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Erster Band
XXIII
Eheliche Plauderei

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Herr von Marande hob den Vorhang auf, blieb aber auf der Thürschwelle stehen.

»Darf ich eintreten?« fragte er.

»Gewiß . . . Versprachen Sie nicht, Sie werden kommen? . . . Ich erwartete Sie seit einer Viertelstunde.«

»Ah! was sagen Sie mir da, Madame? Sie müssen so müde sein! Nicht wahr, ich bin.unbescheiden gewesen?«

»Nein; kommen Sie.«

Herr von Marande näherte sich, grüßte voll Anmuth, nahm die Hand, die ihm seine Frau reichte, neigte sich auf diese Hand mit dem zarten Gelenke, mit den weißen, schmalen Fingern, mit den rosigen Nägeln, und legte seine Lippen so leicht darauf, daß Frau von Marande mehr die Absicht begriff, als daß sie den Kuß fühlte.

Die junge Frau befragte mit den Augen ihren Gatten.

Es ließ sich leicht sehen, daß nichts ungewöhnlicher war, als ein solcher Besuch von Herrn von Marande; und dennoch ließ sich auch sehen, daß dieser Besuch weder gewünscht, noch gefürchtet war: es war eher der Besuch eines Freundes als der eines Gatten, und Lydie schien sogar mit mehr Neugierde als Besorgniß zu warten.

Herr von Marande lächelte; dann sagte er mit seiner sanftesten Stimme:

»Ich muß mich vor Allem entschuldigen, daß ich Sie so spät oder vielmehr so früh besuche. Glauben Sie mir, hielten mich nicht die wichtigsten Geschäfte den ganzen Tag außer dem Hause, so würde ich eine günstigere Gelegenheit abgewartet haben, um vertraulich mit Ihnen zu reden.«

»Welche Stunde Sie auch wählen mögen, mein Herr, um mit mir zu sprechen,« erwiderte Frau von Marande mit liebreichem Tone, »es ist immer eine kostbare Gelegenheit, um so kostbarer, je seltener sie ist.«

Herr von Marande verbeugte sich, diesmal aber zum Zeichen des Dankes; dann trat er an eine Bergère, rückte sie hinzu, und lehnte den Arm des Meuble an das Bett von Frau von Marande an, so daß er sich ihr gegenüber befand.

Die junge Frau ließ ihren Kopf wieder auf ihre Hand fallen und wartete.

»Erlauben Sie mir, Madame,« sagte Herr von Marande, »daß ich, ehe ich in die Sache selbst eingehe, oder, wenn Sie lieber wollen, um besser in dieselbe einzugehen, Ihnen meine Complimente über Ihre außerordentliche Schönheit wiederhole, welche alle Tage zunimmt und heute Nacht wahrhaft den Culminationspunkt der menschlichen Schönheit erreicht zu haben schien.«

»In der That, mein Herr, ich weiß nicht, wie ich auf eine solche Höflichkeit antworten soll: sie bereitet mir um so mehr Freude, als Sie mir gewöhnlich die Complimente mit einer gewissen Sparsamkeit zumessen. Gestatten Sie, daß ich mich darüber beklage, ohne es Ihnen vorzuwerfen.«

»Klagen Sie wegen meines Geizes nur die auf die Arbeit eifersüchtige Liebe an. Meine ganze Zeit ist der Aufgabe gewidmet, die ich mir vorgesetzt habe; würde es mir aber eines Tages erlaubt sein, einen Theil meiner Stunden in der süßen Muße zuzubringen, die Sie mir in diesem Augenblicke gewähren, glauben Sie mir, dieser Tag wäre einer der schönsten meines Lebens.«

Frau von Marande schlug die Augen zu ihrem Gatten auf und schaute ihn, als könnte ihr nichts seltsamer scheinen, als das, was er ihr so eben gesagt hatte, mit Erstaunen an.

»Ei! mich dünkt, mein Herr,« antwortete sie mit allem Zauber, den sie ihrer Stimme zu geben vermochte, »mich dünkt, so oft Sie diese Muße zu genießen verlangen, werden Sie nur zu thun haben, was Sie diesen Morgen gethan . . . mich zu benachrichtigen, Sie wünschen mich zu sehen, oder auch,« fügte sie lächelnd bei, »sich bei mir einzufinden, ohne mich zu benachrichtigen.«

»Sie wissen,« sagte Herr von Marande ebenfalls lächelnd, »das liegt nicht in unseren Bedingungen.«

»Diese Bedingungen, mein Herr, Sie haben sie dictirt, und nicht ich; ich habe sie einfach angenommen. Es war nicht an der, welche, ohne Ihnen irgend eine Mitgift zu bringen, von Ihnen ihr Vermögen, ihre Stellung . . . und sogar die Ehre ihres Vaters erhielt, Bedingungen zu machen, wie mir scheint.«

»Glauben Sie, liebe Lydie, der Augenblick sei gekommen, etwas an diesen Bedingungen zu ändern, und würde ich Ihnen nicht sehr überlästig scheinen, käme ich, zum Beispiel, diesen Morgen und würfe ungeschlachter Weise meinen ehelichen Realismus mitten unter die Träume, die Sie heute Nacht gemacht haben, und vielleicht in diesem Augenblicke, wo ich mit Ihnen spreche, noch machen?«

Frau von Marande fing an zu begreifen, worauf die Conversation abzielte, und fühlte eine Purpurwolke über ihr Gesicht ziehen. Der Banquier ließ dieser Wolke Zeit, sich zu zerstreuen, und fragte dann gerade auf den Punkt zurückkommend, wo das Gespräch unterbrochen worden war, mit seinem ewigen Lächeln und seiner unbeugsamen Höflichkeit:

»Diese Bedingungen« Madame« Sie erinnern sich derselben ?«

»Vollkommen, mein Herr,« antwortete die junge Frau mit einer Stimme, die sie ruhig zu erhalten sich anstrengte.

