Читать книгу Die Zwillingsschwestern von Machecoul - Александр Дюма - Страница 10

Erster Theil
X.
Wo gezeigt wird, das man die Rechnung nicht ohne den Wirth machen soll

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Der junge Baron hatte anfangs die Absicht, den Rath Courtin’s zu befolgen, nämlich die Hunde in das Schloß zurückzuschicken. Rousseau und La Belette sollten die Hunde abliefern und seine Botschaft überbringen. Es waren zwei Diener, die theils auf dem Meierhofe, theils im Schlosse verwendet wurden. Die Spitznamen, unter denen sie Courtin unseren Lesern vorgestellt, verdankte der Erste der etwas schreienden Farbe seines Haares, der Zweite der Aehnlichkeit seines Gesichts mit der Schnauze des Thieres [La belette, das Wiesel.], welches La Fontaine in einer sehr hübschen Fabel illustriert hat.

Allein bei reiferer Erwägung dachte er, der Marquis von Souday könne sich mit einem einfachen Dankschreiben begnügen, ohne ihn einzuladen.

Wenn der Marquis so handelte, so war der Zweck verfehlt, und eine so günstige Gelegenheit fand sich vielleicht nicht wieder.

Wenn er hingegen die Hunde persönlich überbrachte, so mußte der Marquis seinen Besuch annehmen: einen Nachbar, der so gefällig ist, zwei verloren geglaubte werthvolle Jagdhunde persönlich zu überbringen, läßt man nicht sechs bis sieben Kilometer machen, ohne ihm eine Erfrischung und wenn es spät ist, ein Nachtlager zu bieten.

Michel sah nach der Uhr. Es war sechs Uhr und einige Minuten.

Die Baronin speiste um vier Uhr. Der junge Baron hatte daher Zeit genug, sich in das Schloß Souday zu begeben. Aber es war ein großer Entschluß, und Entschlossenheit war eben kein hervorragender Charakterzug Michel’s.

Er blieb eine Viertelstunde unschlüssig; aber in den ersten Maitagen geht die Sonne erst um acht Uhr unter, er hatte also noch anderthalb Stunden Sonnenschein. Ueberdies konnte er, ohne sich einer Unschicklichkeit schuldig zu machen, bis neun Uhr seinen Besuch aufschieben.

Freilich war vorauszusehen, daß sich die Mädchen nach einem Jagdtage frühzeitig zur Ruhe begeben würden, und um den Marquis allein zu sprechen, würde der junge Baron die sechs Kilometer nicht machen. Um Mary zu sehen, würde er hundert Meilen gemacht haben.

Er entschloß sich daher, auf der Stelle die kleine Reise anzutreten.

Erst jetzt bemerkte er, daß er keinen Hut hatte. Aber um seinen Hut zu holen, mußte er ins Schloß gehen; seine Mutter konnte ihm begegnen und ihn fragen, wohin er wollte und wem die Hunde gehörten.

Er brauchte keinen Hut; er konnte sich mit der Eile entschuldigen, der Wind konnte den Hut in eine Schlucht getrieben haben und die Hunde hätten ihm nicht erlaubt, ihm nachzulaufen. Es wäre viel unangenehmer gewesen, seiner Mutter zu begegnen.

Er machte sich also baarhaupt, mit den beiden Hunden am Riemen, auf den Weg.

Kaum hatte er einige Schritte gemacht, so sah er ein, daß er die fünfundsiebzig Minuten, auf die er gezählt hatte, nicht auf dem Wege zubringen würde. Denn sobald die Hunde merkten, welche Richtung ihr Führer einschlug, so hatte er sie nicht mehr fortzuziehen, sondern zurückzuhalten. Sie witterten den Stall; an einen kleinen Wagen gespannt, würden sie den Baron Michel in einer halben Stunde nach Souday gezogen haben. Zu Fuß konnte er den Weg in drei Viertelstunden zurücklegen.

Da er eben so ungeduldig war, wie die beiden Hunde, so setzte er sich in kurzen Trab.

