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Zweiter Band
III
Die Quadrupel Allianz

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Das Atelier, oder vielmehr das Gewächshaus von Regina, bot in der Stunde, wo der Abbé Dominique bei Salvator eintrat, das heißt gegen zehn Uhr Morgens, das anmuthige Schauspiel von drei auf demselben Sopha gruppierten Frauen mit einem zu ihren Füßen liegenden Kinde.

Diese drei Frauen, welche unsere Leser schon erkannt haben, waren die Gräfin Rappt, Frau von Marande und Carmelite; das Kind war die kleine Abeille.

Beunruhigt über die Art, wie Carmelite die Nacht zugebracht, hatte Regina, frühzeitig aufgestanden, Nanon abgeschickt, um sich nach ihrer Freundin erkundigen zu lassen, und zugleich mit dem Auftrage, sie in ihrem Wagen zurückzubringen, sollte sie sich wohl genug fühlen, um den Morgen im Hotel Lamothe-Houdan zuzubringen.

Carmelite besaß die unbezwinglichste von allen Kräften: die Willenskraft; sie verlangte von Nanon nur die Zeit, um einen Shawl über ihre Schultern zu werfen, stieg in den Wagen und kam zu Regina.

Sie hatte Regina für alle ihre Bemühungen am vorhergehenden Tage zu danken: das war das erste Bedürfniß ihrer Seele: die Beschwerden ihres Leibes kamen erst nachher.

Man höre nun, was geschehen war.

Als Herr von Marande gegen sieben Uhr Morgens das Zimmer seiner Frau verließ, suchte Frau von Marande zu schlafen, doch vergebens: es war ihr unmöglich.

Um acht Uhr stand sie auf: sie nahm ein Bad, und ließ dann Herrn von Marande um Erlaubnis bitten, sich nach Carmelite erkundigen zu dürfen.

Herr von Marande, der auch nicht geschlafen hatte und schon bei der Arbeit war, klingelte, und ließ, statt jeder Antwort, dem Kutscher sagen, er solle anspannen und sich Madame für den ganzen Morgen zur Verfügung stellen.

Um zehn Uhr stieg Frau von Marande in den Wagen und gab Befehl, nach der Rue de Tournon zu fahren.

Sie kam gerade in dem Augenblicke an, wo sich Carmelite von Hause entfernt hatte: doch die Kammerfrau wußte zum Glücke, wohin Carmelite gegangen war: der Kutscher erhielt also Befehl, seine Gebieterin nach dem Boulevard des Invalides zur Gräfin Rappt zu fahren.

Frau von Marande traf hier zehn Minuten nach Carmelite ein.

Carmelite hatte die kleine Abeille aus den Knieen aus einem Tabouret vor Regina gefunden: sie ließ sich als wahre Coquette, was sie schon war, die Einzelheiten der Soirée am vorhergehenden Abend erzählen.

In dem Augenblicke, wo Regina dem Kinde die Ohnmacht von Carmelite erzählte, welche Ohnmacht sie durch die erstickende Hitze, die in den Salons herrschte, zu erklären suchte, trat Carmelite ein, und das Kind warf sich ihr um den Hals, küßte sie zärtlich und fragte, wie sie sich befinde.

Regina hatte zwei Gründe gehabt, um zu Carmelite zu schicken: einmal wollte sie Kunde über ihre Gesundheit haben; und dann, wenn Carmelite käme, um sie selbst zu geben, gedachte sie ihr zu sagen, es sei am Abend große Fete im Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, und ihr einen Einladungsbrief zuzustellen: das Mädchen könnte, nach ihrem Belieben, auf diesen Ball als Eingeladene oder als Künstlerin gehen, singen oder nicht singen.

Carmelite nahm die Einladung im Namen der Künstlerin an; sie hatte am Tage vorher eine so harte, zu gleicher Zeit aber so heilsame Prüfung durchgemacht, daß sie fortan nichts mehr zu fürchten brauchte. Kein Publikum, selbst das eines Ministeriums, war zu fürchten, so fremd es der Kunst sein mochte; kein Mensch konnte mehr diejenige erschrecken, welche vor dem unheilvollen Gespenste, das ihr erschienen war, gesungen hatte.