»Ich habe das Glück« bald drei Jahre Ihr Gatte zu sein, und in drei Jahren vergißt man viele Dinge.«

»Ich werde nie vergessen, was ich Ihnen verdanke, mein Herr.«

»Hierin, Madame, sind wir verschiedener Ansicht. Ich glaube nicht, daß Sie mir etwas verdanken; sollten Sie aber das Gegentheil denken und irgend eine Schuld mir gegenüber eingegangen zu haben meinen, so würde ich Sie bitten, gerade diese Schuld zu vergessen.«

»Man vergißt nicht, wann man will, und wie man will, mein Herr; und es gibt gewisse Leute, für die der Undank nicht nur ein Verbrechen, sondern auch eine Unmöglichkeit ist! Mein Vater, ein in den Geschäften ungeschickter alter Soldat, steckte sein ganzes Vermögen, das er zu verdoppeln hoffte, in eine industrielle Speculation und wurde zu Grunde gerichtet. Er hatte Verbindlichkeiten bei dem Banquehause übernommen, bei welchem Sie Nachfolger wurden, und diese Verbindlichkeiten konnten zur Verfallzeit nicht gehalten werden. Ein junger Mann . . . «

»Madame . . . « versuchte Herr von Marande zu unterbrechen.«

»Ich will über nichts weggehen,« sagte Lydie: »Sie würden glauben, ich habe vergessen. Ein junger Mann, der meinen Vater für reich hielt, bat um meine Hand; ein instinctartiger Widerwille gegen diesen jungen Mann machte, daß mein Vater von Anfang sein Gesuch zurückwies. Doch besiegt durch meine Bitten, – dieser junge Mann hatte mir gesagt, er liebe mich, und ich glaubte ihn zu lieben . . . «

»Sie glaubten?« sagte Herr von Marande.

»Ja, mein Herr, ich glaubte. Ist man mit sechzehn Jahren seiner Gefühle ganz sicher, besonders, wenn man aus der Pension kommt und die Welt ganz und gar nicht kennt? . . . Ich wiederhole also, besiegt durch mein Bitten, empfing am Ende mein Vater Herrn von Bedmar. Alles wurde festgesetzt, selbst meine Mitgift: dreimal hunderttausend Franken. Doch es Verbreitete sich das Gerücht vom Ruine meines Vaters, mein Bräutigam stellte plötzlich seine Besuche ein und verschwand! nur empfing mein Vater einige Zeit nachher von ihm einen Brief datiert von Mailand, in welchem er ihm sagte, da er seinen ersten Widerwillen, ihn zum Schwiegersohne anzunehmen, erfahren habe, so wolle er seinen Sympathien keine Gemalt antun. Meine Mitgift war abgesondert deponiert und vor jedem Angriffe geschützt worden; es war ungefähr die Hälfte von dem, was mein Vater Ihrem Banquehause schuldete. Drei Tage vor der Verfallzeit seiner Verbindlichkeiten erschien er bei Ihnen, bot Ihnen die dreimal hunderttausend Franken an und bat Sie um Frist für das Uebrige. Sie antworteten ihm, er möge sich vor Allem beruhigen, und fügten bei, da Sie ihm ein Geschäft vorzuschlagen haben, so bitten Sie ihn um ein Rendezvous in seinem Hause am andern Tage . . . Ist das so ?«

»Ja, Madame . . . nur muß ich gegen das Wort Geschäft Einsprache thun.«

»Ich glaube, es ist das, dessen Sie sich bedienten.«

»Ich brauchte einen Vorwand, um Eintritt in Ihr Haus zu erlangen, Madame: das Wort Geschäft war keine Bezeichnung, sondern ein Vorwand.«

»Ich verlasse das Wort; mein Herr: bei solchen Umständen ist das Wort nichts, dies Sache ist Alles. Sie kamen und machten meinem Vater den unerwarteten Antrag, mein Gatte zu werden, als meine Mitgift die von ihm Ihrem Hause gegenüber contrahirten sechsmal hunderttausend Franken Schulden zu nehmen, und ihm die hundertausend Thaler zu lassen, die er Ihnen angeboten hatte.«

»Ihrem Vater mehr antragend, Madame, hätte ich befürchtet, er würde es ausschlagen.«

»Ich kenne Ihr ganzes Zartgefühl, mein Herr. Mein Vater, so sehr er von dem Vorschläge betäubt war, nahm an, mit Vorbehalt meiner Einwilligung, und diese Einwilligung ließ, wie Sie wissen, nicht auf sich warten.«

»Ah! Sie haben ein frommes, kindliches Herz, Madame.«

»Erinnern Sie sich unserer Zusammenkunft mein Herr? Meine ersten Worte waren, daß ich von der Vergangenheit sprach, daß ich Ihnen gestand . . . «

»Eines den den Mädchengeheimnissen, welche zu vollenden ein delicater Mann seiner Braut nie die Zeit lassen darf. Uebrigens fügte ich bei: »»Nehmen Sie meinen Antrag aus welchem Gesichtspunkte es Ihnen beliebt, mein Fräulein, »entweder als ein Geschäft, das ich mache . . . ««

»Sie sehen wohl, daß dies das Wort war, dessen Sie sich bedienten!«

»Ich bin Banquier,« sagte Herr von Marande, »man muß der Gewohnheit verzeihen, »»entweder als ein Geschäft, das ich mache, und dessen Resultate, obgleich unbekannt, für mich vortheilhaft sein müssen, oder als eine Schuld, die ich im Namen meines Vaters bezahle.««

