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Zweiter Band
X
Was man mit Geld machen kann, und was man mit Geld nicht machen kann

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An den Stamm eines Baumes angelehnt, betrachtete Salvator einen Augenblick den General Lebastard de Prémont.

Das Gesicht von Herrn Sarranti selbst, als er sein Todesurtheil sprechen hörte, war weniger niedergeschlagen und weniger bleich, als es das des Generals war, da er diese grausame Sentenz vom Munde von Freunden aussprechen hörte, von denen er, mit Gefahr seines Lebens, verlangt hatte, daß man ihm das seines Freundes retten helfe.

Salvator näherte sich ihm.

Der General reichte Salvator die Hand.

»Mein Herr,« sagte der General zu ihm, »ich kenne Sie nur Ihrem Namen nach: dieser Name, Ihre Freunde haben ihn mit lauter Stimme ausgesprochen, und er scheint mir ein glückliches Vorzeichen zu sein.«

»Es ist in der That ein prädestinirter Name,« antwortete lachend Salvator.

»Sie kennen Sarranti?«

»Nein, mein Herr: doch ich bin der vertraute, und besonders der ergebene und dankbare Freund seines Sohnes. Damit sage ich Ihnen, General, daß ich die Hälfte Ihres Schmerzes trage, und daß Sie zu Gunsten von Herrn Sarranti mit Leib und Seele über mich verfügen können.«

»Sie theilen also die Meinung Ihrer Brüder nicht?« fragte lebhaft der General, den diese guten Worte für den Augenblick wiederbelebt hatten.

»Hören Sie, General,« sprach Salvator, »die Bewegung der Massen, welche beinahe immer gerecht ist, weil sie Instinctmäßig, ist oft blind, streng und hart. Jeder von diesen Menschen, welche so eben die Verurtheilung von Herrn Sarranti ratifiziert haben, hätte, allein zu Rathe gezogen, ein anderes Urtheil gesprochen, das heißt das, welches ich zu sprechen im Begriffe bin: Nein, aus der Tiefe meines Gewissens, ich halte Herrn Sarranti nicht für schuldig. Derjenige, welcher seit dreißig Jahren bei den blutigen Zufällen des Schlachtfelds, bei den tödtlichen Kämpfen der Parteien um seinen Kopf gespielt hat, vermöchte nicht ein feiges Verbrechen zu begehen, er vermöchte nicht ein elender Dieb, ein gemeiner Mörder zu sein; ich behaupte also moralisch die Unschuld von Herrn Sarranti.«

Der General drückte Salvator die Hand.

»Ich danke Ihnen, mein Herr, daß Sie so zu mir sprechen,« sagte er zu ihm.

»Doch,« fuhr Salvator fort, »sobald ich Ihnen meine Unterstützung angeboten habe, habe ich mich zugleich zu Ihrer Verfügung gestellt.«

»Was wollen Sie damit sagen? ich höre mit Bangigkeit.«

»Ich will damit sagen, mein Herr, in der gegenwärtigen Lage genüge es nicht, die Unschuld unseres Freundes zu versichern: man muß sie beweisen, unverwerflich beweisen. Bei den Kriegen, welche von den Verschwörern gegen die Regierung und folglich von der Regierung gegen die Verschwörer geführt werden, sind alle Waffen gut, und die, welche zwei loyale Männer oft für ein Duell ausschlagen würden, werden gierig von den Parteien ergriffen.«

»Erklären Sie sich.«

»Die Regierung will den Tod von Herrn Sarranti; sie will ihn schimpflich, weil sich dieser Schimpf über ihre Gegner verbreiten und man sagen wird, alle Verschwörer seien Elende oder müssen solche sein, da sie zu ihrem Chef einen Mann, der Dieb und Mörder, angenommen haben.«

»Oh!« sagte der General, »darum hat der Staatsanwalt die politische Anklage beseitigt?«

»Und darum lag Herrn Sarranti so viel daran, daß sie wieder ausgenommen werde.«

»Nun?«

»Die Regierung wird nur sichtbaren, greifbaren, flagranten Beweisen weichen. Es handelt sich nicht nur darum, ihr zu sagen: »»Herr Sarranti ist des Verbrechens, dessen er angeklagt ist, nicht schuldig:«« man muß ihr sagen: »»Hier ist der des Verbrechens, dessen man Herrn Sarranti angeklagt hat, Schuldige!««

