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Zweiter Theil
IV.
Der Aufstand
ОглавлениеEine halbe Stunde nach der Unterredung des Unterpräfecten mit Courtin suchte ein Gendarme den General auf dem Markte. Er fand ihn in vertraulichem Gespräch mit einem zerlumpten Bettler. Der Gendarme flüsterte dem General einige Worte zu und dieser eilte in den Gasthof zurück.
Der Unterpräfect erwartete ihn vor der Thür.
»Nun, wie stets?« fragte der General, als er das heitere Gesicht des Beamten sah.
»Sehr gut,« antwortete dieser. »Der Bauer ist ein sehr kluger Mensch.«
»O sie sind Alle sehr klug,« sagte der General, »der einfältigste unter ihnen würde Herrn von Talleyrand etwas aufzurathen geben. Was hat der kluge Mann gesagt?«
»Er sagt, gestern Abends sey der Graf von Bonneville, als Bauer verkleidet, in Begleitung eines Bauernknaben, den er für ein Frauenzimmer gehalten, in das Schloß Souday gegangen.«
»Und was schließen Sie daraus?«
»Es ist kaum zu bezweifeln, Herr General —«
»Heraus mit der Sprache, Herr Unterpräfect! Sie sehen ja meine Ungeduld,« sagte der General in ganz ruhigem Tone.
»Es scheint mir nicht zweifelhaft, daß der Bauernknabe – die Prinzessin ist.«
»Aber mir scheint es zweifelhaft.«
»Warum, Herr General?«
»Weil ich ebenfalls vertrauliche Mittheilung erhalten habe.«
»Freiwillige oder erzwungene?«
»Weiß man denn, wie man mit diesen Leuten daran ist? Doch lassen Sie hören – was hat Ihnen der kluge Mann gesagt?«
»Nichts hat er gesagt. Als ich Sie verließ, sprach ich mit ihm über die Haferlieferung.«
»Und was weiter?«
»Der Bauer verlangte ein Aufgeld; ich dagegen verlangte eine Quittung. Er wollte sie in einem Kramladen schreiben. Ich wollte ihn aber nicht aus den Augen lassen, ich nahm einen Bleistift aus der Brieftasche und sagte zu ihm: Ihr werdet wohl ein Stückchen Papier bei Euch haben; mein Hut kann Euch als Tisch dienen. Er zerriß einen Brief und schrieb auf die weiße Seite die Quittung. Hier ist sie, hören Sie.«
Der Unterpräfect zog den Zettel aus der Tasche und las:
»Erhalten von Herrn Jean Louis Robier die Summe von fünfzig Francs als Aufgeld für dreißig Säcke Hafer, die ich ihm am 28. dieses Monats zu liefern habe.
Den 14. Mai 1832.«
»Ich sehe hierin keine Auskunft,« setzte der Unterpräfect hinzu.
»Kehren Sie gefälligst das Papier um.«
Der Unterpräfect stutzte. Auf der Rückseite standen folgende verstümmelte Zeilen:
»– — Arquis – augenblicklich die Nachricht – welche wir erwarten – zu Beaufays am 26. Abends – Offiziere Ihrer Division – ihr vorgestellt wurden – Ihre Leute in Bereitschaft – gehorsamst —«
»Das ist ja die Ankündigung einer Schilderhebung,« sagte der Unterpräfect, »denn das Fehlende ist leicht zu ergänzen«
»Ja, sehr leicht,« setzte der General hinzu, »ich glaube fast zu leicht.«
»Sie rühmten die Schlauheit dieser Leute,« entgegnete der Beamte, »ich finde sie vielmehr ganz harmlos —«
»Hören Sie nur,« sagte der General, »als Sie sich mit dem Haferhändler entfernt hatten, redete ich einen Bettler an, der etwas blödsinnig zu seyn schien. Ich sprach von dem lieben Gott und den Heiligen, vom Buchweizen, von der Apfelernte – bedenken Sie, daß die Apfelbäume jetzt blühen – und endlich fragte ich ihn, ob er uns als Wegweiser nach Liroux dienen wolle. Ich kann nicht, antwortete der Blödsinnige grinsend. – Warum nicht? fragte ich so unbefangen wie möglich. – Weil ich Befehl habe, antwortete er, eine schöne Dame und zwei Herren, wie Sie, von Puy-Laurent nach La Flocelière zu führen.«
»Die Sache scheint verwickelt zu werden,« sagte der Beamte.
