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Erster Band
II
Das Hotel du Grand-Turc, Place Saint-André-des-Arcs

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Für diejenigen, welche sich darüber wundern sollten, daß sie Herrn Sarranti das Anerbieten, – so annehmbar es für einen Mann, der Eile hatte, war, – das ihm Gibassier machte, nicht haben annehmen sehen, bemerken wir, daß, wenn Jemand schlauer ist, als der Polizeiagent, der einen Menschen verfolgt, wie schlau auch dieser Polizeiagent sein mag, dies der Verfolgte ist.

Es regte sich also im Geiste von Herrn Sarranti ein unbestimmter Verdacht in Betreff dieses Magyaren, der so schlecht Französisch sprach, und dennoch, wenn man etwas Französisch zu ihm sagte, ziemlich verständig auf Alles antwortete, was man ihm sagen mochte, dagegen wenn man Deutsch, Polnisch oder Walachisch mit ihm sprach, – drei Sprachen, in denen Herr Sarranti vollkommen Meister war, – in den Tag hinein ja oder nein antwortete, sich sogleich in seine Guba hüllte und den Anschein gab, als schliefe er.

In Folge dieses Verdachts war Herr Sarranti, der sich während der anderthalb Meilen, die er mit ihm, von dem Orte, wo der Wagen gebrochen, bis zu dem Gasthanse gemacht, wo er sein Mittagsbrod bestellt hatte, sehr unbehaglich gefühlt, entschlossen, den Beistand seines gefälligen, aber schweigsamen Reisegefährten auszuschlagen.

Darum hatte Herr Sarranti, der nicht warten konnte, bis der seinige wiederhergestellt war, und nicht in dem des edlen Ungarn Platz nehmen wollte, einen Wagen verlangt.

Gibassier war zu schlau, um dieses Mißtrauen nicht zu bemerken. Während er zu Mittag speiste, befahl er auch, sogleich anzuspannen, da er nothwendig am andern Tage in Paris ankommen müsse, wo er ungeduldig vom österreichischen Gesandten erwartet werde.

Als die Pferde angespannt waren, grüßte Gibassier Herrn Sarranti mit einer herzlichen Kopfbewegung, drückte seine Pelzmütze auf seine Ohren nieder und ging ab . . .

Da Herr Sarranti ebenfalls Eile hatte, so war es wahrscheinlich, er werde dem directen Wege wenigstens bis Ligny folgen. Dort würde er ohne Zweifel Bar-le-Duc zu seiner Rechten lassen, um, auf der Straße von Ancervillee Saint-Dizier und Vitry-le-Francais zu erreichen.

Nur bei Vitry-le-Francais entstand ein Zweifel. Würde Herr Sarranti, hier angekommen, eine krumme Linie beschreibend, über Chalons gehen, oder unmittelbar über Fère-Champenoise, Coulanniers, Crécy und Lagny reisen?

Das war eine Frage, die sich erst in Vitry-le-Francais entscheiden ließ.

Gibassier bezeichnete seinen Weg über Toul, Ligny, Saint-Dizier;, doch eine halbe Meile von Vitry hielt er an, und er hatte mit seinem Postillon eine Besprechung von ein paar Minuten, nach welchen sich der Wagen auf die Seite geworfen mit einer gebrochenen Vorderachse auf der Erde fand.

Gibassier war ungefähr seit einer halben Stunde hier in dieser so wohl bekannten traurigen Lage, welche von Herrn Sarranti so gut geschätzt werden mußte, als die Postchaise von diesem oben auf einer Anhöhe erschien.

Als er sich dem umgeworfenen Wagen näherte, streckte Herr Sarranti den Kopf zum Schlage hinaus, und er sah aus der Straße seinen Magyaren, der mit Hilfe des Postillon vergebliche Versuche machte, um seine Chaise in den Stand zu bringen, die Reise fortsetzen zu können.

Es wäre von Herrn Sarranti eine Verletzung aller Pflichten der Höflichkeit gewesen, hätte er Gibassier in einer solchen Verlegenheit gelassen, während Gibassier bei einem ähnlichen Umstande sich und seinen Wagen zu seiner Verfügung gestellt hatte.