»Und diese Beweise, mein Herr, Sie haben sie?« rief der General: »diesen wahren Schuldigen können Sie beibringen?«

»Ich habe diese Beweise nicht, ich kenne den Schuldigen nicht,« antwortete Salvator: »aber . . . «

»Aber . . . ?«

»Ich bin vielleicht aus der Spur.«

»Sprechen Sie! sprechen Sie! und Sie werden Ihres Namens wahrhaft würdig sein, mein Herr.«

»Nun wohl,« sagte Salvator, indem er sich dem General näherte, »hören Sie, was ich Niemand gesagt habe, und was ich Ihnen sage.«

»Oh! sagen Sie! sagen Sie!« rief der General, indem er sich ebenfalls Salvator näherte.

»In dem Hause, wo Herr Sarranti als Hofmeister eingetreten war, und das Herrn Gérard gehörte: in diesem Hause, aus dem er am 19. oder 20. August 1820 geflohen ist, – denn die ganze Frage kann im genauen Datum der Flucht liegen: – kurz im Parke von Viry habe ich den Beweis gesunden, daß wenigstens eines von den Kindern ermordet wurde.«

»Ah!« erwiderte Herr de Prémont, »glauben Sie nicht, daß dieser Beweis zur Belastung unseres Freundes dienen wird?«

»Mein Herr, wenn man die Wahrheit verfolgt, und es ist die Wahrheit, was wir verfolgen, nicht wahr? – denn wäre Herr Sarranti schuldig, so würden wir ihn verlassen, wie ihn die Anderen verlassen haben: – verfolgt man die Wahrheit, so muß man jeden Beweis ergreifen, und wäre dieser Beweis scheinbar gegen denjenigen, dessen Unschuld man will anerkennen machen. Die Wahrheit trägt ihr Licht in sich selbst: kommen wir zur Wahrheit, und es wird Tag werden.«

»Gut . . . Wie haben Sie nun diesen Beweis erlangt?«

»Als ich in einer Nacht im Parke von Viry umherschweifte, – aus Ursachen, welche durchaus in keinem Zusammenhange mit der Angelegenheit stehen, die uns in diesem Augenblicke beschäftigt, – fand ich in der Tiefe eines Dickichts, am Fuße einer Eiche, in einem Loche, das mein Hund mit der größten Heftigkeit grub, das Skelett eines Kindes, welches man stehend begraben hatte.«

»Und Sie glauben, es sei das von einem der zwei verschwundenen Kinder?«

»Das ist mehr als wahrscheinlich.«

»Doch das andere Kind? denn es war ein Knabe und ein Mädchen.«

»Das andere Kind glaube ich auch wiedergefunden zu haben.«

»Immer Dank sei es dem Hunde?«

»Ja.«

»Todt oder lebendig?«

»Lebend, denn es war das Mädchen.«

»Nun?«

»Aus diesem doppelten Vorfalle habe ich geschlossen, wenn ich frei handeln könnte, so käme ich vielleicht zur vollständigen Kenntniß des Verbrechens, und diese Kenntniß würde mich unvermeidlich zu der des Verbrechers führen.«

»Ei! in der That, wenn Sie das Mädchen lebend aufgefunden haben!« rief der General.

»Lebend, ja!«

»Die Kleine mußte schon sechs bis sieben Jahre alt sein zur Zeit, wo das Verbrechen begangen wurde.«

»Sechs Jahre, ja.«

»Sie könnte sich also erinnern?«

»Sie erinnert sich.«

»Nun wohl, also? . . . «

»Nur erinnert sie sich zu sehr.«

»Ich verstehe nicht.«

»Wendet man die Augen des armen Kindes dieser entsetzlichen Katastrophe zu, so verwirrt sich ihr Geist, und sie ist nervösen Krisen preisgegeben, bei denen sie die Vernunft verlieren kann. Von welchem Gewichte soll die Aussage eines Kindes sein, welches man des Irrsinns beschuldigen und mit einem Worte wirklich wahnsinnig machen wird? Ah! ich habe Alles wohl erwogen.«

»Nun Wohl, nehmen wir den Todten statt des Lebenden. Wenn der Lebende schweigt, vermöchte nicht der Leichnam zu sprechen?«

»Ja, wenn ich frei handeln könnte.«

»Was hindert Sie daran? Gehen Sie zum Staatsanwalte, zeigen Sie ihm Alles an; übertragen Sie der Justiz die Aufgabe, das Licht zu finden, das Sie anrufen, und . . . «