»Keineswegs, sie wird klarer.«
»Erklären Sie sich.«
»Die in einem Lande, wo es so schwer ist, Auskunft zu erhalten, ungerufen kommende Mittheilungen sind aller Wahrscheinlichkeit nach Fallen, in die aber ein alter Fuchs wie ich nicht geht. Die Herzogin von Berry – wenn sie wirklich hier im Lande ist – kann nicht zugleich in Souday, in Beaufays und in Puy-Laurent seyn. Was sagen Sie dazu, Herr Unterpräfect?«
»Ich glaube,« erwiderte der Beamte, sich am Ohr kratzend, »daß sie abwechselnd an den drei Orten gewesen ist. Ich würde mich um das Versteck, wo sie war oder seyn wird, gar nicht kümmern, sondern geradezu nach La Flocelière gehen, denn diesen Ort hat ja der Blödsinnige so eben genannt.«
»Sie lassen sich zu leicht von der Fährte ablenken, lieber Herr,« sagte der General, »und die einzige genaue Auskunft, die wir erhalten haben, hat der Bauer mit dem Brotkuchen gegeben.«
»Aber die Anderen?«
»Ich würde meine Generalsepauletten gegen eine Unterlieutenantsepaulette wetten, daß uns die Anderen von irgend einem Schlaukopf, der den Maire mit uns sprechen sah, auf den Hals geschickt worden sind. Wir müssen unser Augenmerk auf Souday richten, lieber Herr Unterpräfect, wir werden sonst unverrichteter Sache zurückkommen.«
»Bravo!« sagte der Beamte erfreut, »ich fürchtete einen Mißgriff gemacht zu haben, aber Ihre letzten Worte beruhigen mich.«
»Was haben Sie gethan?«
»Der Bauer – ich habe hier seinen Namen, er heißt Courtin – ist Maire eines kleines Dorfes, Namens La Logerie.«
»Ich kenne es; vor sechsunddreißig Jahren hätten wir dort Charette beinahe gefangen.«
»Der Bauer nannte nur einen Menschen, der uns als Führer dienen könnte und dessen Verhaftung rathsam sey, um seine Rückkehr ins Schloß zu verhindern.«
»Wer ist der Mann?«
»Der Intendant des Marquis, oder eigentlich sein Waldhüter. Hier ist seine Personenbeschreibung.«
Der General nahm einen Zettel und las: »Haare kurz und mit grau gemischt, Stirn glatt, klugen schwarz und lebhaft, Augenbrauen buschig, auf der Nase eine Warze, Backenbart bis unter das Kinn; Jacke, Weste und Hosen von Sammt, Kamaschen und Gürtel von Leder. Besondere Kennzeichen: Der zweite Schneidezahn links fehlt. Hat einen braunen Hühnerhund bei sich.«
»Das ist mein Haferverkäufer Zug für Zug,« setzte der General hinzu. »Terrien? Er heißt so wenig Terrien, wie ich Barrabas heiße.«
»Sie können sich bald davon überzeugen, Herr General.
« »Wie so?«
»Er wird in wenigen Minuten hier seyn.«
»Er kommt hierher?«
»Ja wohl.«
»Freiwillig?«
»Freiwillig oder gezwungen.«
»Gezwungen?«
»Ja, ich habe Befehl gegeben, ihn zu verhaften, und es muß bereits geschehen seyn.«
»Tausend Donnerwetter!« fluchte der General und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Was haben Sie da gemacht?«
»Ich glaubte, Herr General, einen so gefährlichen Menschen auf der Stelle unschädlich machen zu müssen.«
»Gefährlich! Jetzt ist er weit gefährlicher, als er vor einer Viertelstunde war.«
»Aber wenn er verhaftet ist?«
»Er hat gewiß Zeit gehabt, seinen Freunden einen Wink zu geben. Die Prinzessin wird gewarnt werden, ehe wir eine Stunde Weges von hier entfernt sind. Wir können uns noch glücklich schätzen, wenn sie uns nicht die ganze Bevölkerung auf den Leib gehetzt haben, so daß wir hier keinen Mann der Garnison entbehren können.«
»Vielleicht ist es noch Zeit,« sagte der Unterpräfect, an die Thür eilend.
»Ja, laufen Sie! Mille tonnerres! es ist nicht mehr Zeit!« Man hörte wirklich ein immer lauter werdendes dumpfes Getöse, welches bald zum furchtbaren Geschrei wurde.
Der General öffnete das Fenster.
Hundert Schritte vom Gasthofe bemerkte er die Gendarmen, welche Jean Oullier gebunden in ihrer Mitte herführten.
