Читать книгу Die Zwillingsschwestern von Machecoul - Александр Дюма - Страница 14

Erster Theil
XIV.
Petit-Pierre

Оглавление

Einen Tag nach diesen Ereignissen finden wir Bertha und Michel vor dem Schmerzenslager des armen Tinguy wieder. Obgleich die von dem Doctor Roger zugesagten Besuche die Anwesenheit des Fräuleins in der verpesteten Krankenstube ganz überflüssig machten, so wollte Mary doch, trotz der Gegenvorstellungen ihrer Schwester, den Vendéer fortwährend besuchen.

Die christliche Barmherzigkeit war vielleicht nicht die einzige Triebfeder, welche sie in die Hütte des Landmannes brachte. Wenn sie kam, war Michel schon da; seine Furcht vor der Seuche war verschwunden.

Ob er wohl Bertha zu finden glaubte? Wir möchten es nicht mit Bestimmtheit behaupten; vielleicht dachte er, daß die Reihe an Mary komme. Vielleicht hoffte er auch, Mary werde diese Gelegenheit, sich ihm zu nähern, nicht unbenutzt lassen, und sein Herz pochte ungestüm, wenn er eine in der Dunkelheit noch nicht erkennbare anmuthige Gestalt in der Thür erblickte.

Er fühlte sich etwas enttäuscht, als er Bertha erkannte. Aber Michel war dem Marquis von Souday herzlich gut, er fand sogar Vergnügen an der Geschicklichkeit des mürrischen Jean Oullier und war freundlich gegen die Hunde des alten Landedelmannes: wie hätte ihm also Marys Schwester gleichgültig seyn können!

Die Zuneigung der Letzteren mußte ihn ja der Ersteren näher bringen, und es war für ihn eine Freude, von der Abwesenden sprechen zu hören.

Er war daher sehr aufmerksam und zuvorkommend gegen Bertha, und diese antwortete ihm mit ungeheuchelter Freundlichkeit.

Leider war es schwer, sich mit anderen Dingen als mit dem Kranken zu beschäftigen Tinguy’s Zustand verschlimmerte sich von Stunde zu Stunde. Er war in einem Zustande der Erstarrung und Bewußtlosigkeit, welcher in entzündlichen Krankheiten ein Vorbote des Todes ist. Er sah nicht mehr, was um ihn vorging, er antwortete nicht mehr, wenn man ihn anredete, seine sehr ausgedehnte Pupille war starr und unbeweglich; nur von Zeit zu Zeit bewegten sich seine Hände, als ob er eingebildete Gegenstände die er auf seinem Bett zu bemerken glaubte, an sich ziehen wollte.

Bertha, die ungeachtet ihrer Jugend schon mehr als einer Sterbescene beigewohnt hatte, konnte sich über den Zustand des Kranken nicht mehr täuschen; sie wollte der armen Rosine den Anblick des Todeskampfes ersparen und schickte sie zu dem Doctor Roger.

»Ich könnte ja den Arzt holen,« sagte Michel, »ich kann schneller gehen als Rosine, und überdies ist es für ein Mädchen nicht gerathen, so spät Abends über Feld zu gehen.»

»Nein,« erwiderte Bertha, »Rosine setzt sich keiner Gefahr aus, und ich habe meine Gründe, Sie hier zu behalten. Ist es Ihnen denn unangenehm?«

»Wie können Sie das denken, mein Fräulein, es macht, mir so große Freude, Ihnen nützlich seyn zu können, daß ich keine Gelegenheit dazu unbenutzt lassen mag.«

»Diese Gelegenheit wird sich wahrscheinlich sehr bald finden,« erwiderte Bertha, »ich werde wohl mehr als einmal Ihre Ergebenheit auf die Probe zu stellen haben.«

Als Rosine kaum zehn Minuten fort war, schien sich der Zustand des Kranken plötzlich auffallend zu bessern: seine Augen verloren den starren Blick, das Athmen wurde leichter, die krampfhaft zusammengezogenen Finger thaten sich auf und er wischte sich wiederholt den Schweiß von der Stirn.

»Wie befindet Ihr Euch, Vater Tinguy?« fragte Bertha den Kranken.