»Ja, und die Polizei wird in einer Nacht die Spuren verschwinden machen, welche am andern Tage die Gerichte suchen werden? Sagte ich Ihnen nicht, die Polizei habe jedes Interesse, diese Beweise zu entfernen, um Herrn Sarranti in der kothigen Sache des Diebstahls und des Mords zu ertränken.«

»Dann verfolgen Sie diese Angelegenheit durch Sie selbst. Verfolgen wir sie. Sie sagen, Sie könnten zur Wahrheit gelangen, wäre es Ihnen gestattet, frei zu handeln; was hindert Sie, frei zu handeln? Sagen Sie.«

»Ah! das ist eine ganz andere Sache, nicht minder gewichtig, nicht minder ernst, nicht minder schändlich, als die von Herrn Sarranti.«

»Es mag sein! lassen Sie uns aber handeln!«

»Handeln wir! ich verlange nichts Anderes; doch vor Allem . . . «

»Was?«

»Finden wir das Mittel, frei das Haus und den Park zu durchsuchen, wo das Verbrechen, – oder vielmehr, wo die Verbrechen begangen worden sind.«

»Dieses Mittel, ist es möglich, es zu finden?«

»Ja.«

»Um welchen Preis?«

»Um Geld.«

»Ich habe Ihnen schon gesagt, ich sei ungeheuer reich.«

»Ja, General, doch das genügt nicht.«

»Was braucht es noch mehr?«

»Ein wenig Kühnheit und viel Beharrlichkeit.«

»Ich habe Ihnen gesagt, ich biete mein Vermögen an: nicht allein mein Vermögen, sondern auch meinen Arm: nicht allein meinen Arm, sondern auch mein Leben, um zu diesem Ziele zu gelangen.«

»Nun wohl, General, ich glaube, wir fangen an uns zu verstehen,« sprach Salvator.

Er schaute dann umher und bemerkte, daß der Mond, in seiner Fülle aus den Maulbeerfeigenbaum fallend, an den er angelehnt war, ihn und den General scharf beleuchtete.

»Kommen Sie unter den Schatten der Bäume, General,« sagte er, »denn wir haben von Dingen zu sprechen, wobei wir unser Leben nicht nur auf dem Schaffot, sondern am Saume eines Waldes, an der Ecke einer Mauer riskieren. Wir haben es diesmal zugleich mit der Polizei als Verschwörer und mit Elenden als Ehrenmänner zu thun.«

Hiernach zog Salvator Herrn Lebastard de Prémont wirklich an den Ort des Gehölzes fort, wo der Schatten dichter war.

Der General überließ dem jungen Manne die Sorge, einen forschenden Blick umherzuwerfen: er gab ihm Zeit, aus das geringste Geräusch zu horchen, das zu seinem Ohre gelangte: sodann, als er ihn beinahe beruhigt sah, sagte er:

»Sprechen Sie.«

»Nun wohl, General,« erwiderte Salvator, »man müßte sich vor Allem vollkommen zum Herrn von Schloß und Park Viry machen.«

»Nichts kann leichter sein.«

»Wie so?«

»Allerdings: man braucht nur Beides zukaufen.«

»Leider, General, ist es nicht zu verkaufen.«

»Gibt es etwas, was nicht zu verkaufen ist?«

»Ah! ja, General: gerade dieser Park und dieses Haus.«

»Warum?«

»Weil sie als Windschirm, als Zufluchtfort, als Schutzdach bei einem Verbrechen dienen, das fast eben so monstruos, als das ist, für welches wir den Beweis suchen.«

»Dieses Haus ist also bewohnt?«

»Von einem allmächtigen Menschen.«

»Allmächtig als politische Stellung?«

»Nein, als religiöse Affiliirung, was noch viel solider ist!«

»Und wie heißt dieser Mensch?«

»Graf Lorédan von Valgeneuse.«

»Warten Sie,« sagte der General, indem er sein Kinn auf seine Hand stützte, »ich kenne diesen Namen . . . «

»Das ist in der That wahrscheinlich, da dieser Name einer der bekanntesten der französischen Aristokratie ist.«

»Doch wenn ich ein gutes Gedächtniß habe,« sagte der General, seine Erinnerungen zurückrufend, »so war der Marquis von Valgeneuse, der, welchen ich gekannt habe, ein höchst ehrenwerther Mann.«

»Oh! ja, der Marquis,« rief Salvator, »das ist das edelste Herz, die redlichste Seele, die ich je gekannt habe!«

»Ah!« fragte der General. »Sie haben ihn auch gekannt, mein Herr?«

»Ja,« antwortete einfach Salvator; »doch es ist nicht von ihm die Rede.«

»Vom Grafen also . . . Ich werde von ihm nicht sagen, was ich von seinem Bruder sagte.«

Salvator schwieg, als wollte er seine Meinung in Betreff des Grafen von Valgeneuse nicht ausdrücken.

