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Erster Theil
XVI.
Die Diplomatie Courtins. (Fortsetzung.)

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Als Courtin kaum zweihundert Schritte auf dem zu seinem Meierhofe führenden Wege fortgegangen war, hörte er ein Rauschen in den Gebüschen.

»Wer ist da?« fragte er, indem er auf die Seite trat und sich mit seinem Stocke in Vertheidigungsstand setzte.

»Ein Freund,« antwortete eine jugendliche Stimme.

Der Antwortende kam zum Vorschein.

»Ei! der Herr Baron!« sagte Courtin.

»Ja wohl, ich bin’s.«

»Mein Gott! was machen Sie denn mitten in der Nacht hier? Wenn die Frau Baronin wüßte, daß Sie nicht zu Hause sind, was würde sie dazu sagen?« erwiderte Courtin mit erheucheltem Erstaunen.

»Es ist nun einmal so, Courtin.«

»Aber ich vermuthe,« sagte der schlaue Landmann lauernd, »daß der Herr Baron seine Gründe hat.«

»Ja wohl, und seine Gründe sollst Du erfahren, wenn wir in deinem Hause sind.«

»In meinem Hause?« erwiderte Courtin erstaunt, »sind Sie denn bei mir gewesen?«

»Willst Du mich etwa nicht mitnehmen?« fragte der junge Baron.

»Gerechter Himmel, ich sollte mich weigern, Sie in ein Haus zu lassen, welches im Grunde Ihnen gehört?«

»Dann wollen wir keine Zeit verlieren, es ist spät. »Gehe voran, ich folge Dir.«

Courtin, über den gebieterischen Ton seines jungen Herrn etwas betroffen, gehorchte. Nach ein paar hundert Schritten öffnete er eine kleine Pforte, ging durch den Baumgarten und befand sich vor seinem Hause.

In der Wohnstube, die zugleich als Küche diente, legte er einige auf dem Herde zerstreute Feuerbrände zusammen und zündete eine gelbe Wachskerze an, die er auf den Camin stellte.

Erst jetzt bemerkte er, daß Michel todtenbleich war.

»Mein Gott!« sagte Courtin, »was fehlt Ihnen denn, Herr Baron?«

»Courtin,« sagte Michel mit drohendem Stirnrunzeln, »ich habe dein Gespräch mit meiner Mutter gehört.«

»Was!« sagte der Bauer etwas betroffen; aber er faßte sich schnell wieder und setzte hinzu: »Und was wünschen Sie jetzt von mir?«

»Du wünschest nächstes Jahr deinen Pachtcontract zu erneuern?«

»Ich, Herr Baron —«

»Und es ist Dir mehr daran gelegen, als Du zugibst.«

»Nun ja, es wäre mir gar nicht unlieb, Herr Baron – aber wenn's nicht anginge, so würde man auch nicht davon sterben.«

»Courtin, den Contract werde ich erneuern,« sagte der junge Gutsherr, »denn zur Zeit, wo der jetzige Contract abläuft, »bin ich volljährig.«

»Ganz recht, Herr Baron.«

»Aber Du siehst wohl ein, Courtin,« setzte Michel hinzu, dem sein Wunsch, den Grafen von Bonneville zu retten und bei Mary zu bleiben, eine ihm sonst ganz fremde Entschlossenheit gab, »Du siehst wohl ein, daß ich deinen Contract nicht erneuern werde, wenn Du thust, was Du diesen Abend gesagt hast, nämlich wenn Du meine Freunde anzeigst, denn einen Angeber will ich nicht als Pächter haben.«

»O! o!« sagte Courtin.«

»Bedenke daher, was Du thust,« fuhr Michel fort, »wenn Du den Meierhof einmal verlassen hast, so mußt Du ihm auf immer Lebewohl sagen, denn Du wirst nie wieder einziehen.«

»Aber die Regierung – und die Frau Baronin —«

»Alles dies kümmert mich nicht, Courtin. Ich bin der Baron Michel de La Logerie, das Gut gehört mir, sobald ich volljährig bin, weil es mir von meiner Mutter abgetreten wird; ich bin in elf Monaten volljährig und dein Contract ist in dreizehn Monaten zu Ende.«

»Aber wenn ich meinen Plan nicht in Ausführung bringe?« erwiderte Courtin mit gleißnerischer Freundlichkeit.

