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Erster Theil
II.
Königlicher Dank

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Der Marquis von Souday erreichte das Ufer der Loire und ließ sich von einem Fischer zur Landspitze von St. Gildas führen.

Eine Fregatte war in Sicht. Es war eine englische Fregatte. Für einige Louisd’or mehr führte der Fischer den Marquis bis zur Fregatte.

Er war gerettet.

Einige Tage nachher rief die Fregatte ein Kauffahrteischiff an, welches dem Canal La Manche zusteuerte.

Es war ein holländisches Schiff.

Der Marquis von Souday wünschte sich an Bord desselben zu begeben; der englische Capitän ließ ihn in der Schaluppe hinüber bringen.

Der holländische Dreimaster setzte ihn in Rotterdam ab.

Von Rotterdam begab sich der Marquis nach Blankenburg im Herzogthum Braunschweig, wo Ludwig XVIlI. damals wohnte.

Er hatte die letzten Befehle Charette’s zu vollziehen.

Ludwig XVIII. war eben bei Tische; die Stunde der Tafel war für ihn ein höchst wichtiger Theil des Tages.

Der vormalige Page mußte warten. Nach der Tafel wurde er vorgelassen.

Er erzählte die Ereignisse, die unter seinen Augen stattgefunden hatten, insbesondere die letzte Katastrophe mit solcher Beredsamkeit, daß der sonst eben nicht leicht zu rührende König ihn unterbrach:

»Genug! genug! der Chevalier de Charette war ein braver Diener, wir erkennen es an.«

Der Bote wurde entlassen. Beim Fortgehen hörte er, wie Ludwig XVIII. mit verdrießlichem Tone sagte: »Der alberne Souday erzählt mir solche Dinge nach der Tafel: er stört meine Verdauung!«

Der Marquis war empfindlich; er hatte sechs Monate sein Leben aufs Spiel gesetzt, und fand den Lohn nicht ganz angemessen.

Er hatte noch etwa hundert Louisd’or in der Tasche. Noch denselben Abend reiste er von Blankenburg ab; er begab sich über Holland nach England.

Dort begann ein neuer Abschnitt in dem Leben des Marquis von Souday. Er gehörte zu den Menschen, deren Stimmung von Umständen und äußeren Eindrücken abhängt, die stark oder schwach, muthig oder zaghaft sind, je nach den Verhältnissen, in welche der Zufall sie versetzt. Sechs Monate hatte er tapfer gekämpft in dem Kriege der Riesen, wie Napoleon den Krieg in der Vendée nannte. Er hatte die Gebüsche und das Heideland von Ober- und Niederpoitou mit seinem Blute gefärbt, er hatte nicht nur das Unglück der blutigen Kämpfe, sondern auch die mit diesem Guerillakriege verbundenen zahllosen Entbehrungen mit stoischem Gleichmuth ertragen; er hatte im Schnee übernachtet, war ohne Brot, ohne Obdach in den Wäldern der Vendée umhergeirrt, ohne eine Klage laut werden zu lassen.

Aber in London, wo er einsam und verlassen umherirrte, verlor er den Muth; das Elend, welches ihn in der Verbannung erwartete, raubte ihm seine Fassung. Der junge Mann, der mit einer Handvoll Chouans gegen zehnfach überlegene republicanische Colonnen gekämpft hatte, wußte den Einflüsterungen der Langweile nicht zu widerstehen; er suchte überall Zerstreuungen, um die Lücke auszufüllen, die in seinem Leben entstanden war, seitdem er nicht mehr in dem rasenden Getümmel eines Vernichtungskampfes war.

Der Verbannte war zu arm, um feinere, höhere Genüsse zu wählen, und so verlor er nach und nach die cavaliermäßige Eleganz, welche die Bauernkleider nicht vermindert hatten, und mit jener äußern Eleganz verlor er den Sinn für feinere Genüsse. Da er keinen Champagner bezahlen konnte, trank er Ale und Porter, und der junge liebenswürdige Marquis, dem vielleicht manche Herzogin hold gewesen war, fand Gefallen an den bebänderten Dirnen von Haymarket und St. Giles.

Bald führten ihn die immer dringender werdenden Bedürfnisse des Lebens zu Auskunftsmitteln, die seinem Rufe schadeten. Er nahm auf Borg, was er nicht mehr bezahlen konnte, und machte Cameradschaft mit Wüstlingen geringeren Standes. Seine Unglücksgenossen zogen sich daher von ihm zurück und je mehr er sich verlassen sah, desto weiter ging er auf dem einmal betretenen schlechten Wege.

Als er dieses Leben bereits zwei Jahre geführt hatte, machte ihn der Zufall in einer Kneipe der City mit einem jungen Mädchen bekannt, welches von den in London so häufigen sittenlosen Dirnen zum ersten Male aus dem Dachstübchen hervorgeholt worden war und gezeigt wurde.

