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Zweiter Band
VI
Der Paß
ОглавлениеEs schlug vier Uhr in dem Augenblicke, wo der Abbé Dominique den Fuß aus der Conciergerie setzte. Vor der Thüre fand der Mönch Salvator wieder. Der junge Mann sah, in welcher Unruhe der Abbé war, errieth, was in seiner Seele vorging, und begriff, daß mit ihm von seinem Vater sprechen seine Wunde wiederbeleben hieß. Er sagte ihm auch nichts Anderes als die Worte: , »Und was gedenken Sie nun zu thun?«
»Ich reise nach Rom ab.«
»Wann?«
»So bald als möglich.«
»Brauchen Sie einen Paß?«
»Vielleicht könnte mein Rock mir denselben ersetzen; doch gleichviel, um keinen Verzug zu erleiden, ziehe ich es vor, einen zu haben.«
»Holen wir einen Paß; wir sind nur zwei Schritte von der Präfectur, und mit meinem Beistande werden Sie, glaube ich, nicht lange zu warten haben.«
Fünf Minuten nachher traten Sie in den Hof der Präfectur ein.
In dem Augenblicke, wo sie über die Thürschwelle des Paßbureau schritten, stieß in dem finsteren Gange ein Mann an sie.
Salvator erkannte Herrn Jackal.
»Empfangen Sie meine Entschuldigungen, Herr Salvator,« sagte der Polizeimann, als er den jungen Mann erkannte; »ich frage Sie diesmal nicht, durch welchen Zufall ich das Glück habe, Ihnen zu begegnen.«
»Und warum fragen Sie das nicht, Herr Jackal?«
»Ei! weil ich es weiß.«
»Sie wissen, was mich hierher führt?«
»Ist es nicht mein Handwerk, Alles zu wissen?«
»Ich komme also hierher, lieber Herr Jackal . . . ?«
»Um einen Paß zu holen, lieber Herr Salvator.«
»Für mich?« fragte lachend Salvator.
»Nein, sondern für diesen Herrn,« antwortete Herr Jackal, mit dem Finger auf den Mönch deutend.
»Wir sind vor der Thüre des Bureau; Bruder Dominique ist bei mir; Sie wissen, daß mich mein Gewerbe in Paris zurückhält; es ist also nicht schwer, zu errathen, lieber Herr Jackal, daß ich einen Paß hole, und daß der Paß für diesen Herrn ist.«
»Ja, schwieriger aber war es, Ihren Wunsch vorherzusehen.«
»Ah! ah . . . Und Sie haben ihn vorhergesehen?«
»So weit es meinem armen kleinen Scharfsinne erlaubt war, dies zu thun.«
»Ich begreife nicht.«
»Wollen Sie mir die Freundschaft erweisen, mir mit dem Herrn Abbé zu folgen, lieber Herr Salvator? Dann werden Sie vielleicht begreifen?«
»Und wohin soll ich Ihnen folgen?«
»Ei! in den Saal, wo man die Pässe abgibt. Sie werden den des Herrn Abbé ganz ausgefertigt finden!«
»Ganz ausgefertigt?« sagte Salvator mit einer Miene des Zweifels.
»Ah! mein Gott, ja,« erwiderte Herr Jackal mit jener Treuherzigkeit, die er so gut auf seinem Gesichte auszubreiten wußte.
»Selbst mit dem Signalement?«
»Selbst mit dem Signalement. Es muß nur die Unterschrift des Herrn Abbé dabei fehlen.«
Sie waren vor dem mittleren Bureau der Thüre gegenüber angelangt.
»Den Paß von Herrn Dominique Sarranti,« sagte Herr Jackal zu dem, in seinem kleinen hölzernen Käfig eingeschlossenen, Bureauchef.
»Hier, mein Herr,« erwiderte der Bureauchef, indem er den Paß Herrn Jackal reichte, der ihn sodann dem Mönche übergab.
»Das ist es wohl, nicht wahr?« fuhr Herr Jackal fort, während Dominique einen erstaunten Blick auf das officielle Papier warf.
