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Erster Theil
IV.
Wie Jean Oullier, der auf eine Stunde zum Marquis gekommen war, noch bei ihm seyn würde, wenn Beide nicht seit zehn Jahren todt waren
ОглавлениеEhe der Marquis am andern Morgen auf die Jagd ging, fühlte er das Verlangen seine Kinder zu umarmen.
Er ging in ihr Zimmer und fand zu seinem Erstaunen den Allerweltsmann Jean Oullier, der ihm zuvorgekommen war und die beiden Kleinen mit bonnenhafter Geduld und Beharrlichkeit wusch und ankleidete. Der arme Mann, der sich dabei seiner verlorenen Kinder erinnerte, schien große Freude an diesem Geschäft zu finden.
Die Bewunderung des Marquis wurde fast zur Ehrfurcht.
Acht Tage wurde ohne Unterbrechung gejagt, und jeden Abend kehrten Herr und Diener mit reicher Beute heim.
Jean Oullier war abwechselnd Jäger und Hausverwalter. Abends arbeitete er fleißig an der Verjüngung der Toilette seines Herrn, und er fand noch Zeit, das Haus von oben bis unten zu säubern und aufzuräumen.
Der Marquis von Souday dachte mit Schrecken an die vielleicht unvermeidliche Trennung von einem so unbezahlbaren Diener. Er wußte in der That nicht, welche treffliche Eigenschaft des Vendéer er am meisten bewundern sollte. Jean Oullier schien in der That den feinen Geruch eines Schweißhundes zu haben, denn er wußte im bethauten Grase wie auf den steinigen Waldwegen, die für Andere nicht sichtbare Fährte des Ebers zu finden und sogar dessen Alter zu bestimmen. Er folgte den Hunden so gut zu Fuß wie ein berittener Jäger. Und wenn die ermüdeten Hunde zu Hause bleiben mußten, so führte er seinen Herrn in die Gehäge, wo viele Schnepfen und Birkhühner waren.
»Mit der Heirath lasse ichs gut seyn,« sagte der Marquis zuweilen nach langem Besinnen, wenn man ihn mit ganz andern Dingen beschäftigt glaubte, »was soll ich auch in dieser Galeere, in welcher ich die bravsten Männer mit Unwillen und Verdruß rudern gesehen? Ich bin ja nicht jung mehr, ich habe meine vierzig Jahre auf dem Rücken und hege keine Verführungsgedanken mehr; ich könnte daher mit meiner Jahresrente von dreitausend Francs, von der die Hälfte mit mir stirbt, höchstens eine alternde Witwe in Versuchung führen – und dann würde ich in meinen vier Wänden eine zänkische, zimperliche Marquise von Souday haben, die mir vielleicht die Jagd untersagen und das Hauswesen gewiß nicht besser besorgen würde als der brave Jean. – Aber soll man in unserer Zeit die altberühmten Geschlechter, die Stützen der Monarchie, erlöschen lassen? Wäre es nicht ein süßer Trost für mich, einen Sohn zu haben, der die Ehre und den Glanz meines Hauses wiederherstellte? Und was werden die Nachbarn, welche nie von einer Marquise von Souday gehört, von den beiden kleinen Mädchen denken?«
Diese Grübeleien, denen er sich gemeiniglich an Regentagen überließ, brachten ihn zuweilen in die peinlichste Verlegenheit, und er machte derselben ein Ende, ohne einen Entschluß zu fassen. Er ließ es vor der Hand beim Alten.
Im Jahre 1831, als Bertha und Mary ihr siebzehntes Jahr erreicht hatten, dauerte dieser provisorische Zustand noch fort. Der Marquis von Souday war noch nicht einmal fest entschlossen, seine Töchter bei sich zu behalten.
Jean Oullier der den Schlüssel zu seinem Hause an einen Nagel gehängt hatte, war seit vierzehn Jahren noch nicht ein einzigen Mal auf den Gedanken gekommen, seinen Hausschlüssel vom Nagel zu nehmen und wieder nach La Chevrolière zu gehen. Er hatte geduldig den Befehl seines Herrn abgewartet; und da das Schloß seit seiner Ankunft sauber und nett war, da der Marquis nicht ein einzigen Mal über Mangel an Knöpfen geklagt hatte; da seine Jagdstiefel immer gehörig geschmiert, die Gewehre in gutem Stande waren; da Jean Oullier sogar – was kaum glaublich – die böse Zunge der Köchin zum Schweigen gebracht hatte; da die Hunde jederzeit schmuck und blank, weder zu mager noch zu fett waren und viermal wöchentlich eine acht- bis zehnstündige Jagd aushalten konnten; da endlich die Erzählungen aus dem bereits in den Sagenkreis getretenen Kriege an Regentagen und in den langen Winterabenden ein Bedürfniß für den Marquis geworden waren: so hatte dieser die Trennung von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr aufgeschoben.