»Dann wird der Pachtcontract erneuert.«

»Unter den bisherigen Bedingungen?«

»Ja, unter den bisherigen Bedingungen.«

»Herr Baron, wenn ich nicht fürchtete, Sie zu compromittiren,« sagte Courtin, indem er aus einem Schranke ein Fläschchen mit Tinte, einen Bogen Papier und eine Feder nahm und aus den Tisch legte.

»Was soll das?« fragte der junge Baron.

»Wenn Sie die Güte haben wollten, Herr Baron, mir das Versprechen schriftlich zu geben – es ist für Leben und Sterben – und ich will Ihnen schwören —«

»Ich brauche keinen Schwur, Courtin; denn ich gehe auf der Stelle wieder nach Souday, ich warne Jean Oullier und fordere Bonneville auf, einen anderes Versteck aufzusuchen.«

»Nun, dann haben Sie um so weniger Ursache, sich zu weigern,« sagte Courtin und reichte seinem jungen Gutsherrn die Feder.

Michel nahm die Feder und schrieb:

»Ich, der unterzeichnete August Franz Michel, Baron de La Logerie, verpflichte mich, den Pachtvertrag Courtin’s unter den bisherigen Bedingungen zu erneuern.«

Er wollte das Datum darunter setzen; aber Courtin wollte es nicht zugeben.

»Nein,« sagte er, »lassen Sie das, Herr Baron; wir setzen das Datum, sobald Sie volljährig sind.«

»Gut,« sagte Michel.

Er schrieb nur seinen Namen und ließ Platz für das Datum.

»Wenn Sie bequemer als auf diesem Schämel ruhen wollen, Herr Baron,« sagte Courtin, »so würde ich sagen. Oben steht ein Bett, das nicht ganz schlecht und Ihnen zu Diensten steht – vorausgesetzt daß Sie vor Tagesanbruch nicht ins Schloß gehen wollen.«

»Nein,« erwiderte Michel, »Du hast ja gehört, daß ich nach Souday gehen will.«

»Warum denn, Herr Baron? Sie haben ja mein Versprechen, daß ich nichts sagen will – Sie haben Zeit.«

»Was Du gesehen hast, Courtin, konnte auch ein Anderer sehen,« entgegnete der junge Gutsherr, »und während Du schweigst, weil Du es versprochen, kann ein Anderer, der kein Versprechen gegeben, reden. – Auf Wiedersehen, Courtin!«

»Thun Sie was Sie wollen, Herr Baron,« sagte Courtin, »aber Sie haben wirklich Unrecht, wieder in die Mausefalle zu gehen.«

»Es ist gut, Courtin, ich danke Dir für deinen Rath; aber es freut mich sehr, daß Du mich als einen Mann anerkennst, der seinen freien Willen hat.«

Er stand auf und verließ rasch das Haus.

Courtin, verwundert über diese Entschlossenheit, schaute ihm nach, bis sich die Thür hinter dem jungen Baron wieder geschlossen hatte; dann griff er hastig nach dem Papier, las den Inhalt noch einmal, legte es sorgfältig zusammen und steckte es in seine Brieftasche.

Gleich darauf glaubte er in der Nähe des Meierhofes sprechen zu hören. Er ging ans Fenster, zog den Vorhang etwas auseinander und sah den jungen Baron vor seiner Mutter stehen.

»Aha! mein junger Hahn!« sagte er höhnisch lachend: »bei mir hast Du gar laut gekräht – aber die alte Henne wird Dich bald zum Schweigen bringen!«

Die Baronin, welche ihren Sohn noch eine kleine Weile vergebens erwartet, hatte über ihr Gespräch mit Courtin nachgedacht und die Anwesenheit Michel’s bei dem Maire für wahrscheinlich gehalten.

Sie war anfangs unschlüssig gewesen, sie trug theils aus Stolz und theils aus Furcht einiges Bedenken, in der Nacht auszugehen; aber endlich hatte doch die Muttersorge den Sieg davongetragen und die Baronin hatte, in einen großen Shawl gehüllt, das Schloß verlassen.

Als sie vor dem Meierhofe angekommen war, hatte sie ihren Sohn aus dem Hause kommen sehen.

Als sie ihn gesund und wohlbehalten wiedersah, hörten ihre Besorgnisse auf und ihr herrlicher Charakter bekam wieder die Oberhand.

Michel fuhr ganz bestürzt zurück, als er seine Mutter bemerkte.