»Ja, mein Herr,« antwortete der Abbé; »in der That, das ist es.«
»Nun wohl,« sprach Salvator, »wir haben nun nichts mehr zu thun, als den Paß von Monseigneur dem Nuntius visiren zu lassen.«
»Das ist etwas Leichtes,« erwiderte Herr Jackal, indem er tief aus seiner Tabatiere schöpfte und mit Wollust eine Prise Tabak schlürfte.
»Sie leisten mir da einen wahren Dienst, lieber Herr Jackal,« sagte Salvator, »und ich weiß nicht, wie ich Ihnen meine Dankbarkeit bezeigen soll.«
»Reden wir nicht hiervon; sind die Freunde unserer Freunde nicht unsere Freunde?«
Herr Jackal sprach diese Worte mit einer solchen Schulternbewegung, mit einem solchen Ausdrucke von Treuherzigkeit, daß ihn Salvator voll Zweifel anschaute.
Es gab Augenblicke, wo er nahe daran war, Herrn Jackal für einen Philosophen zu halten, der sein Handwerk als Polizeimann aus Liebe für die Menschheit treibe.
Doch gerade in diesem Momente warf ihm Herr Jackal von unten einen von jenen Blicken zu, welche von seiner Verwandtschaft mit dem Thiere zeugten, an das sein Name erinnerte.
Dann winkte er Dominique, ihn zu erwarten, und sagte:
»Zwei Worte, lieber Herr Jackal.«
»Vier, Herr Salvator . . . sechs, ein ganzes Wörterbuch; es ist ein so großes Vergnügen für mich, mit Ihnen zu plaudern, daß ich, wenn ich dieses Vergnügen habe, wünschte, die Conversation würde gar nie endigen.«
»Sie sind sehr gut,« sagte Salvator.
Und trotz seines inneren Widerstrebens gegen diese Art von Genossenschaft, nahm er den Arm des Polizeimannes.
»Mein lieber Herr Jackal, sagen Sie mir zwei Dinge . . . «
»Mit großem Vergnügen, lieber Herr Salvator.«
»In welcher Absicht haben Sie diesen Paß vorbereitet?«
»Das ist das erste von den zwei Dingen, die Sie mich zu fragen haben?«
»Ja.«
»Ei! in der Absicht, Ihnen angenehm zu sein.«
»Ich danke . . . Wie haben Sie nun gewußt, Sie werden mir angenehm sein, wenn Sie einen Paß aus den Namen von Herrn Dominique Sarranti ausfertigen lassen?«
»Weil Herr Dominique Sarranti Ihr Freund ist, so weit ich es an dem Tage, wo Sie ihn am Bette von Herrn Colombau trafen, beurtheilen konnte.«
»Sehr gut! Doch wie haben Sie errathen, er sei im Begriffe, eine Reise zu machen?«
»Ich habe es nicht errathen: er hat es selbst Seiner Majestät gesagt, als er sie um einen Aufschub von fünfzig Tagen bat.«
»Er hat Seiner Majestät aber nicht gesagt, wohin er gehe.«
»Oh! ein schöner Witz, lieber Herr Salvator! Herr Dominique Sarranti verlangt einen Aufschub von fünfzig Tagen vom König, um eine Reise von dreihundert fünfzig Meilen zu machen. Wie weit ist es nun von Paris nach Rom? Dreizehnhundert Kilometer auf der Straße von Siena, vierzehnhundert dreißig Kilometer auf der Straße von Perugia; die mittlere Summe ist also dreihundert fünfzig Meilen. Mit wem kann es Herr Sarranti unter den Umständen, in denen er sich befindet, zu thun haben? Mit dem Papste, denn er ist Mönch: der Papst ist der König der Mönche; und Ihr Freund will es in Rom versuchen, den König der Mönche für seinen Vater zu interessieren, damit er den König von Frankreich um seine Begnadigung bitte; das ist das Ganze, lieber Herr Salvator. Ich könnte Sie glauben lassen, ich sei ein Zauberer; ich will Ihnen lieber ganz einfach die Wahrheit sagen. Sie sehen nun, der Erste der Beste hätte, von Deduction zu Deduction fortschreitend , die Sache so geschickt als ich zu ihrem Ziele geführt. Herr Dominique hat mir also nur noch in Ihrem und in seinem Namen zu danken und nach Rom abzureisen.«
»Nun wohl,« sagte Salvator, »das wird er sogleich thun.«
Sodann den Mönch rufend:
Mein lieber Dominique, hier ist Herr Jackal bereit, Ihre Danksagungen zu empfangen.«
Der Mönch näherte sich, dankte Herrn Jackal, und dieser nahm die Complimente von Dominique mit derselben Treuherzigkeit und Einfachheit hin, die er während der ganzen Scene zur Schau gestellt hatte.
