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Erster Theil
XIII.
Die Cousine aus der Fremde
ОглавлениеAm folgenden Tage, nämlich am 7. Mai 1832, war im Schlosse Vouillé große Versammlung.
Man feierte den fünfundzwanzigsten Geburtstag der Gräfin von Vouillé.
Man hatte sich eben zu Tische gesetzt. Unter den fünf- bis sechsundzwanzig Gästen befanden sich der Präfect von Poitiers und der Maire von Châtellerault, entfernte Verwandte der Gräfin.
Als die Suppe gegessen war, erschien ein Diener und flüsterte dein Grafen einige Worte zu.
Der Graf ließ sich die Meldung noch einmal wiederholen. Dann sagte er zu seinen Gästen:
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Am Gitterthore ist eine mit Extrapost angekommene Dame, die, wie es scheint, mich zu sprechen wünscht. Erlauben Sie, daß ich mich entferne?«
Die Erlaubniß wurde einstimmig gegeben. Aber die Gräfin schaute ihrem Gemahl mit einiger Unruhe nach.
Der Graf eilte an das Gitterthore: Es hielt draußen wirklich ein Wagen, in welchem eine Dame und ein Herr saßen.
Neben dem Postillon saß ein Diener in hellblauer Livrée mit silbernen Tressen.
Als der Graf von Vouillé erschien, sprang der Diener vom Bock.
»So komm doch, Du Zauderer!« rief ihm der Lakai zu.
Der Graf stand sehr erstaunt still. Wie konnte sich der Lakei erlauben, ihn so anzureden?
Er trat näher, um dem unverschämten Menschen tüchtig den Kopf zu waschen. Aber plötzlich brach er in ein lautes Gelächter aus.
»Wie! Du bist’s, de Lussac?« sagte er.
»Ja wohl, ich bin's.«
»Was bedeutet diese Maskerade?«
Der falsche Lakei öffnete den Schlag und hob die Dame aus dem Wagen.
»Lieber Graf,« sagte er, »ich habe die Ehre, Dir die Frau Herzogin von Berry vorzustellen. Der Graf von Vouillé,« sagte er, sich zu der Herzogin wendend, »mein bester Freund und Ihr treuer Diener.«
Der Graf trat betroffen zurück.
»Die Frau Herzogin von Berry!« sagte er, »Ihre königliche Hoheit?«
»Ja, Herr Graf,« sagte die Herzogin.
»Bist Du nicht hoch erfreut, Sie zu empfangen?« fragte de Lussac.
»So hoch erfreut wie nur ein eifriger Royalist seyn kann; aber —«
»Wie! Es ist ein Aber dabei?« fragte die Herzogin.
»Es ist heute der Geburtstag meiner Frau; ich habe fünfundzwanzig Personen zu Tische.«
»Herr Graf,« erwiderte die Herzogin, »ein Sprichwort sagt: Wo zwei zu Tische sitzen, kann auch ein Dritter mitessen. Geben Sie dem Sprichworte eine größere Ausdehnung und sagen Sie: Wo fünfundzwanzig Gäste sind, können auch achtundzwanzig seyn. Denn ich sage Ihnen im Voraus, daß der Baron de Lussac, obschon für den Augenblick mein Diener, an der Tafel zu speisen gedenkt.«
»Fürchte nichts,« sagte der Baron, »ich ziehe meine Livrée aus.«
Der Graf von Vouillé war außer sich.
»Aber wie soll ich es anfangen? Ich bin halb von Sinnen —«
»Aber nicht vor Freude, wie es scheint,« sagte die Herzogin.
»Vor Schrecken, Madame.«
»O, Sie übertreiben die Gefahren der Situation.«
»Bedenken Sie doch, Madame, daß ich den Präfecten von Poitiers und den Maire von Châtellerault am Tische habe.«
»Sie stellen mich den Herren vor.«
»Aber unter welchem Titel?«
»Unter dem Namen einer Cousine. Sie haben doch gewiß irgend eine Cousine, die fünfzig Meilen von hier wohnt?«
»Es ist wahr, Madame, ich habe in Toulouse eine Cousine, die Gräfin La Myre —«
Das trifft sich ja schön; ich bin also die Gräfin La Myre.«
Dann trat sie wieder an den Wagen und reichte einem alten Herrn von sechzig bis fünfundsechzig Jahren die Hand.
»Kommen Sie, Herr de La Myre,« sagte sie, »wir bereiten unserm Vetter eine Ueberraschung, daß wir gerade zum Geburtstage seiner Frau kommen. Geben Sie mir Ihren Arm, lieber Vetter.«
Der Graf von Vouillé mußte sich entschließen, das Abenteuer zu bestehen.
