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Zweiter Theil
I.
Die Schenke Alains

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Es war nicht zu verkennen, und selbst die Behörden, die von der Stimmung des Volkes gemeiniglich zu spät Kenntniß bekommen, sahen ein, daß in der Bretagne und in der Vendée ein Aufstand vorbereitet wurde.

Wie Courtin der Baronin de La Logerie erklärt hatte, waren die Versammlungen der Legitimistenhäupter kein Geheimniß mehr; die Namen der Führer, welche sich an die Spitze der Vendéer stellen sollten, waren bekannt und wurden ganz offen genannt; die früheren Eintheilungen in Kirchsprengel, Capitänerien und Divisionen traten wieder ins Leben; die Pfarrer weigerte sich, das »Domine, salvum fac regem Philippum« zu singen, und sprachen in ihren Predigten ganz offen von Heinrich V., dem Könige von Frankreich und von der Regentin Marie Caroline; kurz, die Stimmung war an der Loire, zumal in den Départements der unteren Loire, und Maine und Loire höchst bedenklich, und es war mit jedem Tage ein Ausbruch der inneren Gährung zu erwarten.

Ungeachtet oder vielleicht wegen dieser allgemeinen Gährung versprach der Jahrmarkt zu Montaigu sehr glänzend zu werden.

Obgleich dieser Markt gemeiniglich nur von mittelmäßiger Bedeutung ist. so fanden sich die Landleute doch immer in großer Anzahl ein, aber als ein bedenkliches Anzeichen mochte es gelten, daß sich mitten unter der Menge von breitgeränderten Hirten und Köpfen mit langen Haaren nur wenige Hauben einfanden.

Das weibliche Geschlecht, welches gemeiniglich auf den Jahrmärkten die Mehrzahl bildet, hatte sich zu Montaigu nicht eingefunden.

Am auffallendsten jedoch war bei dieser Menge von Käufern der Mangel an Pferden, Kühen, Schafen, Getreide und anderen Landesproducten. Die Bauern aus der Umgegend führten keine Waaren, sondern nur ihre dicken, mit Leder beschlagenen Stöcke bei sich, und sie hatten gewiß nicht die Absicht, diese zum Verkauf auszubieten.

Der Marktplatz und die einzige lange Straße von Montaigu hatten ein düsteres fast drohendes Aussehen, welches den Jahrmärkten sonst nicht eigen zu seyn pflegt. Einige Gaukler und Marktschreier mochten immerhin ihre Pauken schlagen, ihre Trompeten blasen und ihre Künste anpreisen, sie fanden kein Gehör bei den vorüberwandelnden finsteren Gesichtern.

Wie die Bretagner, ihre nördlichen Nachbarn, sind die Vendéer nicht sehr gesprächig; aber an diesem Tage waren sie noch schweigsamer als sonst.

Die meisten lehnten sich an die Häuser, Gartenmauern und hölzernen Querriegel, mit denen der Marktplatz eingefaßt war, und starrten düster vor sich hin. Andere standen in kleinen Gruppen zusammen, aber diese Gruppen waren eben so schweigsam wie die Einzelnen: sie schienen etwas zu erwarten.

Die Wirthshäuser waren überfüllt, große Massen von Cider, Branntwein und Kaffee wurden bestellt; aber der Vendéer Landmann hat so starke Nerven, dass Flüssigkeiten, selbst in großen Quantitäten genossen, weder auf sein Gesicht noch auf seine Stimmung einen bemerkbaren Einfluß haben. Die Gesichtsfarbe der Zecher war wohl etwas stärker geröthet, die Augen waren wohl etwas feuriger, aber die Leute beherrschten sich mehr als gewöhnlich; sie trauten den Schenkwirthen und den hier und da anwesenden Städtern nicht.

In den Städten, welche an den Hauptverkehrsstraßen der Vendée und Bretagne liegen, huldigt man im Allgemeinen den Ideen des Fortschrittes und der Freiheit; aber diese Ideen verlieren sich allmälig, wenn man weiter in das Innere des Landes kommt. In den Augen der Bauern aber sind die patriotischen Bewohner der Städte Feinde, denen sie alles aus dem großen Aufstande hervorgegangene Unglück zuschreiben.

Die auf dem Jahrmarkte zu Montaigu erschienenen Landleute befanden sich daher unter ihren Gegnern; sie wussten es und beobachteten unter ihrer friedlichen Maske eine Zurückhaltung und Wachsamkeit, wie ein Soldat unter den Waffen.

Unter den Schenkwirthen von Montaigu war ein Einziger, auf den die Vendéer zählen konnten und in dessen Gegenwart sie sich keinen Zwang anthaten.

Die Schenke dieses Mannes war mitten in der Stadt, an der Ecke des Marktplatzes. Ein Seitengässchen führt zu der Maine, welche die Südwestseite der Stadt umfließt.

