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Erster Theil
XI.
Der Eilbote

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Die Hütte stand nicht im Dorfe, sondern etwa einen Büchsenschuß außerhalb desselben vor einem kleinen Gehölz, mit welchem sie durch eine Hinterthür in Verbindung stand.

Rosinens Vater war ein Chouan von altem Schrot und Korn; er hatte, kaum dem Knabenalter entwachsen, den ersten Krieg in der Vendée unter Charette, la Rochejacquelein und anderen Führern mitgemacht.

Später hatte er sich verheirathet; ein Sohn war ihm gestorben; Rosine war sein einziges Kind.

Bei jedem der beiden Kinder hatte seine Frau, der unter den armen Bäuerinnen herrschenden Sitte gemäß, einen Säugling genommen.

Der erste war der letzte Sprößling einer adeligen Familie von Maine, Namens Henri de Bonneville. Er wird in dieser Geschichte bald erscheinen.

Der zweite war Michel de La Logerie, eine der Hauptpersonen unserer Erzählung.

Henri de Bonneville war zwei Jahre älter als Michel. Die beiden Kinder hatten vor dieser Thür, deren Schwelle Michel jetzt mit Rosine und Bertha überschreiten sollte, oft mit einander gespielt. Später hatten sie sich in Paris gesprochen. Die Baronin de La Logerie hatte diese Freundschaft sehr begünstigt, denn die Familie Bonneville war sehr angesehen und reich.

Die beiden Knaben hatten einigen Wohlstand ins Haus gebracht; aber der Bauer in der Vendée hält seinen Wohlstand immer geheim. So machte es auch Tinguy; er stellte sich auf Kosten seines eigenen Lebens arm, und wie krank er auch war, so würde er sich doch wohl gehütet haben, einen Arzt, dessen Besuch ihm drei Francs gekostet hätte, von Palluau kommen zu lassen.

Ueberdies glauben die Bauern, zumal die Vendéer weder an Aerzte noch an Arzneien. So hatte sich denn Rosine an die Baronin de La Logerie, und nachdem sie von dieser abgewiesen worden, an die Fräulein von Souday gewandt.

Als die drei jungen Leute eintraten, richtete sich der Kranke mit Mühe auf, aber er sank sogleich ächzend auf sein Lager zurück. Ein vor dem Bett brennendes Licht warf einen matten Schimmer auf den etwa vierzigjährigen Mann, bei welchem alle Anzeichen eines heftigen Fiebers sichtbar waren.

Er war leichenblaß, das Auge war matt und glanzlos, und von Zeit zu Zeit wurde er heftig geschüttelt, als ob er mit einer galvanischen Batterie in Berührung gekommen wäre.

Der junge Baron schauderte bei diesem Anblicke; er fand die Furcht seiner Mutter vor Ansteckung ganz erklärlich, denn es schien ihm, als ob der Krankheitsstoff in sichtbaren Atomen um das Lager schwebte.

Er dachte an Kampher, an Chlor, an Räuberessig, kurz an alle Vorbeugungsmittel, welche den Kranken von dem Gesunden trennen können, und da er weder Essig noch Kampher oder Chlor hatte, so blieb er wenigstens an der Thür, um sich mit der äußern Luft in Verbindung zu setzen.

Bertha dachte an keine Vorsichtsmaßregeln; sie trat an das Bett und faßte die heiße Hand des Kranken.

Michel wollte auf sie zueilen, um sie zurückzuhalten, er that den Mund auf, um sie zu warnen, aber er blieb regungslos, sprachlos vor Bewunderung und Schrecken.

Bertha befragte den Kranken. Tags zuvor war er beim Aufstehen so matt gewesen, daß er sich nicht auf den Füßen zu halten vermochte. Aber statt sich wieder ins Bett zu legen und einen Arzt kommen zu lassen, hatte sich Tinguy angekleidet, einen Krug Cider aus dem Keller geholt und ein Stück Brot abgeschnitten: er glaubte, sich stärken zu müssen.

Er hatte den Cider getrunken, aber das Brot hatte nicht geschmeckt. Dann war er an seine Feldarbeit gegangen.