Jean Oullier hatte seinerseits triftige Gründe, nicht auf eine Entscheidung zu dringen. Der brave Mann hatte, wie wir gesehen, die kleinen Zwillingsschwestern sogleich nach seiner Ankunft in Souday lieb gewonnen, und diese Zuneigung war mit der Zeit zur innigsten Zärtlichkeit, zur fanatischen Verehrung geworden. Anfangs war er nicht recht im Klaren gewesen, welchen Unterschied der Marquis zwischen den Zwillingsschwestern und den Kindern, die er in seiner Ehe zu bekommen hoffte, machen würde. In Niederpoitou gilt die Heirath für das einzige Mittel, ein Mädchen wieder zu ehren zu bringen. Dies war freilich nach dem Tode Eva’s nicht mehr möglich; aber Jean Oullier fand es natürlich, daß der Marquis seine Vaterschaft anerkenne; er würde sich daher nach zweimonatlichem Aufenthalte einem wiederholten Befehle zur Abreise auf das Entschiedenste widersetzt haben; aber zum Glücke für den treuen Diener konnte der Marquis keinen festen Entschluß fassen, so dass Jean Oullier die Anwesenheit der beiden kleinen Mädchen als ein ihnen zustehenden Recht, und als eine Pflicht für seinen Herrn betrachtete.
Bertha und Mary sind im achtzehnten Jahre. Das Geschlecht der Souday ist durch die Mischung mit dem kräftigen anglosächsischen Blute wunderbar aufgefrischt worden. Die beiden Mädchen sind zart und schlank, ihre Gesichtsbildung ist regelmäßig schön, ihr Anstand fein und edel. Sie sind einander ähnlich, wie alle Zwillinge, aber Bertha ist brünett wie ihr Vater, Mary hingegen blond wie ihre Mutter.
Leider hatte ihre hauptsächlich auf die physische Entwicklung gerichtete Erziehung die geistige Ausbildung vernachlässigt. Bei der Unschlüssigkeit und Sorglosigkeit des Vaters konnte es nicht wohl anders seyn.
Jean Oullier war der einzige Lehrer der beiden Mädchen gewesen, so wie er anfangs ihre einzige Wärterin gewesen war. Der brave Vendéer hatte sie Alles gelehrt, was er selbst wußte: lesen, schreiben, rechnen, andächtig beten. Frühzeitig kamen auch die gymnastischen Uebungen an die Reihe im Anfange dieser Erzählung sehen wir die beiden Schwestern als geschickte Schützen und gewandte Reiterinnen, sie können einen Vogel im Fluge, einen Rehbock im schnellsten Laufe erlegen; sie bändigen die wildesten Pferde mit einer Sicherheit, deren sich die Gauchos in den Prairien Amerika’s nicht zu schämen hätten.
Der Marquis von Souday hatte ruhig zugesehen, ohne daß es ihm eingefallen war, der Erziehung seiner Töchter eine andere Richtung zu geben. Er freute sich, tüchtige Jagdgenossinnen in ihnen zu finden, welche mit ihrer ehrerbietigen, kindlichen Zärtlichkeit eine amazonenartige Kühnheit verbanden, welche seinen Partien einen höheren Reiz gab.
Um gerecht zu seyn, dürfen wir nicht verschweigen, daß der Marquis nach bestem Wissen und Gewissen die in der Ausbildung seiner Töchter gelassenen Lücken aufzufüllen suchte. Als Bertha und Mary ihr vierzehntes Jahr erreicht hatten, als sie anfingen, ihren Vater in den Wald zu begleiten, verloren die Kinderspiele, welche sonst die Abende ausgefüllt hatten, ihren Reiz. Der Marquis gab den Mädchen nun Unterricht im Whistspiele.
Bertha und Mary hatten übrigens nicht unterlassen, zur Ausfüllung der Lücke in ihrer Erziehung durch Selbststudium beizutragen. Sie hatten ein Zimmer entdeckt, welches wahrscheinlich seit dreißig Jahren verschlossen gewesen war.
Dieses Zimmer war die Bibliothek welche etwa tausend Bände enthielt. Die beiden Schwestern wählten unter den Büchern nach ihrem Geschmacke. Die sanfte, empfindsame Mary gab den Romanen, die lebhaftere Bertha den Geschichtswerken den Vorzug. Dann theilten sie einander das Gelesene mit: Mary erzählte von Amadis, von Paul und Virginie; Bertha machte ihre Schwester mit Mézeray und Velly bekannt.
Durch diese planlose Lectüre bekamen die beiden Mädchen ziemlich falsche Begriffe von dem wirklichen Leben und von den Sitten und Ansprüchen einer Welt, die sie nie gesehen hatten, und kaum vom Hörensagen kannten.
Bei ihrer ersten Kommunion machte der Pfarrer von Machecoul, der ihnen wegen ihrer Frömmigkeit und Herzensreinheit sehr gut war, einige schüchterne Bemerkungen über das sonderbare Leben, welches sie führen mußten; aber seine freundlichen Vorstellungen scheiterten an der Gleichgültigkeit und Selbstsucht des Marquis von Souday.