Die zwei Freunde verließen die Präfectur.
Sie machten stillschweigend ein Hundert Schritte.
Nach hundert Schritten blieb der Abbé Dominique stehen, legte seine Hand auf den Arm seines nachdenkenden Begleiters und sagte:
»Ich bin unruhig, mein Freund.«
»Ich auch,« erwiderte Salvator.
»Die Zuvorkommenheit dieses Polizeimannes scheint mir nicht natürlich.«
»Mir auch nicht . . . Doch lassen Sie uns weiter gehen; ohne Zweifel folgt man uns und bespäht uns.«
»Welches Interesse glauben Sie, daß er gehabt hat, um so meine Reise zu erleichtern?« fragte der Abbé der Ermahnung von Salvator gehorchend.
»Ich weiß es nicht, doch ich glaube wie Sie, daß er eines gehabt hat.«
»Glauben Sie an das, was er Ihnen von seinem Wunsche, Ihnen angenehm zu sein, gesagt hat?«
»Ei! mein Gott, das ist streng genommen möglich: es ist ein seltsamer Mensch, der zuweilen, man weiß nicht warum, noch wie, von Gefühlen erfaßt wird, die seinem Stande nicht anzugehören scheinen. In einer Nacht, als ich durch die verlorenen Quartiere der Stadt zurückkehrte, hörte ich in einer von jenen Straßen, welche keinen oder vielmehr einen sehr unglücklichen Namen haben, – ich hörte am Ende der Rue de la Tuerie13, in der Nähe der Rue de la Vieille-Lanterne, dumpfe Schreie. Ich bin immer bewaffnet, – Sie müssen begreifen, warum, Dominique; ich eilte nach der Seite, wo ich das Geschrei hörte. Ich sah von der schmutzigen Treppe herab, welche von der Rue de la Tuerie nach der Rue de la Vieille-Lanterne führt, einen Mann, der sich mit Händen und Füßen zwischen drei Männern wehrte, die ihn durch die offene Thüre einer Abzucht nach der Seine zu schleppen suchten. Ich nahm mir nicht die Zeit, die Treppe hinabzusteigen: ich schlüpfte unter dem Geländer durch, und ließ mich auf die Straße fallen. Ich war zwei Schritte von der Gruppe; Einer von denen, welche sie bildeten, machte sich davon los und sprang mit aufgehobenem Stocke auf mich zu. Er rollte in demselben Augenblicke von einem Pistolenschusse getödtet in die Gosse. Bei diesem Anblicke, beim Lärmen des Schusses entflohen die zwei anderen Männer, und ich befand mich allein mit dem, welchem mich die Vorsehung auf eine so wunderbare Weise zu Hilfe geschickt hatte. Es war Herr Jackal. Ich kannte ihn damals nur dem Namen nach, – wie ihn Jedermann kennt. Er sagte mir, wer er sei, und wie er sich hier befinde: er sollte eine Haussuchung in einem schlechten Garni vornehmen, das in der Rue de la Vieille-Lanterne ein paar Schritte von der Treppe, liegt; da er eine Viertelstunde vor seinen Agenten ankam, so hielt er sich am Gitter der Abzucht verborgen, als sich plötzlich das Gitter öffnete und drei Männer über ihn Herfielen. Diese drei Männer waren gleichsam die Abgeordneten aller Diebe und aller Mörder von Paris, welche geschworen hatten, sich des Herrn Jackal zu entledigen, dessen Beaufsichtigung eine Geißel für sie war. Und in der That, sie waren im Begriffe, ihr Versprechen zu halten und sich von ihm zu befreien, als ich zu ihrem Unglücke, und besonders zum Unglücke von dem, welcher zu meinen Fußen röchelte, Herrn Jackal zu Hilfe kam . . . Seit jenem Tage hat Herr Jackal eine gewisse Dankbarkeit für mich und leistet mir, mir und meinen Freunden, alle die kleinen Dienste, die er mir leisten kann, ohne seine Pflicht als Ches der Sicherheitspolizei zu verletzen.«
»Es ist also in der That möglich, daß er die Absicht gehabt hat, Ihnen angenehm zu sein,« sagte der Abbé Dominique.