»Besser,« antwortete er mit matter Stimme. »Der liebe Gott wird doch nicht zugeben, daß ich vor der Schlacht desertire?« setzte er hinzu und versuchte zu lächeln.

»Vielleicht, Ihr werdet ja auch für ihn kämpfen.«

Der Kranke schüttelte den Kopf und seufzte.

»Herr Baron,« sagte Bertha und zog Michel in einen Winkel der Stube, so dass sie von dein Kranken nicht gehört werden konnte, »eilen Sie zu dem Pfarrer und wecken Sie die Nachbarn.«

»Er sagt ja, daß er sich besser befinde,« entgegnete Michel.

»Hatten Sie denn nie eine Lampe erlöschen gesehen?« erwiderte Bertha. »Das letzte Licht flackert immer hell auf, und so ist es auch mit dem menschlichen Körper. Eilen Sie, es wird kein Todeskampf eintreten, das Fieber hat die Kräfte, des Unglücklichen erschöpft, die Seele wird ohne Schmerz und ohne Kampf ihre Hülle verlassen.«

»Und Sie wollen allein bei ihm bleiben?«

»Eilen Sie und kümmern Sie sich nicht um mich.«

Michel entfernte sich und Bertha trat auf das Bett zu.

Tinguy reichte ihr die Hand.

»Ich danke Ihnen, mein gutes Fräulein,« sagte er.

»Wofür denn, lieber Tinguy?«

»Zuerst für Ihre Pflege, und dann – daß Sie den Pfarrer kommen lassen.«

»Habt Ihrs denn gehört?«

Tinguy lächelte.

»Ja,« antwortete er, »obschon Sie sehr leise sprachen.«

»Aber Ihr müßt deshalb nicht glauben, daß Ihr bald sterben werdet, lieber Tinguy. Fürchtet Euch nicht!«

»Warum soll ich mich denn fürchten?« sagte der Bauer, indem er einen Versuch machte, sich aufzurichten, »ich habe ja die Alten geehrt und die Kleinen geliebt; ich habe ohne Murren gelitten, ohne Klagen gearbeitet; ich habe Gott gepriesen, wenn der Hagel meinen kleinen Acker verwüstete oder wenn die Ernte fehlschlug. Nie habe ich den Armen von meiner Thür fortgewiesen. Ich habe die Gebote Gottes und der Kirche gehalten. Wenn unsere Priester sagten: Erhebet Euch und nehmet eure Gewehre, so habe ich gegen dir Feinde meines Glaubens und meines Königs gekämpft; ich bin demüthig im Siege, vertrauensvoll im Unglück geblieben; ich war stets bereit, für diese heilige Sache mein Leben zu lassen. – Und ich sollte mich fürchten! O nein, mein Fräulein; der Todestag ist für uns arme Christen der Glückstag. Ich bin ein unwissender Mann, aber ich weiß, dass dieser Tag uns mit den Großen und Glücklichen der Erde gleich macht. Wenn dieser Tag für mich kommt, wenn Gott mich zu sich ruft, so bin ich bereit und werde voll Hoffnung auf seine Barmherzigkeit vor seinem Richterstuhl erscheinen.«

Das Gesicht Tinguy’s hatte bei diesen Worten einen sehr lebhaften Ausdruck angenommen, aber die letzte religiöse Begeisterung des armen Bauers erschöpfte vollends seine, Kräfte.

Er sank auf sein Lager zurück und stammelte nur noch einige unverständliche Worte.

Der Pfarrer erschien. Bertha zeigte ihm den Kranken und der Geistliche, der sogleich verstand, was von ihm erwartet wurde, begann das Gebet für die Sterbenden.

Michel bat Bertha dringend sich zu entfernen, und Beide verließen die Hütte, nachdem sie vor dem Bett des armen Tinguy noch einmal gebetet hatten.

Die Nachbarn kamen nach einander und knieten nieder. Das Stübchen war nur von zwei dünnen Wachskerzen, die zu beiden Seiten eines kupfernen Crucifixes brannten, spärlich beleuchtet.

Plötzlich wurde die feierliche Stille durch den nahen Schrei eines Uhu unterbrochen.

Die Bauern erschraken.

Der sterbende dessen Augen bereits ihren Glanz verloren hatten, richtete den Kopf auf.