Nach zwanzig Minuten kam er in den Wald von Machecoul. Anfangs war eine ziemlich steile Anhöhe zu ersteigen.

Der junge Baron fühlte auf der Höhe das Bedürfniß, sich zu verschnaufen. Die Hunde hingegen wollten rasch weiter, aber er hielt sie glücklich zurück.

Während er sich den Schweiß von der Stirn wischte und sich an der kühlen Abendluft labte, glaubte er einen Ruf zu hören. Die Hunde hörten ihn ebenfalls, begannen ein; klägliches Geheul und zogen mit erneuerter Kraft am Leitriemen.

Der Führer hatte sich ausgeruht und trabte weiter den mit aller Kraft ziehenden Hunden nach.

Er hatte noch nicht dreihundert Schritte gemacht, so hörte er denselben Ruf, aber näher und deutlicher, wieder.

Die Hunde antworteten mit einem noch kläglicheren Geheul und mit noch stärkeren Ziehen am Koppelriemen.

Der junge Baron sah wohl, daß Jemand die Hunde suchte und rief.

Nach einer Weile wiederholte sich das Rufen. Dieses Mal zogen Galon d’Or und Allegro mit solcher Gewalt, daß Michel, von ihnen fortgerissen, sehr schnell laufen mußte.

Nachdem er einige Minuten in diesem raschen Tempo gelaufen war, erschien ein Mann am Saume des Waldes, sprang über den Graben und trat dem jungen Baron in den Weg.

Es war Jean Oullier.

»Aha!« sagte er, »Sie sind’s, Monsieur Jolicoeur! Sie lenken also meine Hunde von der Wolfsfährte ab und hetzen sie auf einen Hasen! Und nun geben Sie sich sogar die Mühe, sie zusammenzukoppeln und am Riemen zu führen!«

»Ich habe die Hunde zusammengekoppelt,« erwiderte der junge Baron ganz athemlos, »um sie dem Herrn Marquis von Souday persönlich zu überbringen.«

»Ja, ja – ohne Hut und so mir nichts Dir nichts! Die Mühe können Sie sich ersparen, mein lieber Herr, ich werde die Hunde schon abliefern.«

Und ehe es der junge Baron hindern konnte, entriß ihm Oullier den Riemen und warf ihn den Hunden auf den Hals, wie man einem Pferde den Zügel auf den Hals wirft.

Die Hunde liefen nun auf das Schloß zu, Jean Oullier ihnen nach.

Alles dies war so schnell vor sich gegangen, daß die Hunde mit ihrem Treiber schon weit entfernt waren, ehe der junge Baron wieder einige Fassung gewonnen hatte.

Er stand wohl schon zehn Minuten ganz verblüfft auf derselben Stelle und schaute den Hunden nach, da hörte er eine sanfte, freundliche Mädchenstimme:

»Mein Gott! Herr Baron, was machen Sie denn ohne Hut hier im Walde?«

Was er hier machte? Das hätte er wohl schwerlich sagen können. Er folgte in Gedanken seinen davoneilenden Hoffnungen.

Er sah sich um und erkannte seine Milchschwester, die Tochter des Pächters Tinguy.

»Aha! Du bist’s, Rosine,« sagte er.

»Wo kommst Du denn her?«

»Ach! Herr Baron!« antwortete das Mädchen weinerlich, »ich komme aus dem Schlosse La Logerie, wo mich die Frau Baronin schlecht aufgenommen hat.«

»Wieso, Rosine? Du weißt ja, daß Dir meine Mutter sehr gut ist.«

»Ja, sonst wohl, aber heute nicht.«

»Wie! Heute nicht?«

»Ja, vor einer Stunde ließ sie mir die Thüre weisen.«

»Warum hast Du nicht nach mir gefragt?»