»Ich bitte mich nicht zu vergessen,« rief der Baron de Lussac aus dem Wagen, wo er seine blaue Livrée gegen einen schwarzen Ueberrock vertauschte, »ich bin den Augenblick fertig.«
»Wer willst Du denn seyn?« fragte der Graf von: Vouillé.
»Der Baron de Lussac, und mit der Erlaubniß Ihrer Hoheit der Cousin deiner Cousine.«
»Herr Baron,« sagte der bejahrte Begleiter der Herzogin, »mich dünkt, Sie nehmen sich viele Freiheiten.«
»Wir sind auf dem Lande,« sagte die Herzogin entschuldigend.
Der Baron de Lussac hatte sieh unterdessen im Wagen umgekleidet, und der kleine Zug, von dem Hausherrn geführt, begab sich ins Haus.
Die Neugier der Gäste und die Unruhe der Dame vom Hause war im hohen Grade erregt worden, da sich die Abwesenheit des Grafen über alle Erwartung verlängerte. Als die Thür aufging, wandten sich alle Blicke zu den Ankommenden.
Aber die handelnden Personen verloren die Fassung, nicht, wie schwierig auch ihre Rollen waren.
»Ich habe Dir oft von einer unweit Toulouse wohnenden Cousine erzählt,« sagte der Herr vom Hause zu seiner Frau.
»Madame de La Myre,« fiel ihm die Gräfin ins Wort.
»Ganz recht, sie ist auf der Durchreise nach Nantes und wollte nicht vorüberfahren ohne deine Bekanntschaft zu machen. Der Zufall will, daß sie an einem Festtage kommt; ich hoffe, daß es ihr Glück bringen wird.«
»Liebe Cousine!« sagte die Herzogin, die Arme ausbreitend.
Die beiden Damen umarmten sich.
Die beiden Herren stellte der Herr vom Hause als »Herr de La Myre« – »Herr Baron de Lussac« vor.
Man verneigte sich.
»Jetzt,« sagte der Graf, »müssen wir den neuen Gästen Plätze besorgen; auf der Reise hat man guten Appetit.«
Die Gäste rückten zusammen, der Tisch war groß, es fand sich daher leicht noch Raum für die drei neuen Gäste.
»Lieber Vetter,« sagte die Herzogin, »Sie sagten mir, der Herr Präfect aus Poitiers sey hier.«
»Ja wohl, Madame, es ist der Herr zur Rechten der Gräfin, mit der Brille, der weißen Cravate und der Rosette der Ehrenlegion im Knopfloch.«
»Stellen Sie mich ihm doch vor.«
Der Graf von Vouillé hatte die Komödie muthig begonnen; er meinte, daß er sie auch zu Ende spielen müsse.
Er ging auf den Präfecten zu, der sich mit Würde auf seinem Sessel zurücklehnte.
»Herr Präfect,« sagte er, »meine Cousine hält in ihrer ererbten Ehrfurcht vor der Amtsgewalt eine allgemeine Vorstellung Ihnen gegenüber für ungenügend und wünscht Ihnen besonders vorgestellt zu werden.«
»Und sogar officiell, lieber Vetter,« setzte die Herzogin hinzu.
»Privatim oder officiell,« erwiderte der galante Präfect, »Madame wird stets willkommen seyn.«
»Das freut mich unendlich,« sagte die Herzogin.
»Sie reisen nach Nantes, Madame?« sagte der Präfect, um etwas zu sagen.
»Ja, und von da nach Paris – wie ich wenigstens hoffe.«
»Es ist wohl nicht das erste Mal, daß Sie die Hauptstadt besuchen?«
»Nein, ich habe zwölf Jahre in Paris gewohnt.«
»Und Sie haben Paris verlassen?«
»Ja, sehr ungern.«
»Schon seit langer Zeit?«
»Im Juli werden es zwei Jahre.«
»Ich finde es ganz begreiflich, wenn man in Paris gewohnt hat – «
»Wünscht man wieder hin; es freut mich, daß Sie es begreiflich finden.«
»O Paris – Paris!« sagte der Präfect.
»Sie haben Recht,« erwiderte die Herzogin, »es ist das Paradies der Welt.«
Sie wandte sich schnell ab, denn sie fühlte, daß eine Thräne an ihren Wimpern zitterte.
»Zu Tische!« sagte der Herr vom Hause.
»Lieber Vetter,« sagte die Herzogin, indem sie einen Blick auf den ihr bestimmten Platz warf, »lassen Sie mich bei dem Herrn Präfecten; er hat mir seine Wünsche so aufrichtig ausgesprochen, daß ich ihn bereits zu meinen Freunden zähle.«
Der Präfect, über das Compliment sehr erfreut, rückte schnell seinen Stuhl, und die Herzogin wurde, zum Nachtheil der Person; welcher dieser Ehrenplatz zugedacht war, an seine linke Seite gesetzt.