Ungeachtet der Veränderungen, die mit dem jungen Marquis vorgegangen waren, hatte er noch nicht allen Adel in seinem Benehmen verloren; die junge Arbeiterin faßte Vertrauen zu ihm, fiel ihm zu Füßen und bat ihn mit Thränen, sie dem schmachvollen Gewerbe, zu welchem man sie zwingen wollte, zu entreißen.

Eva – so hieß das Mädchen – war schön; der Marquis erbot sich, sie in Schutz zu nehmen.

Sie fiel ihm um den Hals, pries ihn als ihren Retter und sagte ihm ihre treue Liebe zu.

Der Marquis vereitelte also die schändliche Speculation, ohne daß er dabei eine gute Absicht hatte.

Eva hielt Wort. Der Marquis war ihre erste und letzte Liebe.

Die Zeit war übrigens für Beide recht günstig. Der Marquis fing an, der Hahnenkämpfe, des Biertrinkens, der Händel mit den Constabeln überdrüssig zu werden; er fand Erholung in der Liebe der schönen Eva, deren Besitz zugleich seiner Eigenliebe schmeichelte. So änderte er allmälig seine Lebensweise, und ohne gerade seinem Range gemäß zu leben, benahm er sich doch als Ehrenmann.

Er bezog mit Eva eine Dachstube in Piccadilly. Sie war eine geschickte Arbeiterin und fand Beschäftigung in einem Putzladen; er gab Fechtunterricht. Sie waren wenigstens vor Mangel geschützt und ihre gegenseitige Liebe war groß genug, um ihnen das Leben nicht nur erträglich, sondern sogar genußreich zu machen.

Die Liebe begann bald zu erkalten; aber die Gewohnheit hatte eine solche Gewalt über ihn bekommen, daß er weder die Kraft noch den Muth hatte, ein Verhältniß abzubrechen, in welchem sein zerrüttetes Gemüth einige Ruhe und Zufriedenheit gefunden hatte.

So führte der vormalige Wüstling, dessen Ahnen durch drei Jahrhunderte despotisch auf ihren Besitzungen geherrscht hatten, so führte der vormalige Genosse des »Wegelagerers« Charette zwölf Jahre lang das kärgliche traurige Leben eines armen Schreibers oder Handwerkers.

Der Himmel hatte lange gezögert, diesen ungesetzlichen Bund zu segnen; aber endlich ging der sehnliche Wunsch der armen Eva in Erfüllung: sie beschenkte den Marquis mit Zwillingstöchtern.

Aber Eva genoß dieses ersehnten Glückes nur einige Stunden. Sie starb im Wochenbette.

Sie liebte den Marquis nach zwölf Jahren noch eben so zärtlich, wie in den ersten Tagen ihrer Bekanntschaft. Aber trotzdem erkannte sie, daß Frivolität und Selbstsucht der Grundzug in dem Charakter ihres Geliebten waren. Sie schied daher mit dem doppelten Schmerz einer ewigen Trennung und der Besorgniß um die Zukunft ihrer beiden Kinder.

Dieser Verlust machte auf den Marquis von Souday einen eigenthümlichen Eindruck, den wir zu schildern versuchen, weil er den Maßstab für die Beurtheilung des Mannes gibt, der in dieser Erzählung eine wichtige Rolle zu spielen berufen ist.

Anfangs beweinte er aufrichtig den Verlust seiner Lebensgefährtin, weil er nicht umhin konnte, ihre guten Eigenschaften und das Glück, welches er ihrer Liebe verdankt, anzuerkennen. Ein hartes, von Selbstsucht verknöchertes Herz bekommt da immer eine weiche Stelle, wenn es von einem andern liebenden Herzen auf ewig getrennt wird.

Als dieser erste Schmerz beruhigt war, fühlte der Marquis eine Anwandlung von der Freude eines Schülers, der sich auf einmal seines bisherigen Zwanges entledigt sieht. Sein Name, sein Rang, seine Geburt hätten den Bruch seines Verhältnisses zu Eva nothwendig machen können: es war ihm daher nicht ganz unlieb, daß ihn die Vorsehung dieser peinlichen Sorge überhoben hatte.

Aber diese Befriedigung war nur von kurzer Dauer. Die zärtliche Eva hatte den Marquis verwöhnt, er vermißte ihre treue, liebevolle Sorge, ihr stilles, rastloses Walten, ihre sanfte melodische Stimme; der Aufenthalt in der öden Dachstube wurde ihm unerträglich.

Der Marquis sehnte sich wieder nach seiner treuen Eva, und als er sich von seinen beiden kleinen Töchtern, die er nach Yorkshire in die Kost gab, trennen mußte, überließ er sich vom Neuen seinem Schmerz.

Er war nun von Allem getrennt was ihn an die Vergangenheit erinnerte. Er wurde traurig, des Lebens überdrüssig, und da sein religiöser Glaube nicht sehr fest war, so würde er aller Wahrscheinlichkeit nach in die Themse gesprungen seyn, wenn die Katastrophe von 1814 nicht eben zur rechten Zeit eingetreten wäre, um seine düsteren Gedanken zu vertreiben.

