Читать книгу Über den "tatsächlichen Zusammenhang" im Bankrottstrafrecht - Alexandra Windsberger - Страница 7
Einleitung
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Der 1. Strafsenat des BGH hat zuletzt im Rahmen des § 283b StGB festgestellt, dass eine Strafbarkeit wegen Buchführungspflichtverletzung neben den tatbestandlichen Voraussetzungen von einem weiteren ungeschriebenen Merkmal abhänge.[1] Damit bestätigte der 1. Senat die seit nunmehr 130 Jahren vorherrschende obergerichtliche Rechtsprechung[2] und die Ansicht des bankrottstrafrechtlichen Schrifttums[3], wonach zwischen der tatbestandlichen Bankrotthandlung und der objektiven Strafbarkeitsbedingung des „wirtschaftlichen Zusammenbruchs“ in § 283 Abs. 6 StGB ein „irgendwie gearteter“[4], „noch näher zu bestimmender“, „tatsächlicher Zusammenhang“[5] bestehen müsse.
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Das ungeschriebene Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ stellt im Bankrottstrafrechts inzwischen eine Selbstverständlichkeit dar, ähnlich der Vermögensverfügung beim Betrug. Dieser allgemein für erforderlich gehaltene Zusammenhang ist hierbei nicht nur ein Spezifikum des Bankrottstrafrechts, sondern insgesamt ein Unikum im gesamten Strafrecht, dessen nähere Konturen auch nach 130 Jahren Rechtspraxis nicht geklärt zu sein scheinen. Bei seinem Versuch einer Konkretisierung betonte das Bayerische Oberste Landgericht den Verzicht auf einen Kausalzusammenhang einerseits, obgleich es den Zusammenhang in die Nähe einer Art Zurechnungszusammenhang rückte: „In der Rechtsprechung ist aber das grundsätzliche Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ zwischen Buchdelikt und objektiver Strafbarkeitsbedingung anerkannt. Danach müssen im Zeitpunkt des wirtschaftlichen Zusammenbruchs wenigstens noch irgendwelche Auswirkungen vorhanden sein, die sich als gefahrerhöhende Folge der Verfehlung darstellen.“[6]
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Soweit die Bestrafung des Schuldners davon abhängen soll, ob sich die in der Handlung zum Ausdruck kommende Gefahr „tatsächlich realisiert“ oder zumindest „erhöht“ hat,[7] liegt eine Deutung als Kausal- und Zurechnungszusammenhang durchaus nahe; dies soll er nach herrschender Meinung jedoch gerade nicht sein.[8] Die Bezeichnung eines normativen Zusammenhangs ist jedoch – ebenso wie seine Fixierung als „sachlich“, „äußerlich“, „irgendwie geartet“ – überaus unbestimmt und kann nur schwer in die allgemeine Strafrechtslehre eingeordnet werden. Der Zusammenhang wird daher mancherorts als „Blind-Formel“[9] bezeichnet, die in bestimmten Fallkonstellationen nur noch „fiktive Züge“ trage. Insofern erstaunt es nicht, dass resignierende Deutungen, an den Zusammenhang seien „keine hohen Anforderungen zu stellen“[10], da sein Vorliegen „in aller Regel vermutet“[11] werde, die Auslegung bestimmen. In bestimmten Konstellationen obliege daher dem Täter der Gegenbeweis eines fehlenden Zusammenhangs. Die Bildung einer hinreichenden Definition, die auf allseitige Zustimmung treffen kann, scheint folglich in weiter Ferne.[12]
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Da der „tatsächliche Zusammenhang“ offensichtlich ein den Normanwendungsbereich korrigierendes, ungeschriebenes Merkmal darstellt, dass keinen Anknüpfungspunkt im Wortlaut der Norm findet, stellt sich noch vor der Frage seiner inhaltlichen Konkretisierung die Frage nach seiner materiell-rechtlichen (Nicht-)Erforderlichkeit. An der Frage nach der Existenzberechtigung des „tatsächlichen Zusammenhangs“ brechen sich sodann weitere unterschiedlichste Fragen. Zunächst wird daher die dogmengeschichtliche Herkunft des Merkmals näher in den Blick zu nehmen sein, wobei insbesondere die reichsgerichtliche Rechtsprechung zu den Strafbestimmungen der Konkursordnung thematisiert werden muss, da das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ ursprünglich auf eine Entscheidung des Reichsgerichts zum einfachen Bankrott (§ 210 KO) aus dem Jahre 1881 zurückgeht. Diese Rechtsprechung des RG zum „tatsächlichen Zusammenhang“ übertrug der BGH sodann, obwohl die Bankrotttatbestände ihrerseits im Zuge des 1. Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität im Jahre 1976 einer umfassenden Reform unterzogen wurden. Daher wird ein besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt, inwieweit der Transfer reichsgerichtlicher Anschauungen bei zwischenzeitlich verändertem Bezugsobjekt überhaupt noch überzeugen kann, oder ob sich der „tatsächliche Zusammenhang“ zwischenzeitlich nicht sogar entkontextualisiert hat.
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Im Anschluss ist die gegenwärtige Diskussion um den „tatsächlichen Zusammenhang“ im Kontext der Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte[13] näher in den Blick zu nehmen. Gerade die Frage nach einer deliktsspezifischen Verknüpfung von Gefährdungsdelikt und schuldindifferenter objektiver Strafbarkeitsbedingung bedarf hierbei einer besonderen Betrachtung. Denn das Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ müsste sodann in Übereinstimmung mit den Anforderungen an das Schuldprinzip konkretisiert, in seiner Reichweite anhand objektiver Parameter bestimmt und einem praktikablen Anwendungsbereich zugewiesen werden. Soweit die Einpassung des „tatsächlichen Zusammenhangs“ in das bestehende, kriminalstrafrechtliche System nicht kohärent begründbar ist, werden im letzten Teil das Bedürfnis nach dem limitierenden Merkmal des „tatsächlichen Zusammenhangs“ grundsätzlich in Frage gestellt und eine alternative Herangehensweise vorgeschlagen.