Читать книгу 9 ungewöhnliche Western April 2020: Western Sammelband 9006 - Alfred Bekker - Страница 54

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Carringo und Chaco hatten im Buschwerk am Rio Verde mitten in der Nacht ihr Lager aufgeschlagen, bis nach Sonnenaufgang geschlafen und sich etwas erholt. Nur der Hunger war ärger geworden. So waren sie froh, als sie die weißen Häuser von Rio Verde kurz vor Mittag vor sich auftauchen sahen.

Langsam ritten die Freunde dem kleinen Nest vor den Bergen entgegen.

„Vielleicht war Marido hier, und wir können etwas erfahren“, sagte Carringo.

Sie ritten an den ersten Hütten vorbei und sahen Männer im Schatten unter den Vordächern, so wie Jiminez Spinola sie gesehen hatte. Niemand sagte etwas.

Aus dem Mietstall eilte ein untersetzter grauhaariger Mexikaner, der den Freunden den Weg verstellte und nach den Kopfgeschirren beider Pferde griff.

„Zum Mietstall?“

„Pflege und gutes Futter könnten sie schon mal vertragen.“ Carringo saß ab und gab dem Mann einen Peso.

Auch Chaco war abgestiegen. Während der Mexikaner die Pferde in den schattigen Stall führte, gingen die Freunde zur Cantina hinüber und betraten sie.

Der kugelrunde Wirt saß schlafend hinter dem Tresen auf einem Schemel. Sein Rücken lehnte an der Wand. Sein Kopf war mit dem Kinn auf die Brust gesunken und fiel ruckweise hin und her. Das Barmädchen schlief im Obergeschoss in seinem Zimmer.

Die Freunde traten an die Theke. Carringo räusperte sich laut. Der runde Keeper fuhr mit einem erschrockenen Schrei in die Höhe und starrte die Fremden wie die leibhaftigen Teufel an.

„Entschuldigen Sie die Störung“, sagte Carringo auf spanisch. „Wir treffen sicher zu einer äußerst ungelegenen Zeit bei Ihnen ein. Aber es ergab sich zufällig so.“

Der Wirt hatte sich gefasst.

„Wir wollen vor allem etwas essen“, erklärte Carringo und legte gleich ein paar Pesos auf den Tresen.

„Was ... was soll’s denn sein?“

„Was Sie am schnellsten zubereiten können“, sagte Chaco.

„Und zu trinken?“

„Whisky und Sodawasser.“ Carringo schob noch einen Peso nach, um die Lust des Mannes zu steigern.

Der Keeper gab ihm dafür zwei Gläser, eine halbvolle Whiskyflasche und das Sodawasser. „Es dauert nicht lange. Suchen Sie sich irgendwo einen Platz.“

Die Freunde gingen mit den beiden Flaschen und den Gläsern durch den Saloon und setzten sich im Halbdunkel an den letzten Tisch in einer Ecke, so dass sie beide die Wand im Rücken hatten.

Mit schlurfenden Schritten entfernte sich der Wirt in die Küche. Sie hörten, wie er im Feuer stocherte und Eisen über Eisen kratzte.

Carringo schenkte Whisky ein, und Chaco füllte die Gläser mit dem Sodawasser voll. Sie tranken und spürten das angenehme Prickeln in der Kehle und die Kühle, die den Staub fortspülte.

Der Keeper tauchte auf und sagte: „Wenn Sie mit Bratkartoffeln und Spiegeleiern zufrieden sind, dauert es nur zehn Minuten.“

„Ja, gut“, sagte Carringo.

Tatsächlich dauerte es länger als eine Viertelstunde, bis die Freunde die Bratkartoffeln mit Spiegelei und gebratenem Speck endlich erhielten. Dafür waren es dann solche Mengen, dass sie für ihren Hunger ausreichen mussten.

Sie aßen, tranken Whisky Soda und sahen dem Wirt zu, der auf dem Tresen nervös Gläser hin und her rückte.

„Mit dem stimmt etwas nicht“, sagte Chaco so leise, dass nur Carringo ihn verstand.