»Ganz richtig, mein Herr! ich erinnere mich Alles dessen. Es handelte sich um einen von meinem Vater dem Ihrigen während des Kaiserreichs, oder am Anfange der Restauration geleisteten Dienst.«

»Ja, Madame . . . Dann fügte ich bei, da ich nicht glaube, daß dieser doppelte Titel, unter dem ich Ihr Gatte werde, Sie zu irgend einem Danke verpflichte, so lasse ich Ihnen vollkommene Freiheit hinsichtlich Ihrer Gefühle für mich; ich selbst, obschon ich Verbindlichkeiten übernommen habe, behalte mir meine Unabhängigkeit vor; nie, so verführerisch Gott Sie geschaffen habe, sollen Sie durch meine ehelichen Ansprüche belästigt werden. Ich setzte endlich hinzu, schön, jung und zur Liebe fähig, wie Sie es seien, glaube ich sogar dieser angebotenen Freiheit keine andere Gränze geben zu müssen, als das Maß, das sie derselben, sie nach den gesellschaftlichen Convenienzen regelnd, würden setzen wollen. Nur nahm ich mir vor, über Sie zu wachem wie es ein nachsichtiger Vater bei seiner Tochter thut, und, – immer als ein Vater, unter dem Titel Wächter Ihres Rufes, der der meinige wurde, – den ungebührlichen Versuchen zu steuern, welche gewisse Menschen, durch Ihre Schönheit angezogen und geblendet, zu machen nicht verfehlen würden.«

»Mein Herr . . . «

»Ach! dieser Vatertitel, ich hatte bald das Recht, ihn anzunehmen: der Oberste starb plötzlich auf einer Reise, die er in Italien machte; mein Correspondent in Rom sandte mir diese traurige Nachricht zu. Ihr Schmerz, als Sie es erfuhren, war groß; die ersten Monate unserer Ehe sahen uns in Trauer gekleidet.«

»Oh! von Herzen, wie von Körper, das schwöre ich Ihnen, mein Herr.«

»Kann ich daran zweifeln, Madame, ich, der ich so viel Mühe hatte, nicht Sie dieses Unglück vergessen zu machen, sondern von Ihnen zu erlangen, daß Sie Ihre Verzweiflung in die Grenzen der Vernunft einschließen. Sie hatten die Güte, mir Gehör zu schenken; Sie legten am Ende die düsteren Kleider ab, oder vielmehr die düsteren Kleider verließen Sie am Ende; man sah Sie aus dieser Trauer hervortreten, wie in den ersten Frühlingstagen eine Blume aus der grauen Winterhülle hervortritt. Der Sammet der Jugend, die Frische der Schönheit waren nie von Ihren Wangen verschwunden, doch das Lächeln hatte sich von Ihren Lippen verbannt. allmählich . . . ah! machen Sie sich keinen Vorwurf daraus, Madame, das ist ein Gesetz der Natur . . . allmählich kam das verbannte Lächeln wieder, die verdüsterte Stirne klärte sich auf, die durch Seufzer beengte Brust fing an sich in freudigem Aufathmen zu erweitern; Sie kehrten zum Leben, zum Vergnügen, zur Coquetterie zurück; Sie wurden wieder Frau, und, lassen Sie mir diese Gerechtigkeit widerfahren, ich diente Ihnen als Führer und Stütze auf diesem schwierigen Wege, – schwieriger, als man glaubt, – der von den Thränen zum Lächeln, vom Schmerze zur Freude zurückbringt.«

»Ja,« sagte Frau von Marande, die Hand ihres Gatten ergreifend, »und lassen Sie mich diese redliche Hand drücken, die mich so geduldig, so liebreich, so brüderlich geführt hat.«

»Sie danken mir für eine Gunst, die Sie mir erwiesen haben! das ist wahrhaftig zu viel Güte von Ihnen.«

»Aber, mein Herr,« fragte Frau von Marande, ganz bewegt, – sei es nun von der Scene, welche stattfand, sei es von den Erinnerungen, die diese Scene in ihr zurückrief, »werden Sie wohl die Güte haben, mir zu erklären, worauf Sie abzielen?«

»Ah! verzeihen Sie Madame! ich vergaß sowohl die Stunde, die es ist, als den Ort, wo ich mich befinde, und die Müdigkeit, die Sie fühlen müssen.«

»Mein Herr, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie sich ewig in meinen Intentionen irren.«

»Ich fasse mich kurz, Madame. Ich sagte also, Ihre Rückkehr in die Welt nach einer Abwesenheit von mehr als einem Jahre habe eine lebhafte Sensation hervorgebracht. Sie hatten die Welt schön verlassen, sie sah Sie bezaubernd wieder: nichts verschönert so sehr, als der Succeß: von reizend wie Sie waren, machten Sie Ihre Successe anbetungswürdig.«

»Nun kommen Sie wieder auf Ihre Complimente zurück.«

»Nun kommen wir wieder auf die Wahrheiten zurück, dahin muß man immer zurückkommen, Madame. Lassen Sie mich Ihnen nun sagen, und ich werde mit ein paar Worten geendigt haben.«

»Ich höre.«

»Nun wohl, Madame, indem ich Sie aus der Dunkelheit hervorzog, die Ihre Trauerkleider auf Sie warfen, that ich, was Pygmalion that, als er seine Galatea aus dem Marmorblocke zog, wo sie vor Alter Augen verborgen war. Denken Sie sich nun Pygmalion als unsern Zeitgenossen, denken Sie sich, er führe seine Galatea in die Welt unter dem Namen . . . Lydie; denken Sie, statt Phygmalion zu lieben, liebe Galatea . . . nichts; – stellen Sie sich die Herzensangst des armen Pygmalion vor, die Leiden, ich sage nicht einmal seiner Liebe, sondern seines Stolzes, wenn er wird sagen hören: »»Nicht für sich hat der arme Bildhauer den Marmor belebt, sondern . . . für . . . ««