Der General fuhr fort:

»Was ist aus dem Marquis geworden?«

»Er ist gestorben,« antwortete Salvator, schmerzlich das Haupt neigend.

»Er ist gestorben?«

»Ja, General . . . plötzlich . . . an einem Schlaganfalle.«

»Er hatte aber einen Sohn . . . einen natürlichen Sohn, glaube ich?«

»So ist es.«

»Was ist aus diesem Sohne geworden?«

»Gestorben, ein Jahr nach seinem Vater.«

»Gestorben! . . . Ich habe ihn als Kind gekannt, nicht größer als so,« sagte der General, seine Hand bis zum Niveau des Grases senkend. »Es war ein Knabe von einem Verstande über seinem Alter und von einer außerordentlichen Festigkeit . . . Gestorben! . . . Und wie?«

»Er hat sich erschossen,« antwortete laconisch Salvator.

»Ein großer Schmerz, ohne Zweifel?«

»Ja, wahrscheinlich.«

»Also hat der Bruder des Marquis Schloß und Park Viry gekauft?«

»Der Sohn dieses Bruders, der Graf Lorédan, hat den Park und das Schloß nicht gekauft, sondern gemiethet.«

»Ich wünsche ihm, er möge nicht seinem Vater gleichen.«

»Der Vater ist der Genius der Ehre und der Rechtschaffenheit mit seinem Sohne verglichen.«

»Sie loben den Sohn nicht, mein lieber Herr . . . Abermals ein großes Haus, das hingeht,« sprach schwermüthig der General, »und in Staub, oder, was noch schlimmer ist, in Schande zerfallen wird.«

Sodann, nachdem er einen Augenblick geschwiegen, fragte der General:

»Und was macht Herr Lorédan von Valgeneuse mit dem Hause, an dem ihm so viel liegt?«

»Habe ich Ihnen nicht gesagt, das Haus bedecke ein Verbrechen?«

»Darum frage ich Sie gerade, was Herr von Valgeneuse mit diesem Hause mache.«

»Er macht daraus das Gefängniß eines Kindes, das er entführt hat.«

»Eines Kindes?«

»Ja, eines sechzehnjährigen Mädchens.«

»Eines Mädchens . . . Sechzehn Jahre!« murmelte der General. »Gerade das Alter des meinigen.«

Sodann fragte er plötzlich:

»Da Sie aber das Verbrechen kennen, mein Herr, oder vielmehr, da Sie den Verbrecher kennen, warum zeigen Sie ihn nicht beim Gerichte an?«

»Weil in den schlimmen Zeiten, in denen wir leben, General, es nicht nur Verbrechen gibt, über welchen die Justiz die Augen schließt, sondern auch Verbrecher, die sie unter ihren Schutz nimmt.«

»Ah!« sprach der General, »und ganz Frankreich erhebt sich nicht, empört sich nicht gegen einen solchen Zustand der Dinge?«

Salvator lächelte.

»Frankreich wartet auf eine Gelegenheit, General.«

»Man kann sie entstehen machen, wie mir scheint!«

»Wir versammeln uns nur in dieser Absicht.«

»Kommen wir auf das Dringendste zurück; denn Frankreich wird sich nicht ausdrücklich empören, um Herrn Sarranti zu retten, und ich muß ihn retten. . . . Lassen Sie hören, wenn das Haus nicht zu verkaufen ist, durch welche Mittel hoffen Sie sich zum Herrn desselben zu machen?«

»Vor Allem, General, erlauben Sie mir, daß ich Sie von der Lage der Dinge genau unterrichte.«