Es wurde also verabredet, Carmelite sollte auf diesen Ball als Künstlerin gehen, – von Regina vorgestellt und patronisirt.

Man war so weit, als Frau von Marande eintrat.

Es war ein Freudenschrei, zugleich von den zwei Freundinnen und von der kleinen Abeille ausgestoßen, welche Frau von Marande ungemein liebte.

»Ah! die Fee Türkis!« rief Abeille.

Frau von Marande hatte die schönsten Türkise von Paris, und darum nannte sie Abeille so, wie sie ihre Schwester die Fee Carita nannte, wegen ihres Abenteuers mit Rose-de-Noël: wie sie Carmelite die Fee Grasmücke nannte, wegen ihrer bewunderungswürdigen Stimme, und Fragola die Fee Mignonne, wegen ihrer zarten Taille und ihres graziösen Halses. Waren die vier jungen Frauen beisammen, so behauptete Abeille, das Reich der Feen sei vollständig.

Das Reich der Feen sollte an diesem Tage vollständig sein: denn kaum hatte Frau von Marande einen Kuß mit ihren zwei Freundinnen ausgetauscht, als die Thüre sich öffnete und man Fragola meldete.

Die drei jungen Frauen stürzten der vierten Freundin entgegen, derjenigen von Allen, welche man am seltensten sah, und umarmten sie nach und nach, während Abeille, welche eiligst ihren Theil an den Liebkosungen haben wollte, um die Gruppe hüpfte und rief:

»Und ich! und ich! liebst Du mich nicht mehr, Fee Mignonne?«

Fragola wandte sich endlich gegen Abeille um, hob sie in ihren Händen wie einen Vogel aus und bedeckte das Gesicht des kleinen Mädchens mit Küssen.

»Man sieht Dich nicht mehr, Liebe!« sagten gleichzeitig Regina und Frau von Marande, indeß sich Carmelite, der Fragola während ihrer Wiedergenesung treue Gesellschaft geleistet hatte, da sie ihr keinen ähnlichen Vorwurf machen konnte, daraus beschränkte, daß sie ihr die Hand drückte.

»Es ist wahr, meine Schwestern,« erwiderte Fragola, »Ihr seid die Prinzessinnen, und ich bin die arme Cendrillon,11 muß beim Herde bleiben . . . «

»Ah! nicht wie Cendrillon,« sagte Abeille, »wie Trilby.«

Das Kind hatte das reizende Mährchen von Charles Nodier gelesen.

»Außer bei großen Veranlassungen,« fuhr Fragola fort, »außer bei ernsten Dingen . . . Dann wage ich es, und ich komme, um Euch zu fragen, theure Schwestern, ob Ihr mich immer noch liebt?«

Eine dreifache Umarmung beantwortete diese Frage.

»Große Veranlassungen . . . ernste Dinge…« wiederholte Regina; »in der That, Dein hübsches Gesicht ist traurig.«

»Sollte Dir ein Unglück widerfahren sein?« fragte Frau von Marande.

»Dir . . . oder ihm?« fragte Carmelite, welche begriff, daß die größten Mißgeschicke nicht immer diejenigen sind, welche uns treffen.

»Oh! nein, Gott sei gelobt!« rief Fragola; »weder ihm, noch mir, sondern einem Freunde.«

»Welchem Freunde?« fragte Regina.

»Dem Abbé Dominique.«

»Ah! es ist wahr,« rief Carmelite, »sein Vater . . . !«

»Verurtheilt!«

»Zum Tode?«

»Zum Tode!«

Die jungen Frauen stießen einen schwachen Schrei aus.

Dominique war der Freund von Colombau gewesen. Dominique war ihr Freund.

»Was kann man für ihn thun?« fragte Carmelite.

»Soll man um die Begnadigung von Herrn Sarranti bitten?« sagte Regina.