Diese Schenke hatte kein Schild; die Bestimmung des Hauses war nur aus einem in einer Mauerspalte steckenden Stechpalmenzweige und aus einigen hinter einem bestaubten Fenster ausgestellten Aepfeln zu erkennen. Die gewöhnlichen Gäste bedurften auch keiner äußeren Anzeichen.

Der Wirth hieß Aubin Courte-Joie. Aubin war sein Familienname, Courte-Joie war ein Spitzname, welchen er von seinen Feinden erhalten hatte. Im Alter von zwanzig Jahren war Aubin nämlich so klein und schwächlich gewesen, daß ihn die Conscription von 1812 nicht würdig befunden hatte, unter dem Kaiser zu dienen. Aber im Jahre 1814 hatte die inzwischen um zwei Jahre älter gewordene Conscription viele frühere Bedenklichkeiten aufgegeben. Aubin wurde einberufen, wenn auch nur um auf dem Papier das gegen die coalisirten Mächte zu bewaffnende Heer zu verstärken.

Aber Aubin, durch die frühere Verschmähung seiner Person in seinem Selbstgefühle verletzt, hatte eine unüberwindliche Abneigung gegen den Kriegsdienst bekommen; er beschloß, mit der Regierung zu schmollen, und flüchtete sich unter eine Bande von Mißvergnügten, die sich im Lande umhertrieben.

Je seltener die tauglichen jungen Männer wurden, desto schonungsloser wurden die kaiserlichen Agenten gegen die Widerspenstigen.

Aubin, der keineswegs eitel war, hatte nie geglaubt, daß er in den Augen des großen Napoleon eine so wichtige Person sey; aber er konnte nicht langer daran zweifeln, man suchte ihn überall, sogar in den Wäldern der Bretagne und in den Sümpfen der Vendée.

Die Widerspenstigen wurden von den Gendarmen eifrig verfolgt. In einem der bei diesen Verfolgungen vorgefallenen Scharmützel hatte er durch die Unerschrockenheit, mit der er sein Gewehr abschoß, den Beweis geliefert, daß die Conscription von 1814 nicht ganz Unrecht gehabt hatte, ihn den Erwählten beizuzählen.

In einem solchen Scharmützel war Aubin von einer Kugel getroffen worden und wie todt liegen geblieben.

An demselben Abend fuhr eine Bürgersfrau von Ancenis in einem Einspänner nach Nantes. Es war etwa neun Uhr und folglich ganz dunkel. Das Pferd blieb plötzlich stehen und wollte nicht weiter. Die Bürgersfrau stieg ab und fand Aubin, der mitten auf dem Wege lag.

Solche Vorgänge waren zu jener Zeit nicht selten. Die Bürgersfrau band ihr Pferd an einen Baum und wollte den vermeinten Leichnam in den Graben schleppen, um ihrem Einspänner und vielleicht noch anderen Fuhrwerken Platz zu machen. Aber als sie Aubin anrührte, fühlte sie, daß er noch warm war. Die Bewegung, vielleicht der Schmerz, entriß ihn seiner Ohnmacht; er stöhnte und bewegte den Arm.

Die Bürgersfrau trug ihn nicht in den Graben, sondern in ihren Wagen, und statt nach Nantes zu fahren, begab sie sich nach Ancenis zurück.

Die Witwe war eine Royalistin und sehr religiös. Die Sache, für welche Aubin verwundet worden war, wurde auch von ihr in Schutz genommen.

Man ließ einen Wundarzt kommen.

Dem Unglücklichen waren beide Beine von einer Kugel zerschmettert worden, und man mußte sie ihm abnehmen.

Die Pflegerin hatte, wie es fast immer der Fall ist, ihren Schützling liebgewonnen, und trug ihm nach seiner Genesung Herz und Hand an.

Es versteht sich, daß Aubin den Antrag annahm. Er wurde zum größten Erstaunen seiner Bekannten einer der kleinen Grundbesitzer des Cantons.

Leider war sein Glück nicht von langer Dauer. Seine Frau starb nach einem Jahre; ein von ihr hinterlassenes Testament wurde von ihren Verwandten wegen eines Formfehlers angegriffen, und da das Gericht ihnen die Erbschaft zusprach, so war Aubin wieder so arm wie zuvor.

Wegen dieser kurzen Dauer seines Glückes hatten ihn die Einwohner von Montaigu, die ihn beneidet und sich seines Unglückes im Stillen gefreut hatten, den Spitznamen »Courte-Joie« gegeben.

Die Erben, welche das Testament umgestoßen hatten, gehörten der liberalen Partei an, es war daher natürlich, daß Aubin’s Zorn über den Verlust des Prozesses auf die ganze Partei überging. Sein Haß gegen die Patrioten und die Richter, denen er die schreiendste Ungerechtigkeit zuschrieb, war durch die Ereignisse angefacht worden und erwartete nur eine günstige Gelegenheit, sich durch Thaten kundzugeben. Bei seinem düstern, durch sein Gebrechen verbitterten Charakter war allerdings sehr viel von ihm zu fürchten.

