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Erster Band
IV
Der Triumph von Gibassier

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Gibassier und der Agent wandten sich also oder der Polizeiagent wandte vielmehr Gibassier nach der Rue de Jerusalem.

Man begreift, daß nach den durch den Beglaubiger der Passe genommenen Maßregeln jede Flucht unmöglich war.

Fragen wir übrigens zum Ruhme von Gibassier bei, daß ihm der Gedanke, zu fliehen, nicht einmal kam.

Mehr noch: das spöttische Aussehen seiner Physiognomie, das Lächeln des Mitleids, das auf seinen Lippen schwebte, wenn er den Agenten anschaute, die sorglose, ungezwungene, hochmüthige Art, wie er sich auf die Polizei-Präfectur führen ließ, offenbarten ein ruhiges Gewissen. Mit einem Worte, er schien seinen Entschluß gefaßt zu haben und ging mehr als ein stolzer Märtyrer, denn als ein ergebenes Opfer einher.

Von Zeit zu Zeit warf ihm der Agent einen Seitenblick zu.

Je näher Gibassier der Präfectur kam, desto mehr, statt sich zu verdüstern, heiterte sich seine Stirne auf; er dachte an den Sturm von Fluchen, den der Zorn von Herrn Jackal bei seiner Rückkehr auf das Haupt des unglücklichen Agenten würde fallen lassen.

Diese Heiterkeit, welche wie eine Glorie um die reinen Stirnen glänzt, fing an den Führer von Gibassier zu erschrecken. Während des ersten Viertels vom Wege hatte er keinen Zweifel gehabt, er bringe einen wichtigen Fang; auf halbem Wege zweifelte er; aus drei Vierteln war er überzeugt, er habe eine Dummheit begangen.

Der Zorn von Herrn Jackal, mit dem ihn Gibassier bedroht hatte, fing schon an, wie es ihm schien, schwer über seinem Haupte zu tosen.

Eine Folge hiervon war, daß nach und nach der Arm des Agenten sich lockerte und dem Arme von Gibassier die Freiheit seiner Bewegungen ließ.

Gibassier bemerkte diese relative Freiheit, die ihm gewährt wurde; da er sich aber nicht in der Ursache täuschte, welche die Armmuskeln seines Gefährten lockerte, so schien er nicht darauf Acht zu geben.

Der Agent, der Danksagungen von seinem Gefangenen zu erhalten hoffte, ward äußerst unruhig, als er bemerkte, so wie sein eigener Arm sich abspanne, schließe sich der von Gibassier fester an.

Er hatte einen Gefangenen gemacht, der ihn nicht loslassen wollte.

»Teufel,« sagte er zu sich selbst, »sollte ich mich geirrt haben?«

Er blieb einen Augenblick stehen, um zu überlegen, schaute Gibassier vom Kopfe bis zu den Füßen an, und da er sah, daß dieser ihn seinerseits von den Füßen bis zum Kopfe mit einer spöttischen Miene anschaute, welche immer mehr beunruhigend wurde, so sagte er zu ihm:

»Mein Herr, Sie kennen die Strenge unserer Pflichten. Man sagt zu uns: »»Verhafte!«« und wir verhaften ; daraus geht zuweilen hervor, daß wir in beklagenswerthe Irrthümer verfallen. Es ist wahr, daß wir meistens Verbrecher festnehmen, es geschieht aber auch manchmal aus Irrthum, daß wir die Hand an ehrliche Leute legen.«

»Sie glauben?« fragte Gibassier mit höhnischer Miene.

»Und zwar an sehr ehrliche Leute,« wiederholte der Agent.

Gibassier schaute ihn mit einer Miene an, welche bezeichnete: »Ich bin ein lebendiger Beweis hiervon.«

Die Heiterkeit dieses Blickes verrückte dem Polizeimann vollends den Kopf, und im Tone ausnehmender Höflichkeit fügte er bei:

»Mein Herr« ich befürchte, ich habe einen Mißgriff dieser Art begangen, doch es ist noch Zeit, ihn wieder gut zu machen.«

»Ei! was wollen Sie damit sagen?« fragte verächtlich Gibassier.

»Ich will sagen, mein Herr, ich befürchte einen ehrlichen Mann verhaftet zu haben.«

»Ich glaube es wohl, bei Gott! daß Sie das befürchten müssen,« erwiderte der Galeerensklave, indem er ihn mit strengem Auge anschaute.

»Ich hielt Sie beim ersten Anblicke für eine zweideutige Person; doch ich sehe nun, daß dem nicht so ist, und daß Sie im Gegentheile von den Unsern sind.«

»Von den Ihrigen?« sagte verächtlich Gibassier.