Er bot ihm also ebenfalls an, zu ihm einzusteigen, was Gibassier mit einer merkwürdigen Discretion annahm, indem er Vitry-le-Francais als das Ziel der Verlegenheit festsetzte,. welche er Seiner Excellenz Herrn von Bornis zu verursachen einwilligte. – Das war der Name, unter welchem Herr Sarranti reiste.

Man transportierte auf den Wagen von Herrn von Bornis den Riesenkoffer des Magyaren, und man schlug den Weg nach Vitry-le-Francais ein, wo man zwanzig Minuten nachher ankam.

Man hielt vor der Post an.

Herr von Bornis verlangte Pferde: Gibassier irgend eine Carriole, um seine Reise fortzusetzen.

Der Postmeister zeigte unter seiner Remise ein altes Cabriolet, das, so alt es war, den Bedürfnissen von Gibassier zu entsprechen schien.

Beruhigt über das Schicksal seines Gefährten, nahm Herr von Bornis von diesem Abschied und gab, wie dies Gibassier gedacht hatte, Befehl, der Straße nach Fère-Champenoise zu folgen.

Gibassier schloß seinen Handel mit dem Postmeister und reiste ab, indem er dem Postillon den Befehl gab, derselben Straße zu folgen, welche der Reisende, der ihm voranging, eingeschlagen hatte.

Der Postillon sollte fünf Franken in dem Augenblicke erhalten, wo man den Wagen erblicken würde.

Der Postillon trieb seine Pferde zum schnellsten Laufe an, doch man kam zur Station, ohne etwas gesehen zu haben.

Auf der Station fragte man Postmeister und Postillon: keine Postchaise war seit dem vorhergehenden Tage vorübergekommen.

Die Sache war klar: Sarranti mißtraute. Er hatte die Straße nach Fère-Champenoise angegeben und die nach Châlons eingeschlagen.

Gibassier war zurückgeblieben.

Es war keine Minute zu verlieren, um in Meaux vor Sarranti anzukommen.

Gibassier ließ sein Cabriolet hier, nahm aus seinem Koffer das vollständige Costume eines Cabinetscouriers, Blau und Gold, zog eine Lederhose und weiche Stiefeln an , warf auf seinen Rücken den Depechensack, entledigte sich seines Backenbartes und seines Schnurrbartes und verlangte einen Postklepper.

In einem Augenblicke war der Postklepper gesattelt und Gibassier auf dem Wege nach Sésanne.

Er hoffte Meaux über la Ferté-Gaucher und Coulomniers zu erreichen.

Er hielt weder um zu trinken, noch um zu essen, machte dreißig Lieues in einem Zuge und kam vor dem Thore von Meaux an.

Keine der, welche Gibassier beschrieb, ähnliche Postchaise war passirt.

Gibassier hielt an, ließ sich in der Küche Mittagsbrod servieren, aß, trank und wartete.

Ein gesatteltes Pferd wartete auch.

Nach einer Stunde traf der mit so großer Ungeduld erwartete Wagen ein.

Es war finstere Nacht.

Sarranti ließ sich ein Bouillon in seinen Wagen bringen und gab Befehl, nach Paris über Claye zu fahren: – das genügte Gibassier.

Er ging zum Hofthore hinaus, schwang sich auf sein Pferd und erreichte bald, indem er einen Seitenweg durch ein Gäßchen einschlug, die Straße nach Paris.

Nach Verlauf von zehn Minuten sah er hinter sich die zwei Laternen der Postchaise von Sarranti glänzen.

Das war fortan Alles, was er brauchte: er sah und wurde nicht gesehen. Es handelte sich nur darum, auch nicht gehört zu werden.

Er wählte die Seite des Weges und galoppierte immer ein Kilometer vor dem Wagen.

Man kam in Bondy an.