»Das ist möglich: doch lassen Sie uns in mein Haus gehen: Sehen Sie jenen trunkenen Menschen: er folgt uns von der Rue de Jerusalem an: sobald wir jenseits der Thüre sind, wird er seinen Rausch verloren haben.«
Salvator zog einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Gangthüre, ließ Dominique vorangehen, und schloß die Thüre wieder hinter sich.
Roland hatte seinen Herrn gerochen: die zwei jungen Leute fanden auch den Hund im ersten Stocke und Fragola Salvator vor der Thüre ihrer Wohnung erwartend.
Das Mittagsbrod stand bereit, denn die Zeit war unter diesen verschiedenen Ereignissen verlaufen, und es hatte sechs Uhr geschlagen.
Obschon ernst, war das Gesicht der beiden Männer doch ruhig. Es war also nichts wirklich Aergerliches vorgefallen.
Fragola befragte Salvator mit dem Blicke.
»Alles geht gut,« erwiderte dieser mit einem Halblächeln.
»Der Herr Abbé erweist uns die Ehre, unser Mahl zu theilen?« sagte Fragola.
»Geben Sie mir nun Ihren Paß, mein Bruder,« sprach Salvator.
Der Mönch zog aus seiner Brust den zusammengefalteten Paß.
Salvator entfaltete den Paß, untersuchte ihn sorgfältig, drehte ihn hin und her, jedoch ohne etwas Verdächtiges zu bemerken.
Endlich hielt er ihn an eine Fensterscheibe.
In der Durchsichtigkeit des Papiers erschien ein Buchstabe, der in jeder andern Lage, als in der, in welche Salvator das Papier gebracht hatte, unsichtbar gewesen wäre.
»Sehen Sie?« sagte Salvator.
»Was?« fragte der Abbé.
»Dieser Buchstabe.«
Und er deutete mit dem Finger auf den Buchstaben.
»Ein S?«
»Ja, ein S; begreifen Sie?«
»Nein.«
»Ein S ist der erste Buchstabe des Wortes surveillance14«
»Nun?«
»Nun, das bedeutet: »»Im Namen des Königs von Frankreich, empfehle ich, Jackal, Vertrauter des Herrn Polizeipräfecten, allen französischen Agenten, im Interesse Seiner Majestät, und allen auswärtigen Agenten, im Interesse ihrer respectiven Regierungen, dem Inhaber dieses Passes auf der Spur zu folgen, ihn zu überwachen, ihn auf der Landstraße anzuhalten, und im Nothfalle gefänglich einzuziehen;«« mit einem Worte, mein Freund, Sie stehen, ohne es zu wissen, unter der Aufsicht der hohen Polizei.«
»Was liegt mir im Ganzen daran?« sagte der Abbé.
