte die Nationalgarde und verließ den Carrouselplatz, das Herz angeschwollen von einer bitteren Traurigkeit, wegen dieses Empfangs der Menge nicht sein Regierungssystem, sondern die Verleumdungen der Journale, die dumpfen Umtriebe der liberalen Partei anklagend.

Mehrere Male hatte er sich während der Revue gegen seinen Sohn umgewendet, als wollte er ihn befragen; doch der Herr Dauphin erfreute sich des seltsamen Vorzugs, zerstreut zu sein, ohne daß sein Geist anderswo war. Der Herr Dauphin folgte maschinenmäßig seinem Vater, und in den Palast zurückkehrend hatte der Herr Dauphin wohl das Bewußtsein, einen kleinen Spazierritt gemacht zu haben, er vermuthete wohl, er habe einer Revue beigewohnt, doch es wäre ihm unmöglich gewesen, zu sagen, welche Art von Truppe vor ihm defiliert hatte.

Also nicht an den Dauphin wandte sich der alte König, der sich vereinzelt in seiner Größe, schwach in seinem göttlichen Rechte fühlte, sondern an einen Mann von sechzig Jahren, der das doppelte Band dem St. Ludwigs-Orden und vom Heiligen-Geist-Orden trug.

Dieser Mann war einer von den alten Glorien Frankreichs: es war der Soldat vom Regiment Médoc, es war der Bataillonschef der Freiwilligen von der Maas, es war der Oberst des Regiments Picardie, es war der Eroberer von Trier, der Held der Brücke von Mannheim, der Commandant der vereinigten Grenadiere der großen Armee , der Sieger von Ostrolenka, der Mann von Wagram, von der Beresina, von Bautzen, der Generalmajor der königlichen Garbe, der Obercommandant der Pariser Garde; es war der Verstümmelte von allen Schlachten, denen er beiwohnte; es war derjenige, dessen Körper siebenundzwanzig Wunden zählte, fünf mehr als der von Cäsar, und der seine siebenundzwanzig Wunden überlebt hatte; – es war der Marschall Qudinot, Herzog von Reggio.

Karl X. nahm den alten Soldaten unter dem Arme, zog ihn aus dem Kreise der Höflinge, die auf seine Rückkehr warteten, und sagte zu ihm:

»Hören Sie, Marschall, sprechen Sie offenherzig.«

Der Marschall schaute den König mit Erstaunen an; die Stille und die Kälte der Nationalgarde waren ihm nicht entgangen.

»Offenherzig, Sire?« fragte er.

»Ja, ich wünsche die Wahrheit zu wissen.«

Der Marschall lächelte.

»Es setzt Sie in Erstaunen, daß ein König die Wahrheit zu wissen wünscht . . . Man täuscht uns also sehr, mein lieber Marschall?«

»Ei! Sire, Jeder thut hierbei sein Bestes.«

»Und Sie?«

»Ich, ich lüge nie, Sire!«

»Sie sagen also die Wahrheit?«

»Ich erwarte, daß man sie von mir verlangt.«

»Und dann . . . ?«

»Sire, Eure Majestät befrage mich, und sie wird sehen.«

»Nun wohl, Marschall , was sagen Sie von der Revue?«

»Kalt!«

»Man hat kaum: »»Es lebe der König!«« gerufen. Haben Sie das bemerkt, Marschall?«

»Ich habe es bemerkt.«

»Ich habe mich also des Vertrauens und der Liebe meines Volkes verlustig gemacht?«

Der alte Soldat schwieg.

»Hören Sie mich nicht, Marschall ?« fragte Karl X.

»Doch, Sire, ich höre Sie.«

»Nun wohl, ich frage Sie, ob ich mich, nach Ihrer Ansicht, verstehen Sie wohl, Marschall? ich frage Sie, ob ich mich, nach Ihrer Ansicht, des Vertrauens und der Liebe meines Volkes verlustig gemacht habe.«

»Sire!«

»Sie haben mir die Wahrheit versprochen, Marschall.«

»Sire, nicht Sie, sondern Ihre Minister. Unglücklicher Weise begreift das Volk die Subtilitäten Ihrer constitutionellen Regierung nicht: König und Minister, es vermengt Alles.«

»Aber was habe ich denn gethan?« rief der König.