»Ich habe nach Ihnen gefragt, Herr Baron, aber man sagte mir, Sie wären nicht zu Hause.«

»Ich komme ja eben erst vom Schlosse her, und Du, bist gewiß nicht so geschwind hierher gekommen, wie ich.«

»Das ist möglich, Herr Baron. Denn da ich von Ihrer Frau Mutter abgewiesen wurde, so kam ich auf den Gedanken, die Wölfinnen aufzusuchen, aber ich entschloß mich nicht sogleich.«

»Was willst Du denn von den Wölfinnen?«

Es kostete ihm große Ueberwindung, dieses Wort auszusprechen.

»Ich will für meinen kranken Vater um Hilfe bitten.«

»Was für eine Krankheit hat er denn.«

»Ein bösartiges Fieber, das er in den Sümpfen bekommen hat.«

»Ein bösartiges Fieber!« wiederholte Michel, »Ist es ein Zehrfieber, ein Wechselfieber oder ein Nervenfieber?«

»Das weiß ich nicht, Herr Baron.«

»Was sagt denn der Arzt dazu?«

»Der Arzt wohnt in Palluau; er nimmt fünf Francs für einen Besuch, und das können wir nicht geben.«

»Und meine Mutter hat Dir kein Geld gegeben?«

»Sie wollte mich gar nicht sehen! Ein bösartiges Fieber! sagte sie, und das Mädchen kommt hierher, während der Vater krank ist? Fort mit ihr!«

»Das ist unmöglich!«

»Ich habe es recht gut gehört, Herr Baron; sie rief es; ganz laut zum Zimmer heraus.«

»Warte, warte,« sagte der junge Baron, »ich will Dir Geld geben.«

Er durchsuchte seine Taschen. Aber er hatte Courtin Alles gegeben, was er bei sich gehabt.

»Ach Gott!« sagte er, »ich habe keinen Groschen bei mir, armes Kind. Komm mit mir ins Schloß, ich will Dir geben, was Du brauchst.«

»O nein,« erwiderte Rosine, »ich würde nicht um alles Gold der Welt wieder ins Schloß gehen. Ich gehe zu den Wölfinnen, sie sind mitleidig und werden ein armes Mädchen, das für den kranken Vater um Hilfe bittet, nicht abweisen.«

»Aber man sagt,« entgegnete der junge Baron zögernd, »man sagt, daß die Fräulein von Souday nicht reich sind.«

»Ich will sie auch nicht um Geld bitten; sie geben kein Almosen, sie thun etwas Besseres —«

»Was thun sie denn?«

»Sie gehen selbst zu den Kranken, und wenn keine Hilfe mehr ist, so trösten sie die Angehörigen.«

»Ja wohl,« sagte Michel, »wenn’s eine gewöhnliche Krankheit ist, aber bei einem gefährlichen Fieber —«

»Die lieben jungen Damen machen keinen Unterschied. Sie können sich selbst davon überzeugen, wenn Sie hier warten wollen: in zehn Minuten werden Sie mich mit einer von den beiden Schwestern zurückkommen sehen. – Auf Wiedersehen, Herr Baron! O, ich hätte nie geglaubt, daß Ihre Frau Mutter die Tochter Ihrer Amme wie eine Diebin behandeln und fortschicken würde!«

Rosine entfernte sich, ehe der junge Baron eine Antwort finden konnte.

Aber sie hatte etwas gesagt, was ihm zu Herzen gegangen war; sie hatte gesagt: »In zehn Minuten werden Sie mich, wenn Sie warten wollen, mit einer der beiden Schwestern zurückkommen sehen.«

Er war fest entschlossen, zu warten; die auf eine Art verfehlte Gelegenheit konnte auf eine andere Art wieder eingebracht werden.

Wenn der Zufall wollte, daß Mary mit Rosine kam —.

Aber wie konnte er glauben, daß ein achtzehnjähriges Mädchen, die Tochter des Marquis von Souday um acht Uhr Abends eine Meile weit gehen würde, um einem armen fieberkranken Bauer Hilfe zu leisten?

Es war nicht wahrscheinlich, ja kaum möglich. Rosine machte die beiden Schwestern gewiß besser als sie waren, so wie Andere sie schlechter machten.