»Oh! geben wir wohl Acht,« erwiderte ernst Salvator; »die Art, wie der Proceß Ihres Vaters geführt worden ist, beweist, daß man sich nicht ungern seiner entledigen würde, und ich will das Verdienst von Fragola nicht hervorheben,« fügte Salvator mit einem unmerklichen Lächeln bei, »doch es hat nicht weniger gebraucht, als die hohen Einflüsse, über die sie verfügt, daß Sie Ihre Audienz erhielten, und in Folge Ihrer Audienz die zwei Monate Aufschub, die Ihnen der König bewilligt hat.«
»Glauben Sie, der König würde sein Versprechen nicht halten?«
»Nein; doch Sie haben nur zwei Monate.«
»Das ist mehr, als ich brauche, um nach Rom zu gehen und von dort zurückzukehren,«
»Wenn man Ihnen keine Verlegenheiten bereitet, keine Hindernisse, in den Weg legt, Sie nicht verhaftet; wenn man Sie endlich, sind Sie dort angekommen, nicht durch tausend verborgene Intriguen verhindert, denjenigen zu sehen, welchen Sie sehen wollen.«
»Ich glaubte, jeder Mönch, der, eine Pilgerfahrt von vierhundert Meilen vollendend, in Rom barfuß und mit einem Stabe in der Hand ankomme, brauche nur vor der Pforte des Vaticans zu erscheinen, und die Treppe, welche nach der Wohnung desjenigen führt, welcher einst selbst ein einfacher Mönch war, werde ihm geöffnet sein.«
»Mein Bruder, Sie glauben noch an viele Dinge, an welche Sie nach und nach zu glauben aufhören werden . . . Der Mensch, so wie er ins Leben eintritt, ist wie ein Baum, dessen Blüthen der Wind Anfangs zerstreut, dessen Blätter er sodann abreißt, dessen Aeste er hernach bricht, bis der Sturm, der auf den Wind folgt, an einem schönen Tage ihn selbst zerbricht . . . Mein Bruder, sie haben ein Interesse dabei, daß Herr Sarranti stirbt, und sie wenden alle mögliche Mittel an, um das Wort, das Sie dem König abgelistet haben, unnütz zu machen!«
»Abgelistet!« rief Dominique, Salvator mit Erstaunen anschauend.
»Abgelistet aus ihrem Gesichtspunkte . . . Wie denken Sie, daß Sie den Einfluß erklären, der gemacht hat, daß die Frau Herzogin von Berry, die vielgeliebte Tochter des Königs, deren Gemahl unter dem Streiche eines Fanatikers gestorben ist, sich für den Sohn eines andern Revolutionärs interessierte, der selbst Revolutionär und Fanatiker?«
»Das ist wahr,« sagte Dominique erbleichend; »doch was thun?«
»Darauf werden wir bedacht sein.«
»Aber wie?«
»Indem wir diesen Paß verbrennen, der Ihnen nicht nützlich sein kann.«
Und Salvator zerriß den Paß und warf die Stücke davon in den Ofen.
Dominique schaute ihm mit Bangigkeit zu.
»Doch nun,« sagte er, »ohne Paß, wie wird es mir ergehen?«
»Vor Allem glauben Sie mir, es ist besser, ohne Paß zu reisen, als mit diesem zu reisen; Sie werden indessen nicht ohne Paß reisen.«
»Wer wird mir einen geben?«
»Ich!« antwortete Salvator.
Und er öffnete einen kleinen Secretär, ließ eine geheime Schublade spielen und nahm unter mehreren in derselben verborgenen Papieren einen Paß, der völlig unterzeichnet, auf dem aber Name und Signalement nicht ausgefüllt waren.
Er füllte die Namen und das Signalement aus: die Namen mit dem Namen von Bruder Salvator; das Signalement nach dem Signalement von Sarranti.
»Doch das Visa?« fragte Dominique.
»Er ist visirt von der sardinischen Gesandtschaft für Turin. Ich glaubte nach Italien, und zwar, wohl verstanden, incognito dahin zu gehen, und darum hatte ich mich mit diesem Passe versehen; er wird Ihnen dienen.«
»Doch in Turin?«
»In Turin sagen Sie, Ihre Geschäfte nöthigen Sie, bis Rom zu gehen, und man wird Ihren Paß ohne Schwierigkeit visiren.«
Der Mönch ergriff und drückte die Hände von Salvator.
»Oh! mein Bruder! oh! mein Freund!« rief er, »wie vermag ich je für Alles, was ich Ihnen schuldig bin, erkenntlich zu sein?«
»Ich habe Ihnen gesagt, mein Bruder,« erwiderte lächelnd Salvator, »was ich auch für Sie thun mag, ich werde immer Ihr Schuldner bleiben.«
Fragola kam zurück; sie hörte diese letzten Worte.
»Wiederhole unserem Freunde, was ich ihm sage, mein Kind,« sprach Salvator, dem Mädchen die Hand reichend.
»Er verdankt Ihnen das Leben, mein Vater; ich verdanke ihm mein Glück; Frankreich wird ihm nach Maßgabe dessen, was ein Mensch thun kann, vielleicht seine Befreiung verdanken. Sie sehen wohl, die Schuld ist ungeheuer. Verfügen Sie also über uns.«
Der Mönch schaute die zwei jungen Leute an.
