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Zweiter Band
IV
Der Aufschub

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Der König war an diesem Tage nicht gerade von einer tollen Heiterkeit.

Die Auflösung der Nationalgarde, welche im Moniteur von Morgen laconisch angekündigt worden war, hatte die ganze handeltreibende Partei in Aufruhr gebracht. Die Herren Krämer, wie die Herren von Hofe sie nannten, waren nie zufrieden: sie murrten, wie wir schon gesagt haben, wenn man sie die Wache beziehen ließ und sie murrten, wenn man ihnen verbot, sie zu beziehen.

Was wollten sie denn?

Die Juli-Revolution zeigte, was sie wollten.

Fügen wir diesem bei, daß die Verurtheilung von Herrn Sarranti, welche sich durch die ganze Stadt verbreitet hatte, als eine unheilvolle Kunde, nicht wenig dazu beitrug, die Gährung bei einer ansehnlichen Partei zu vermehren.

Und, obschon Seine Majestät die Messe in Gesellschaft Ihrer Königlichen Hoheiten des Dauphin, der Frau Herzogin von Berry gehört; obschon Sie Seine Herrlichkeit den Kanzler, Ihre Excellenzen die Minister, die Staatsräthe, die Cardinäle, den Herrn Fürsten von Talleyrand, den Nuntius des Papstes, den Gesandten von Sardinien, den Gesandten von Neapel, den Großreferendär der Pairskammer, eine große Anzahl von Deputirten und Generalen empfangen; obschon Sie den Heirathsvertrag von Herrn Tassin de la Valliere, General-Einnehmer der Finanzen der Ober-Pyrenäen, mit Fräulein Charlet unterzeichnet hatte, hatten doch diese verschiedenen Uebungen nicht den Einfluß gehabt, die Stirne des sorgenvollen Monarchen zu entrunzeln, und wir wiederholen, Seine Majestät war auf taufend Meilen davon entfernt, von einer tollen Heiterkeit zwischen ein und zwei Uhr des Nachmittags am 30. April 1827 zu sein.

Seine Stirne drückte im Gegentheile eine düstere Unruhe aus, die ihm gewöhnlich fremd. Es war in dem königlichen Greise, der gut und einfältigen Herzens, ein wenig von der Sorglosigkeit des Kindes; überdies war er überzeugt, er gehe auf dem guten, auf dem wahren Wege, und der Letzte von dem Geschlechte, dessen Schutzdach die Falten der weißen Fahne bildeten, hatte er zum Wahlspruche die Devise der alten Tapfern genommen; Thue, was Du sollst, komme, was da will!

Er trug nach seiner Gewohnheit jene Uniform, – blau mit Silber, – mit der Vernet ihn, eine Revue passierend, gemalt hat: er hatte auf der Brust das große Band und den Stern vom heiligen Geiste, mit welcher Decoration er ein Jahr später Victor Hugo empfangen und ihm die Aufführung von Marion Delorme verweigern sollte. – Die Verse des Dichters über diese Zusammenkunst leben noch: Marion Delorme wird immer leben. Wo bist Du, guter König Karl X., der Du den Kopf der Väter den Kindern und die Aufführung der Stücke den Dichtern verweigertest?

Als er den Huissier vom Dienste den Besuch melden hörte, für welchen ihn seine Schwiegertochter um eine Audienz gebeten hatte, hob der König sein gebeugtes Haupt empor.

»Der Abbé Dominique Sarranti?« wiederholte er maschinenmäßig: »ja, das ist es!«

Doch ehe er antwortete, nahm er von seinem Schreibtische ein Blatt Papier, und als er es mit den Augen durchlaufen hatte, sagte er:

»Man lasse den Abbé Dominique eintreten.«

Der Abbé Dominique erschien aus der Thürschwelle: hier blieb er, die Hände aus seiner Brust gekreuzt, stehen und verbeugte sich tief.

Der König verbeugte sich auch, nicht vor dem Menschen, sondern vor dem Priester.

