Читать книгу Die Zwillingsschwestern von Machecoul - Александр Дюма - Страница 8
Erster Theil
VIII.
Die Baronin de La Logerie
ОглавлениеWährend Courtin seinem jungen Herrn den Schlagbaum öffnete, wurde Michel von einer weiblichen Stimme gerufen.
Er stand etwas betroffen still.
Gleich darauf kam eine Dame hinter der Hecke hervor.
Mit dieser Dame, welche vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt war, müssen wir den Leser näher bekannt machen.
Ihr Gesicht war gemein und ohne Ausdruck; der einzige hervorstechende Charakterzug war ein affectirter Dünkel, der zu ihrer kleinen beleibten Gestalt nicht recht paßte. Ihr seidenes Kleid machte zu viel Prunk auf dem freien Felde, und hätte sie nicht einen großen Strohhut getragen, so hätte man glauben können, sie habe eben einen Besuch in der Vorstadt Saint-Honoré gemacht.
Es war die Person, deren Vorwürfe der arme »Monsieur Michel« so gefürchtet hatte.
»Du bist hier, Michel!« sagte sie.
»Du bist sehr rücksichtslos gegen deine Mutter! Es hat schon vor einer halben Stunde zur Tafel geläutet. Du weißt doch, wie ungern ich warte und wie sehr ich auf die Hausordnung halte – und ich finde Dich im vertraulichen Gespräch mit diesem Bauer!»
Michel begann eine Entschuldigung zu stammeln; aber der Scharfblick der Mutter bemerkte das mit Blut befleckte Schnupftuch, welches um seinen Kopf gebunden war und von dem breiten Rande seines Strohhutes nicht genügend bedeckt wurde.
»Was! Du bist verwundet!« fuhr sie noch lauter als bisher in ihrer Strafpredigt fort. »Was ist denn geschehen? Sprich, Du siehst ja, daß ich vor Ungeduld sterbe!»
Sie stieg nun mit einer Schnelligkeit und Behendigkeit, die man von einer so beleibten Dame nicht erwartet hätte, über die Hecke, und ehe es ihr Söhnlein hindern konnte, riß sie ihm den Hut sammt dem Schnupftuch vom Kopf.
Die Wunde fing wieder an zu bluten.
»Monsieur Michel«, wie ihn Courtin zu nennen pflegte, war ganz verblüfft und wußte nicht was er antworten sollte.
Courtin kam ihm zu Hilfe.
Der pfiffige Bauer schloß aus der Verlegenheit seines jungen Herrn, daß dieser seiner Mutter den Jagdfrevel nicht gern gestehen wollte und gleichwohl Bedenken trug, sich durch eine Lüge zu entschuldigen. Courtin hatte nicht dieselben Bedenklichkeiten wie der junge Gutsherr und er nahm die Sünde, welche Michel nicht begehen wollte, entschlossen auf sein Gewissen.
»O! die Frau Baronin dürfen sich nicht ängstigen,« sagte er, »es hat gar nichts zu bedeuten.«
»Aber was ist ihm denn geschehen? Antwortet für ihn, Courtin; mein Sohn scheint keine Auskunft geben zu wollen.«
Monsieur Michel blieb wirklich sprachlos.
»Sie sollen es sogleich erfahren, Frau Baronin,« antwortete Courtin. »Ich hatte hier vom Ausputzen der Bäume und Hecken ein Bündel Reiseholz; es war zu schwer, ich konnte es nicht allein auf meine Schultern heben – Monsieur Michel; war so gütig mir zu helfen, und ein Ast ritzte ihm die Stirn —«
»Es ist ja eine tiefe Wunde!« unterbrach ihn die Baronin. »Ihr hättet ihm ein Auge ausstoßen können. Ein andermal, Courtin, sehet Euch nach Euresgleichen um, wenn Ihr Holz zu tragen habt; versteht Ihr mich? Es ist sehr unschicklich von Euch, meinem Sohne so etwas zuzumuthen!«
Courtin schlug bescheiden die Augen nieder, als ob er die ganze Größe seiner Missethat eingesehen hätte; aber diese scheinbare Zerknirschung hielt ihn nicht ab, die Jagdtasche mit dem Hasen, die noch im Grase lag, mit dem Fuß unter die Hecke zu schieben.
»Komm, mein Sohn!« sagte die Baronin, deren Aerger durch die Demuth des Bauers nicht beschwichtigt zu seyn schien, »wir wollen die Wunde vom Arzt untersuchen lassen.«
Als sie einige Schritte gegangen war, sah sie sich um.