»Ich höre.«

»Einer von meinen Freunden hat, schon vor ungefähr neun Jahren, ein verirrtes Mädchen bei sich aufgenommen; er hat es aufgezogen und für seine Erziehung jegliche Sorge getragen; das Kind erreichte, reizend geworden, sein sechzehntes Jahr. Es , sollte meinen Freund heirathen, als es mit Gewalt aus dem Pensionnat, wo es in Versailles wohnte, entführt wurde und verschwand, ohne daß man erfuhr, wo es verborgen war. Ich habe Ihnen gesagt, wie ich, da mich der Zufall zu Verfolgung eines unbekannten Verbrechens führte, mit Hilfe meines Hundes den Leichnam eines Kindes auffand. Während ich vor dem Grabe kniete, während ich erschrocken mit meinen Fingern die Haare des Opfers berührte, hörte ich Tritte und sah eine Art von weißgekleidetem Schatten herbeikommen. Ich wandte mich auf die Seite dieses Schattens, und beim Mondscheine erkannte ich die Braut meines Freundes, diejenige, welche entführt worden war, und deren Aufenthaltfort man nicht kannte. Ich verzichtete auf die Nachforschung nach einem Verbrechen, um mich der Verfolgung eines andern zu widmen. Ich gab mich dem Mädchen zu erkennen und fragte sie, warum sie, stumm und ohne die Flucht zu versuchen, diese Gefangenschaft ertrage. Da. erzählte sie mir, sie habe ihrem Entführer gedroht, sie werde schreiben, rufen, fliehen, er aber habe einen Vorführungsbefehl gegen Justin erlangt . . . «

»Wer ist das, Justin?« fragte der General mit einer Lebhaftigkeit, die von dem Interesse zeugte, welches er an der Erzählung von Salvator nahm.

»Justin ist mein Freund; er ist der Bräutigam des Mädchens.«

»Wie hatte man sich einen Vorführungsbefehl gegen ihn verschaffen können?«

»Man hatte ihm seine gute Handlung als Verbrechen aufgerechnet. Diese verirrte Kleine, die er aufgenommen, man beschuldigte ihn, er habe sie entführt; die Ergebenheit, mit der er sie seit neun Jahren unablässig behandelte, war Einsperrung; die Heirath, welche statthaben sollte, war Gewalt. Man muthmaßte, das Mädchen sei reich: für diesen Fall ist im Codex vorhergesehen, der zu drei bis fünf Jahren Galeeren, je nach der Schwere der Umstände, den Mann verurtheilt, welcher überwiesen ist, er habe eine Minderjährige eingesperrt: und Sie begreifen, General, man hätte die Umstände so gewichtig als möglich gemacht: so daß mein Freund zu fünf Jahren Galeeren wegen eines Verbrechens, das er nicht begangen, verurtheilt worden wäre.«

»Unmöglich! unmöglich!« rief der General.

»Ist nicht Herr Sarranti als Dieb und Mörder zum Tode verurtheilt?« erwiderte kalt Salvator.

Der General nickte mit dem Kopfe.

»Zeit des Elends!« murmelte er, »Zeit der Schande!«

»Man mußte also warten: und zögere ich im Augenblicke, die Beweise der Unschuld von Herrn Sarranti zu verfolgen, so ist dies der Fall, weil, wenn ich die Gerichte in dieses Schloß und in diesen Park führe, derjenige, welcher droht, glauben wird, es sei dies ein Mittel, ihm seine Beute wegzunehmen, und sich blindlings an Justin rächen wird.«

»Man kann aber doch in diesen Park eindringen?«

»Allerdings, da ich es gethan habe.«,

»Sind Sie eingedrungen, so kann ein Anderer wie Sie eindringen.«

»Justin besucht dort von Zeit zu Zeit seine Braut.«

»Und Beide bleiben rein?«

»Beide glauben an Gott und sind unfähig zu einem schlimmen Gedanken!«

»Gut! doch warum entführt Justin nicht das Mädchen?«

»Wohin sollte er sie bringen?«

»Aus Frankreich hinaus.«

Salvator lächelte.