»Mein Herr, die Vergleichung . . . «

»Ja, ich kenne das Sprichwort: »»Vergleich ist nicht Vernunft;««9 das ist wahr. Kommen wir also auf die Wirklichkeit zurück, rein ohne Metapher. Nun wohl, Madame, diese erstaunliche Schönheit, die Ihnen tausend Freunde erobert, und mir tausend Neider schafft; diese wunderbare Anmuth, welche um Sie, wie Bienen um einen Rosenstrauch, die Blüthe der Elegants summen macht; diese Gewalt, die Sie über Alles üben, was Sie umgibt, und die unwiderstehlich Alles anzieht, was in Ihre Sphäre kommt; diese zauberische Schönheit endlich erschreckt mich und macht mich zittern, wie mich würde der Anblick eines Absturzes zittern machen, über dem ich in Ihrer theuren Gesellschaft spazieren ginge . . . Verstehen Sie mich, Madame?«

»Ich versichere Sie, nein, mein Herr,« antwortete Lydie.

Und mit einem reizenden Lächeln fügte sie bei:

»Was Ihnen, beiläufig bemerkt, beweist, daß ich nicht so viel Geist habe, als Sie manchmal zu sagen mir die Ehre erweisen.«

»Es ist mit dem Geiste wie mit der Sonne, Madame: er hat seine Stunden der Zurückgezogenheit und der Sammlung. Ich will also zugleich wie zu Ihrem Geiste, so zu Ihren Augen zu sprechen suchen. Erinnern Sie sich, daß Sie eines Tags, auf unserer Reise nach Savoyen, als wir von Entremont kommend, von der Höhe des Berges herab die Rhone erblickten, welche in der Sonne schimmerte wie ein Fluß von Silber, im Schatten wie ein Fluß von Azur, erinnern Sie sich, daß Sie plötzlich meinen Arm verließen, auf das Ploteau liefen und dann ganz erschrocken stehen blieben, da Sie, durch die einen schwachen Teppich bildenden Blumen und Kräuter, einen vor Ihren Schritten geöffneten Abgrund erschauten, der nur sichtbar war, wenn man den Rand erreicht hatte?«

»Oh! ja, ich erinnere mich dessen,« erwiderte die Augen schließend und leicht erbleichend Frau von Marande, »und es freut mich, daß ich mich erinnere, denn hätten Sie mich nicht festgehalten und zurückgezogen, so hätte ich wahrscheinlich nicht das Glück, Ihnen meinen Dank zu erneuern.«

»Ich begehrte ihn nicht, Madame; nur wünschte ich Ihnen durch ein Bild, und Ihre Erinnerungen erweckend, deutlicher, als ich es noch gethan, das zu erklären, was ich vorhin einen Abgrund nannte. Nun wohl, ich wiederhole, Ihre Schönheit erschreckt mich wie jene Schlucht von sechshundert Fuß Tiefe, welche Blumen und Kräuter bedeckten, und ich befürchte, wir werden eines Tags Beide davon verschlungen werden! . . . Diesmal verstehen Sie, Madame?«

»Ja, mein Herr, ich glaube, daß ich zu begreifen anfange,« antwortete die junge Frau die Augen niederschlagend.

»Fangen Sie an zu begreifen, so bin ich ganz ruhig,« erwiderte lächelnd Herr von Marande. »Sie werden sogleich völlig begreifen! . . . Ich sagte also, Madame, für Sie einen Vater ersetzend, – Sie wissen, daß ich nie andere Rechte, als diese in Anspruch nahm? – müsse ich die Augen mit einer gewissen Besorgniß auf die Schaaren von Schönen, Elegants, Dandys werfen, welche meine Tochter umgeben . . . Bemerken Sie wohl, Madame, daß meine Tochter jede Freiheit hat: in dieser funkelndem geputzten Schaar kann sie ihre Wahl treffen; aus dieser Wahl wird nie ein Unglück entstehen; nur halte ich es, nicht für mein Recht, sondern für meine Pflicht, ihr, immer als Vater, zu sagen: »»Gut gewählt, mein Kind . . . Schlecht gewählt, meine Tochter!««

»Mein Herr!«

»Doch, nein! ich irre mich, ich werde ihr das nicht sagen: ich lasse die Männer, die sich besonders mit ihr beschäftigen, die Revue passieren, und ich werde ihr meine Ansicht über diese Männer sagen . . . Wollen Sie meine Ansicht über Einige von denjenigen wissen, die sich gestern am meisten mit Ihnen beschäftigt haben?«

»Reden Sie, mein Herr-«

»Lassen Sie uns mit Monseigneur Coletti anfangen.«

»Oh! mein Herr!«

»Ich nenne Ihnen ihn nur der Erinnerung wegen und als passende Eröffnung der Liste; übrigens, Madame, ist Monseigneur Coletti ein reizender Prälat!«

»Ein Priester!«

»Sie haben Recht; auch bringen Sie mich sogleich auf Ihr Gefühl: ein Priester ist nicht gefährlich für eine Frau wie Sie . . . schön, jung, reich, frei . . . oder beinahe frei; und Monseigneur Coletti kann sich öffentlich oder insgeheim mit Ihnen beschäftigen, beim hellen Tage oder in der tiefsten Finsternis kommen, Niemand wird es einfallen, zu sagen, Frau von Marande sei die Geliebte von Monseigneur Coletti.«

»Und dennoch, mein Herr . . . « sagte die junge Frau, ihren Satz mit einem Lächeln abschneidend.