»Und,« fügte der Agent demüthig bei, »wie ich so eben bemerkte, da es noch Zeit ist, diesen kleinen Mißgriff wieder gut zu machen . . . «

»Nein, mein Herr, es ist nicht mehr Zeit,« entgegnete lebhaft Gibassier, »denn in Folge dieses Mißgriffes ist der Mann, über den ich zu wachen beauftragt war, entkommen . . . Und was für ein Mann? Ein Verschwörer, der vielleicht in acht Tagen die Regierung umgestürzt haben wird . . . «

»Mein Herr, wenn Sie wollen, so unternehmen wir Beide sogleich seine Verfolgung, und es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir Beide . . . «

Es lag nicht in den Wünschen von Gibassier, mit irgend Jemand die Ehre des Fanges von Herrn Sarranti zu theilen.

Er unterbrach auch seinen subalternen Collegen:

»Nein, mein Herr, und Sie werden, wenns beliebt, vollenden, was Sie angefangen haben.«

»Oh! Nein,« erwiderte der Agent.

»Oh! ja«« sprach Gibassier.

»Nein, und zum Beweise gehe ich.«

»Sie gehen?«

»Ja.«

»Sie gehen, wie?«

»Wie man geht. Ich bezeuge Ihnen meine Ehrfurcht und wende Ihnen den Rücken zu.«

Und der Agent pirouettirte in der That auf seinen Absätzen und wandte Gibassier den Rücken zu, doch dieser packte ihn nun seinerseits beim Arme, ließ ihn einen Halbkreis links beschreiben, und sagte:

»Nein, Sie haben mich verhaftet, um mich nach der Polizei-Präfectur zu führen, und Sie werden mich dahin führen.

»Ich werde Sie nicht dahin führen.«

»Oh! Sie werden mich dahin führen, alle Teufel! oder Sie werden sagen, warum nicht. Verliere ich meinen Mann« so muß Herr Jackal wissen, wer ihn mich verlieren gemacht hat.«

»Nein, mein Herr, nein!«

»Dann verhafte ich Sie und führe Sie auf die Präfectur, verstehen Sie wohl?«

»Sie verhaften mich?«

»Ja, ich.«

»Und mit welchem Rechte?«

»Mit dem Rechte des Stärkeren.«

»Ich werde meine zwei Männer rufen.«

»Thun Sie das nicht, oder ich rufe die Vorübergehenden. Sie wissen, daß Sie nicht angebetet sind, meine Herren von der Rothen, und ich erzähle, nachdem Sie mich ohne Grund verhaftet haben, wollen Sie mich freilassen, weil Sie wegen Ihres Mißbrauchs der Gewalt bestraft zu werden befürchten . . . wir sind, bei meiner Treue! so nahe am Flusse! . . . «

Der Polizeimann wurde weiß wie ein Leintuch; die Vorübergehenden fingen in der That an sich anzuschaaren. Er wußte aus der Erfahrung, daß das Volk zu jener Zeit keine sehr große Zärtlichkeit für die Monchards hegte. Erschaute Gibassier mit einer so flehenden Miene an, daß dieser auf dem Punkte war, sich erweichen zu lassen.

Doch genährt von den Maximen von Herrn von Talleyrand, drängte Gibassier diese erste Bewegung zurück: er mußte vor Allem bei Herrn Jackal gerechtfertigt sein.

Er schloß daher seine Hand in Form einer Zange um das Faustgelenke des Agenten und führte ihn, vom Gefangenen Gendarme werdend, er mochte wollen oder nicht, auf die Präfectur.

Der Hof der Präfectur war voll von einer ungewöhnlichen Menge.

Was wollte diese Menge hier?

Wir sagten in einem vorhergehenden Kapitel, man habe unbestimmt durch die Luft etwas wie die ersten Winde eines Aufstandes ziehen gefühlt.

Diese Menge, welche den Hof füllte, bestand aus Personen, die eine Rolle beim Aufstande spielen sollten und hierher kamen, um das Losungswort zu holen.

Gibassier, der seit Euer Jugend gewohnt war, in den Hof der Präfectur mit Handschellen einzutreten und sich, in einem vergitterten Wagen daraus zu entfernen, empfand eine Freude ohne Beimischung, als er in diesen Hof führend, statt geführt zu werden, eintrat.

Der Eintritt von Gibassier war in der That ein Triumpheinzug. Er hielt den Kopf hoch und die Nase im Winde, während sein unglücklicher Gefangener ihm folgte wie eine rhedelos gemachte Fregatte dem hochbordigen Schiffe folgt, welches sie, alle Segel im Winde und mit wehender Flagge, im Schlepptau führt.