»Sie haben nicht gethan, Sire, Sie haben thun lassen.«

»Marschall, ich schwöre Ihnen, daß ich voll guter Absichten bin.«

»Sire, es gibt ein Sprichwort, das behauptet, die Hölle sei damit gepflastert.«

»Marschall, sagen Sie mir Alles, was Sie hiervon denken.«

»Sire, ich wäre der Güte des Königs unwürdig, wenn . . . ich . . . nicht dem Befehle, den er mir gibt, gehorchen würde.«

»Nun?«

»Nun wohl, Sire, ich denke, Sie sind ein guter und redlicher Fürst ; Eure Majestät ist aber umgeben und hintergangen von blinden oder unwissenden Räthen, welche nicht sehen oder schlecht sehen.«

»Fahren Sie fort, fahren Sie fort!«

»Die öffentliche Stimme sagt Ihnen durch, mich, Sire, Ihr Herz sei ächt französisch, und in Ihrem Herzen und nicht anderswo müsse man lesen.«

»Man ist also unzufrieden ?«

Der Marschall verbeugte sich.

»Und worüber diese Unzufriedenheit?«

»Sire: das Preßgesetz verwundet tief und tödtlich Ihre Bevölkerung.«

»Sie glauben, diesem habe ich die heutige Kälte zu verdanken?«

»Sire, ich bin dessen sicher.«

»Einen Rath also, Marschall.«

»In welcher Hinsicht?«

»Hinsichtlich dessen, was ich zu thun habe.«

»Sire, ich habe dem König keinen Rath zu geben.«

»Doch, wenn ich einen verlange.«

»Sire, Ihre hohe Weisheit . . . «

»Was würden Sie an meiner Stelle thun, Marschall?«

»Ich spreche auf Befehl des Königs?«

»Besser als dies, Herzog,« erwiderte Karl X. mit einer Majestät, an der es ihm bei gewissen Gelegenheiten nicht gebrach: »auf meine Bitte.«

»Nun wohl, Sire, lassen Sie das Gesetz zurückziehen, berufen Sie für eine andere Revue die ganze Nationalgarde, und Sie werden durch ihre einstimmigen Acclamationen sehen, was die wahre Ursache ihres heutigen Stillschweigens war.«

»Marschall, das Gesetz soll morgen zurückgezogen werden. Bestimmen Sie selbst den Tag der Revue.«

»Sire, will Eure Majestät, daß es der letzte Sonntag des Monats sei, das heißt der 29. April?«

»Geben Sie selbst die Befehle; Sie sind General-Commandant der Nationalgarde.«

An demselben Abend war der Conseil in den Tuilerien versammelt, und unerachtet des hartnäckigen Widerstandes Einiger forderte der König die unmittelbare Zurücknahme des Liebesgesetzes.

Trotz der Glückseligkeiten, die sie sich von der Anwendung dieses Gesetzes versprochen hatten, waren die Minister genöthigt, sich der souverainen Gewalt zu unterwerfen. Die Zurücknahme des Gesetzes war übrigens nur ein Art der Klugheit, eine Vorsichtsmaßregel, die ihnen die sichere und entscheidende Niederlage vor der Pairskammer ersparte.

Am andern Tage nach dieser ersten Revue, das heißt nach dieser ersten Manifestation der Nationalgarde, deren Wirkungen der König so richtig geschätzt, deren Ursache der Marschall Qudinot so wohl beurtheilt hatte, verlangte Herr von Peyronnet das Wort am Anfange der Sitzung der Pairskammer, und verlas von der Tribune die Ordonnanz, welche den Gesetzesentwurf zurücknahm. Es war ein ungeheurer Freudenschrei an den vier Ecken Frankreichs und von allen Journalen ohne Unterschied, royalistischen oder liberalen, ausgestoßen.

Am Abend war Paris erleuchtet.

Lange Colonnen von Buchdruckergehilfen zogen in den Straßen und auf den öffentlichen Plätzen der Stadt umher und riefen: »Es lebe der König! Es lebe die Pairskammer! Es lebe die Preßfreiheit!«

Dieser Umzug, der wunderbare Zusammenfluß von Neugierigen, welche sich auf den Boulevards, den Quais, in den Seitenstraßen drängten, durch alle großen Arterien bis zu den Tuilerien strömend, wie das Blut zum Herzen strömt; das Geschrei dieser Menge, die Explosion der durch die Fenster geschleuderten Petarden, die flammende Aufsteigung der Raketen, die den Himmel mit ephemeren Sternen besäten, die Verschwendung der an allen Gebäuden, außer den öffentlichem aufgestellten Lichter, all dieses Geräusch, all dieser Glanz boten einen festlichen Anblick, ein freudiges Aussehen, wie es gewöhnlich die von der Regierung befohlenen officiellen Feierlichkeiten nicht bieten.

Der Jubel war nicht minder groß in den andern Städten des Königreichs; es schien, nicht als hätte Frankreich einen von den Siegen davon getragen, an die es gewöhnt war. sondern als hätte jeder Franzose individuell gesiegt.

Dieser Jubel gab sich in der That nicht nur unter den verschiedensten, sondern auch unter den individuellsten Formen kund; Jeder suchte eine persönliche Manier, seine Freude zu bezeigen.