»Mein Vater ist beim König wohl gelitten.«

»Nein,« erwiderte Fragola, »man muß um etwas minder Schwieriges bitten, meine geliebte Regina, und Du bist es, die darum bitten wird.«

»Was ist es? Sprich!«

»Man muß den König um einen Audienzbrief bitten.«

»Für wen?«

»Für den Abbé Dominique.«

»Für welchen Tag?«

»Für heute.«

»Ist es nur das?«

»Ja . . . es ist wenigstens Alles, was er für den Augenblick verlangt.«

»Klingle, mein Kind,« sagte Regina zu Abeille.

Abeille klingelte.

Sodann zu Regina zurückkommend, fragte sie: »Oh! meine Schwester, wird man ihn tödten?«

»Wir werden thun, was nur immer möglich ist, damit ein solches Unglück nicht geschieht,« erwiderte Regina.

In diesem Augenblicke erschien Nanon.

»Lassen Sie sogleich einspannen,« sagte Regina, »ohne eine Minute zu verlieren, und melden Sie meinem Vater, ich begebe mich wegen einer höchst wichtigen Angelegenheit in die Tuilerien.«

Nanon entfernte sich.

»Zu wem gehst Du in den Tuilerien?« fragte Frau von Marande.

»Zu wem soll ich gehen, wenn nicht zur vortrefflichen Herzogin von Berry?«

»Ah! Du gehst zu Madame?« sagte die kleine Abeille. »Ich will mit Dir gehen. Mademoiselle hat mir gesagt, ich soll jedes Mal kommen, so oft mein Vater oder Du Madame die Aufwartung machen.«

»Wohl, es sei; komm!«

»Oh! welch ein Glück! welch ein Glück!« rief Abeille.

»Liebes Kind!« sprach Fragola, das Mädchen umarmend.

»Ja, und während meine Schwester Madame sagt, der Abbé Dominique müsse den König sehen, werde ich Mademoiselle sagen, wir kennen den Abbé, und man dürfe seinem Vater nichts zu Leide thun.«

Die vier Frauen weinten, als sie das naive Versprechen des Kindes hörten, das, ohne genau zu wissen, was das Leben ist, schon gegen den Tod kämpfte.

Nanon kam wieder und meldete, da der Marschall so eben selbst von den Tuilerien zurückkehre, so stehe ein Wagen im Hofe angespannt.

»Vorwärts!« rief Regina; »verlieren wir keinen Augenblick. Komm, Abeille, und thu’, was Du sagtest: das kann Dir nur Glück bringen.«

Dann schaute sie aus die Pendeluhr, wandte sich an ihre drei Freundinnen und sagte:

»Es ist elf Uhr: um Mittag werde ich mit dem Audienzbriefe zurück sein. Erwarte mich, Fragola.«

Hiernach ging Regina ab und ließ ihre Freundinnen beisammen, – voll Vertrauen zum Einflusse von Regina, besonders aber zur wohlbekannten Güte von derjenigen, deren erhabene Protection sie anflehen wollte.

Wir haben schon einmal, wie man sich erinnert, die vier Hauptheldinnen unseres Romans am Fuße des Bettes von Carmelite getroffen: wir sinken sie diesmal am Fuße des Schaffots von Herrn Sarranti versammelt. Wir haben ein paar Worte von ihrer gemeinschaftlichen Erziehung gesagt: schauen wir weiter vor in diesen ersten Jahren der ganz von Blumen und Wohlgerüchen erfüllten Jugend, und sehen wir das Band, das sie vereinigte. Wir haben Zeit, einen Schritt rückwärts zu machen: Regina hat selbst gesagt, sie werde nicht vor Mittag zurücksein.

Dieses Band war mächtig: es mußte so sein, um aus vier, den Neigungen, dem Range, dem Temperamente, der Laune nach so verschiedenen, Mädchen eine und dieselbe Neigung, eine und dieselbe Laune, einen einzigen Willen zu machen.

Alle Vier, Regina, Tochter des noch lebenden Generals von Lamothe-Houdan: Lydie, die Tochter des, wie wir gesehen, gestorbenen Obersten Laclos: Carmelite, die Tochter des bei Champaubert getödteten Kapitäns Gervais: und Fragola, die Tochter des bei Waterloo gefallenen Trompeters Ponroy, waren Töchter von Legionären und hatten ihre Erziehung im kaiserlichen Hause zu Saint-Denis erhalten.