Die schreiende, drohende Menge strömte von allen Seiten herbei, so daß sich die Gendarmen nur langsam und mit Mühe durchdrängen konnten.
Sie hatten indes von ihren Waffen noch keinen Gebrauch gemacht; aber es war keine Minute zu verlieren.
»Es ist jetzt nicht mehr zu ändern,« sagte der General, indem er schnell seinen Ueberrock ablegte und seine Uniform anzog. »Mein Pferd, mein Pferd!« rief er seinem Secretär zu. »Sie, Herr Unterpräfect, lassen Sie die Nationalgarde ausrücken – wenn’s hier eine gibt – aber es darf ohne meinen Befehl kein Gewehr gesenkt werden.«
Ein Capitän erschien.
»Sie, Herr Capitän,« fuhr der General fort, »stellen Sie Ihre Leute im Hofe auf. Meine zwanzig Reiter sollen aufsitzen. Jeder Mann erhält Lebensmittel auf zwei Tage und fünfundzwanzig Patronen. Halten Sie sich bereit, auf das erste Zeichen auszurücken.«
Der alte General, der sein ganzes Jugendfeuer wieder gefunden hatte, ging fluchend in den Hof hinunter, und ließ das Hausthor öffnen.
»Wie,« sagte der Unterpräfect, »Sie wollen den wüthenden Menschen doch nicht allein entgegentreten?«
»Allerdings. Morbleu! ich muß ja meine Leute aus der Klemme ziehen. Platz da! es ist jetzt nicht Zeit zu sentimentalen Reden.«
Sobald das Hausthor offen war, gab der General seinem Pferde die Sporen und sprengte hinaus, mitten in das Gewühl.
Das plötzliche Erscheinen des stattlichen, muthigen, alten Kriegers in der glänzenden Uniform wirkte wie ein elektrischer Schlag auf die Volksmenge. Das Schreien und Toben hörte auf, die hocherhobenen Stöcke senkten sich, die dem General zunächst stehenden Bauern nahmen die Hüte ab, die dichtgedrängten Reihen thaten sich auf, und der General konnte den Gendarmen entgegenreiten.
»Was gibts denn?« fragte er so laut, daß man’s aus dem ganzen Markte hören konnte.
»Sie bringen den Jean Oullier gebunden,« sagte eine Stimme.
»Und Jean Oullier ist ein braver Mann!« rief eine andere Stimme aus der Menge heraus.
»Man soll nur Spitzbuben und keine ehrlichen Leute verhaften,« sagte ein Dritter.
»Still!« sagte der General mit seiner dröhnenden Commandostimme. »Wenn Jean Oullier ein braver, ehrlicher Mann ist, so wird er wieder frei gelassen; wenn er einer von denen ist, die Euch betrügen und eure guten, biederen Gesinnungen mißbrauchen wollen, so wird er bestraft. Haltet Ihr es denn für ungerecht, die zu bestrafen, welche das Land wieder in so schrecklichen Unglück stürzen wollen, wie die alten Leute unter Euch schon erlebt haben?«
»Jean Oullier ist ein friedlicher Mann, der Niemand etwas zu Leide thut,« sagte eine Stimme.
»Was fehlt Euch denn?« fuhr der General fort, ohne sich um die Unterbrechung zu kümmern, »eure Religion ist ja die unserige, eure Priester stehen, wie eure Güter, unter dem Schutze der gemeinsamen Gesetze; noch nie ist euer Wohlstand so blühend gewesen.«
»Das ist wahr,« sagte ein junger Bauer.
»Hört daher nicht auf die schlechten Franzosen, welche, um ihre selbstsüchtigen Leidenschaften zu befriedigen, alle Schrecken des Bürgerkrieges auf das Land herabbeschwören wollen. Soll man Euch an die schon erduldeten Leiden und Drangsale erinnern? Soll man von der Ermordung eurer Greise, Mütter, Weiber, Kinder, von der Verwüstung eurer Felder, von dem Niederbrennen eurer Hütten sprechen?«
»Das haben die Blauen gethan!« rief eine Stimme aus der Menge.
»Nein, nicht die Blauen, fuhr der General fort, »es ist die Schuld derer, die Euch zu jenem unsinnigen Kampfe getrieben haben. Damals war der Kampf unsinnig, jetzt wäre er frevelhaft; damals gab es wenigstens einen Vorwand, der jetzt ganz fehlt.«
Dabei trieb der General sein Pferd immerfort auf die Gendarmen zu, welche ihrerseits alle Kräfte aufboten, um zu dem General zu gelangen.