Aus dieser Erziehung waren Gewohnheiten entstanden, welche die Zwillingsschwestern, deren Verhältnisse den Lästerzungen ohnedies überreichen Stoff boten, in sehr schlechten Ruf gebracht hatten.
Der Marquis von Souday war von neugebackenen Edelleuten umgeben, die ihn um seinen berühmten Namen beneideten und nach einer Gelegenheit haschten, ihm die Verachtung, mit welcher seine Ahnen wahrscheinlich ihre Großväter behandelt hatten, mit reichen Zinsen zurückzugeben. Als er daher die Sprößlinge einer wilden Ehe in seinem Hause behielt und seine Töchter nannte, fing man an über sein Leben in London die schrecklichsten Dinge auszuposaunen; man übertrieb seine Fehler; man machte aus der armen Eva, die durch ein Wunder der Vorsehung so rein erhalten worden, eine Gassendirne, und bald zogen sich die Krautjunker zu Beauvoir, St. Léger, Bourgneuf, St. Philibert und Grand-Lieu von dem Marquis zurück; man glaubte den neuen Adel nicht sorgfältig genug gegen jede von den Lästerzungen verschriene Berührung schützen zu können. Anfangs hatten vorzugsweise die alten Weiber männlichen Geschlechts über die Sündhaftigkeit des Marquis Ach und Weh geschrien; in der Folge aber wurden alle Mütter und Töchter in einem Umkreise von zehn Meilen über die Schönheit der Zwillingsschwestern so wüthend, daß die Sache bedenklich zu werden drohte.
Wären Bertha und Mary häßlich gewesen, so würden die frommen Damen und Fräulein in christlichem Mitleide dem armen Erbherrn von und zu Souday vielleicht seine unanständige Vaterschaft verziehen haben; aber war es nicht empörend, daß die beiden Mädchen durch Schönheit und edlen Anstand die wohlgeborensten Fräulein der Umgebung in den Schatten stellten?
Solche Unverschämtheit verdient weder Schonung noch Mitleid.
Die Entrüstung gegen die beiden armen Mädchen war so allgemein, daß sie selbst wenn sie der Lästersucht keinen Stoff geboten hätten, vor den bösen Zungen nicht sicher gewesen wären; man denke sich daher, wie die amazonenartige excentrischen Gewohnheiten der beiden Schwestern ausgebeutet wurden.
Es erhob sich bald ein allgemeines Zetergeschrei, welches sich von dem Departement der Nieder-Loire über die Departements der Vendée und Maine und Loire verbreitete. Hätte das Meer die Küste der Niederloire nicht begrenzt, dieses Zetergeschrei würde sich gewiß eben so weit nach Westen wie nach Süden und Osten verbreitet haben. Bürger und Edelleute, Städter und Bauern stimmten in dasselbe ein. Junge Männer, welche Mary und Bertha kaum gesehen hatten, sprachen von den Töchtern des Marquis von Souday mit selbstgefälligem Lächeln, welches voll von Hoffnungen, vielleicht gar voll von Erinnerungen zu seyn schien. Die alten Damen schlugen ein Kreuz, wenn von ihnen gesprochen wurde.
Die Gouvernanten drohten mit ihnen den kleinen Kindern, wenn sie nicht artig seyn wollten.
Die Nachsichtigsten dichteten den Zwillingsschwestern die drei Hauptpassionen der Hubertusjünger an: Liebe Spiel, Wein. Andere hingegen versicherten alles Ernstes, das kleine Schloß Souday sey jeden Abend der Schauplatz wüster Gelage. Kurz, Bertha und Mary wurden so verlästert, daß sie ungeachtet ihrer Harmlosigkeit und Sittenreinheit ein Gegenstand des Abscheues für die ganze Umgegend wurden.
Durch die Dienerschaft auf den Landgütern, durch die Arbeiter, welche mit den Bürgersleuten in Berührung kamen, selbst durch die Leute, denen sie Gutes thaten, theilte sich dieser Haß dem niederen Volke mit, so daß mit Ausnahme einiger Kranken und Nothleidenden, welche von den beiden Schwestern unmittelbar unterstützt wurden, die ganze Bevölkerung in Blousen und Holzschuhen das Echo der von den Honoratioren erfundenen abgeschmackten Geschichten war, und kein Holzhauer in Machecoul, kein Landmann in Philibert oder Aigrefeuille würde vor den beiden Schwestern den Hut abgenommen haben.
Die Bauern hatten, ihnen einen Spottnamen gegeben, der bald in den höheren Regionen verbreitet wurde, weil er die gemeinen Gelüste, welche man dem Schwesterpaare zur Last legte, ganz treffend bezeichnete.
Man nannte sie die Wölfinnen von Machecoul.