Es herrschte einen Augenblick Zweifel in dieser ehrenwerthen Menge. Man glaubte Gibassier in seiner Bastide2 in Toulon, und nun erschien Gibassier plötzlich wie ein Chef in Funktion.

Gibassier aber, als er sah, in welchem Zweifel man über ihn schwebte, grüßte nach rechts und nach links, die Einen mit einer freundschaftlichen Miene, die Anderen mit einer Protectorsmiene; so daß sich auf diese Begrüßung ein sanftes Gemurmel erhob und Mehrere mit einem Eifer auf ihn zukamen, der von ihrem Glücke, einen alten Collegen wiederzufinden, zeugte.

Man wechselte tausend Händedrücke und tausend Complimente, und dies zur großen Verwirrung des Agenten, den Gibassier mit Mitleid anzuschauen anfing. Dann stellte man Gibassier dem Aeltesten der Brigade vor, einem ehrwürdigen Fälscher, der, unter gewissen zwischen ihm und Herrn Jackal verhandelten Bedingungen, in die Welt zurückgekehrt war. Er kam von Brest; er hatte auch Gibassier nicht gekannt, und Gibassier kannte ihn nicht; doch der Letztere hatte so oft bei seinen Abendgesellschaften an der Küste des Mittelländischen Meeres von diesem ausgezeichneten Greise reden hören, daß er seit langer Zeit seine ehrwürdigen Hände zu drücken wünschte.

Der Aelteste empfing ihn väterlich.

»Mein Sohn,« sprach er zu ihm, »längst wünschte ich Sie zu sehen. Ich habe Ihren Vater sehr gut gekannt . . . «

»Meinen Vater?« versetzte Gibassier, der nie einen Vater von sich gekannt hattet »dieser Bursche ist glücklicher als ich.«

»Es ist ein wahres Glück,« fuhr der Aelteste fort, »an Ihnen die Züge dieses rechtschaffenen Mannes wiederzufinden. Bedürfen Sie einiger Rathschläge, so wenden Sie sich an mich, mein Sohn; ich stelle mich zu Ihrer Verfügung.«

Die ganze Gesellschaft schien neidisch auf dieses Patent eines großen Mannes zu sein, das ihr Aeltester Gibassier gegeben hatte.

Sie umringte den Galeerensklaven, und nach fünf Minuten hatte Herr Bagnères de Toulon vor den Augen des durch einen solchen Triumph völlig verdummten Agenten tausend Dienstanerhieten und tausend Freundschaftsbetheuerungen empfangen.

Gibassier scheute ihn mit der Miene eines Mannes an, welcher fragt: »Nun, habe ich Sie belogen?«

Der Agent neigte dass Haupt.

»Sagen Sie nun,« sprach Gibassier zu ihm, »gestehen Sie offenherzig, daß Sie nur ein Esel sind?«

»Ich gestehe es offenherzig,« antwortete der Polizeimann, der wohl noch etwas ganz Anderes gestanden haben würde, hätte ihn Gibassier darum gebeten.

»Nun wohl,« sagte Gibassier, »sobald Sie dies gestehen, ist die Ehre befriedigt, und ich verspreche Ihnen, mild gegen Sie bei der Rückkehr von Herrn Jackal zu sein.«

»Bei der Rückkehr von Herrn Jackal?« fragte der Agent.

»Ja, bei der Rückkehr von Herrn Jackal werde ich mich damit begnügen, daß ich ihm Ihren Mißgriff als ein Uebermaß von Eifer vorstelle. Sie sehen, daß ich ein guter Teufel bin.«

»Herr Jackal ist schon zurückgekommen,« sagte der Agent, der, befürchtend, den guten Willen von Gibassier erkalten zu sehen, sich beeiferte, ihn unverzüglich zu benützen.

»Wie! Herr Jackal ist zurückgekommen?« rief Gibassier.

»Ja, allerdings.«

»Und seit wann?«

»Seit diesem Morgen um sechs Uhr-«

»Und Sie sagten mir das nicht!« rief Gibassier mit donnernder Stimme.

»Sie haben es mich nicht gefragt, Excellenz,« antwortete demüthig der Agent.

»Sie haben Recht, mein Freund,« erwiderte Gibassier sich besänftigend.

»Mein Freund!« murmelte der Agent; »Du hast mich Deinen Freund genannt, o großer Mann! befiehl, was ich für Dich thun kann!«

»Zu Herrn Jackal wollen wir gehen, alle Teufel! und zwar ohne eine Minute zu Verlieren.«

»Gehen wir,« sagte der Agent, indem er Schritte von einem Metre machte, während die Normaltrennung seiner Beine nur zwei und ein halber Fuß war.