Hier war in einem Nu der Cabinetscourier in einen Postillon verwandelt, und gegen ein Trinkgeld von fünf Franken, trat der Postillon, der fahren sollte, mit Dankbarkeit seine Tour ab.

Herr Sarranti erschien.

So nahe bei Paris war es nicht der Mühe wert anzuhalten; er steckte den Kopf durch den Schlag und verlangte Pferde.

»Hier sind schon, Herr, und zwar famose,« antwortete Gibassier.«

Es war in der That ein Paar von den trefflichen Schimmeln des Perche , welche immer wiehern und stampfen.

»Wollt ihr wohl ruhig sein, ihr Teufelsmähren!« rief Gibassier, während er sie ihren Platz mit der Geschicklichkeit eines vollendeten Postillon an der Deichsel einnehmen ließ.

Als sodann die Pferde angespannt waren, fragte der falsche Postillon, mit dem Hute in der Hand, an den Wagenschlag tretend:

»Wo werden Sie absteigen, Herr?«

»Place Saint-André-des-Arcs, Hotel du Grand-Turc,« antwortete Herr Sarranti.

»Gut!« rief Gibassier, »es ist, als ob Sie schon dort wären!«

»Und wann werden wir da sein ?« fragte Herr Sarranti.

»Oh! in anderthalb Stunden ; die Funken müssen davon fliegen!«

»Rasch, vorwärts! zehn Franken Trinkgeld, wenn wir in einer Stunde an Ort und Stelle sind.«

»Man wird da sein, Bürger!« sagte Gibassier.

Und er schwang sich auf das Sattelpferd und ging im Galopp ab.

Diesmal war er sicher, Sarranti werde ihm nicht entkommen.

Man erreichte die Barrière. Die Douaniers nahmen die rasche Durchsuchung vor, mit der sie die Reisenden beehren, welche mit Extrapost reisen, sprachen das sacramentliche Wort: »Weiter!« und Herr Sarranti, der sieben Jahre früher aus Paris durch die Barrière de Fontainebleau abgegangen war, kehrte dahin durch die Barrière de la Petite-Villette zurück.

Eine Viertelstunde nachher fuhr man in starkem Trabe in den Hof des Hotel du Grand-Turc, Place Saint-André-des-Arcs, ein.

Es waren im Gasthause nur zwei Zimmer, welche auf demselben Boden einander gegenüberlagen, unbesetzt: die Nummer 6 und die Nummer 11.

Der Kellner führte Herrn Sarranti, und dieser wählte die Nummer 6.

Als der Kellner hinabging, rief Gibassier:

»He! sagen Sie doch, Freund!«

»Was gibt es, Postillon?« fragte verächtlich der Kellner.

»Postillon! Postillon!« wiederholte Gibassier; »ganz gewiß bin ich Postillon. Nun? ist dabei eine Schande?«

»Nicht daß ich wüßte; nur nenne ich Sie Postillon, weil Sie Postillon sind!«

»Gut!« sprach Gibassier.

Und er machte brummend zwei Schritte gegen seine Pferde.

»Was wollen Sie denn von mir’s« fragte der Kellner.

»Ich? Nichts.«

»Sie riefen ja vorhin . . . «

»Was?«

»»Sagen Sie doch, Freund!««

»»Ah! es ist wahr . . . Nun, die Sache verhält sich so: Herrn Poirier . . . Sie kennen ihn wohl?«

»Welchen Herrn Poirier?«

»Ei! Herrn Poirier . . . «

»Ich kenne keinen Herrn Poirier.«

»Herrn Poirier, der Pächter bei uns: Sie kennen ihn nichts Herrn Poirier, der eine Herde von vierhundert Stück Vieh hat! Sie kennen Herrn Poirier nicht?«

»Ich sage Ihnen, daß ich ihn nicht kenne.«

»Desto schlimmer! er wird mit dem Wagen von elf Uhr kommen, mit dem Wagen von Plat d’Etain.