»Dennoch liebt er Sie, oder er ist vielmehr verliebt in Sie: Monseigneur Coletti liebt nur sich selbst; – das ist es, was Sie sagen wollen, nicht wahr?«

Das in Permanenz auf den Lippen von Frau von Marande gebliebene Lächeln war eine stillschweigende Beipflichtung zur Meinung ihres Mannes.

»Nun wohl,« fuhr der Banquier fort, »ein Anbeter in den hohen Würden der Kirche steht einer hübschen jungen Frau ziemlich wohl an, besonders wenn diese hübsche junge Frau weder spröde noch devot ist, und einen andern Liebhaber hat.«

»Einen andern Liebhaber!« rief Lydie.

»Bemerken Sie wohl, daß ich nicht gerade von Ihnen rede; ich generalisiere, ich sage eine hübsche junge Frau . . . Sie sind jung unter den Jungen, hübsch unter den Hübschen; doch Sie sind nicht die einzige junge, die einzige hübsche Frau von Paris, nicht wahr ?«

»Oh! ich hege diese Anmaßung durchaus nicht, mein Herr.«

»Monseigneur Coletti mag also gelten! Er läßt für Sie die beste Loge des Conservatoire aufbewahren, wenn die Orotorien kommen; er reserviert Ihnen die beste Tribune von Saint-Roch, um das Magnificat und das Dies irae zu hören, und er hat meinem Haushofmeister Recepte von Wildpretpurée gegeben, welche die Bewunderung Ihrer zwei alten Cicisbei, der Herrn von Courchamp und Montrond, erregten. Sodann ist da ein reizender Junge, den ich von ganzem Herzen liebe . . . «

Frau von Marande befragte ihren Gatten mit dem Blicke; dieser Blick bedeutete klar: »Wer das?«

»Lassen Sie mich auch sein Lob gegen Sie aussprechen, nicht als Dichter, nicht als dramatischer Schriftsteller, – Sie wissen, es ist abgemacht, daß die Banquiers nichts von der Poesie oder dem Theater verstehen, – sondern als Mensch . . . «

»Sie meinen Herrn . . . ?«

Frau von Marande zögerte.

»Ich meine Herrn Jean Robert, bei Gott!«

Eine zweite Purpurwolke, noch viel intensiver und tiefer gefärbt als die erste, zog über das Gesicht von Frau von Marande, ihr Gatte verlor nicht die kleinste Nuance hiervon; er hatte jedoch den Anschein, als gäbe er nicht darauf Acht.

»Sie lieben Herrn Jean Robert?»fragte die junge Frau.

»Warum nicht? Er ist von gutem Hause; sein Vater nahm bei den republikanischen Heeren einen Grad ein, der über dem war, welchen der Ihrige bei den kaiserlichen Heeren einnahm; hätte er sich mit der Familie Napoleon vereinigen wollen, so wäre er als Marschall von Frankreich gestorben, statt sterbend seine Familie im Elend oder beinahe im Elend zurückzulassen. Der junge Mann hat Alles das in die Hand genommen; er ist muthig durch die Schwierigkeiten des Lebens gegangen; das ist ein offenes redliches Herz, das vielleicht seine Liebe, aber durchaus nicht seine Antipathien zu verbergen weiß. Sehen Sie, mich zum Beispiel, mich liebt er nicht . . . «

»Wie, er liebt Sie nicht?« rief Frau von Marande, die sich hinreißen ließ; »ich habe ihm doch gesagt . . . «

»Er soll sich den Anschein geben, als liebte er mich . . . Nun wohl, der arme Junge, obschon er, ich bezweifle es nicht, die größte Rücksicht für Ihre Ermahnungen hat, vermöchte doch bei diesem Punkte nicht dazu zu gelangen, daß er Ihnen gehorchen würde. Nein, er liebt mich nicht! sieht er mich auf einer Seite der Straße kommen, und er kann ohne Unhöflichkeit auf die andere gehen, so thut er es; begegne ich ihm, und er ist, unversehens erfaßt, genöthigt, mich zu grüßen, so geschieht es mit einer Kälte, von der jeder Andere als ich verletzt wäre, der ich diese Pflicht der Höflichkeit erfülle, um ihn eine Einladung bei Ihnen annehmen zu machen. Gestern habe ich ihn gezwungen, buchstäblich gezwungen, mir die Hand zu geben, und wenn Sie wüßten, was der arme Junge während der ganzen Zeit, die seine Hand in der meinigen blieb, gelitten hat! Das hat mich gerührt, und je mehr er mich haßt, desto mehr liebe ich ihn . . . Sie begreifen das, nicht wahr, Madame? Das ist ein undankbarer Mensch, aber ein redlicher Mensch.«

»Wahrhaftig, mein Herr, ich weiß nicht, wie ich das, was Sie mir sagen, nehmen soll!«

»Wie man Alles nehmen muß, was ich sage: als die Wahrheit. Der arme Junge glaubt sich im Unrechte gegen mich, und das macht ihn befangen.«

»Mein Herr, in welchem Unrechte?«

»Ich sage Ihnen nicht, er sei kein Geisterseher; er ist Dichter, und jeder Dichter ist es mehr oder weniger . . . Ah! eine Empfehlung: nicht wahr, er macht Ihnen Verse?«

»Mein Herr . . . «

»Er hat gemacht; ich habe sie gesehen.«

»Er läßt sie aber nicht drucken!«

»Er hat Recht, wenn sie schlecht sind; er hat Unrecht, wenn sie gut sind. Er thue sich meinetwegen keinen Zwang an. Ich setze indessen eine Bedingung.«

»Welche, wenn ich fragen darf? Daß mein Name nicht dabei stehe?«

»Im Gegentheile, im Gegentheile! Teufel! Geheimnisse gegen uns, seine Freunde! Nein! . . . Ihr Name mag mit allen Buchstaben dabei stehen! Wer Henkers wird Schlimmes in Versen gemacht von einem Dichter an eine hübsche Frau finden? Wenn Herr Jean Robert Verse an eine Blume, an den Mond, an die Sonne macht, setzt er einen Anfangsbuchstaben dazu? Nicht wahr, nein? er setzt ihren ganzen Namen. Wie die Blume, wie der Mond, wie die Sonne, sind Sie eine von den sanften, schönen, wohlthätigen Schöpfungen der Natur: er behandle Sie also wie die Sonne, wie den Mond, wie die Blumen.«

»Ah!«mein Herr, wenn Sie im Ernste sprechen . . .