»Ich komme!« sagte er mit röchelnder Stimme, »ich folge dem Führer!«

Dann versuchte er, als Antwort auf den so eben vernommenen Ruf, den Schrei der Eule nachzuahmen; aber er hatte nicht mehr die Kraft, der Athem ging ihm aus, der Kopf sank zurück – er war todt!

Ein Fremder erschien nun in der Hütte.

Es war ein junger Bauer in Bretagner Tracht. Er trug einen Hut mit breitem Rande, eine rothe Weste mit übersilberten Knöpfen, blaue Jacke mit rothen Schnüren und hohe lederne Kamaschen. Er hatte einen mit Eisen beschlagenen Stock, wie ihn die Landleute auf Reisen zu tragen pflegen.

Er schien erstaunt über die Scene, die er vor Augen hatte, aber er richtete an Niemand eine Frage. Er kniete nieder und betete; dann trat er an das Bett und betrachtete das bleiche Gesicht des armen Tinguy; zwei Thränen rollten über seine Wangen; er wischte sie ab und entfernte sich ohne ein Wort gesprochen zu haben.

Die Bauern waren gewöhnt an die religiöse Sitte, an einem Sterbehause nicht vorbeizugehen, ohne ein kurzes Gebet zu verrichten; sie wunderten sich daher keineswegs über die Anwesenheit des Fremden und ließen sein Fortgehen ganz unbeachtet.

Der Wanderer fand einige Schritte von der Hütte einen andern noch jüngeren und kleineren Bauer, der sein Bruder zu seyn schien. Der letztere ritt ein nach der Landessitte aufgezäumtes Pferd.

»Nun, wie steht’s, Rameau-d’or?« fragte der kleine Bauer.

»Es ist kein Platz für uns im Hause; ein anderer Gast ist eingezogen, der es ganz für sich in Anspruch nimmt.

»Was für ein Gast?«

»Der Tod.«

»Wer ist denn gestorben?«

»Derselbe, der uns beherbergen sollte. Ich würde wohl sagen: wir wollen den Tod als Beschützer anrufen, wir wollen uns verbergen unter einem Ende des Leichentuchs, das Niemand aufheben wird; aber ich habe gehört, daß Tinguy am Nervenfieber gestorben ist und obgleich die Aerzte die Ansteckung leugnen, will ich Sie doch nicht in solche Gefahr bringen.«

»Fürchten Sie nicht, daß man Sie erkannt haben könnte?«

»Unmöglich! Es waren acht bis zehn Personen, Männer und Weiber, in der Hütte und beteten. Ich trat ein, kniete nieder und betete wie die Andern. Dies thut in solchen Fällen jeder Bauer aus der Bretagne oder Vendée.«

»Was ist jetzt zu thun?« fragte der Jüngere.

»Ich habe Ihnen schon gesagt, wir hatten die Wahl zwischen dem Schlosse meines Cameraden und der Hütte dieses armen Landmannes, der unser Führer seyn sollte; zwischen dem Luxus von Prunkgemächern mit geringer Sicherheit und der kleinen ärmlichen Hütte, wo wir ein schlechtes Bett und Buchweizenbrot, aber völlige Sicherheit gefunden haben würden. Der liebe Gott hat den Ausschlag gegeben. Wir haben keine Wahl mehr, wir müssen uns also mit dem Luxus begnügen.«

»Sie sagen aber, daß wir im Schlosse nicht sicher sind?«

»Das Schloß gehört einem Freunde von mir, dessen Vater unter der Restauration zum Baron ernannt wurde. Der Vater ist todt. Das Schloß wird jetzt von seiner Witwe und seinem Sohne bewohnt. Wenn der Sohn allein wäre, so würde ich ganz unbesorgt seyn; er ist wohl schwach und wankelmüthig aber ein guter, ehrlicher Mensch. Aber seine Mutter halte ich für selbstsüchtig und ehrgeizig, und das beunruhigt mich.«

»Eine Nacht können wir es wohl wagen. Sie sind nicht unternehmend, Rameau-d’or!«

»Allerdings, sobald nur meine eigene Sicherheit in’s Spiel kommt; aber ich bürge dem Vaterlande oder wenigstens meiner Partei, für das Leben —«