»Treten Sie ein, mein Herr,« sagte er.

Der Abbé machte ein paar Schritte vorwärts und blieb abermals stehen.

»Herr Abbé,« sprach der König, »die Schnelligkeit, mit der ich Ihnen diese Audienz bewilligt habe, muß Ihnen beweisen, wie ich alle Diener Gottes besonders hochschätze.«

»Das ist eine von den Eigenschaften Eurer Majestät, welche ihr zum Ruhme gereicht, und zugleich eines ihrer schönsten Anrechte auf die Liebe ihrer Unterthanen.«

»Ich höre Sie, Herr Abbé,« sagte der König, indem er die den Fürsten, wenn sie Audienz geben, eigenthümliche Haltung annahm.

»Sire,« sprach Dominique, »mein Vater ist heute Nacht zum Tode verurtheilt worden.«

»Ich weiß es, mein Herr, und ich habe tief hierüber für Sie geseufzt.«

»Mein Vater war unschuldig an den Verbrechen, wegen deren er verurtheilt worden ist . . . «

»Entschuldigen Sie, Herr Abbé,« unterbrach Karl X., »das war nicht die Meinung der Herren Geschworenen.«

»Sire, die Geschworenen sind Menschen, und wie diese können sie durch den Anschein getäuscht sein.«

»Ich gebe Ihnen das zu, Herr Abbé, eher als einen Kindestrost, denn als ein Axiom des menschlichen Rechts; so weit aber Gerechtigkeit von den Menschen geübt werden kann, ist Gerechtigkeit gegen Ihren Vater von den Herren Geschworenen geübt worden.«

»Sire, ich habe den Beweis der Unschuld meines Vaters!«

»Sie haben den Beweis der Unschuld Ihres Vaters?« wiederholte Karl X. mit Erstaunen.

»Ich habe ihn, Sire!«

»Und warum haben Sie ihn nicht früher gegeben?«

»Ich konnte nicht.«

»Nun wohl, mein Herr, da es glücklicher Weise noch Zeit ist, so geben Sie ihn mir.«

»Ihnen den Beweis geben, Sire?« sagte der Abbé Dominique, indem er sein Haupt neigte; »leider ist das unmöglich.«

»Unmöglich?«

»Ach! ja, Sire.«

»Und welches Motiv kann einen Menschen abhalten, die Unschuld eines Verurtheilten laut zu erklären, wenn besonders dieser Mensch ein Sohn, und dieser Verurtheilte sein Vater ist?«

»Sire, ich kann Eurer Majestät nicht antworten, doch der König weiß, ob derjenige, welcher bei den Andern die Lüge bekämpft, derjenige, welcher sein Leben mit Erforschung der Wahrheit zubringt, wo immer sie auch sein mag, kurz einer der Diener des Herrn, – der König weiß, ob dieser lügen könnte und besonders möchte. Nun wohl, Sire, unter der Rechten des Herrn, des Herrn, den ich anflehe, mich zu bestrafen, wenn ich lüge, erkläre ich laut zu den Füßen Eurer Majestät die Unschuld meines Vaters; ich versichere mit allen Kräften meines Gewissens und schwöre Eurer Majestät, daß ich Ihr den Beweis hiervon früher oder später geben werde.«

»Herr Abbé,« erwiderte der König mit einer majestätischen Sanftmuth, »Sie sprechen als Sohn, und ich ehre das Gefühl, das Ihnen Ihre Worte eingibt; erlauben Sie mir aber, daß ich Ihnen als König antworte.«

»Oh! Sire, ich höre mit gefalteten Händen.«

»Ginge das Verbrechen, dessen Ihr Vater beschuldigt ist, nur mich an, griffe es unmittelbar nur mich an; wäre es mit einem Worte ein politisches Verbrechen, ein Attentat gegen die Ruhe des Staates, ein Verbrechen der Majestätsbeleidigung, oder sogar ein Attentat gegen mein eigenes Leben, hätte der Streich getroffen, wäre ich verwundet, tödtlich verwundet, wie es meinem armen Sohne durch Louvel geschehen ist, ich thäte, was mein sterbender Sohn gethan hat, mein Herr, zu Gunsten Ihres Kleides, das ich achte, Ihrer Frömmigkeit, die ich ehre: mein letzter Act wäre die Begnadigung Ihres Vaters.«