Beantworten wir aber vor Allem eine Frage, die diejenigen, welche uns aus der Fährte folgen, um uns aus einem Versehen zu ertappen, unfehlbar an uns machen würden.

Wie war Fragola, die Tochter eines einfachen Trompeters, eines gemeinen Reiters, in Saint-Denis zugelassen worden, wo nur den Töchtern von Officieren der Eintritt gewährt wird?

Wir werden es in ein paar Zeilen sagen.

Bei Waterloo, in dem Augenblicke, wo Napoleon, fühlend, daß die Schlacht unter seinen Händen eine Wendung zum Weichen nahm, Befehle über Befehle an seine verschiedenen Divisionen sandte, mußte er nothwendig eine Ordre an den General Grafen von Lobau, Commandanten der jungen Garde, schicken. Er schaute umher: keine Adjutanten mehr: Alle waren abgegangen, das Schlachtfeld in jeder Richtung durchfurchend.

Er erblickte einen Trompeter und rief ihm.

Der Trompeter eilte herbei.

»Höre,« sagte er zu ihm, »bringe diesen Befehl dem General Lobau und suche aus dem kürzesten Wege zu ihm zu gelangen. Es hat Eile.«

Der Trompeter schaute auf den Weg, welcher zu durchreiten war, und schüttelte den Kopf.

»Es geht heiß auf diesem Wege zu!« sagte er.

»Hast Du Angst?«

»Ah! ja wohl, ein Ritter der Ehrenlegion!«

»Nun wohl, so geh’ also ab! hier ist der Befehl!«

»Und wenn ich getödtet werde, wird mir der Kaiser eine Gnade bewilligen?«

»Ja, sprich geschwinde . . . Was willst Du?«

»Ich wünsche, daß, wenn mich der Tod trifft, meine Tochter Athenais Ponroy, welche mit ihrer Mutter in der Rue des Amandiers Nr. 17 wohnt, in Saint-Denis wie eine Officierstochter erzogen werde.«

»Das wird geschehen: gehe ruhig.«

»Es lebe der Kaiser!« rief der Trompeter.

Und er ging im Galopp ab.

Er durchritt die ganze Front der Schlacht und kam bis zum Grafen Lobau: nun, als er ankam, fiel er, dem General das Papier reichend, das den Befehl enthielt, vom Pferde. Ein Wort auszusprechen, war ihm unmöglich: er hatte den Schenkel gebrochen, eine Kugel im Bauche und eine andere in der Brust.

Niemand hörte mehr etwas vom Trompeter Ponroy.

Doch der Kaiser erinnerte sich seines Versprechens: bei seiner Ankunft in Paris gab er Befehl, die Kleine sogleich nach Saint-Denis zu führen und dort aufzunehmen.

So war die demüthige Athenais Ponroy, – deren ein wenig anspruchsvoller Taufname Salvator in den Fragola verwandelt hatte, – so war die demüthige Athenais Ponroy in Saint-Denis mit den Töchtern der Obersten und der Marschälle ausgenommen worden.

Diese vier Mädchen von so verschiedenen Lebenslagen und Glücksumständen fanden sich eines Tags eng verbunden durch eine Herzensverschwisterung, welche dieselben, sie von der Kindheit an vereinigend, erst beim Tode trennen sollte. Für sich allein, so zu sagen, die ganze französische Gesellschaft repräsentierend, hätte man sie für die Verkörperung der Aristokratie, des Adels aus dem Kaiserreiche, des Bürgerthums und des Volkes gehalten.

Alle Vier von demselben Alter, mit einem Unterschiede von ein paar Monaten, hatten sie von den ersten Tagen ihres Eintrittes in das Pensionnat an für einander eine lebhafte Sympathie gefühlt, welche gewöhnlich in den Colleges oder den Pensionnats die Zöglinge von so verschiedenen Ständen und Lebenslagen nicht hegen; unter diesen vier Mädchen hatte der Rang, das Vermögen, der Name keine Bedeutung die Tochter des Capitäns Gervais hieß Carmelite für Lydie, die Tochter des Trompeters Ponroy hieß Athenais für Regina. Keine Erinnerung an die Größe der Einen oder die geringen Herkunft der Andern störte diese reine Zuneigung, welche allmählich eine innige und tiefe Freundschaft wurde.