Unterwegs hatte er heftige Kopfschmerzen bekommen, und seine Mattigkeit war so groß geworden, daß er sich setzen mußte. Er hatte begierig aus einer Quelle getrunken, aber sein Durst war so groß geworden, daß er zuletzt aus einer Pfütze getrunken hatte.

Endlich war er auf sein Feld gekommen, aber er hatte nicht die Kraft gehabt, seine gestern angefangene Arbeit fortzusetzen. Eine Weile hatte er sich auf sein Grabscheit gestützt, dann aber war ihm der Kopf zu schwer geworden, und er war zu Boden gefallen.

Er blieb bis sieben Uhr Abends liegen, und er würde die ganze Nacht liegen geblieben seyn, wenn nicht zufällig ein Bauer aus einem Nachbardorfe vorbeigekommen wäre. Dieser rief ihn an; der Fieberkranke antwortete nicht, machte aber eine Bewegung. Der Bauer trat näher und erkannte Tinguy.

Mit großer Mühe führte er den Kranken nach Hause. Dieser war so schwach, daß er länger als eine Stunde brauchte, um den kurzen Weg, den er sonst in einer Viertelstunde gemacht, zurückzulegen.

Rosine hatte ihn schon mit Unruhe erwartet. Ueber das Aussehen ihres Vaters erschreckt, wollte sie nach Palluau eilen und den Arzt holen, aber der Kranke verbot es ihr ausdrücklich; er meinte, es habe nichts zu bedeuten, am andern Morgen werde er wieder gesund seyn. Er ließ sich nur einen Krug Wasser vor das Bett bringen, um den immer heftiger werdenden Durst zu stillen.

In der Nacht war die Fieberhitze immer größer, der Durst immer quälender geworden. Morgens hatte er einen Versuch gemacht aufzustehen, aber er war kaum im Stande gewesen den Kopf aufzurichten, und hatte über heftige Schmerzen in der rechten Seite geklagt.

Rosine, welche vergebens zu ärztlicher Hilfe gerathen hatte, war vor dem Bette geblieben, um jeden Augenblick seine Wünsche zu erfüllen.

Um vier Uhr Nachmittags hatte der Kranke eingesehen, daß er von einem bösartigen Fieber befallen war, und seine Tochter in das Schloß geschickt.

Wir haben das Resultat dieses Entschlusses gesehen. Nachdem Bertha den Puls des Kranken untersucht und seine mühsam hervorgebrachte Erzählung angehört hatte, überzeugte sie sich, daß er ein hitziges Fieber hatte. Aber von welcher Art dieses Fieber war, wußte sie nicht.

Da der Kranke indeß unaufhörlich zu trinken verlangte, so schnitt sie eine Citrone in Scheiben, ließ sie in einem Topf; mit Wasser sieden, that etwas Zucker hinein und gab diese Limonade dem Kranken statt des klaren Wassers.

Als sie die Limonade bereiten wollte, erklärte Rosine, es sey kein Zucker im Hause. Der Zucker ist für den Vendéer Bauer der größte Luxus.

Bertha hatte es vermuthet und deshalb etwas Zucker in ihr Arzeneikästchen gethan. Sie sah sich nach dem Kästchen um und bemerkte es unter dem Arm des jungen Barons, der immer an der Thüre stand.

Sie winkte ihn herbei, aber ehe er von der Stelle gegangen war, machte sie eine abwehrende Bewegung und ging, einen Finger auf den Mund haltend, auf ihn zu.

»Der Zustand des Kranken ist sehr bedenklich,« sagte sie leise, »ich will die Verantwortung nicht übernehmen. Ein Arzt ist sehr nothwendig, und ich fürchte sogar, daß er zu spät kommen wird. Eilen Sie nach Palluau, lieber Herr Baron, und holen Sie den Doktor Roger.«

»Aber Sie – Sie?« fragte Michel sehr besorgt.

»Ich bleibe hier. Sie werden mich hier wieder finden, ich habe etwas Wichtiges mit dem Kranken zu reden.«

»Etwas Wichtiges?« sagte Michel erstaunt.