»Folge mir,« sagte sie zu ihm, »mich dünkt, daß es nicht zu früh ist nach Hause zu gehen.«

Michel dachte weder an Widerspruch noch an Flucht; er folgte gehorsam und willenlos wie ein Kind.

Unterwegs wurde zwischen der Baronin und ihrem Sohne kein Wort gewechselt.

Dem jungen Baron war dieses Stillschweigen im Grunde lieber als ein Wortwechsel, in welchem sein kindlicher Gehorsam oder vielmehr seine Charakterschwäche unfehlbar den Kürzeren gezogen hätte.

Als Beide in das Schloß kamen, begann der Tag zu grauen.

Die Baronin, die immer noch kein Wort sprach, führte ihren Sohn in sein Zimmer.

Er fand einen gedeckten Tisch.

»Du wirst wohl hungrig und müde seyn,« sagte die Baronin, auf den Tisch und das Bett deutend, »Du siehst, es ist für den Hunger und für den Schlaf gesorgt.«

Dann entfernte sie sich und verschloß die Thür.

Der junge Baron hörte mit Schaudern, wie der Schlüssel zweimal umgedreht wurde.

Er war eingesperrt.

Er sank ganz trostlos auf einen Sessel.

Die Ereignisse folgten einander so rasch, wie Lawinen, und würden einen kräftigeren Charakter, als der Baron Michel besaß, erdrückt haben.

Er hatte nur einen gewissen Grad von Energie, und diesen hatte er in der Unterhandlung mit Courtin erschöpft. Vielleicht hatte er seinen Kräften zu viel zugemuthet, als er dem Maire gesagt hatte, er wolle wieder nach Souday eilen.

Seine Mutter hatte Recht: er war hungrig und ermüdet. In seinem Alter ist die Natur eine gebieterische Mutter, welche ihre Rechte mit Ungestüm geltend macht.

Uebrigens wurde sein Gemüth auch etwas ruhiger. Die Worte seiner Mutter: »Du siehst, es ist für den Hunger und für den Schlaf gesorgt,« schienen anzudeuten, daß sie nicht wieder in sein Zimmer kommen wollte, ehe er gegessen und geschlafen.

Er hatte also immer noch einige ruhige Stunden, ehe es zu einer Erklärung kam.

Michel leistete in aller Eile den Anforderungen seines Magens Genüge, und nachdem er das Thürschloß untersucht und sich überzeugt hatte, daß er wirklich eingesperrt war, legte er sich zu Bett und schlief ein.

Er erwachte gegen zehn Uhr Morgens.

Die Maisonne schien gar freundlich durch die Fenster und füllte das Zimmer mit einem fast blendenden Licht.

Er öffnete die Fenster und ließ die sanfte wohlthuende Wärme ein.

Die Vögel sangen in dem mit zartem jungen Laube bedeckten Bäumen, die ersten Rosenknospen thaten sich auf, die ersten Schmetterlinge flatterten von Blume zu Blume.

An einem so schönen Tage schien das Unglück festgebannt zu seyn und Niemand erreichen zu können.

Der junge Baron schöpfte einige Kraft aus diesem Wiedererwachen der Natur, und erwartete mit mehr Ruhe seine Mutter.

Aber eine Stunde verstrich nach der andern, es schlug zwölf und die Baronin erschien nicht.

Michel bemerkte mit einer gewissen Unruhe, daß der Tisch reichlich genug besetzt war, um nicht nur das gestrige Nachtessen zu liefern, sondern auch die heutigen Magenbedürfnisse zu befriedigen.

Er fing nun an zu fürchten, daß seine Gefangenschaft länger dauern werde, als er geglaubt hätte.

Diese Besorgniß bestätigte sich, als er Zwei und Drei schlagen hörte.

Während er aufmerksam auf das mindeste Geräusch horchte, glaubte er in der Richtung von Montaigu schießen zu hören.

Diese Schüsse hatten die Regelmäßigkeit eines Peletonfeuers. Aber es war nicht möglich zu unterscheiden, ob es wirklich Schüsse waren. Montaigu ist etwa zwei Lieues von La Logerie entfernt; ein fernes Gewitter konnte ein ähnliches Geräusch machen.

Der Himmel war indeß ganz rein und wolkenlos.

Das Schießen dauerte etwa eine Stunde, dann wurde Alles wieder ruhig.

Der junge Baron war so unruhig, daß er außer dem Frühstück gar nichts gegessen hatte.