»Für das Leben Petit-Pierre’s wollen Sie sagen. Wir sind erst zwei Stunden unterwegs, und ich habe schon das zehnte Pfand von Ihnen zu fordern.«

»Es soll das letzte Mal seyn, Mad – Petit-Pierre. wollte ich sagen. Von jetzt an kenne ich Sie nur unter dem Namen – und als meinen Bruder.«

»Kommen Sie, damit wir bald ein Nachtlager im Schlosse erhalten. Ich bin so müde, daß ich in dem Schlosse einer verzauberten Prinzessin einkehren würde.«

»Wir wollen einen Seitenweg nehmen; wir sind dann in zehn Minuten dort,« sagte der junge Bauer. »Setzen Sie sich so bequem wie möglich im Sattel zurecht; ich gehe voran und Sie brauchen mir nur zu folgen, wir könnten uns sonst verirren.«

»Warten Sie,« sagte Petit-Pierre und sprang vom Pferde.

»Was wollen Sie thun?«s fragte Rameau-d’or mit Besorgniß.

»Sie haben am Todtenbett des armen Bauers gebetet,«, sagte Petit-Pierre, »ich will Ihrem Beispiel folgen —«

»Was fällt Ihnen ein?«

»Er war ein braver, ehrlicher Mensch,« setzte Petit-Pierre hinzu, »wenn er am Leben geblieben wäre, so würde er es für uns gewagt haben: ich bin dem Todten ein kurzes Gebet schuldig.«

Rameau-d’or nahm den Hut ab und trat auf die Seite, um seinem jungen Reisegefährten Platz zu machen.

Der kleine Bauer trat nun ebenfalls in die Hütte, nahm den Buchsbaumzweig tauchte ihn in das Weihwasser und besprengte die Leiche damit; dann kniete er vor dem Bett nieder, verrichtete sein Gebet und entfernte sich, ohne daß seine Anwesenheit mehr beachtet wurde, als vorhin das Erscheinen seines Reisegefährten beachtet worden war.

Er ging wieder zu Rameau-d’or, so wie dieser fünf Minuten früher zu ihm gekommen war.

Rameau-d’or half ihm aufs Pferd und ging voran. Petit-Pierre folgte schweigend auf dem kaum sichtbaren Feldwege welcher, wie schon erwähnt, in gerader Richtung nach dem Schlosse La Logerie führte.

Als sie kaum fünfhundert Schritte querfeldein gewandert waren, stand Rameau-d’or still und hielt das Pferd Petit-Pierre’s an.

»Was gibts?« fragte dieser.

»Ich höre Fußtritte,« sagte Rameau-d’or, »reiten Sie hinter den Busch dort, ich bleibe hinter diesem Baum stehen; der Vorübergehende wird uns wahrscheinlich nicht sehen.«

Die Schwenkung wurde mit der Schnelligkeit eines strategischen Manövers ausgeführt. Und es war gut für die beiden Reisenden, denn der Ankommende ging oder lief so schnell, daß er, trotz der Dunkelheit, in dem Augenblicke sichtbar wurde, als Petit-Pierre hinter der Hecke, Rameau-d’or hinter dem Baume sich versteckt hatten.

Rameau-d’or, dessen Augen sich bereits an die Dunkelheit gewohnt hatten, bemerkte einen jungen Mann von etwa zwanzig Jahren, der in derselben Richtung wie die beiden Andern forteilte.

Er hielt den Hut in der Hand und wurde dadurch leicht erkennbar.

Rameau-d’or konnte einen leisen Ausruf des Erstaunens nicht unterdrücken. Aber da er noch zweifelte, ließ er den jungen Mann drei Schritte von sich vorübereilen, und erst als dieser ihm den Rücken zukehrte, rief er ihm nach:

»Michel!«

Der junge Mann, der an diesem einsamen Orte auf die Begegnung eines Bekannten nicht gefaßt war, sprang erschreckt auf die Seite und fragte mit etwas unsicherer Stimme:

»Wer ruft?«

»Ich,« antwortete Rameau-d’or, indem er Hut und Perücke abnahm und auf seinen Freund zutrat.

Er war nun, trotz der Bauerntracht, leicht zu erkennen.

»Herr de Bonneville!« sagte der Baron Michel höchst erstaunt.