»Ja,« antwortete Bertha.

»Aber bedenken Sie doch —«

»Ich sage Ihnen,« unterbrach ihn das Fräulein, »daß die mindeste Verzögerung gefährliche Folgen haben kann. In diesem schon vorgerückten Stadium sind die Fieber oft tödtlich; eilen Sie daher und holen Sie den Doctor.«

»Aber wenn das Fieber ansteckend ist,« entgegnete Michel, »so kommen Sie ja auch in Gefahr —«

»Lieber Herr,« erwiderte Bertha, »wenn man an solche Dinge denken wollte, so würde die Hälfte unserer Bauern hilflos sterben. Gehen Sie! Gott wird mich schützen.«

Sie reichte dein Boten die Hand.

Der junge Baron, von Bewunderung erfüllt, faßte die Hand und zog sie an seine Lippen.

Diese Bewegung war so rasch, so leidenschaftlich, daß Bertha erblaßte und seufzend hinzusetze:

»Gehen Sie, Freund – gehen Sie!«

Dieses Mal hatte sie nicht nöthig, den Befehl zu wiederholen. Michel eilte hinaus. Ein noch nie gekanntes Feuer durchglühte ihn und verdoppelte die Lebenskraft; er wäre im Stande gewesen, Unmögliches zu vollbringen, es schien ihm, als ob er, wie Merkur, am Kopf und an den Fersen Flügel hätte. Er würde eine ihm den Weg versperrende Mauer erklommen, er würde sich in einen reißenden Strom gestürzt haben, um an das andere Ufer hinüberzuschwimmen. Es that ihm fast leid, daß Bertha so wenig von ihm verlangte, er hätte gern Hindernisse überwunden, etwas Schweres, sogar Unmögliches vollbracht. Durch den kurzen Weg konnte er sich keine Ansprüche auf den Dank des Fräuleins erwerben; er wäre gern, für sie ans Ende der Welt gegangen, er hätte gern Beweise seines Muthes gegeben.

In seiner Aufregung fühlte er keine Ermüdung. In einer halben Stunde war er in Palluau.

Der Doktor Roger war ein Hausfreund der Baronin de La Logerie. Der junge Baron brauchte sich daher nur zu nennen, um den Doctor, der noch nicht wußte, daß der Kranke nur ein Bauer war, aus dem Bett zu holen.

In fünf Minuten war der Doktor angekleidet und fragte nach der Ursache dieses unerwarteten nächtlichen Besuches.

Michel erzählte den Krankheitsfall mit wenigen Worten, und da der Arzt sich wunderte, den jungen Baron zu Fuß, mit bloßem Kopfe kommen zu sehen, erwiderte Michel, der Kranke sey der Ehemann seiner Amme und dies sey die Ursache seiner warmen Theilnahme.

Der Arzt ließ sogleich sein Pferd einspannen. Aber Michel behauptete, er werde den Weg schneller zu Fuß machen.

»Kommen Sie so geschwind wie Sie können,« sagte er zu dem Doktor, »ich will vorausgehen und Ihre Ankunft melden.«

Der Doctor meinte, der Sohn der Baronin de La Logerie habe den Verstand verloren. Er sagte, daß er ihn bald einholen werde.

Aber der Gedanke, zu Wagen zurückzukommen, war dem jungen Baron unerträglich. Er dachte, Bertha würde ihm viel dankbarer seyn, wenn er vorauseilte und die Ankunft des Arztes meldete, als wenn er mit diesem vom Wagen stiege. Einen schnellen Ritt auf einem feurigen Renner hätte er sich noch gefallen lassen – aber in einem Einspänner!

Die erste Liebe ist immer poetisch, alles Prosaische ist ihr ein Gräuel.

Was würde Mary sagen, wenn ihr Bertha erzählte, sie habe den jungen Baron nach Palluau geschickt und er sey mit dem Doctor Roger im Einspänner zurückgekommen! Es war hundertmal poetischer, zu Fuß, in Schweiß gebadet und athemlos wieder in der Hütte zu erscheinen.