»Oh! Sire, wie gut sind Sie!«

»Doch es ist nicht so: die politische Anklage ist vom Staatsanwalte beseitigt worden, und die des Diebstahls, der Entführung, des Mordes . . . !«

»Sire! Sire!«

»Ah! ich weiß, daß das grausam zu hören ist; da ich aber verweigere, so muß ich wenigstens die Ursachen meiner Weigerung sagen . . . Die Beschuldigung des Diebstahls, der Entführung und des Mordes ist also stehen geblieben. Durch diese Anklage ist aber nicht der König bedroht, ist nicht der Staat in Gefahr, ist weder die Majestät, noch die königliche Macht kompromittiert; die Gesellschaft ist angegriffen, und die Moralität schreit um Rache.«

»Ah! wenn ich sprechen könnte, Sire!« rief Dominique, die Hände ringend.

»Diese drei Verbrechen, deren Ihr Vater nicht nur angeklagt, sondern überwiesen ist, – überwiesen, da die Jury geurtheilt hat und die, von der Charte den Franzosen zugestandene, Jury ein unfehlbares Tribunal ist, – diese drei Verbrechen sind die gemeinsten, die niederträchtigsten, die am Gerechtesten strafbaren: das geringste von den dreien verdient die Galeeren.«

»Sire! Sire! Erbarmen! sprechen Sie dieses erschreckliche Wort nicht aus!«

Der Abbé Dominique sank aus seine Knie«.

Der König fuhr fort:

»Sie wollen, daß, während es sich um diese drei entsetzlichen Verbrechen handelt, ich, der Vater meiner Unterthanen, den Schuldigen die Ermunterung gebe, mein Begnadigungsrecht zu benützen, während ich, wenn ich es hätte, und zum Glück habe ich es nicht, von meinem Rechte über Leben und Tod Gebrauch machen müßte? . . . Wahrhaftig, Herr Abbé, Sie, der Sie Großjusticiar beim Tribunal der Buße sind, fragen Sie sich selbst und sagen Sie, ob Sie einem so großen Verbrecher, wie es Ihr Vater, ist, andere Worte zu sagen hätten, als die, die einzigen, welche mir mein Herz eingibt: »»Ich rufe aus den Todten die ganze göttliche Barmherzigkeit herab, doch ich muß den Lebenden bestrafend Gerechtigkeit üben.««

»Sire,« rief der Abbé die ehrerbietigen Formeln, die officielle Etiquette vergessend, die der Abkömmling von Ludwig XIV. so streng beobachten ließ, »Sire, enttäuschen Sie sich: es ist nicht der Sohn, der zu Ihnen spricht, es ist nicht der Sohn, der Sie bittet, es ist nicht der Sohn, der Sie anfleht; es ist ein ehrlicher Mensch, der, die Unschuld eines andern Menschen kennend, Ihnen zuruft: Nicht zum ersten Male irrt sich die menschliche Gerechtigkeit, Sire! Sire, erinnern Sie sich an Calas; Sire, erinnern Sie sich an Labarre; Sire, erinnern Sie sich an Lesurques! Ludwig XV., Ihr erhabener Ahn, hat gesagt, er gäbe eine von seinen Provinzen, wenn Calas nicht unter seiner Regierung hingerichtet worden wäre; Sire, ohne es zu wissen, sind Sie im Begriffe, das Beil aus den Hals eines Gerechten fallen zu lassen; Sire, im Namen des lebendigen Gottes sage ich Ihnen, der Schuldige wird gerettet sein, und der Unschuldige wird sterben!«

»Ei! mein Herr,« erwidert der König bewegt, »dann sprechen Sie! so sprechen Sie doch! Kennen Sie den Schuldigen, so nennen Sie ihn mir, oder, ein entarteter Sohn, sind Sie der Henker; ein Vatermörder, sind Sie es, der Ihren Vater tödtet! . . . Auf, sprechen Sie, mein Herr, sprechen Sie! das ist nicht nur Ihr Recht, sondern Ihre Pflicht!«

»Sire, es ist meine Pflicht, zu schweigen,« antwortete der Abbé, dem die Thränen, – die ersten, die er vergossen hatte, – die Augen überflutheten.