Die beiden Herren nahmen die ihnen angewiesenen Plätze ohne Widerrede ein, und zumal de Lussac ließ sich's wohl schmecken.
Alle Gäste folgten diesem Beispiel, und es entstand eine feierliche Stille, wie sie im Anfange eines ungeduldig erwarteten Schmauses einzutreten pflegt.
Die Herzogin brach zuerst das Schweigen: ihr abenteuerlicher Geist fühlte sich wie der Meervogel vorzüglich im Sturme wohl.
»Unsere Ankunft,« sagte sie, »scheint das Gespräch unterbrochen zu haben. Ein stummes Diner finde ich unheimlich; man glaubt in den Tuilerien zu sitzen, wo Niemand den Mund aufthun durfte, ehe der König gesprochen hatte. – Wovon war vor unserer Ankunft die Rede?«
»Liebe Cousine,« sagte der Graf von Vouillé »der Herr Präfect war so gütig, mir officielle Nachrichten über den Putsch zu Marseille mitzutheilen.«
»Ein Putsch?« sagte die Herzogin.
»Ja, dieses Wortes bediente er sich.«
»Und es ist ein ganz passendes Wort. Denken Sie sich, die Vorkehrungen waren so unvollkommen getroffen worden, daß ein Unterlieutenant des dreizehnten Linienregimentes, der einen der Rädelsführer verhaftete, das ganze Unternehmen vereitelte.«
»Mein Gott! Herr Präfect,« sagte die Herzogin mit Wehmuth, »bei großen Ereignissen ist immer ein entscheidender Moment, wo das Geschick der Fürsten und Reichen schwankt, wie das Laub im Winde. Wäre Napoleon zum Beispiel, als er den gegen ihn abgeschickten Soldaten entgegenzog, zu Lamure von einem Unterlieutenant verhaftet worden, so wäre die Rückkehr von der Insel Elba auch nichts als ein Putsch gewesen.«
Niemand beantwortete diese mit dem Ausdrucke tiefen Gefühls gesprochenen Worte.
Die Herzogin unterbrach die Stille und nahm wieder das Wort:
»Weiß man, was aus der Herzogin von Berry geworden ist?«
»Sie hat sich wieder am Bord des »Carlo Alberto« eingeschifft.«
»So?«
»Es blieb ihr im Grunde sonst nichts übrig,« setzte der Präfect hinzu.
»Das meine ich auch,« sagte der alte Herr, der die Herzogin begleitete und jetzt zum ersten Male sprach, »wenn ich die Ehre gehabt hätte, bei Ihrer Hoheit zu seyn und etwas bei ihr zu gelten, so würde ich ihr aus voller Ueberzeugung diesen Rath gegeben haben.«
»Ich spreche nicht mit Dir, Herr Gemal, sondern mit dem Herrn Präfecten,« sagte die Herzogin, »ich frage ihn, ob er gewiß weiß, daß sich Ihre königliche Hoheit wieder eingeschifft hat.«
»Madame,« erwiderte der Präfect mit einer Entschiedenheit, die keinen Widerspruch duldet, »es ist der Regierung officiell angezeigt worden.«
»Wenn das ist,« sagte die Herzogin, »so ist nichts dagegen einzuwenden. Aber,« setzte sie einen gefährlicheren Weg betretend, hinzu, »ich habe die Sache anders gehört.«
»Madame!« rief ihr der alte Herr sanft verweisend zu.
»Was haben Sie gehört, liebe Cousine?« sagte der Graf von Vouillé, der an der Sache etwa denselben Antheil zu nehmen begann, wie ein Spieler am Pharao oder Rouge et Noir.
»Ja, was haben Sie gehört, Madame?« fragte der Präfect.
»Ich berichte natürlich nichts Officielles,« sagte die Herzogin, »ich wiederhole nur Gerüchte, die vielleicht ungereimt sind —«
»Madame!« mahnte der alte Herr noch einmal, ohne dass die Herzogin Notiz davon nahm.
»Ihr Herr Gemal,« versetzte der Präfect, »scheint sehr unwillig zu seyn. Ich wette, daß er Ihre Rückkehr nach Paris nicht gern sieht.«
»Das ist wahr, aber ich hoffe meinen Willen durchzusetzen. Bisher ist es mir immer gelungen —«
»O! die Weiber! die Weiber!« klagte der Präfect.
»Wie?« fragte die Herzogin.