»Sie nehmen an, Justin sei reich, wie Herr von Valgeneuse, General. Justin ist aber ein armer Schulmeister, der mit großer Mühe fünf Franken täglich verdient und hiermit seine Mutter und seine Schwester ernährt.«

»Hat er keine Freunde?«

»Doch, er hat zwei Freunde, die für ihn ihre Existenz geben würden.«

»Wer sind sie?«

»Herr Müller und ich.«

»Nun?«

»Nun, Herr Müller ist ein alter Professor der Musik, und ich, ich bin ein einfacher Commissionär.«

»Verfügen Sie aber nicht als Ventachef über beträchtliche Summen?«

»Ich habe über eine Million unter der Hand.«

»Also . . . «

»Diese Million gehört nicht mir, General, und sähe ich das Wesen, das ich am meisten auf der Welt liebe, Hungers sterben, ich würde, um es zu retten, nicht einen Pfennig von dieser Million entwenden.«

Der General reichte Salvator die Hand und sprach:

»Das ist richtig!«

Dann fügte er bei:

»Ich stelle hunderttausend Franken zur Verfügung Ihres Freundes; ist das genug?«

»Es ist das Doppelte von dem, was er braucht, General; doch . . . «

»Was doch?«

»Ein letztes Bedenken hält mich zurück: man wird eines Tags ohne Zweifel die Eltern des Mädchens kennen lernen.«

»Hernach?«

»Sind ihre Eltern adelig, mächtig, reich, werden sie nicht Anschuldigungen gegen Justin zu erheben haben?«

»Gegen den Mann, der ihre Tochter aufgenommen hat, welche sie verließen? der sie erzogen hat wie das Kind seiner Mutter, der sie von der Schande gerettet hat! . . . Ah! gehen Sie!«

»Also Sie, General, wenn Sie Vater wären, wenn in Ihrer Abwesenheit Ihr Kind die Gefahren gelaufen wäre, welche die Braut von Justin läuft, Sie würden dem Manne vergeben, der, fern von Ihnen, über das Loos Ihrer Tochter verfügt hätte?«

»Ich würde ihm nicht nur die Arme öffnen als Gatten meines Kindes, sondern ich würde ihn auch als ihren Retter segnen.«

»Ah! General, dann geht Alles gut, und hätte ich einen letzten Zweifel, Ihre Versicherung benähme ihn mir … In acht Tagen werden Justin und seine Braut außer Frankreich sein, und wir werden jede Freiheit haben, Park und Schloß Viry zu besichtigen.«

Herr Lebastard de Prémont machte ein paar Schritte aus dem Gehölze hinaus, um sich unter einem Mondstrahle zu befinden. Salvator folgte ihm.

An dem Orte angelangt, der ihm günstig schien, zog der General aus seiner Tasche ein kleines Portefeuille, schrieb auf ein Blatt ein paar Worte mit Bleistift, riß das Blatt heraus, reichte es Salvator und sagte:

»Nehmen Sie, mein Herr.«

»Was ist das?« fragte Salvator.

»Was ich Ihnen gegeben habe, ist eine Anweisung von hunderttausend Franken auf Herrn von Marande.«

»Ich habe Ihnen gesagt, General, fünfzigtausend würden mehr als genügen.«

»Sie werden mir über den Rest Rechenschaft ablegen, mein Herr; bei einer Sache von dieser Wichtigkeit dürfen wir nicht durch eine Bagatelle aufgehalten werden.«

Salvator verbeugte sich.

Der General schaute ihn einen Augenblick an; dann streckte er die Hand gegen ihn aus und sagte:

»Ihre Hand, mein Herr!«

Salvator ergriff die Hand des Grafen de Prémont und drückte sie lebhaft.

»Ich kenne Sie erst seit einer Stunde,« sprach der General mit einer gewissen Gemüthsbewegung: »ich weiß nicht, wer Sie sind, doch ich habe viel gesehen, viel beobachtet, viel gelebt; ich habe die Gesichter aller Typen und aller Farben studiert, und ich glaube mich auf die Menschen zu verstehen: nun wohl, Herr Salvator, ich sage es Ihnen, – und das ist nur der schwache Ausdruck meines Gedankens, – Sie sind für mich einer der sympathetischsten Menschen, die ich getroffen habe.«

Und das war in der That, wir glauben es schon gesagt zu haben, die Wirkung, welche der schöne, redliche junge Mann auf Alle hervorbrachte, die sich ihm näherten. Beim ersten Anblicke fühlte man sich unüberwindlich angezogen, hingerissen: er übte eine Art von Bezauberung aus, und ein menschliches Gesicht annehmend, hätte das Gewissen kein sanfteres und ausdrucksvolleres angenommen.

Die zwei neuen Freunde drückten sich zum zweiten Male die Hand, und sich unter die Sycomorenallee vertiefend, erreichten sie den Keller, durch den eine Stunde vorher schon die anderen neunzehn Geschworenen weggegangen waren.

Salvator

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