Dies wurde ihnen um so eher möglich, da seine Worte einen sehr merklichen Eindruck auf einige Bauern machten. Einige schauten stumm vor sich nieder, andere theilten ihren Nachbarn ihre dem Anscheine nach beifälligen Bemerkungen mit.
Aber je weiter der General in dem Kreise vordrang, der die Gendarmen und ihren Gefangenen umgab, fand er die Haltung der Landleute drohender. Die zunächst stehenden waren sehr zornig; dies waren offenbar die Bandenführer, die Hauptleute von Pfarrbezirken.
Diesen gegenüber wäre alle Redekunst fruchtlos geblieben; sie waren fest entschlossen, keinen Vorstellungen Gehör zu geben, und dies auch den Andern unmöglich zu machen: sie schrien nicht, sie brüllten.
Der General erkannte das Bedenkliche der Lage; er sah die Nothwendigkeit ein, diesen Leuten durch raschen Entschluß und Körperstärke zu imponiren.
Aubin Courte-Joie war in den ersten Reihen der Meuterer; aber der Krüppel hatte seine Stelzfüße durch zwei tüchtige gesunde Beine ersetzt: er ließ sich von einem kolossalen Bettler tragen. Er saß auf den Schultern desselben und seine Stelzfüße waren mit Riemen an dem Leibe des Bettlers festgeschnallt, so daß er in dieser Stellung eben so fest saß, wie der General im Sattel.
So reichte Aubin bis an die Epaulette des Generals, gegen den er drohend seine Stimme und seine Fäuste erhob.
Der General streckte die Hand nach ihm aus, faßte ihn beim Kragen, hob ihn mit starker Faust auf, hielt ihn einige Augenblicke über der Menge schwebend und warf ihn endlich einem Gendarmen zu.
»Halte mir den Hanswurst fest,« sagte er, »er würde mir am Ende Kopfweh machen.«
Der Bettler, der sich plötzlich seines Reiters entledigt sah, schaute verwundert auf, und der General erkannte den Blödsinnigen, mit weichem er vor einer Stunde gesprochen – hatte; aber jetzt sah der Kerl so pfiffig aus, wie kaum ein anderer unter den aufständischen Bauern.
Die Menge lachte, aber diese Heiterkeit war nur von kurzer Dauer.
Aubin Courte-Joie befand sich in den Armen des Gendarmen, an dessen Seite Jean Oullier ging. Er griff verstohlen in die Tasche, machte sein Messer auf, zog es hervor, stieß es dem Gendarmen bis an’s Heft in die Brust und rief: »Es lebe Heinrich V.! Rette Dich, Jean Oullier!«
Der Bettler, der die Kraftäußerung des Generals durch eine ähnliche Heldenthat erwiedern zu wollen schien, schlüpfte behende unter das Pferd, faßte den General beim Stiefel und warf ihn mit einem kräftigen Ruck auf der andern Seite vom Pferde.
Der General und der Gendarme fielen zugleich; man hätte sie Beide für todt halten können.
Aber der General raffte sich schnell aus und schwang sich mit eben so viel Kraft als Gewandtheit wieder in den Sattel.
Dabei that er einen so kräftigen Faustschlag auf den Kopf des Bettlers, daß dieser, ohne einen Laut von sich zu geben, rücklings zu Boden sank.
Weder der Gendarme noch der Bettler standen auf, der Bettler war ohnmächtig, der Gendarme todt.
Jean Oullier, dem die Hände gebunden waren, gab dem zweiten Gendarmen einen so starken Stoß mit der Schulter, daß der Mann wankte.
Jean Oullier sprang über die Leiche des Soldaten hinweg und stürzte sich unter die Menge.
Aber der General hatte die Augen allenthalben, er bemerkte sogar was hinter ihm vorging. Er schwenkte sein Pferd, faßte Jean Oullier, zog ihn in die Höhe und legte ihn quer auf sein Pferd.
Es begann nun Steine zu regnen, und die Bauern nahmen ihre drohende Haltung wieder an.
Die Gendarmen hielten sich gut; sie umringten den General und füllten ihre Bajonnete gegen die Menge, welche nicht mehr Mann gegen Mann zu kämpfen wagte und nur mit Steinen warf.
So drangen sie bis in die Nähe des Gasthofes vor. Hier wurde die Lage des Generals und seiner Leute sehr bedenklich. Die Bauern, welche entschlossen schienen, Jean Oullier nicht in der Gewalt seiner Feinde zu lassen, wurden immer kühner mit ihren Angriffen. Schon waren einige Bajonnete mit Blut gefärbt, und doch wurde die Wuth der Meuterer immer größer.