»Ist es so, Herr Abbé,« fügte der König, der die Wirkung sah, ohne die Ursache zu begreifen, und sich durch das, was er als eine Halsstarrigkeit des Mönches betrachtete, verletzt zu fühlen anfing; »ist es so, dann erlauben Sie’ mir, mich dem Spruche der Herren Geschworenen zu unterwerfen.«

Und er machte ein Zeichen, das dem Mönche bedeutete, die Audienz sei beendigt.

Doch so gebietend auch die Geberde des Königs war, Dominique gehorchte nicht; er stand nur auf und sprach mit einer ehrerbietigen, aber festen Stimme

»Sire, Eure Majestät hat sich getäuscht: ich verlange nicht oder verlange nicht mehr die Begnadigung meines Vaters.«

»Was verlangen Sie denn?«

»Sire, ich bitte Eure Majestät um einen Aufschub.«

»Um einen Ausschub?«

»Ja, Sire.«

»Von wie viel Tagen?«

Dominique berechnete in seinem Geiste und sprach dann laut:

»Von fünfzig Tagen.«

»Ei!« sagte der König, »das Gesetz bewilligt drei Tage dem Angeklagten, um ein Cassationsgesuch einzureichen, und die Cassation ist immer eine Sache von vierzig Tagen.«

»Je nachdem, Sire; der Cassationshos kann, wenn man ihn drängt, sein Urtheil in zwei Tagen, in einem sogar eben so gut sprechen, als in vierzig, und überdies . . . «

Dominique zögerte.

»Und überdies?« wiederholte der König. »Vollenden Sie Ihren Gedanken.«

»Überdies, Sire, wird mein Vater kein Cassationsgesuch einreichen.« ,

»Wie, das wird Ihr Vater nicht thun?«

Dominique schüttelte den Kopf.

»So will also Ihr Vater sterben?« rief der König.

»Er wird wenigstens nichts thun, um dem Tode zu entkommen.«

»Dann, mein Herr, wird die Gerechtigkeit ihren Lauf haben.«

»Sire,« sprach Dominique, »im Namen Gottes bewilligen Sie einem seiner Diener die Gnade, um die er Sie bittet!«

»Nun wohl, ja, mein Herr, ich werde sie ihm vielleicht bewilligen, doch vor Allem unter einer Bedingung: daß der Verurtheilte nicht der Justiz trotzt. Er reiche sein Cassationsgesuch ein, und ich werde sehen, ob er außer den drei Tagen Frist, die ihm das Gesetz bewilligt, die vierzig Tage Ausschub bekommen soll, die ihm meine Gnade gewähren wird.«

»Es ist mit dreiundvierzig Tagen nicht genug, Sire,« erwiderte Dominique entschlossen; »ich brauche fünfzig.«

»Fünfzig, mein Herr, und wozu?«

»Um eine lange, mühsame Reise zu machen, Sire; um eine Audienz zu erhalten, die ich vielleicht nur schwer erlangen werde; um endlich einen Mann zu überzeugen, der, wie Sie, Sire, vielleicht nicht wird überzeugt sein wollen.«

»Sie machen eine lange Reise?«

»Eine Reise von dreihundert fünfzig Meilen, Sire!«

»Und Sie machen sie zu Fuße?«

»Ich mache sie zu Fuße, ja, Sire.«

»Warum zu Fuße? Sprechen Sie!«

»Weil so die Pilger reisen, welche eine höchste Gnade von Gott zu erbitten haben.«