Hier waren es zahlreiche Chöre, welche auf den Plätzen stationirten oder durch die Straßen liefen und ihre Nationalgesänge hören ließen; dort waren es improvisierte Kunstfeuerwerke, die sich durch alle Arten von Volkslaunen verlängerten, oder Tänze, welche die ganze Nacht hindurch währten; anderswo waren es Fackelzüge, wie die antiken Wettläufe, zu Fuße und zu Pferde ausgeführt; wieder anderswo Triumphbogen oder Säulen mit Inschriften beladen; überall waren es flammende Illuminationen; die von Lyon besonders waren bewunderungswürdig: die Ufer der zwei Flüsse, die Hauptplätze der Cité, die zahlreichen Terrassen seiner zahlreichen Vorstädte waren gleichsam durch lange Feuercordons verbunden, welche die Wasser der Rhone und der Saone reflektierten.

Marengo hatte nicht mehr Stolz eingeflößt, Austerlitz nicht mehr Begeisterung.

Der eine und der andere von diesen zwei Siegen war nur ein Triumphe der Fall des Liebesgesetzes war zugleich ein Triumph und eine Rache; es war eine Frankreich gegenüber übernommene Verbindlichkeit, es von diesem Ministerium zu befreien, welches es sich bei jeder neuen Session zur Aufgabe gemacht hatte, eine von den durch den Grundvertrag versprochenem garantierten, geheiligten Freiheiten zu zerstören.

Diese glänzende Manifestation des öffentlichen Bewußtseins, diese volksthümliche Demonstration, dieser freiwillige Jubel des ganzen Landes bei der Nachricht von der Zurücknahme des Gesetzes setzten; die Minister in Erstaunen, und sie beschlossen noch an demselben Abend, unter all diesem Geräusche und all dieser freudigen Bewegung, sich insgesamt zum König zu begeben.

Sie verlangten eingeführt zu werden.

Man suchte den König. Der König war nicht ausgefahren, und dennoch wer er weder im großen Solon, noch in seinem Cabinet, noch bei Monsieur dem Dauphin, noch bei der Frau Herzogin von Berry.

Wo war er denn?

Ein Kammerdiener sagte, er habe Seine Majestät, gefolgt vom Marschall Qudinot, nach der Treppe gehen sehen, welche auf die Terrasse des Pavillon de l’Horloge führte.

Man stieg diese Treppe hinauf.

Zwei Männer standen da, all dieses Geschrei, all diesen Lärmen, alle diese Lichter beherrschend, kräftig von der leuchtenden Mondscheibe und von den silbernen Wolken, welche rasch am Himmel hinzogen, sich abhebend.

Diese zwei Männer waren Karl X. und der General Qudinot.

Man meldete ihnen den ministeriellen Besuch.

Der König schaute den Marschall an.

»Was wollen sie hier?« fragte er.

»Von Eurer Majestät eine Repressivmaßregel gegen die allgemeine Freude fordern.«

»Lassen Sie diese Herren heraufkommen,« sagte der König.

Die Minister folgten sehr erstaunt dem Adjutanten, dem der Kammerdiener den Befehl des Königs übertragen hatte.

Fünf Minuten nachher war der Conseil auf der Plattform des Pavillon de l’Horloge versammelt.

Die weiße Fahne, die Fahne von Tillebourg, von Bouvines und von Fontenay, flatterte anmuthig je nach den Launen des Windes. Man hätte glauben sollen, sie sei ganz stolz, diese ungewohnten Acclamationen zu hören.

Herr von Villéle trat vor und sprach:

»Sire, bewegt von der Gefahr, welche Eure Majestät läuft, komme ich mit meinen Collegen . . . «

Der König unterbrach ihn.

»Mein Herr,« fragte er, »nicht wahr, Ihre Rede war vorbereitet, ehe Sie dar Hotel der Finanzen verließen?«

»Sire . . . «

»Ich weigere mich nicht, sie zu hören, mein Herr; doch zuvor wünsche ich, daß Sie von dieser Plattform, welche Paris beherrscht, sehen und hören, was vorgeht.«

Und der König streckte die Hand gegen diesen Ocean von Licht aus.

»Es ist also unsere Entlassung, was Seine Majestät verlangt?« wagte Herr von Peyronnet zu bemerken.

»Ei! wer spricht von Entlassung, mein Herr? Ich verlange nichts von Ihnen: ich sage, Sie sollen sehen und hören.«

Es trat ein Moment der Stille ein, nicht auf den Straßen, – auf den Straßen war es im Gegentheile von Augenblick zu Augenblick munterer und geräuschvoller, – sondern unter den hohen Beobachtern.