»Sie thun das Gute: seien Sie glücklich!« sagte er mit einer Geberde väterlicher und barmherziger Nachsicht.
Fragola deutete auf den servierten Tisch.
Der Mönch setzte sich zwischen die zwei jungen Leute und sprach ernst das Benedicite, das sie mit einem Lächeln reiner Seelen anhörten, welche überzeugt sind, das Gebet steige zu Gott auf.
Man aß rasch und stillschweigend.
Ehe das Mahl beendigt war, stand Salvator, der die Ungeduld in den Augen des Mönches las, auf.
»Ich bin zu Ihren Befehlen, mein Vater, doch ehe wir gehen, lassen Sie mich Ihnen einen Talisman geben . . . Fragola, hole die Briefcassette.«
Fragola ging hinaus.
»Einen Talisman!« wiederholte der Mönch.
»Ah! seien Sie ruhig, mein Freund, es ist nichts Abgöttisches; doch Sie wissen, was ich Ihnen in Betracht der Schwierigkeiten gesagt habe, die Sie erfahren dürften, um bis zum heiligen Vater zu gelangen.«
»Ja; Sie vermögen also etwas für mich dort?« »Vielleicht!« erwiderte Salvator lächelnd. Sodann, als Fragola mit der verlangten Cassette zurückkam:
»Eine Kerze, Siegellack und das Wappenpetschaft.«
Das Mädchen stellte die Cassette auf den Tisch und ging abermals hinab.
Salvator öffnete die Cassette mit einem vergoldeten Schlüsselchen, das er an einer Kette hängend an seinem Halse trug.
Sie enthielt etwa zwanzig Briefe; von diesen zwanzig Briefen nahm er einen aufs Gerathewohl.
Fragola kehrte in diesem Augenblicke mit der Kerze, dem Siegellack und dem Petschaft zurück.
Salvator legte den Brief in einen Umschlag, siegelte ihn mit dem Wappenpetschaft und schrieb folgende Adresse darauf:
An den Herrn Vicomte von Chateaubriand
in Rom.
»Hören Sie,« sagte er zu Dominique, »es sind drei Tage, daß derjenige, an welchen dieser Brief adressiert ist, müde der Art, wie die Dinge in Frankreich gehen, nach Rom abgereist ist.«
»An den Herrn Vicomte von Chateaubriand?« wiederholte der Mönch.
»Ja; vor einem Namen wie der seinige öffnen sich alle Thüren. Halten Sie die Schwierigkeiten für unüberwindlich, so überreichen Sie ihm diesen Brief, sagen Sie ihm, er sei Ihnen vom Sohne desjenigen übergeben worden, welcher ihn geschrieben hat, und rufen Sie im Namen dieses Briefes Emigrationserinnerungen an. Er wird Ihnen vorangehen, und Sie werden ihm nur zu folgen haben. Wenden Sie übrigens dieses Mittel nur im äußersten Nothfalle an; denn es wird ein Geheimniß enthüllen, das sodann unter drei Personen sein wird: Sie, Herr von Chateaubriand und wir, Fragola und ich, die wir nur Eins bilden.«
»Ich werde blindlings Ihre Instructionen befolgen, mein Bruder.«
»Nun wohl, das ist Alles, was ich Ihnen zu sagen hatte. Küsse dem frommen Manne die Hand, Fragola; ich, ich begleite ihn bis zum letzten Hause der Stadt.«
Fragola näherte sich und küßte die Hand dem Mönche, der ihr mit einem sanften Lächeln zuschaute.
»Ich erneure meinen Segen,« sprach er; »seien Sie so glücklich, als Sie keusch, gut und schön sind.«
Sodann, als ob alle lebendige Wesen des Hauses ein Recht aus seinen Segen hätten, strich er mit der Hand über den Kopf des Hundes und ging ab.
Salvator, der zurückgeblieben war, drückte sanft seine Lippen aus die von Fragola und murmelte:
»Ah! ja, keusch, gut und schön!«
Und er folgte dem Mönche.
13
Metzelei Straße.
14
Überwachung.