»Wenn ich aber die Reisekosten tragen würde, wenn ich Ihnen das nöthige Geld gäbe . . . ?«

»Sire, Eure Majestät bewahre das Geld, das sie mir geben würde, für ein frommes Almosen. Ich habe ein Gelübde gethan, zu Fuße und zwar barfuß zu gehen, ich werde zu Fuße und barfuß gehen.«

»Und Sie machen sich anheischig, in fünfzig Tagen die Unschuld Ihres Vaters zu beweisen?«

»Nein, Sire, ich mache mich nicht anheischig, und ich schwöre, daß kein Anderer an meiner Stelle sich hierzu anheischig machen könnte; doch ich versichere, daß ich nach der Reise, die ich unternehme, wenn ich nicht die Mittel habe, die Unschuld meines Vaters zu proclamiren, ich versichere, daß ich den Spruch der menschlichen Gerechtigkeit annehme, und mich darauf beschränke, dem Verurtheilten die Worte des Königs: »»Ich rufe auf Dich die göttliche Barmherzigkeit herab!«« zu wiederholen.«

Eine neue Gemüthsbewegung erfaßte Karl X. Er schaute den Abbé Dominique an, und als er sein offenes, redliches Gesicht sah, drang eine Halbüberzeugung in sein Herz ein.

Unwillkürlich indessen, trotz dieser unwiderstehlichen Sympathie, welche das Gesicht des edlen Mönches einflößte, ein Gesicht, das nur der Reflex seines Herzens war, nahm König Karl X., als wollte er Kräfte gegen das gute Gefühl schöpfen, das sich seiner zu bemächtigen drohte, zum zweiten Male das auf seinem Tische liegende Blatt Papier, auf das er seine Augen geworfen, als ihm der Huissier den Abbé Dominique gemeldet hatte; er richtete rasch wieder einen Blick darauf, und dieser Blick, so rasch er war, genügte, um in ihm den guten Willen zurückzudrängen, der so nur einen ephemeren Ausdruck hatte: von gerührt, wie er war, während er den Abbé Dominique anhörte, wurde er kalt, sorgenvoll, verdrießlich.

Es war wohl Grund vorhanden, verdrießlich. kalt und sorgenvoll zu sein: die Note, welche der König vor Augen hatte, war die kurze Geschichte von Herrn Sarranti und dem Abbé Dominique, zwei Portraits skizziert von Meisterhand, wie sie die Congregation zu skizzieren wußte; – die Biographie von zwei wüthenden Revolutionären.

Die erste war die von Herrn Sarranti. Sie nahm ihn bei seinem Abgange von Paris; sie folgte ihm nach Indien an den Hof von Rundschit Sing, bei seinen Verbindungen mit dem General Lebastard de Prémont, der selbst als entsetzlich gefährlicher Mensch bezeichnet war; sodann von Indien ging sie mit ihm nach Schönbrunn, sie detaillierte die durch die guten Bemühungen von Herrn Jackal gescheiterte Verschwörung, und während sie den General Lebastard jenseits der Wien-Brücke verlor, nahm sie Herrn Sarranti allein wieder auf, um ihn nach Paris zurückzuführen und erst am Tage seiner Verhaftung zu verlassen. Am Rande standen die Worte: »Überdies angeklagt und überwiesen der Verbrechen der Entführung, des Diebstahls und des Mordes, wegen welcher Verbrechen er verurtheilt worden ist.«

Was den Abbé Dominique betrifft, – seine Biographie war nicht minder detailliert. Man nahm ihn beim Austritte aus dem Seminar; man erklärte ihn für einen Schüler des Abbé Lamenais, dessen Dissidenz Aufsehen zu erregen anfing; sodann machte man aus ihm einen Mansardenbesucher, der nicht das Wort Gottes verbreite, sondern für die revolutionäre Propaganda arbeite; man führte eine Predigt von ihm an, die ihm würde ernstliche Ermahnungen von Seiten seiner Obern zugezogen haben, hätte er nicht einem spanischen, in Frankreich noch nicht wiederhergestellten Orden angehört. Man trug endlich darauf an, ihn nach dem Auslande zurückzuschicken, da seine Anwesenheit in Paris, nach der Aussage der Kongregation, gefährlich war.