Glücklicherweise war der General den Soldaten so nahe, daß sie seine Stimme hören konnten.
»Heraus, Grenadiere!« rief er ihnen zu.
Sogleich stürzten die Soldaten mit gefälltem Bajonnete aus dem Gasthofe und warfen die Bauern zurück. Der General konnte mit seiner Escorte in den Hof gelangen.
Er fand hier den Unterpräfecten, der ihn erwartete.
»Da ist Ihr Mann,« sagte er und warf ihm Jean Oullier wie ein Packet zu, »er ist uns theuer zu stehen gekommen. Gott gebe, daß er seinen Preis werth ist!«
In diesem Augenblicke hörte man auf dem andern Ende des Marktplatzes ein starkes Gewehrfeuer.
»Was ist das?« fragte der General lauschend.
»Vermuthlich die Nationalgarde,« antwortete der Unterpräfect, »ich habe Befehl zum Ausrücken gegeben; sie wird meinen Weisungen gemäß die Meuterer umgangen haben.«
»Und wer hat Befehl gegeben zu feuern?«
»Ich, Herr General; man mußte Sie ja aus den Händen der Meuterer erlösen —«
»Mille tonnerres! Sie sehen ja, daß ich mich selbst erlöst habe,« eiferte der alte Krieger. »Merken Sie wohl, im Bürgerkriege ist alles unnütz vergossene Blut mehr als ein Verbrechen, es ist ein arger Mißgriff.«
Eine Ordonnanz galoppirte in den Hof.
»Herr General,« sagte der Offizier, »die Aufständischen fliehen in allen Richtungen. Die Reiterei ist da, soll ich ihnen nachsetzen lassen?«
»Kein Mann soll mir von der Stelle,« sagte der General, »überlassen Sie es nur der Nationalgarde; es sind Freunde, sie werden es untereinander schon ausmachen.«
Eine zweite Gewehrsalve bewies, daß es die Bauern und die Nationalgarde »mit einander schon ausmachten«.
Dies waren die beiden Salven welche der Baron Michel in La Logerie gehört hatte.
»Jetzt,« sagte der General, »kommt es nur darauf an, diesen traurigen Tag zu benützen. Es ist nur ein uns günstiger Fall denkbar: daß dieser Mann hier,« – auf Oullier deutend – »allein in das Geheimniß eingeweiht war. Gendarme, hat er seit seiner Verhaftung mit Jemanden gesprochen?«
»Nein, Herr General, er hat nicht einmal Zeichen gegeben, denn die Hände sind ihm gebunden.«
»Hat er mit dem Kopfe genickt? Hat er ein Wort geflüstert? Bei diesen Leuten ist ein Wink, ein Laut genügend.«
»Ich habe nichts bemerkt,« sagte der Gendarme.
»Nun, dann wollen wir’s versuchen. Herr Capitän, lassen Sie Ihre Leute essen; in einer Viertelstunde brechen wir auf. Die Gendarmen werden mit Hilfe der Nationalgarde genügen, die Ruhe in der Stadt zu erhalten. Ich reite mit meiner Escorte voraus.«
Der General ging wieder in den Gasthof.
Die Soldaten rüsteten sich zum Abmarsch.
Unterdessen saß Jean Oullier, von zwei Gendarmen bewacht, im Hofe auf einem Stein. Sein Gesicht war so ruhig und gleichgültig wie gewöhnlich: er liebkoste mit seinen gebundenen Händen seinen Hund, der ihm gefolgt war und den Kopf auf die Knie seines Herrn legte und ihm von Zeit zu Zeit die Hände leckte, gleichsam um dem Gefangenen anzudeuten, daß er in seinem Unglück einen Freund habe.
Jean Oullier streichelte ihn mit einer Entenfeder, die er im Hofe aufgenommen; dann benutzte er einen Augenblick, wo er von dem Gendarmen nicht beobachtet wurde, schob dem Hunde die Feder zwischen die Zähne, gab dem klugen Thiere einen Wink, stand auf und sagte:
»Geh, Pataud!«
Der Hund entfernte sich langsam und sah sich von Zeit zu Zeit nach seinem Herrn um; endlich schlürfte er unbemerkt zur Hausthüre hinaus.
»Er wird früher ankommen als wir,« sagte Jean Oullier zu sich selbst.
Unglücklicherweise waren die Gendarmen nicht die einzigen Wächter des Gefangenen.