»Ja, ich verstehe, das macht Ihnen die Brust ein wenig leicht.«

»Mein Herr . . . «

»Das ist also abgethan; Herr Jean Robert bleibt, er mag wollen oder nicht, unter der Zahl unserer Freunde; und wundert man sich über seine unausgesetzten Aufmerksamkeiten, so sagen Sie, – was wahr ist« – weder Sie, noch er haben diese beharrlichen Aufmerksamkeiten gewünscht, sondern ich, der ich dem Talente, dem Zartgefühle und der Discretion von Herrn Jean Robert volle Gerechtigkeit widerfahren lasse.«

»Was für ein sonderbarer Mann sind Sie doch, mein Herr!« rief Frau von Marande, »und wer, wird mir das Geheimniß Ihrer seltsamen Zuneigung für mich sagen?«

»Belästigt sie Sie?«« fragte Herr von Marande mit einem Lächeln, das nicht ganz von Melancholie frei war.

»Oh! Nein, Gott sei Dank! . . . nur läßt sie mich befürchten, daß . . . «

»Nun, was läßt sie Sie befürchten ?«

»Daß an einem schönen Tage . . . Doch nein, es ist unnöthig, daß ich Ihnen sage, was mir durch den Geist, oder vielmehr durch das Herz geht.«

»Reden Sie, Madame, wenn das, was Sie zu sagen haben, einem Freunde gesagt werden kann.«

»Nein« das hätte beinahe das Ansehen einer Erklärung.«

Herr von Marande schaute seine Frau fest an.

»Aber, mein Herr,« sagte sie, »ist Ihnen nicht auch manchmal Eines eingefallen?«

Herr von Marande schaute fortwährend seine Frau an.

»Was? Lassen Sie hören, Madame!»fragte er, nachdem er einen Augenblick geschwiegen hatte.

»Daß sich . . . so lächerlich das sein mag, eine Frau in ihren Mann verlieben kann.«

Eine Wolke zog rasch über das Gesicht von Herrn von Marande; er schloß die Augen, und die Dunkelheit bildete sich, so zu sagen, auf seiner Physiognomi.

Alsdann erwiderte er den Kopf schüttelnd und als erwachte er aus einem Traume:

»Ja, so lächerlich es sein mag, das kann geschehen. Bitten Sie Gott, Madame, daß ein solches Phänomen nicht zwischen uns eintrete!«

Und die Stirne faltend, fügte er mit leiser Stimme bei:

»Das wäre ein zu großes Unglück für Sie und besonders für mich!«

Dann stand er auf und mochte ein paar Gänge im Zimmer, wobei er sich bemühte, in dem Theile zu bleiben, der am Kopfe des Bettes von Frau von Marande war, und wohin ihm daher die Blicke von dieser nicht folgen konnten.

Aber, Dank sei es einem in ihrer Nähe befindlichen Spiegel, Lydie bemerkte, daß sich ihr Gatte die Stirne und vielleicht sogar die Augen mit einem Taschentuche abwischte.

Ohne Zweifel entging es Herrn von Marande nicht, seine Aufregung, was auch die Ursache davon sein mochte, verrathe ihn in den Augen seiner Frau; denn, sein Gesicht erheiternd und seine Lippen und seine Augen zum Lächeln zwingend, setzte er sich wieder in den ein paar Minuten leer gebliebenen Lehnstuhl.

Sodann, nachdem er noch einen Augenblick geschwiegen hatte, sagte er mit seiner sanftesten Stimme:

»Nun« Madame« nachdem ich die Ehre gehabt habe, Ihnen meine Meinung über Monseigneur Coletti und Herrn Jean Robert zu sagen, habe ich Sie nach um die Ihrige über Herrn Lorédan von Valgeneuse zu bitten.«

Frau von Marande schaute ihren Gatten mit einem gewissen Erstaunen an.

»Mein Herr,« antwortete sie, »meine Meinung über ihn ist die der ganzen Welt.«

»So sagen Sie mir die der ganzen Welt, Madame.«

»Herr von Valgeneuse . . . «

»Sie schwieg, verlegen, weiter zu gehen.

»Verzeihen Sie, mein Herr,« sagte sie, »Sie scheinen mir Vorurtheile gegen Herrn von Valgeneuse zu haben.«

»Vorurtheile, ich? Gott behüte mich, daß ich Vorurtheile gegen Herrn von Valgeneuse habe! Nein, ich höre nur, was man sagt . . . Sie wissen, nicht wahr, was man von Herrn von Valgeneuse sagt?«

»Er ist reich, er hat Successe, er ist bei Hof sehr wohl gelitten: das ist mehr als es braucht, daß man viel Schlimmes von ihm sagt.«

»Wissen Sie, was man von ihm Schlimmes sagt.?«

»Wie ich das Schlimme weiß, mein Herr; sehr mittelmäßig.«

»Nun, so hören Sie, was man sagt . . . Sprechen wir zuerst von seinem Reichthum.«

»Er ist unbestritten.«

»Gewiß, in her Thatsache seiner Existenz; doch bestreitbar, wie es scheint, in der Art, wie er ihn erlangt hat.«