Kurz, nach der Note, die der arme König vor Augen hatte, waren die Herren Sarranti, Vater und Sohn, Blutsäufer und hielten in der Hand: der Eine das Schwert, das den Thron umstürzen sollte; der Andere die Fackel, welche die Kirche niederbrennen sollte.

Es genügte also, hatte man sich einmal mit all diesem Jesuitengifte angeschwängert, die Blicke wieder auf das Blatt Papier zu werfen, um zum politischen Hasse, der sich einen Augenblick beugen konnte, zurückzukehren und gleichsam mit einem Schlage aufs Neue alle die Gespenster der Revolution hervortreten zu sehen.

Der König schauerte und warf dem Abbé Dominique einen schlimmen Blick zu.

Dieser täuschte sich nicht im Blicke von Karl X. und fühlte sich wie von einem glühenden Eisen getroffen. Er hob indessen das Haupt stolz empor, verbeugte sich, machte zwei Schritte rückwärts und schickte sich an, wegzugehen.

Eine erhabene Geringschätzung für diesen König, der die Instincte seines Herzens zurückstieß, um an ihre Stelle den Haß Anderer zu setzen, die niederschmetternde Verachtung des Starken gegen den Schwachen schweiften wider den Willen des Abbé Dominique in seinen Augen und auf seinen Lippen.

Karl X. sah dieses Gefühl wie eine Flamme glänzen, und, im Ganzen Bourbon, das heißt schnell für die Gnade, hatte er einen von den Gewissensbissen, welche zu gewissen Stunden, Agrippa d’Aubigne anschauend, sein Ahnherr Heinrich IV. haben mußte.

Die Wahrheit oder wenigstens der Zweifel erschien ihm in der Halbtinte; er wagte es nicht, zu verweigern, was dieser redliche Mann von ihm verlangte, und rief den Abbé Dominique in dem Augenblicke zurück, wo er sich entfernen wollte.

»Herr Abbé,« sagte er zu ihm, »ich habe bis jetzt weder bejahend, noch verneinend auf Ihre Bitte geantwortet; wenn ich es aber nicht gethan habe, so ist dies so, weil ich vor meinen Augen, oder vielmehr in meinem Geiste die Schatten der ungerecht geopferten Gerechten vorüberziehen sah.«

»Sire,« rief der Abbé, indem er zwei Schritte rückwärts machte, »es ist noch Zeit, und der König braucht nur ein Wort zu sprechen.«

»Ich bewillige Ihnen zwei Monate, Herr Abbé,« sagte der König, indem er seinen gewöhnlichen Stolz wieder annahm, als bereute er es und als erröthete er darüber, daß er die geringste Gemüthsbewegung hatte durchscheinen lassen; »doch hören Sie wohl? Ihr Vater gebe sein Cassationsgesuch ein! Ich verzeihe zuweilen die Rebellion gegen das Königthum; ich würde nie die Rebellion gegen die Justiz verzeihen.«

»Sire, werden Sie die Gnade haben, mir das Mittel zu geben, bei meiner Ankunft zu jeder Stunde des Tages und der Nacht zu Ihnen zu gelangen?«

»Gern,« antwortete der König.

Und er klingelte.

»Sie sehen diesen Herrn,« sagte Karl X. zum eintretenden Huissier. »Schauen Sie ihn genau an, und man führe ihn bei mir ein, zu welcher Stunde des Tags oder der Nacht er auch hier erscheinen mag. Unterrichten Sie hiervon die Leute vom Dienste.«

Der Abbé verbeugte sich und ging ab, das Herz voll Freude, wenn nicht voll Dankbarkeit.

Salvator

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