Als der Marquis von Souday in sein Vaterland zurückgekehrt war, wandte er sich natürlich an Ludwig XVIII., dessen Mildthätigkeit er in seiner Verbannung nie in Anspruch genommen hatte. Aber der König hatte einen dreifachen Vorwand, die von dem Marquis geleisteten Dienste unbelohnt zu lassen.

Erstens die unschickliche Weise, in welcher ihm ein vormaliger Page den Tod Charette’s gemeldet und dadurch seine Verdauung gestört hatte.

Zweitens seine unziemliche und von noch unziemlicheren Worten begleitete Abreise von Blankenburg.

Drittens sein anstößiges Leben während der Verbannung. Man zollte dem Muthe und der Hingebung des Marquis alles mögliche Lob, aber man gab ihm unter der Hand zu verstehen, daß er bei seinem anstößigen Vorleben auf ein öffentliches Amt nicht zählen dürfe. Der König, sagte man, sey nicht mehr unbeschränkter Gebieter; er habe die öffentliche Meinung zu berücksichtigen und sey berufen, nach einer so zügellosen, verderbten Zeit das Beispiel großer Sittenstrenge zu geben. Man gab dem Marquis zu bedenken, wie schön es von ihm seyn würde, seine früheren Verirrungen durch ein Leben voll Selbstverleugnung und strenger Pflichterfüllung zu führen. Kurz, er mußte sich mit dem Ludwigskreuz und dem Titel und Ruhegehalt eines Escadronschefs begnügen. Es blieb ihm nichts übrig, als mit diesem kärglichen, aus dem Schiffbruch geretteten Strandgut in sein Stammschloß zu ziehen.

Alle diese Enttäuschungen hielten den Marquis von Souday indeß nicht ab, im Jahre 1815 seine Pflicht zu thun: er verließ zum zweiten Male sein halbverfallenes Schloß, als Napoleon von der Insel Elba zurückkam.

Napoleon fiel zum zweiten Male, und wiederum befand sich der Marquis von Souday im Gefolge der heimkehrenden Bourbons.

Aber dieses Mal bewarb er sich nur um die unbesoldete Stelle eines Wolfsjägermeisters, und diese wurde ihm sogleich bewilligt.

Der Marquis, der in seiner Jugend keine Gelegenheit gehabt hatte, einer in seiner Familie erblichen nobeln Passion zu fröhnen, wurde nun ein leidenschaftlicher Jäger; denn in seiner ländlichen Einsamkeit fühlte er das Bedürfniß einer Zerstreuung, einer Anregung, die seine menschenfeindlichen Gedanken verscheuchte und jede Erinnerung an sein früheres Mißgeschick betäubte. Als Jägermeister hatte er das Recht, in den Staatswaldungen zu jagen, und dieser an sich unbedeutende Posten machte ihm mehr Freude, als sein Ludwigskreuz und seine Ernennung zum Escadronschef.

Der Marquis von Souday lebte bereits seit zwei Jahren in seinem kleinen Schlosse und jagte täglich mit seinen sechs Hunden, denn mehr zu halten, erlaubten ihm seine geringen Einkünfte nicht. Seine Nachbarn besuchte er nur so viel, als die Höflichkeit erforderte.

Eines Morgens, als er sich in den nördlichen Theil des Waldes von Machecoul begab, begegnete ihm eine Bäuerin, die auf jedem Arme ein drei- oder vierjähriges Kind trug.

Der Marquis von Souday erkannte die Bäuerin und erröthete.

Es war die Amme aus Yorkshire, welcher er seit drei Jahren das Kostgeld für die beiden Kinder nicht bezahlt hatte. Die brave Frau war nach London gekommen, hatte bei der französischen Gesandtschaft Erkundigungen eingezogen und in der Erwartung, dem Marquis eine große Freude zu bereiten, mit den beiden kleinen Mädchen die Reise angetreten.

Sie hatte sich in der That nicht geirrt. Die kleinen Mädchen erinnerten den Marquis so lebhaft an Eva, daß er sie mit aufrichtiger Rührung und Zärtlichkeit in seine Arme schloß, seine Doppelflinte der Engländerin zu tragen gab und zum größten Erstaunen seiner Köchin die liebliche Beute nach Hause brachte.

Das Verhör, welches er bei der Köchin zu bestehen hatte, war ihm höchst fatal. Der Marquis war erst neununddreißig Jahre alt und ging mit Heirathsgedanken um; denn er hielt es gewissermaßen für seine Pflicht, die alte berühmte Familie Souday nicht erlöschen zu lassen, und überdies hätte er die Sorge für das Hauswesen, die ihm höchst unangenehm war, gern auf eine Frau übertragen.

Die Ausführung dieses Planes wurde aber schwierig, wenn die Kinder unter seinem Dache blieben.

Er bezahlte die Engländerin reichlich und schickte sie am andern Morgen wieder fort.

In der Nacht hatte er einen Entschluß gefaßt, der ihm ein gutes Auskunftsmittel zu seyn schien.

Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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