»Apropos, Courtin,« sagte sie, »Ihr habt euren Pachtzins von Johannis noch nicht bezahlt. Vergeßt nicht, daß euer Pachtcontract zu Ostern abläuft; denn saumselige Pächter will ich nicht behalten.«
Courtins Gesicht wurde noch kläglicher, aber es erheiterte sich wieder, als ihm Michel, während seine Mutter weit langsamer als das erste Mal über die Hecke stieg, verstohlen die Hand drückte und zuflüsterte:
»Morgen sprechen wir uns.«
Er begann nun wieder ganz wohlgemuth zu ackern und die »Parisienne« zu singen.
Während Courtin das damals sehr beliebte patriotische Lied zur großen Befriedigung seiner Pferde singt, wollen wir die freundlichen Leier mit der Gutsherrschaft näher bekannt machen.
Die Baronin de La Logerie war die Witwe eines jener Armeelieferanten, die auf Kosten des Staates schnell ein bedeutendes Vermögen erwarben und von den Soldaten den sehr treffenden Spitznamen, »riz-pain-sel« (Reis, Brot, Salz) erhalten hatten.
Dieser Armeelieferant hieß mit seinem Familiennamen Michel; er war ein Bauerssohn aus dem Département der Mayenne und Neffe eines Dorfschulmeisters, der ihn lesen, schreiben und insbesondere rechnen lehrte und dadurch den Grund zu dem künftigen Glücke seines Neffen legte.
Im Jahre 1791 zum Kriegsdienste einberufen, hatte der junge Bauer sehr wenig Begeisterung an den Tag gelegt: er hatte bereits in der Wahrscheinlichkeitsberechnung, ob er mehr Aussicht habe, todtgeschossen oder General zu werden, Beweise von seinen speculativen Talenten gegeben. Das Resultat seiner Berechnung hatte ihn nämlich nicht befriedigt, und er machte seine hübsche Handschrift geltend, um im Bureau des Quartiermeisiers Schutz gegen den Kugelregen zu finden. Sein Wunsch wurde erfüllt, und er freute sich eben so wie mancher andere Soldat, der Offizier wird.
Michel, der Vater, machte also die Feldzüge von 1792 und 1793 im Depot mit.
Der General Rossignol, der in die Vendée geschickt wurde, um die Ruhe herzustellen oder die Aufständischen zu vernichten, kam zufällig mit dem Rechnungsbeamten Michel in Berührung, er erfuhr von diesem, daß er ein Vendéer sey und viele Freunde in den feindlichen Reihen habe. Um diesen sehr günstigen Umstand zu benutzen, entließ er Michel mit dem Auftrage, unter den Chouans Dienste zu nehmen und von Zeit zu Zeit für ihn zu thun, was Maurepas für Ludwig XV. gethan hatte, nämlich ihn von allen wichtigen Operationen in Kenntnis zu setzen. Michel, der großen Vortheil dabei fand, hielt sein Versprechen nicht nur dem General Rossignol, sondern auch dessen Nachfolgern.
Während Michel mit den republicanischen Generalen correspondirte, kam der General Travot in die Vendée. Das Resultat der Operationen dieses Generals ist in den ersten Capiteln dieser Erzählung erwähnt worden. Das Heer der Vendéer ward verrathen. Jolly fiel im Kampfe. Charette wurde im Walde von La Chabotière gefangen und zu Nantes erschossen.
Was für eine Rolle Michel in diesem furchtbaren Drama; spielte, werden wir vielleicht später erfahren; kurz, einige Zeit nach jener blutigen Katastrophe kam Michel, der geschickte Rechner, in das Bureau eines großen Armeelieferanten.
In diesem neuen Wirkungskreise rückte er rasch vor, denn im Jahre 1805 hatte er einen Theil der Lieferungen für die deutsche Armee auf eigene Rechnung übernommen.
Im Jahre 1806 nahmen die Schuhe und Kamaschen einen thätigen Antheil an dem Feldzuge gegen Preußen. 1809 erhielt er die gänzliche Verpflegung der in Spanien einrückenden Armee. 1810 heirathete er die einzige Tochter eines Collegen und verdoppelte so sein Vermögen.