Sie kennen ihn wohl, den Wagen von Plat d’Etain?«

»Nein.«

»Sie kennen also Nichts-? Was haben Sie denn Ihr Vater und Ihre Mutter gelehrt, wenn Sie weder Herrn Poirier, noch den Wagen von Plat d’Etain kennen? . . . Ah! man muß zugestehen, es gibt sehr fehlerhafte Eltern!«

»Wo wollen Sie denn aber hinaus mit Ihrem Herrn Poirier?«

»Ah! ich wollte Ihnen hundert Saus in seinem Auftrage geben; doch wenn Sie ihn nicht kennen . . . «

»Man kann Bekanntschaft machen.«

»Doch wenn Sie ihn nicht kennen . . . «

»Wozu denn aber diese hundert Sons? Er gibt mir nicht hundert Sous wegen meiner schönen Augen . . . «

»Oh! nein, da Sie schielen, mein Freund.«

»Gleichviel! warum beauftragt Sie Herr Poirier, mir hundert Saus zu geben?«

»Um ihm ein Zimmer im Hotel aufzubewahren, weil er im Faubourg Saint-Germain zu thun hat; und er sagte zu mir: »»Charpillon!«« Das ist mein Name, Charpillon vom Vater auf den Sohn.«

»Das freut mich sehr, Herr Charpilon.«

»Er sagte zu mir: »»Charpilon, Du wirst hundert Sous dem Mädchen vom Hotel du Grand-Turc, Place Saint-André-des-Arcs, geben, damit es mir ein Zimmer aufbewahrt.«« Wo ist das Mädchen?«

»Das ist unnöthig, ich werde ihm das Zimmer so gut aufbewahren, als das Mädchen.«

»Ei nein! da Sie ihn nicht kennen . . . «

»Ich brauche ihn nicht zu kennen, um ihm ein Zimmer aufzubewahren.«

»Ah! das ist wahr; Sie sind nicht ganz so dumm, als Sie aussehen!«

»Ich danke.«

»Hier sind die hundert Saus; Sie werden ihn wohl erkennen, wenn er kommt.«

»Herrn Poirier?«

»Ja.«

»Besonders, wenn er seinen Namen sagt.«

»Oh! er wird ihn sagen; er hat keine Gründe, seinen Namen zu verheimlichen.«

»Dann wird man ihn in das Zimmer Nummer 11 führen.«

»Sehen Sie einen dicken Kumpan, mit einem Nasenwärmer der ihm das halbe Gesicht bedeckt, und einem Ueberrocke den kastanienbraunem Castorin, so können Sie dreist sagen: »»Das ist Herr Poirier!««

Und hiernach: gute Nachts lassen Sie Nummer 11 gut heizen, denn Herr Poirier ist sehr verfroren . . . Ah! und warten Sie doch, ich glaube, es wäre ihm nicht unangenehm, wenn er ein guten Abendbrod in seinem Zimmer fände.«

»Schon!«

»Und ich vergaß noch . . . « sagte der falsche Charpillon.

»Was?«

»Die Hauptsache! Er trinkt nur Bardeauxwein.«

»Wohl! er wird eine Flasche Bordeaux auf seinem Tische finden.«

»Dann wird er nichts mehr zu wünschen haben, als Augen zu besitzen, wie die Deinigen, um gegen Bondy sehen zu können, wenn Charenton brennt.«

Und mit einem gewaltigen Gelächter, das von dem Vergnügen zeugte, welches ihm dieser feine Scherz bereitete, verließ der falsche Postillon das Hotel du Grand-Turc.

Eine Viertelstunde nachher hielt ein Cabriolet vor der Thüre des Gasthauses; ein Mann stieg aus unter dem von Charpillon angegebenen Signalement und wurde, nachdem er sich als denselben Herrn Poirier, den man erwartete, zu erkennen gegeben, vom Kellner unter zahllosen Bücklingen in das Zimmer Nummer 11 geführt, wo ein gutes Abendbrod aufgetragen war, und wo eine Flasche Bordeaux-Wein, in einer vernünftigen Entfernung dem Feuer stehend, den Grad von Lauigkeit erreichte, welchen ihm, ehe sie ihn trinken, die wahren Feinzüngler geben.

Salvator

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