»Ja, ich bin’s; aber nenne meinen Namen nicht so laut. Wir sind in einem Lande, wo die Büsche, Gräben und Bäume mit den Wänden das Vorrecht theilen, Ohren zu haben.«

»Ja wohl,« erwiderte Michel, dessen Schrecken sich noch keineswegs vermindert hatte. »Du willst vielleicht an dem Aufstande theilnehmen, von welchem die Rede ist?«

»Natürlich. Vor Allem sage mir, zu welcher Partei Du gehörst.«

»Ich?«

»Ja, Du.«

»Lieber Freund,« sagte der junge Baron, »ich habe noch keine entschiedene Meinung, und ich will Dir im Vertrauen gestehen —«

»So vertraulich wie Du willst, aber fasse Dich kurz.«

»Ich will Dir im Vertrauen gestehen, daß ich mich auf die Seite Heinrichs V. hinneige.«

»Mehr brauche ich nicht zu wissen, lieber Michel,« sagte der Graf vergnügt.

»Aber ich bin noch nicht fest entschlossen.«

»Gut, dann werde ich das Vergnügen haben, deine Bekehrung zu vollenden. Und um dieselbe mit mehr Aussicht auf Erfolg zu unternehmen, bitte ich Dich um ein Nachtlager in deinem Schlosse für mich und einen Freund, der mich begleitet.«

»Wo ist dein Freund?«

»Hier!« sagte Petit-Pierre, indem er aus seinem Versteck hervorkam und den jungen Baron mit einem Anstande begrüßte, der mit seiner Tracht in sonderbarem Widerspruche stand.

Michel betrachtete den kleinen Bauer einige Augenblicke und trat dann auf Rameau-d’or oder vielmehr auf den Grafen von Bonneville zu.

»Henri,« fragte er leise, »wie heißt dein Freund?«

»Michel, Du machst einen Verstoß gegen die herkömmliche Gastfreundschaft. Was kann Dir an dem Namen meines Freundes liegen; es genüge Dir die Versicherung, daß es ein junger Mann aus sehr gutem Hause ist.«

»Weißt Du auch gewiß, daß es ein Mann ist?«

Der Graf und Petit-Pierre lachten.

»Du scheinst wirklich in der Wahl deiner Gäste sehr delicat zu seyn, lieber Michel.«

»Nein, lieber Henri; aber ich bin nicht Herr in La Logerie.«

»Ich weiß wohl, daß die Baronin Michel zu befehlen hat, ich habe es meinem Freunde Petit-Pierre schon gesagt. Aber wir wollen nur eine Nacht bleiben. Du kannst uns ja in deine Wohnung führen; ich mache einen Besuch im Keller und in der Speisekammer – ich weiß im Haus Bescheid. Mein kleiner Reisegefährte legt sich auf dein Bett und schläft so gut als er kann. Morgen Früh, sobald der Tag graut, sehe ich mich nach einem andern Quartier um, und sobald ich es gefunden – was hoffentlich nicht schwer seyn wird – sollst Du von unserer Gegenwart erlöst seyn.«

»Es ist unmöglich, Henri. Glaube nicht, daß ich um meinetwillen meine Mutter fürchte; aber ich würde deine Sicherheit gefährden, wenn ich Dich in das Schloß aufnehmen wollte.«

»Wie so?«

»Meine Mutter ist gewiß noch wach; sie erwartet mich, sie wird uns kommen sehen. Und wie sollen wir dann deine Verkleidung, zumal die deines Begleiters erklären?«

»Er hat Recht,« sagte Petit-Pierre.

»Aber was ist zu thun?«

»Ueberdies,« setzte Michel hinzu, habe ich nicht blos meine Mutter zu berücksichtigen.«

»Wen denn sonst noch?«

»Warte nur,« erwiderte der junge Baron, indem er sich besorgt umsah, »wir wollen uns noch weiter von dieser Hecke, von diesem Busch entfernen.«

»Was hast Du denn zu fürchten?«

»Es kommt auch Courtin in Betracht.«

»Wer ist Courtin?«

»Erinnerst Du Dich nicht mehr des Pächters Courtin«

»Ja wohl – ein guter Kerl, der Dir immer gegen Jedermann, selbst gegen deine Mutter, Recht gab.«

»Ja, der ist’s. Courtin ist Maire und ein eifriger Philippist. Wenn er Dich in der Nacht und in diesem Anzuge sähe, würde er Dich ohne Weiteres arretiren lassen.«

»Das ist allerdings in Erwägung zu ziehen,« sagte Bonneville nachsinnend. »Was sagt Petit-Pierre dazu?«

»Ich sage gar nichts dazu, lieber Rameau-d’or; ich lasse Sie für mich denken.«

»Und das Resultat ist, daß Du uns deine Thür verschließest,« setzte Bonneville hinzu.