Der Marschall hielt sich beiseit, das Lächeln des Triumphes aus den Lippen; der König, immer die Hand ausgestreckt und sich nach und nach gegen die vier Cardinalpunkte wendend, beherrschte durch seine hohe Gestalt, die, obschon sie sich unter dem Gewichte der Jahre gebeugt hatte, sich bei den großen Veranlassungen gerade aufrichtete, – der König beherrschte alle diese Männer. In diesem Augenblicke überragte sie sein Geist, wie seine Gestalt, um einen Kopf.

»Nun reden Sie, Herr von Villèle,« sprach der König, »was haben Sie mir zu sagen?«

»Nichts, Sire,« antwortete der Conseil-Präsident; »wir haben Eurer Majestät nur noch den Ausdruck der tiefsten Ehrfurcht zu Füßen zu legen.«

Der König größte; die Minister zogen sich zurück.

»Marschall,« sagte der König, »ich glaube, daß Sie entschieden Recht haben.«

Und er ging wieder in seine Gemächer.

In der nächsten Sitzung des Conseil setzte der König den Ministern seinen Wunsch, am 29. April eine Revue zu halten, auseinander. – Am 25. gab Seine Majestät diese Absicht kund. – Die Minister versuchten es Anfangs, den Willen des Könige zu bekämpfen; doch dieser Wille stand zu fest, um den schlimmen Waffen des persönlichen Interesses nachzugehen. Da warfen sie sich auf ein Detail zurück: dieses war, die Nationalgarde von den Meuterern und Aufreizern abzufondern, welche sie unfehlbar umgeben würden.

»Am andern Tage machte ein Tagsbefehl bekannt, daß, da der König auf der Parade am 16. April angekündigt habe, um der Nationalgarde einen Beweis seines Wohlwollens und seiner Zufriedenheit zu geben, beabsichtige er, sie die Revue passieren zu lassen, so werde diese Revue auf dem Marsfelde am Sonntag den 29. April stattfinden.

Das war eine große Neuigkeit.

Schon am Abend vorher, das heißt am 25., hatte ein bei den geheimen Gesellschaften affiliirter Buchdruckergehilfe Salvator einen Abdruck von dem Tagesbefehle gebracht, der am andern Tage angeschlagen werden sollte.

Salvator war Fourier bei der 11. Legion. Man begreift, warum er diesen Grad eines Fouriers angenommen, sogar darum nachgesucht hatte: das war eines von den tausend Mitteln, welche der thätige Carbenaro anwandte, um sich mit den Meinungen des Volks in Berührung zu bringen.

Diese Revue war eine Gelegenheit, den öffentlichen Geist zu sondieren: Salvator versäumte sie nicht. Mehr als fünfhundert Arbeiter, deren brennende Ansichten er kannte, hatten sich immer geweigert, sich bei der Nationalgarde zu betheiligen, wobei sie ihre Weigerung durch die Ausgabe, welche eine Uniform nöthig mache, motivierten; vier Abgeordnete, von Salvator gewählt, besuchten diese Leute im Hause; Jeder von ihnen erhielt hundert Franken, unter der Bedingung, daß er am Sonntag den 29. sein Costume vollständig habe und seinen Rang in der Compagnie einnehme. Man gab die Adressen von Schneidern, welche zur Association gehörten und die Verbindlichkeit übernommen hatten, das Costume am bestimmten Tage für die Summe von fünfundachtzig Franken zu liefern. Es blieben jedem Manne fünfzehn Franken Ueberschuß.

So führte man es in den zwölf Arrondissements durch.

Die Maires, – beinahe alle liberal, – waren entzückt über diese Demonstration; sie machten keine Schwierigkeiten, den Neueingetretenen Flinten zu geben.

Fünf bis sechstausend Mann, welche acht Tage vorher nicht einmal zur Nationalgarde gehörten, wurden auf diese Art bewaffnet und gekleidet. Alle diese Leute sollten, nicht den Befehlen ihrer Obersten, sondern dem Signal eines nur für sie allein erkennbaren Carbonarichefs gehorchen. Da aber die am weitesten Vorgerückten glaubten, die Stunde der Empörung sei noch nicht gekommen, so wurde von der obersten Venta befohlen, sich während der Revue keinen Art der Feindseligkeit zu erlauben.

Die Polizei ihrerseits war auf den Beinen, stand mit den Augen auf der Lauer und horchte mit allen Ohren. Was aber thun gegen Menschen, die sich beeifern, dem König zu gehorchen?

Herr Jackal reihte zehn Mann in jede Legion ein: nur, da ihm dieser Gedanke erst kam, als er von der Bewegung erfahren hatte, die sich bewerkstelligen sollte, fand sich, die Schneider von Paris haben so viel Arbeit, daß die Mehrzahl der Leute von Herrn Jackal wohl am Sonntag bewaffnet, aber erst am Montag gekleidet war.

Salvator

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