»Hat nicht der Vater von Herrn von Valgeneuse das Vermögen eines älteren Bruders geerbt?«

»Ja; nur ist über diese Erbschaft eine düstere Geschichte im Umlaufe; es handelt sich um etwas wie um ein Testament, das beim Tode dieses älteren Bruders verschwunden wäre, der in dem Augenblicke, wo man es am wenigsten erwartete, von einem Schlage getroffen worden sein soll. Es war ein Sohn da. . . . Haben Sie hiervon sprechen hören, Madame ?«

»Unbestimmt: die Gesellschaft, die mein Vater sah, war nicht die von Herrn von Valgeneuse.«

»Ihr Vater war ein redlicher Mann, Madame, und es gibt ein Sprichwort über die Gesellschaft, die man sieht. Nun wohl, es war ein Sohn da, ein reizender junger Mann, den die Erben, die, welche man anklagt, – sage ich, welche man anklagt, so handelt es sich, wohlverstanden, nicht um eine Anklage vor dem Assisenhofe, – den die Erben, aus dem Hause seines Vaters gejagt haben; denn er war notorisch der Sohn des Marquis von Valgeneuse, der Neffe des Grafen und folglich der Vetter von Herrn Lorédan und Fräulein Susanne. An eine groß-artige Existenz gewöhnt, soll sich dieser junge Mann, der sich plötzlich von allen Mitteln entblößt sah, sodann erschossen haben.«

»Das ist in der That eine düstere Geschichte!«

»Ja, die aber, statt die Familie zu verdüstern, dieselbe sehr erfreut hat. Lebte der junge Mann, so konnte sich jeden Augenblick das Testament wiederfinden und der wahre Erbe mit diesem Testamente bewaffnet wieder erscheinen; war aber der Erbe todt, so gab es keine Chance, daß das Testament allein wiedererschien. Dies, was den Reichthum betrifft. – Was die Successe von Herrn von Valgeneuse in der Welt betrifft, so nehme ich an, Sie verstehen unter dem Worte Succeß Liebesglück.«

»Nennt man das nicht so?« sagte lächelnd Frau von Marande.

»Nun, was seine Successe betrifft, so scheint es, daß sie sich auf Frauen von der großen Welt beschränken, und daß, wenn er sich an das wendet, was man Mädchen aus dem Volke nennt, trotz des edelmüthigen Beistands, den ihm bei solchen Gelegenheiten seine Schwester Fräulein Susanne von Valgeneuse leistet, der junge Mann zuweilen genöthigt ist, Gewalt anzuwenden.«

»Ah! mein Herr, was höre ich da?«

»Etwas was Ihnen Herr Coletti wahrscheinlich besser sagen würde, als ich; denn ist Herr von Valgeneuse gut bei Hofe, so ist dies so durch die Kirche.«

»Und Sie sagen,« fragte Frau von Marande, welche ein gewisses Interesse an diesen, wahren oder falschen, Anschuldigungen nahm; »und Sie sagen, Fräulein Susanne unterstütze ihren Bruder bei seinen Liebesunternehmungen?«

»Ah! das, das ist bekannt, und wahrhaftig, die Personen, welche die leidenschaftliche Freundschaft kennen, welche Fräulein Susanne für ihren Bruder hegt, tragen ihr Rechnung dafür. Fräulein Susanne unterscheidet sich dadurch von ihrem Bruder, daß sie das Familienleben liebt, und daß sie alle Vergnügungen, beinahe alle wenigstens, in ihrem Hause sucht.«

»Ah! mein Herr, und Sie glauben an solche Verleumdungen?«

»Ich, Madame, ich glaube an nichts, außer an den Curs der Rente, und ich muß diesen noch im Moniteur gedruckt sehen. Doch das, an was ich, zum Beispiel, glaube, ah! das ist an die Geckenhaftigkeit und an die Indiskretion von Herrn von Valgeneuse. Er ist wie die Schnecke in dieser Hinsicht: er beschmutzt die Reputationem die er nicht frißt.«

»Ah! Sie lieben Herrn von Valgeneuse nicht mein Herr!« sagte Frau von Marande.

»Nein, ich gestehe es . . . Sollten Sie ihn zufällig lieben, Madame?«

»Ich! Sie fragen mich, ob ich Herrn Lorédan liebe?«

»Mein Gott! ich frage Sie das, wie ich Sie etwas Anderes fragen würde; nur habe ich mich eines schlechten Ausdruckes bedient; ich weiß wohl, daß Sie Niemand im absoluten Sinne des Wortes lieben. Ich hätte Sie fragen müssen: »»Gefällt Ihnen Herr Lorédan?«

»Er ist mir gleichgültig?«

»Wahrhaftig, Madame?«

»Oh! ich betheure es Ihnen; nur möchte ich eben so wenig ihm, als einem Andern ein Unglück widerfahren sehen, das er nicht verdient hätte.«

»Ei! wer kann solche Dinge wünschen? Ich versichere Ihnen auch, Madame« daß – wenigstens von meiner Seite, – Herrn von Valgeneuse nur verdientes Unglück widerfahren wird.«

»Welches Unglück kann denn Herr von Valgeneuse verdienen, und wie könnte ihn dieses Unglück von Ihnen aus treffen?«

»Ei! Madame, das ist ganz einfach! So, zum Beispiel, hat Ihnen heute Nacht Herr von Valgeneuse sehr beharrlich den Hof gemacht . . . «

»Mir?«

»Ihnen, ja, Madame . . . es war nichts Ungebührliches dabei, es geschah bei Ihnen, und man konnte diese Bestrebungen von Herrn von Valgeneuse, unablässig auf Ihrer Ferse zu sein, als ein . . . vielleicht übertriebenes, jedoch entschuldbares Zeichen von Höflichkeit gegen seine Wirthin betrachten. Sie gehen indessen, wie Sie wohl begreifen? noch zu andern Soiréen als den Ihrigen; Sie werden Herrn von Valgeneuse in der Welt begegnen: nun wohl, wenn er nur in acht Soiréen anderswo thut, was er hier gethan hat, so sind Sie eine kompromittierte Frau. Ei! mein Gott, ich will Sie nicht erschrecken, Madame; doch an dem Tage, wo Sie eine kompromittierte Frau sein werden, ist Herr von Valgeneuse ein todter Mann!«

Frau von Marande stieß einen Schrei aus.