Er hatte übrigens einen Entschluß gefaßt; sobald es Nacht geworden und Jedermann im Bett wäre, wollte er das Thürschloß mit seinem Messer losschrauben und aus einem Fenster des Erdgeschosses springen, denn die Hausthür würde wahrscheinlich ebenfalls verschlossen seyn.

Diese Möglichkeit zu fliehen, machte dem Gefangenen wieder Appetit. Er ließ sich’s wohl schmecken, denn er hatte aller Wahrscheinlichkeit nach eine stürmische Nacht vor sich, und wollte Kräfte sammeln, um die zu erwartenden Strapazen zu ertragen.

Es war sieben Uhr, als er vorn Tische aufstand. In einer Stunde wurde es Nacht. Er warf sich aufs Bett um die Dunkelheit zu erwarten.

Er hätte gern geschlummert, die Zeit würde ihm dann schneller vergangen seyn; aber er war zu unruhig, er mochte immerhin die Augen schließen, seine beständig lauschenden Ohren vernahmen das mindeste Geräusch.

Zu seinem größten Erstaunen hatte er seine Mutter seit dem frühen Morgen nicht wieder gesehen. Sie müsste doch vermuthen, daß der Gefangene nach Einbruch der Nacht Alles aufbieten werde zu entkommen. Gewiß führte sie etwas im Schilde – aber was konnte sie im Schilde führen?

Plötzlich glaubte der junge Baron das Schellengeläute von Postpferden zu hören.

Er eilte an’s Fenster.

Er glaubte auf der Straße von Montaigu eine Art Gruppe zu bemerken, die sich in der Dunkelheit ziemlich schnell auf das Schloß La Logerie bewegte.

Das Schellengeläute kam immer näher, und endlich hörte er ganz deutlich den Trab von zwei Pferden.

Der Postillon, der das eine Pferds ritt, schnalzte mit der Peitsche, vermuthlich um seine Ankunft anzuzeigen.

Es war nicht mehr zu bezweifeln, es war ein Postillon mit Postpferden.

Der junge Baron warf instinctmäßig einen Blick auf die Nebengebäude, und er sah wie der Reisewagen seiner Mutter aus der Remise gezogen wurde.

Jetzt wurde ihm Alles klar. Die von Montaigu kommenden Postpferde – der mit der Peitsche schnalzende Postillion – der Reisewagen, der aus der Remise hervorgezogen wurde – was anders konnte alles dies bedeuten, als daß seine Mutter abreisen und ihn mitnehmen wollte! Deshalb hatte sie ihn eingesperrt, deshalb hatte sie ihn den ganzen Tag in seinem Zimmer sitzen lassen. Er mußte jeden Augenblick gewärtigen, abgeholt zu werden – und dann ging’s fort, über Stock und Stein.

Die Baronin wußte wohl, welche Gewalt sie über ihren Sohn hatte; sie wußte, daß er sich nicht widersetzen würde.

Dieses Bewußtseyn der Abhängigkeit, von welcher seine Mutter so fest überzeugt war, erbitterte ihn aufs äußerste. Er wußte wohl, daß er keinen Widerstand wagen würde, wenn er ihr gegenüberstände.

Und Mary sollte er verlassen? er sollte verzichten auf das bewegte Leben, in welches ihn die beiden Schwestern eingeweiht hatten? er sollte nicht mitwirken in dem Drama, welches der Graf von Bonneville und sein unbekannter Begleiter in der Vendée aufführen wollten? Das hielt er für unmöglich und zumal für entehrend.

Was würden die beiden Schwestern von ihm denken?

Michel war entschlossen, lieber Alles zu wagen, als eine solche Demüthigung zu dulden.

Er trat ans Fenster und maß mit den Augen die Höhe.

Das Fenster war etwa dreißig Fuß über dem Erdboden.

Der junge Baron sann einige Augenblicke nach. Er hatte einen schweren inneren Kampf zu bestehen.

Endlich schien er seinen Entschluß zu fassen, er ging an seinen Schreibtisch, nahm eine ziemlich beträchtliche Summe in Gold heraus und füllte damit seine Taschen.

Als er eben damit fertig war, glaubte er draußen aus dem Gange Fußtritte zu hören.

Er schloß hastig den Schreibtisch wieder zu, warf sich auf das Bett und wartete.

Aber an dem ganz ungewöhnlich ernsten Ausdrucke seines Gesichtes war zu erkennen, daß sein Entschluß gefasst war.

Worin dieser Entschluß bestand? Dies wird sich aller Wahrscheinlichkeit später zeigen.

Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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