Und wie wäre es zugegangen, daß seine Mutter, die fromme, auf alle Tugenden Anspruch machende Dame, bei dieser Gelegenheit ganz anders gehandelt hätte, als die beiden Mädchen, denen man in der ganzen Gegend so viel Böses nachsagte? Wenn es wirklich so war, wie Rosine sagte, so waren ja die beiden Mädchen die wahren Seelen nach dem Herzen Gottes.

Aber er wartete gewiß vergebens.

Als er sich diesen trostlosen Gedanken seit zehn Minuten wohl zehnmal vergegenwärtigt hatte, sah er an der Biegung der Straße, wo Rosine verschwunden war, zwei Mädchengestalten erscheinen.

Ungeachtet der Dämmerung erkannte er Rosine. Die Andere war nicht zu erkennen, sie war in einen Mantel gehüllt.

Er war so befangen und aufgeregt, daß er nicht die Kraft hatte, den beiden Mädchen entgegen zu gehen; er erwartete sie.

»Nun, was habe ich Ihnen gesagt, Herr Baron?« rief, ihm Rosine zu.

»Was hast Du ihm denn gesagt?« fragte die junge Dame im Mantel.

Michel seufzte; an dem festen, entschiedenen Tone der Stimme erkannte er Bertha.

Ich habe ihm gesagt, erwiderte Rosine, »daß es mir bei Ihnen nicht so gehen würde, wie im Schlosse La Logerie – daß man mir die Thür nicht weisen würde.«

»Aber,« sagte Michel, »Du hast vielleicht dem Fräulein von Souday nicht gesagt, was für eine Krankheit dein Vater hat.«

»Nach den Symptomen,« antwortete Bertha, »scheint es ein Nervenfieber zu seyn; deshalb ist keine Minute zu verlieren. Die Krankheit erheischt schnelle Hilfe. Kommen Sie mit uns, Herr Baron?«

»Aber, mein Fräulein,« entgegnete Michel, »das Nervenfieber ist ansteckend —«

»Einige behaupten es und Andere leugnen es,« sagte Bertha gleichgültig.

»Aber das Nervenfieber ist tödtlich —«

»Ja, in vielen Fällen; aber man hat doch auch manche Beispiele von Genesung.«

Der junge Baron zog Bertha an sich.

»Sie wollen sich einer solchen Gefahr aussetzen?« fragte er.

»Allerdings.«

»Für einen Unbekannten – einen Fremden —«

»Wer für uns ein Fremder ist,« erwiderte Bertha sehr sanft, »ist für andere Menschen ein Vater, ein Bruder, ein Gatte. In dieser Welt ist kein Mensch dem andern fremd. Und steht der Kranke Ihnen nicht näher, als andere Seinesgleichen?«

»Er ist der Ehemann meiner Amme, —« sagte Michel verlegen.

»Sehen Sie wohl!« erwiderte Bertha.

»Ich erbat mich, mit Rosine in’s Schloß zu gehen; ich würde ihr Geld zu den Curkosten gegeben haben —«

»Und Du hast deine Zuflucht lieber zu uns genommen?« sagte Bertha, »das ist schön von Dir, Rosine.«

Der junge Baron war ganz beschämt. Er hatte viel von der christlichen Barmherzigkeit gehört, aber nie gesehen, und nun erschien sie ihm auf einmal in der Gestalt Bertha’s.

Er folgte den beiden Mädchen in tiefem Nachdenken.

»Wenn Sie mit uns kommen,« Herr Baron, sagte: Bertha, »so haben Sie die Güte dieses Arzneikästchen zu – tragen.«

»Der Herr Baron wird nicht mit uns kommen,« meinte Rosine, »er weiß, wie sehr seine Frau Mutter die bösartigen Fieber fürchtet.«

»Du irrst Dich, Rosine,« sagte Michel, »ich gehe mit.«

Er nahm dem Fräulein von Souday das Kästchen ab.

Eine Stunde nachher kamen alle Drei zu der von Rosinens Vater bewohnten Hütte.

Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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