Außerdem verlängerte er seinen Namen. Sein Schwiegervater hieß nämlich Baptist Duland und war aus dem kleinen Dorfe La Logerie gebürtig; er nannte sich daher Duland de La Logerie. Er hatte seine Tochter in den besten Instituten zu Paris unter dem Namen Stephanie Duland de La Logerie erziehen lassen.
Der Lieferant Michel fand, daß sich der Name seiner Frau als Anhängsel an dem seinigen sehr hübsch ausnehme; er nannte sich Michel de La Logerie. Endlich gestattete ihm ein mit schwerem Gelde erkaufter Titel, sich Baron Michel de La Logerie zu nennen und so seinen Platz unter der Geld- und Landaristokratie einzunehmen.
Einige Jahre nach der Rückkehr der Bourbons, nämlich 1819 oder 1820, verlor der Baron Michel de La Logerie seinen Schwiegervater.
Baptist Duland de La Logerie hinterließ seiner Tochter und folglich seinem Schwiegersohne das Gut La Logerie, welches etwa fünf Stunden von dem Walde von Machecoul entfernt war.
Der Baron Michel de La Logerie beschloß in Gnaden; von seinem Gute Besitz zu nehmen und sich seinen Vasallen zu zeigen.
Der Baron Michel war klug und ehrgeizig; er wollte Mitglied der Deputirtenkammer werden. Seine Wahl hing aber von der Popularität ab, die er sich im Département der Niederloire erwerben würde.
Er war von Geburt ein Bauer, hatte fünfundzwanzig Jahre unter Bauern gelebt und wußte diese daher zu behandeln. Ueberdies war er ein recht gutmüthiger Mann. Er fand einige Cameraden aus dem alten Vendéekriege, begrüßte sie mit einem warmen Händedruck, sprach mit Thränen von dem Tode Jolly’s und Charette’s, fragte nach den Wünschen und Bedürfnissen der Gemeinde, ließ eine Brücke bauen, welche den Verkehr mit dem Département der Vendée wesentlich erleichterte, ließ drei Verbindungswege ausbessern und eine Kirche bauen, errichtete ein Waisenhaus und ein Spital für hilfsbedürftige Greise. Diese patriarchalische Rolle gefiel ihm so wohl, daß er seinen Unterthanen ankündigte, er werde nur sechs Monate in der Hauptstadt leben, die anderen sechs Monate aber in seinem Schlosse La Logerie wohnen.
Endlich aber gab er doch den Bitten seiner in Paris zurückgebliebenen Frau nach und beschloß nächsten Montag nach der Hauptstadt abzureisen; am Sonntage sollte in dem großen Heidewaide eine Treibjagd nach Wölfen gehalten werden. Die Ausrottung der Raubthiere war ein menschenfreundliches Werk, an welchem der Baron Michel de La Logerie gern theilnahm.
Bei dieser Treibjagd gab der Baron Michel, wie bei jeder anderen Gelegenheit, Beweise seiner Freigebigkeit: er sorgte für die Erfrischungen, und zwei mit Wein und kalter Küche beladene Karren, welche den Jägern nachgeführt wurden, waren zu Jedermanns Verfügung.
Die Treiber sollten Abends glänzend bewirthet werden, und in seiner Bescheidenheit lehnte er sogar den Ehrenplatz unter den Schützen ab. Er wollte das Loos entscheiden lassen, und als ihm der Zufall einen Platz am äußersten Ende der Schützenlinie zuwies, ertrug er dieses Mißgeschick mit einer Heiterkeit, welche die übrigen Schützen entzückte.
Die Treibjagd war glänzend; es kam so viel Wild, daß die Schützen ein förmliches Rottenfeuer eröffneten. Die erlegten Wölfe und Wildschweine bildeten bald hohe Haufen auf den Karren neben den Weinfässern des Barons. Die Contrebande, die an Hasen und Rehböcken gemacht wurde, versteckten die Schützen, um sie nach Einbruch der Nacht abzuholen.
Der Freudentaumel war so groß, daß man den Baron Michel, der den ganzen Tag nicht zum Vorschein gekommen war, erst gegen Abend vermißte. Man fragte nach ihm: Niemand hatte ihn seit dem ersten Treiben, in welchem er am äußersten Ende der Schützenlinie gestanden, wiedergesehen. Man vermuthete, er habe die Jagdlust verloren oder sey in übertriebenem Eifer für die Bewirthung seiner Gäste in das Städtchen Légé gegangen, wo er den Abendschmaus bestellt hatte.