Der Kindeskummer, der Eine treffen mochte, fand einen Wiederhall im Herzen der drei Anderen, und wie sie ihr Leid theilten, so theilten sie auch ihre Freuden, ihre Hoffnungen, ihre Träume, kurz ihr Leben; denn ist in dieser Zeit das Leben etwas Anderes, als ein Traum?

Es war die Verschwisterung in der vollen Bedeutung des Wortes, die Verschwisterung wachsend und sich immer enger schließend, nach Maßgabe der Tage, der Monate, der Jahre, und im letzten Jahre solche Verhältnisse annehmend, daß ihre Quadrupel-Allianz in Saint-Denis sprichwörtlich geworden war.

Doch es sollte der letzte Tag dieses gemeinschaftlichen Lebens kommen. Noch einige Monate, und Jede sollte, aus Saint-Denis austretend, einen andern Weg einschlagen, um nach dem väterlichen Hause zurückzukehren: die Eine nach dem Faubourg Saint-Germain, die Andere nach dem Faubourg Saint-Honoré, Diese nach dem Faubourg Saint-Jacques, Jene nach dem Faubourg Saint-Antoine. Ebenso sollten sie vier verschiedenen Wegen im Leben folgen, und Jede sollte in eine Welt eintreten, wo ihr die drei Anderen nur noch durch Zufall begegnen könnten.

Es war also vorbei mit dieser reizenden Vertraulichkeit, mit diesem süßen Leben zu Vier, wobei Keine verloren und Jede gewonnen hatte! es war geschehen um dieses seit vier Jahren von denselben Gemüthsbewegungen schlagende Quadrupel-Herz! es war geschehen um diese friedliche, lächelnde Kindheit! Alles dies sollte verschwinden ohne Hoffnung aus Wiederkehr. Dieser zu Vier begonnene Traum, Jede sollte ihn allein fortsetzen: der Kummer der Einen würde der Andern unbekannt sein. Das Pensionsleben war ein langer, köstlicher Traum: das wirkliche Leben sollte ansangen.

Ohne Zweifel war es der Zufall, oder vielmehr – lassen wir dieser grausamen Gottheit ihren wahren Namen, – das Geschick, das sie unter seinem Hauche zerstreute und wie Blumen in den vier Winden des Lebens verzettelte. Doch sie widerstanden muthig, bogen sich wie die Rohre, brachen aber nicht.

Sie legten ihre vier weißen Hände in einander und schworen sich feierlich, sich gegenseitig zu unterstützen, beizustehen, zu lieben, mit einem Worte, wie im Pensionnat, und dies bis zum letzten Tage ihres Lebens.

Sie machten also unter sich den Vertrag, dessen Hauptclausel war, Jede sollte sich erheben auf den Ruf der Andern, zu jeder Stunde des Tages, zu jeder Stunde der Nacht, in welchem Momente des Lebens es wäre, in welcher freien oder dornigen, freudigen oder traurigen, gefährlichen oder verzweifelten Lage, die Eine von ihnen die Andere oder sogar die drei Anderen zu Hilfe rufen würde.

Wir haben sie, diesem Vertrage treu, auf den Ruf der sterbenden Carmelite erscheinen sehen; wir werden sie nicht minder pünktlich bei nicht minder ernster Veranlassung wiederfinden.

Wir haben gesagt, wie es verabredet war, alle Jahre am Aschermittwoch bei der Mittagsmesse in Notre-Dame zusammenzukommen.

In den zwei bis drei Jahren, welche seit ihrem Austritte aus der Pension verlaufen waren, hatten Carmelite und Fragola ihre Freundinnen fast nur bei diesem jährlichen Rendez-vous gesehen,

Fragola hatte hierbei auch ein Jahr gefehlt. Erzählen wir je ihre Geschichte, so werden wir sagen, bei welcher Gelegenheit.

Regina und Lydie hatten sich etwas öfter gesehen.