An den Kranken dachte er freilich sehr wenig, seine Gedanken waren auf die beiden Schwestern gerichtet. Die Hauptursache dieser großen Umwälzung, die in der Seele unseres Helden vorging, war eine Nebensache geworden, sie war nicht mehr Zweck, sondern Vorwand.

Michel lachte höhnisch bei dem Gedanken, daß der Doctor sein Pferd antrieb, um ihn einzuholen; es that ihm unendlich wohl, den kühlen Abendwind an seiner glühenden Stirn zu fühlen. Er sollte sich von dem Einspänner des Doctors einholen lassen? Lieber wäre er gestorben!

In fünfundzwanzig Minuten war er wieder vor der Hütte.

Bertha schien diese fast unmögliche Geschwindigkeit geahnt zu haben, denn sie erwartete ihren Boten vor der Thür. Sie wußte wohl, daß seine Rückkehr vernünftigerweise erst in einer halben Stunde zu erwarten war, aber dennoch lauschte sie.

Sie glaubte ferne leise Fußtritte zu hören. Michel konnte es noch nicht seyn und doch zweifelte sie keinen Augenblick, daß er es sey.

Nach einigen Augenblicken sah sie ihn wirklich in der Dunkelheit auftauchen und rasch näher kommen. Sie mochte ihren Augen noch nicht trauen, aber als sie nicht mehr zweifeln konnte, pochte ihr zum ersten Male das Herz mit unbekannter Heftigkeit.

Der junge Baron war sprachlos, athemlos, wie der Grieche von Marathon, und es fehlte wenig, so wäre er wie: Jener, wenn nicht todt, doch ohnmächtig niedergesunken.

Er hatte nicht die Kraft zu sagen: Der Doktor folgt mir!

Um nicht niederzusinken, griff er mit der Hand an die Mauer.

Hätte er sprechen können, so würde er gesagt haben: »Erzählen Sie Ihrer Schwester, daß ich um ihretwegen den Weg nach Palluau und wieder zurück in fünfzig Minuten gemacht habe!«

Aber er konnte nicht sprechen und Bertha mußte glauben, ihr Abgesandter habe um ihretwillen das Unmögliche geleistet.

Sie feierte im Stillen einen süßen Triumph.

»O mein Gott!« sagte sie, indem sie ihm mit dem Schnupftuch das Gesicht trocknete, dabei aber die Berührung seiner Stirnwunde sorgfältig vermied, »es thut mir unendlich leid, daß Sie sich meine Mahnung zur Eile so zu Herzen genommen haben. Sie sind fürwahr in einem schönen Zustand! – Sie sind recht kindisch!« setzte sie wie eine besorgte Mutter mit unbeschreiblicher Sanftmuth hinzu.

Michel faßte ihre leise bebende Hand.

In diesem Augenblicke hörte man das Rasseln des Einspänners auf der Landstraße.

»Da kommt der Doctor!« sagte Bertha und stieß Michel’s Hand zurück.

Er sah sie erstaunt an. Warum stieß sie seine Hand zurück?

Er konnte nicht wissen, was in dem Herzen des jungen Mädchens vorging, aber er fühlte instinctmäßig, daß Bertha seine Hand weder aus Zorn noch aus Widerwillen zurückgestoßen hatte.

Bertha ging hinein, wahrscheinlich um dem Kranken die Ankunft des Arztes zu melden.

Michel blieb vor der Thür, um ihn zu erwarten.

Als er ihn in dem offenen Einspänner ankommen und in so grotesker Weise geschüttelt sah, freute er sich, daß er den Weg zu Fuß gemacht hatte.

Bertha würde den jungen Baron freilich nicht auf dem fast bäuerischen Fuhrwerke gesehen haben, wenn sie, wie sie es soeben gethan, auf das Rasseln der Räder in die Hütte geeilt wäre. Aber würde sie nicht gewartet haben, bis sie ihn gesehen?

Michel hielt dies für mehr als wahrscheinlich, und er fühlte in seinem Herzen wenigstens den sanften Kitzel der Eitelkeit, wenn nicht den stürmischen Triumph der Liebe.

Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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