Aber die Jäger fanden ihn nicht in Légé. Die sorglosesten unter ihnen setzten sich zu Tische; aber einige Schützen, die ein Unglück ahnten, begaben sich mit Fackeln und Laternen in den Wald zurück.
Nach langem fruchtlosen Suchen fand man ihn in einem Graben. Er war todt, eine Kugel hatte sein Herz durchbohrt.
Die Sache machte großes Aufsehen. Die Gerichtsbehörde zu Nantes leitete eine Untersuchung ein, und der Schütze, welcher dem Baron zunächst gestanden, wurde sogleich verhaftet.
Er erklärte, nichts gesehen oder gehört zu haben, denn er sey von dem Baron durch eine Ecke des Waldes getrennt gewesen. Es wurde überdies bewiesen, daß das Gewehr des Angeklagten den ganzen Tag nicht abgeschossen worden war; er hätte den Baron auch nur von der rechten Seite treffen können, und die Kugel war ihm in die linke Seite gedrungen.
Die Untersuchung wurde eingestellt; man vermuthete, er sey von einer abgeprallten Kugel getroffen worden.
Allein es ging in der Umgegend lange das Gerücht, der Baron Michel sey ein Opfer der Rache geworden. Man munkelte, einer der alten Soldaten Jolly’s oder Charette’s habe den unglücklichen Lieferanten zur Strafe für seine Verrätherei erschossen; aber es waren zu viele Leute an dieser Angelegenheit betheiligt und es wurde nie eine Anklage erhoben.
Die Baronin Michel de La Logerie war also Witwe. Sie besaß, wie so viele Frauen der höheren Stände, weder Tugenden noch Laster, noch Leidenschaften. Sie war im Alter von siebzehn Jahren an den Ehestandspflug gespannt worden und in der Furche gegangen, ohne an eine Ausschreitung zu denken, ja ohne sich zu fragen, ob es einen andern Weg gebe. Als sie des Joches entledigt war, fürchtete sie sich vor ihrer Freiheit und sah sich instinctmäßig nach neuen Fesseln um.
Diese neuen Fesseln fand sie in einer übertriebenen, irregeleiteten, wenn auch aufrichtigen Frömmigkeit. Sie hielt sich für eine Heilige, weil sie sehr regelmäßig die Kirche besuchte und gewissenhaft fastete; wer ihr gesagt hätte, daß sie täglich siebenmal sündige, würde sie sehr in Erstaunen gesetzt haben. Und doch wäre dieser Vorwurf vollkommen gegründet gewesen: sie sündigte unaufhörlich gegen das Gebot der christlichen Demuth; denn wie wenig Ursache sie auch dazu hatte, so trieb sie doch den Adelstolz bis zur Verrücktheit.
Diese Schwäche war dem schlauen Courtin wohlbekannt; wir haben gesehen, daß er ihren Sohn schlechtweg »Monsieur Michel,« sie aber »Frau Baronin« nannte.
Die Baronin de La Logerie hatte natürlich einen Abscheu vor dem Zeitgeiste und dem Fortschritte. So oft als sie die Gerichtsverhandlungen in der Zeitung las, gab sie dem Zeitgeist die tiefste Sittenverderbniß schuld. Nach ihrer Behauptung hatte das eiserne Zeitalter mit dem Jahre 1800 begonnen. Es war daher ihre größte Sorge, ihren Sohn gegen die verderblichen Wirkungen des Zeitgeistes zu schützen und jede Berührung mit der bösen Welt zu meiden. Zu dem Besuche öffentlicher Lehranstalten wollte sie ihre Zustimmung durchaus nicht geben, und selbst die Anstalten der Jesuiten schienen ihr nicht genügend abgesperrt gegen die äußere Welt. Sie selbst wollte seine Studien leiten und seine Ideen in eine Bahn lenken, welche nach ihrer Meinung allein heilbringend war, und der nothwendige Unterricht in Wissenschaften und Künsten durfte nur in ihrer Gegenwart und nach einem von ihr gutgeheißenen Programme ertheilt werden.
Es bedurfte wirklich einer starken Dosis gesunden Verstandes, um das jugendliche Gehirn aus dieser zehn Jahre langen Tortur gesund und frisch hervorgehen zu lassen.
Aber ganz ohne Folgen war diese Tortur doch nicht geblieben: es fehlte dem jungen Baron die Willenskraft und Entschlossenheit, die des Mannes Würde zeigt.