»Was kann Dir daran liegen,« sagte der junge Baron, dessen Augen leuchteten, »wenn ich Dir eine andere Thür öffne, die Dir einen sichereren Versteck bietet als das Schloß La Logerie?«

»Es liegt mir sehr viel daran. Was sagt mein junger Reisegefährte dazu?«

»Ich gestehe, daß ich todtmüde bin,« erwiderte Petit-Pierre, »ich sehne mich nur nach Ruhe.«

»Dann will ich den Weg zeigen,« sagte der junge Baron.

»Warte. Ist es sehr weit?«

»Eine Stunde, nicht weiter.«

»Fühlt sich Petit-Pierre stark genug?« fragte Bonneville.

»Petit-Pierre wird alle seine Kräfte sammeln,« antwortete der kleine Bauer lachend. »Wir sollen dem Baron Michel folgen.«

»Gut,« sagte Bonneville. »Vorwärts, Baron!«

Die kleine Gruppe, die seit zehn Minuten stillgestanden, setzte sich in Bewegung.

Aber kaum war Michel fünfzig Schritte gegangen, so klopfte ihm sein Freund auf die Schulter und fragte:

»Wohin führst Du uns?«

»Sey ganz unbesorgt.«

»Ich bin es, wenn Du mir versprichst, daß Petit-Pierre, der wie Du siehst, von zartem Körperbau ist, ein gutes Abendessen und ein gutes Bett finden wird.«

»Er wird Alles finden, was ich selbst ihm anzubieten hätte: das beste Gericht aus der Speisekammer, den besten Wein aus dem Keller, das beste Bett im Schlosse.«

Man machte sich wieder auf den Weg.

»Ich will vorauseilen, damit Ihr nicht warten müßt,« sagte der junge Baron.

»Noch einen Augenblick Geduld,« sagte Bonneville; – wohin eilst Du?«

»In das Schloß Souday.«

»Wie, nicht in das Schloß La Logerie?«

»Ja, Du kennst es ja, mit seinen spitzen Thürmen und Schieferdächern, links von der Straße, vor dem Walde von Machecoul.«

»Das Schloß, wo die Wölfinnen hausen?«

»Ja, wo die Wölfinnen hausen – wenn Du willst.«

»Und dorthin führst Du uns?«

»Ja wohl.«

»Hast Du auch wohl bedacht, Michel, was Du thust?«

»Ich stehe für Alles.«

Der junge Baron, der seinem Freunde genügende Auskunft gegeben zu haben glaubte, eilte nun mit einer Schnelligkeit voraus, von welcher er bereits an dem Tage, als er für den kranken Tinguy den Arzt geholt, einen unleugbaren Beweis gegeben hatte.

»Nun, was sollen wir thun?« fragte Petit-Pierre.

»Wir haben keine Wahl, wir müssen ihm folgen.«

»In das Schloß der Wölfinnen?«

»Ja, in das Schloß der Wölfinnen.«

»Um den Weg abzukürzen, lieber Rameau-d’or,« sagte Petit-Pierre, »erzählen Sie mir etwas von den Wölfinnen.«

»Ich will Ihnen wenigstens sagen, was ich weiß.«

»Mehr kann ich nicht verlangen.«

Der Graf von Bonneville, neben dem Pferde hergehend und die Hand auf den Sattelknopf gelegt, erzählte nun Petit-Pierre die im Département der Niederloire und in den benachbarten Départements verbreitete Legende über die beiden unbändigen Erbinnen des Marquis von Souday, über ihre Meuten und tollen Wolfshetzen und Saujagden.