Doch diese Seltenheit des Zusammenseins der vier Mädchen hatte ihre Freundschaft nur wachsen gemacht, statt sie zu schwächen, und sie Vier hätten vielleicht, sich auf einander stützend, erreicht, was ein Congreß von Diplomaten nicht hätte erreichen können.

Und, in der That, sie Vier hielten, auf die vier aufsteigenden und absteigenden Sprossen der Gesellschaft gestellt, die Schlüssel des ganzen socialen Gebäudes: den Hof, die Aristokratie, die Armee, die Wissenschaft, die Geistlichkeit, die Sorbonne, die Universität, die Academie, das Volk, was weiß ich? Ihre Schlüssel paßten in alle Schlösser, öffneten alle Thüren; sie Vier repräsentierten die absolute, unbegrenzte Macht.

Nur gegen den Tod, wie wir gesehen haben, vermochten sie nichts.

Mit denselben Tugenden begabt, von denselben Grundsätzen erfüllt, von denselben Gefühlen durchdrungen, zu denselben Opfern, zu derselben Hingebung fähig, schienen sie geboren für das Gute, und vereinzelt oder mit einander, um welchen Preis es sein mochte, strengte sich, war die Gelegenheit geboten, Jede an, es zu vollbringen.

Wir werden ohne Zweifel in der Folge unserer Erzählung Gelegenheit haben, sie im Kampfe mit Leidenschaften aller Art zu beobachten, und wir werden dann vielleicht sehen, wie aus den furchtbarsten Kämpfen die wohlgestählten Seelen siegreich hervorgehen können.

Hören wir nun.

Es hat zwölf Uhr geschlagen, Regina muß bald zurückkommen.

Einige Minuten nach zwölf Uhr wird das Rollen eines Wagens hörbar.

Die drei jungen Frauen, welche mit einander sprachen . . . worüber? Carmelite gewiß von Todten: die zwei Anderen vielleicht von Lebenden, – die drei jungen Frauen erhoben sich gleichzeitig.

Die Herzen schlugen gleichstimmig: das von Fragola aber sicherlich lebhafter, als die der zwei Anderen.

Plötzlich hörte man die Stimme der kleinen Abeille, welche, ein köstlicher Vorläufer, entsprungen war, rufen:

»Hier sind wir! hier sind wir! hier sind wir! Meine Schwester Regina hat die Audienz.«

Und so rufend erschien sie im Gewächshause.

Regina trat wirklich hinter ihr lächelnd wie eine Siegerin ein: sie hielt den Audienzbrief in der Hand.

Die Audienz war in dem Briefe aus denselben Tag um halb drei Uhr bestimmt: es war also keine Minute zu verlieren.

Die zwei jungen Frauen umarmten sich, ihre Freundschaftsschwüre erneuernd. Fragola ging rasch die Treppe hinab, sprang in den Wagen, der schneller zu fahren versprach, als ihr Fiacre, und der mit Wappen geschmückte Wagen brachte das schöne, reizende Kind nach seiner bescheidenen Wohnung und hielt vor der Thüre des Ganges der Rue Macon an.

Die zwei Männer standen am Fenster.

»Sie ist es!« sagten sie gleichzeitig.

»In einem mit Wappen geschmückten Wagen?« fragte der Mönch Salvator.

»Ja: doch das ist nicht die Frage. Hat sie den Audienzbrief oder hat sie ihn nicht?«

»Sie hält ein Papier in der Hand!« rief der Mönch.

»Dann geht Alles gut,« sagte Salvator.

Dominique eilte nach dem Ruheplatze.

Fragola hörte die Thüre sich öffnen und rief:

»Ich bin es … ich habe den Brief!«

»Für welchen Tag?« fragte Dominique.

»Für heute, in zwei Stunden!«

»Ah!« rief der Mönch, »seien Sie gesegnet, mein theures Kind!«

»Und Gott sei gelobt, mein Vater!« sprach Fragola, indem sie ehrerbietig mit ihrer kleinen weißen Hand dem Mönche den Audienzbrief des Königs überreichte.

11

Aschenbrödel.

Salvator

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