Aubin konnte nicht mehr arbeiten, und trotz seines großen Widerwillens gegen das Stadtleben mußte er in der Stadt eine Zuflucht und einen Erwerb suchen. Mit den Trümmern seines kurzen Wohlstandes zog er nach Montaigu, mitten unter Menschen, die er haßte, und errichtete die Schenke, in welcher wir ihn achtzehn Jahre nach den eben erzählten Ereignissen wiederfinden.

Die royalistische Meinung hatte im Jahr 1832 keinen wärmeren Vertheidiger als Aubin Courte-Joie; durch die Förderung dieser Sache befriedigte er ja zugleich seine persönliche Rache.

Ungeachtet seiner hölzernen Beine war Aubin der thätigste, intelligenteste Anstifter des bevorstehenden Aufstandes. Er war gleichsam ein vorgeschobener Posten mitten in dem feindlichen Lager; er benachrichtigte die Führer der Vendéer von allen Maßregeln, welche die Regierung nicht nur im Bezirk Montaigu, sondern in den angrenzenden Départements zu ihrer Vertheidigung ergriff.

Die herumziehenden Bettler, die von Niemand beachtet oder mit Argwohn betrachtet werden, waren seine Hilfstruppen, die er zugleich als Kundschafter und als Vermittler seines Verkehres mit den Landleuten sehr geschickt benützte.

Seine Schenke war daher der Sammelplatz der sogenannten Chouans; es war das einzige Stadthaus, wo sie sich offen aussprechen konnten.

An dem Markttage schien diese Schenke Aubin’s nicht so sehr mit Gästen angefüllt, als man hätte vermuthen können. In der ersten Stube saßen höchstens zwölf Bauern, welche offenbar der wohlhabenden Classe angehörten.

Die Gaststube war von einem zweiten Zimmer, in welchem Aubin wohnte und schlief, durch eine mit bunten baumwollenen Vorhängen versehene Glaswand getrennt. In diesem Zimmer pflegte Aubin bei besonderen Gelegenheiten seine Freunde zu empfangen.

Das zweite Zimmer war, dieser mehrfachen Bestimmung entsprechend, behaglicher eingerichtet, als die Schenkstube. Im Hintergrunde stand ein sehr niedriges Himmelbett mit grünen Vorhängen, und neben demselben lagen zwei große Fässer, aus denen man für die Gäste den Cider und Branntwein holte. Auf der andern Seite war ein breiter und hoher Kamin. In der Mitte stand ein eichener Tisch, von einer Bank umgeben. An einer Wand stand eine Truhe, und über derselben war ein Brett befestigt, auf welchem sechs Teller und sechs zinnerne Krüge standen.

Die Verzierungen des Zimmers bestanden aus einem Crucifix, einigen Heiligenbildern von Wachs und grob colorirten Lithographien.

Am Markttage hatte Aubin dieses Zimmer seinen zahlreichen Freunden geöffnet. Wenn sich in dem Schenkzimmer nur zehn bis zwölf Gäste befanden, so konnte man in der Hinterstube mehr als zwanzig Personen zählen.

Die meisten dieser Leute saßen um den Tisch und tranken und sprachen sehr eifrig mit einander. Einige nahmen runde Brotkuchen aus großen Säcken, zahlten sie, legten sie in Körbe und reichten diese aus einer in der Ecke befindlichen Thür, vor welcher Weiber und Bettler warteten.

Zu dieser Thür gelangte man aus dem oben erwähnten Seitengässchen über einen kleinen Hof.

Aubin Courte-Joie saß auf einem hölzernen Armsessel unter dem Caminmantel. An seiner Seite saß ein Mann in einem ziegenledernen Rock und mit einer schwarzen wollenen Mütze. Zwischen seinen Füßen lagen zwei Hunde. Es ist unser alter Bekannter Jean Oullier.

Hinter ihnen stand Aubins Nichte, eine junge hübsche Bäuerin, die er zur Bedienung der Gäste zu sich genommen hatte; sie schürte das Feuer und achtete auf ein Dutzend brauner Schalen, in denen der sogenannte »Ciderbraten« brodelte.

Während Aubin sehr lebhaft, wenn auch leise, mit Jean Oullier sprach, ertönte in der Schenkstube ein leiser Pfiff, dem Schreien des Rebhuhnes ähnlich.

»Wer kommt da?« fragte Aubin und beugte sich vor, um durch eine in den Vorhängen gelassene kleine Oeffnung zu schauen. »Der Mann von La Logerie! Achtung!«

Sogleich herrschte in Aubin’s Zimmer die größte Stille und Ordnung. Die kleine Thür hatte sich leise geschlossen, die Weiber und Bettler waren verschwunden. Die Männer, welche die Brotkuchen zählten, hatten ihre Säcke zugebunden und sich darauf gesetzt. Die Trinker schwiegen, einige von ihnen waren sogar wie auf Commando eingeschlafen. Auch Jean Oullier hatte sich gegen das Feuer gekehrt, so daß seine Gesichtszüge nicht sogleich bemerkt werden konnten.

Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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