Gibassier grüßte die Versammlung zum letzten Male mit der Hand winkend, durchschritt den Hof, vertiefte sich ein paar Schritte unter dem Gewölbe, das dem Thore gegenüber liegt, wühlte links dieselbe kleine Treppe, die wir Salvator haben wählen sehen, stieg zwei Stockwerke hinauf, eilte durch einen düsteren Corridor rechts und kam vor die Thüre des Cabinets von Herrn Jackal.

Der Aufwärter vom Dienste, der nicht Gibassier, sondern den Agenten erkannte, öffnete sogleich die Thüre von Herrn Jackal.

»Nun, was machen Sie, Dummkopf?« fragte Herr Jackal. »Habe ich Ihnen nicht gesagt , ich sei nur für Gibassier zu Hause?«

»Hier bin ich, lieber Herr Jackal!« rief Gibassier.

Sodann sich gegen den Agenten umwendend:

»Sie hören, er war nur für mich zu Hause?«

Der Agent hielt sich mit beiden Händen an, um nicht auf die Kniee zu fallen.

»Auf,« sagte Gibassier, »folgen Sie mir; ich habe Ihnen versprochen mild zu sein, und ich werde mein Versprechen halten.«

Und er trat bei Herrn Jackal ein.

»Wie, Sie sind es, Gibassier?« sagte der Chef: »ich hatte Ihren Namen aufs Gerathewohl genannt . . . «

»Und ich bin äußerst stolz auf diese Erinnerung, mein Herr,« erwiderte Gibassier.

»Sie haben also Ihren Mann verlassen?« fragte Herr Jackal.

»Ach! Herr,« antwortete Gibassier, »er hat mich verlassen.«

Herr Jackal faltete ernst die Stirne. Gibassier gab dem Agenten einen Stoß mit dem Ellenbogen, als als wollte er ihm sagen: »Sie sehen, daß Sie mich in eine abscheuliche Patsche gebracht haben.«

»Herr,« sagte Gibassier auf den Schuldigen deutend, »befragen Sie diesen Mann; ich will seine Lage nicht erschweren; er wird Ihnen Alles sagen.«

Herr Jackal hob seine Brille bis oben auf seine Stirne empor, um denjenigen zu erkennen, mit welchem er es zu thun hatte.

»Ah! Du bist es, Fourrichon,« rief er; »nähere Dich und sage, in wie fern Du Ursache bist, daß meine Befehle nicht vollzogen worden sind.«

Fourrichon sah, daß es nicht möglich war, Umschweife zu machen. Er faßte seinen Entschluß, und wie ein Zeuge vor vor einem Gerichte, sagte er die Wahrheit, die volle Wahrheit, nichts als die Wahrheit.

»Sie sind ein Esel,« rief Herr Jackal dem Agenten zu.

»Seine Excellenz der Herr Graf Bagnères de Toulon hat mir schon die Ehre erwiesen, dies zu sagen,« erwiderte der Polizeimann mit tiefer Zerknirschung.

Herr Jackal schien zu suchen, wer die illustre Person sein könnte, welche ihm über Fourrichon eine so sehr mit der seinigen übereinstimmende Meinung aussprechend zuvorgekommen war.

»Das bin ich,« sagte Gibassier, sich verbeugend.

»Ah! sehr gut, sehr gut,« rief Herr Jackal, »Sie haben sich zum Agentilhom3 gemacht?«

»Ja, Herr,« erwiderte Gibassier: »doch, ich muß Ihnen sagen, daß ich diesem Unglücklichen, kraft seiner tiefen Reue, Ihre ganze Nachsicht für ihn anzurufen versprochen habe. Er hat, bei meinem Worte! aus zu viel Eifer gesündigt.«

»Auf die Bitte unseres Freundes Gibassier,« sprach mit Majestät Herr Jackal, »bewilligen wir Euch volle Vergebung Eurer Sünde. Geht im Frieden und sündigt fortan nicht mehr.

Sodann, während er mit der Hand den unglücklichen Agenten entließ, der rückwärts wegging, sagte Herr Jackal:

»Mein lieber Gibassier, wollen Sie mir die Ehre erweisen, die Hälfte meines Frühstücks anzunehmen?«

»Mit wahrer Freude, Herr Jackal,« antwortete Gibassier.

»Sehen wir also ins Speisezimmer,« sprach Herr Jackal, indem er ihm den Weg zeigte.

Gibassier folgte Herrn Jackal.

2

Bastide im Süden von Frankreich Landhaus, Lufthaus, wird im Scherze häufig für Galeeren gebraucht.

3

Agent-ilhomme im Französischen.

Salvator

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