»Ah! mein Herr,« sagte sie, »ein todter Mann meinetwegen! getödtet für mich! das wird der Gewissensbiß meines ganzen Lebens sein.«

»Ei! wer sagt Ihnen denn, daß ich Herrn Lorédan für Sie und Ihretwegen tödten würde?«

»Sie selbst, mein Herr.«

»Ich habe nicht ein Wort hiervon gesagt. Tödtete ich Herrn Lorédan für Sie oder Ihretwegen, so wären Sie noch vielmehr nach als vor seinem Tode kompromittiert; nein, ich würde ihn tödten wegen des Preßgesetzes oder wegen der letzten Revue der Nationalgarde, wie ich Herrn von Bedmar getödtet habe.«

»Herrn von Bedmar?« rief Lydie furchtbar erbleichend.

»Nun wohl,« fuhr Herr von Marande fort, »hat man je erfahren , daß es für Sie oder Ihretwegen geschehen ist?«

»Sie haben Herrn von Bedmar getödtet?«wiederholte Frau von Marande.

»Ja; wußten Sie denn das nicht?«

»Ah! mein Gott!«

»Ich gestehe Ihnen indessen, daß ich einen Augenblick zögerte. Sie wissen oder Sie wissen nicht, daß ich Gründe hatte, Herrn von Bedmar zu verachten; bei einem Umstande hatte ich die Ueberzeugung erlangt, sein Benehmen sei nicht das eines redlichen Mannes gewesen. Man schrieb mir, – einer meiner Correspondenten aus Italien, – am 20. November 1824 werde Herr von Bedmar in Livorno sein. Ich erinnerte mich, daß ich ein wichtiges Geschäft in Livorno hatte; ich traf am 19. November dort ein: Herr von Bedmar traf ebenfalls ein. Dann bekamen wir, ich weiß nicht, wie das zuging, im Hafen von Livorno, in dem Augenblicke, wo er hier landete. einen Streit wegen einer ganz geringfügigen Sache, wegen eines Cominissionärs: der Streit erbitterte sich; kurz ich fand mich beleidigt, und forderte von ihm Genugthuung wegen dieser Beleidigung, wobei ich ihm, wie das meine Gewohnheit ist, die Wahl der Waffen ließ: er hatte Unrecht, die Pistole zu wählen, eine ungeschlachte Waffe, welche zerreißt, zerschmettert, tödtet. Auf der Stelle gaben wir uns Rendez-vous in den Cascine von Pisa. Auf dem Kampfplatze angekommen , stellten uns unsere Zeugen zwanzig Schritte aus einander; ich warf einen Louis d’or in die Luft, um zu wissen, wer zuerst schießen sollte: das Loos fiel ihm zu; er schoß . . . ein wenig tief; die Kugel durchbohrte mir den Schenkel.«

»Durchbohrte Ihnen den Schenkel?« rief Frau von Marande.

»Ja, Madame, glücklicher Weise, ohne den Knochen anzugreifen.«

»Ich habe aber nie erfahren, daß Sie verwundet worden sind.«

»Wozu Sie mit einer Wunde plagen, die in vierzehn Tagen geheilt war.«

»Und verwundet, wie Sie waren, mein Herr . . . ?«

»Legte ich auf ihn an . . . In diesem Augenblicke geschah es, wie ich erwähnte, daß ich zögerte, es war ein sehr hübscher Junge, im Genre von Herrn von Valgeneuse; ich sagte mir: »»Vielleicht wird er, wie Herr von Valgeneuse, von einer Mutter, von einer Schwester geliebt?« ich zögerte . . . Hielt ich um eine Linie rechts oder links, so fehlte ich ihn, und da ich verwundet war, so endigte sich das Duell hiermit. Doch ich erinnerte mich, daß Herr von Bedmar ein junges Mädchen schändlich betrogen hattet daß er auch am Ende seiner Pistole den Vater dieses Mädchens gehabt hatte, der herbeigekommen war, um von ihm Genugthuung für diesen Schimpf zu verlangen, und daß er, der Elende! den Vater dieses Mädchens getödtet hatte. Da zielte ich gerade auf die Brust, die Kugel durchbohrte ihm das Herz, und er fiel, ohne einen Seufzer von sich zu geben.«

»Mein Herr ,« rief Frau von Marande, »mein Herr . . . Sie sagen, mein Vater . . . ?«

»Sei von Herrn von Bedmar im Duell getödtet worden; das ist die Wahrheit Sie sehen, daß ich Recht gehabt habe, ihm eben so wenig Gnade zu gewähren, als ich bei einem ähnlichen Umstande Herrn von Valgeneuse gewähren würde.«

Und seine Frau mit einem Gesichte so ruhig wie bei seinem Eintritte grüßend, ging Herr von Marande hinaus, gefolgt von dem erschrockenen Blicke von Frau von Marande.

»Ah!« murmelte Lydie, indem sie ihren Kopf wieder auf ihr Kissen fallen ließ, »Gott verzeihe mir, es gibt Augenblicke, wo ich glaube, daß dieser Mann mich liebt . . . und daß ich ihn liebe!«

9

Comparaison n’est pas raison.

Salvator

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