»Nichts,« erwiderte der Präfect, »ich bin begierig auf die eben erwähnten Gerüchte.«
»Ich kanns Ihnen mit wenigen Worten erzählen. Ich habe gehört – aber merken Sie wohl, daß ich es Ihnen nur als ein unverbürgtes Gerücht mittheile – ich habe gehört, die Herzogin von Berry habe sich trotz allen Bitten und Vorstellungen hartnäckig geweigert wieder an Bord des »Carlo Alberto« zu gehen.«
»Wo soll sie denn jetzt seyn?« fragte der Präfect.
»In Frankreich.«
»In Frankreich? Warum denn in Frankreich?«
»Sie wissen ja, Herr Präfect,« erwiderte die Herzogin, »daß die Vendée das Hauptziel Ihrer Hoheit war.«
»Ja wohl, aber da ihr Plan im Süden vereitelt war —«
»Um so mehr Ursache hatte sie, in der Vendée einen Versuch zu machen.«
Der Präfect lächelte und schüttelte den Kopf.
»Sie glauben also, setzte die Herzogin hinzu, »daß Madame sich wieder eingeschifft?«
»Ich kann versichern,« sagte der Präfect, »daß sie jetzt in den Staaten des Königs von Sardinien ist und daß Frankreich Erklärungen verlangen wird.«
»Der König von Sardinien wird eine sehr einfache Erklärung geben; er wird sagen: Ich wußte wohl, daß meine Cousine eine Närrin ist, aber eine solche Unbesonnenheit hätte ich ihr doch nicht zugetraut!«
»Madame! Madame!« mahnte der alte Herr.
»O, Herr Gemal,« erwiderte die Herzogin, »Sie thun meinem Willen Zwang an, aber ich hoffe, daß Sie wenigstens meine Meinungen respectiren, die überdies, wie ich glaube, mit denen des Herrn Präfecten übereinstimmen.«
»Meiner Meinung nach,« sagte der Präfect lachend, »hat Ihre königliche Hoheit in dieser ganzen Sache sehr leichtsinnig gehandelt.«
»Sehen Sie wohl?« versetzte die Herzogin. »Was wird daraus werden, wenn das Gerücht wahr ist, wenn Madame sich wirklich in die Vendée begibt?«
»Aber welchen Weg würde sie dann nehmen?« fragte der Präfect.
»Sie würde durch die Präfectur Ihres Nachbars – oder durch Ihr Verwaltungsgebiet reisen. Man will sie in Toulouse gesehen und erkannt haben, als sie die Pferde wechselte – sie soll in einem offenen Wagen —«
»Das wäre zu stark!« unterbrach der Präfect.
»Wenigstens sehr viel gewagt,« meinte die Herzogin.
»So viel gewagt,« setzte der Graf hinzu, »daß der Herr Präfekt kein Wort davon glaubt.«
»Kein Wort!« versicherte der Präfect.
In diesem Augenblicke erschien ein Diener des Grafen mit der Meldung, daß ein Amtsdiener der Präfectur dem ersten Beamten des Departements eine telegraphische Depesche zu überbringen habe.
»Erlauben Sie, Herr Graf, daß er herein komme?» fragte der Präfect.
»Mit Vergnügen,« sagte der Graf.
Der Amtsdiener erschien und überreichte dem Präfecten eine versiegelte Depesche.
Es herrschte tiefe Stille, alle Augen waren auf den Präfecten gerichtet.
Die Herzogin wechselte einen Blick mit dem Grafen von Vouillé, der innerlich lachte, mit dem Baron von Lussac, der laut lachte, und mit ihrem angeblichen Gemal, der ganz ernsthaft blieb.
»O weh!« rief der Präfect, dessen Gesichtszüge so indiscret waren, das tiefste Erstaunen auszudrücken.
»Was gibt's denn?« fragte der Graf von Vouillé.
»Madame hat leider die Wahrheit gesagt,» erwiderte der Präfect, »Ihre königliche Hoheit hat Frankreich nicht verlassen, sondern begibt sich über Toulouse, Libourne und Poitiers in die Vendée.«
Er stand auf.
»Was haben Sie denn vor, Herr Präfect?« fragte die Herzogin.
»Ich muss meine Pflicht thun, wie peinlich sie auch sey: ich habe zur Verhaftung Ihrer königlichen Hoheit die nöthigen Befehle zu ertheilen, falls sie so unbesonnen ist, durch mein Département zu reisen.«
»Thun Sie das, Herr Präfect,« sagte Madame de La Myre, »ich kann Ihren Diensteifer nur loben und Ihnen versprechen, daß ich mich dessen bei vorkommender Gelegenheit erinnern werde.«
Sie reichte dem Präfecten die Hand, die dieser mit galantem Anstande küßte, nachdem er durch einen fragenden Blick die Erlaubniß des Herrn de La Myre dazu eingeholt hatte.