Als der Graf mitten in der Erzählung war, bemerkte er die spitzen Thürme des Schlosses Souday. Er brach seine Erzählung ab und zeigte seinem Reisegefährten, daß sie das Ziel ihrer nächtlichen Wanderung erreicht.

Petit-Pierre, der an die Hexen Macbeths dachte, waffnete sich mit seinem ganzen Muthe, um das furchtbare Schloß zu betreten. Eine Biegung der Straße führte ihn zudem offenen Schloßthor, und vor demselben bemerkte er zwei weiße Gestalten, welche zu warten schienen. Ein hinter ihnen stehender bäurisch aussehender Mann hielt eine brennende Fackel.

Petit-Pierre sah Bertha und Mary furchtsam an, denn sie waren, von dem jungen Baron benachrichtigt, den beiden Reisenden entgegengegangen.

Er erblickte zwei reizende junge Mädchen: eine Blondine mit blauen Augen und einem Engelsgesicht, und eine Brünette mit feurigen schwarzen Augen. Beide sahen offen und freundlich aus.

Petit-Pierre stieg vom Pferde und ging mit Rameau-d’or auf die beiden Mädchen zu.

»Mein Freund, der Herr Baron Michel hat mir Hoffnung gemacht, meine Fräulein, daß der Herr Marquis von Souday, Ihr Vater, die Güte haben werde, uns in sein Schloß aufzunehmen.«

»Mein Vater ist abwesend,« erwiderte Bertha, »er wird es sehr bedauern, daß diese Gelegenheit, die heutzutage so seltene Tugend der Gastfreundschaft zu üben, ihm entgangen ist.«

»Aber ich weiß nicht, ob Ihnen mein Freund gesagt, daß diese Gastfreundschaft vielleicht nicht ohne Gefahr seyn konnte: wir Beide sind fast geächtet und zum Lohn für Ihre Güte werden Sie vielleicht Verfolgungen zu erdulden haben.«

»Wir sind Meinungsgenossen, mein Herr. Wir würden Sie aufnehmen, wenn Sie uns auch ganz fremd wären; als Geächtete, als Royalisten sind Sie uns willkommen, wenn auch die Zerstörung unserer Wohnung, ja selbst der Tod die Folge davon wäre. Mein Vater würde eben so sprechen wie ich, wenn er anwesend wäre.«

»Der Baron Michel wird Ihnen meinen Namen gesagt haben, ich muß Ihnen noch meinen jungen Reisegefährten vorstellen.«

»Es ist nicht nöthig,« erwiderte Bertha, »uns genügt, daß Sie Royalisten, daß Sie geächtet sind um einer Ueberzeugung willen, für welche wir Gut und Blut zu opfern bereit sind. Treten Sie daher ein in dieses Haus; es ist zwar nicht prächtig, aber Sie werden darin wenigstens Treue und Verschwiegenheit finden.«

Bertha trat mit edlem Anstande auf die Seite und lud die jungen Leute mit einer Handbewegung ein, die Schwelle zu überschreiten.

»Gott sey gelobt!« flüsterte Petit-Pierre dem Grafen von Bonneville zu, »hier haben wir zugleich das Schloß und die Hütte, zwischen denen ich wählen sollte. Ihre Wölfinnen gefallen mir ungemein.«

Er nickte den beiden Mädchen freundlich zu und trat ein.

Der Graf von Bonneville folgte ihm. Mary und Bertha winkten dem jungen Baron ein freundliches Lebewohl zu und die Letztere reichte ihm die Hand.

Aber Jean Oullier schlug die Thür so hastig zu, daß, Michel nicht Zeit hatte, die dargebotene Hand zu fassen.

Er betrachtete eine kleine Weile die Thürmchen des Schlosses deren dunkle Umrisse an dem Sternenhimmel deutlich hervortraten und die nach einander hell werdenden Fenster. Dann entfernte er sich.

Als er verschwunden war, regten sich die Büsche und ein Mann kam hervor, der die Scene in einer von dem Interesse der handelnden Personen ganz verschiedenen Absicht belauscht hatte.

Dieser Mann war Courtin, der sich nach allen Seiten umsah und dann auf demselben Wege, den sein junger Gutsherr genommen, nach La Logerie zurückkehrte.

Die Zwillingsschwestern von Machecoul

Подняться наверх