„Er hat Angst.“

„Eben. Aber wovor?“

„Woher soll ich das wissen? Sei still und iss! Du kriegst sonst einen Haufen Luft in den Magen!“

Nach einer Weile trat der Keeper wieder an den Tisch. Er lächelte unsicher. „Schmeckt es?“

„Ausgezeichnet“, erwiderte Carringo und schob sich die letzten Bissen in den Mund.

Chaco legte das Besteck auf seinen leeren Teller und schob ihn dem Keeper zu. Der Mann wartete, bis auch Carringo Messer und Gabel aus den Händen legte, dann ging er mit beiden Tellern in die Küche.

Draußen war Hufschlag zu hören.

In der Küche fiel Geschirr auf den Boden und zerschellte.

„Ich habe es geahnt!“, rief der Keeper mit schriller Stimme. Er tauchte mit wachsbleichem Gesicht in der Tür auf.

„Was haben Sie geahnt?“, fragte Chaco.

Ohne zu antworten, drehte Georgio sich um und rannte in die Küche zurück.

Reiter tauchten vor einem Fenster auf. Es waren drei. Sie hielten vor der Cantina an und sprangen aus den Sätteln.

„Der Hüne“, flüsterte Chaco.

Der bleiche Keeper erschien wieder, trat hinter den Tresen und blickte auf die Basttür.

Sie flog auf, und der Hüne betrat mit dem schweren Gewehr lässig in der linken Hand den langen Schankraum. Ein schneller Blick in der Runde, dann wandte er sich dem Keeper zu. Die Freunde im Hintergrund schien er im Halbdunkel nicht bemerkt zu haben.

„Señor Ramirez“, murmelte der Keeper mit zuckenden Lippen. „Was verschafft mir die Ehre?“

Ramirez legte das Gewehr auf den Tresen.

Die Tür flog abermals auf. Die zwei mexikanischen Gehilfen des Hünen traten ein. Sie trugen gekreuzte Patronengurte über den Ponchos und in jedem davon in einem schwarzen Holster einen Colt 45. Die Schlaufen darüber waren mit Patronen gespickt.

„Spinola war hier?“, fragte Ramirez, der Hüne, in einem Ton, der wie eine Feststellung klang.

„Ich habe es geahnt, dass es Ärger gibt“, stieß der Keeper hervor.

„Antworte!“, herrschte Ramirez ihn an.

„Ja, er war hier, Señor.“

„Und du hast dich mit ihm unterhalten?“

„Was sollte ich tun, Señor Ramirez? Er war mein Gast. Ich muss den Gästen antworten, wenn sie etwas fragen.“ Der Keeper schluckte und erweckte ganz den Eindruck, als hätte er sich liebend gern Unter dem Tresen verdrückt.

„Was wollte er?“, fauchte Ramirez den zitternden Wirt an.

„Er wollte ... er wollte ... er sucht Ersatz für den Peon, den er nicht mehr hat.“

„Und?“

„Niemand war bereit, für ihn zu reiten, Señor.“

„Sehr gut“, lobte der Hüne mit einem teuflischen Grinsen und wurde wieder ernst. „Aber es passt mir nicht, dass mit diesem Gelichter überhaupt geredet wird. Hast du verstanden, Georgio? Es passt mir nicht!“

„Sehr wohl, Señor.“

„Und damit du dir das merken kannst, habe ich beschlossen, dir einen Denkzettel zu verpassen!“

Der Wirt trat zurück. Der Schemel stürzte um und rollte gegen den Tresen. Der Wirt prallte an die Wand.

„Ich werde ihn dir hinter die Ohren schreiben“, sagte der Hüne, der die Szene sichtlich genoss.

Die beiden anderen Kerle grinsten hämisch.

„Soll ich ihm eine Kerbe ins Ohr schießen?“, fragte der eine.

Die Freunde erhoben sich, zogen die Revolver und gingen auf beiden Seiten um den Tisch herum.

„Oder mit einer Kugel den Scheitel ordentlich ziehen?“, erkundigte sich der andere höhnisch.

„Vielleicht dürfen wir auch behilflich sein?“, sagte Carringo, als er und Chaco sechs Schritte hinter den Kerlen, noch immer unbemerkt, stehen blieben.

Die Mexikaner zuckten zusammen. Der Keeper atmete auf und wurde an der Wand ein Stück größer.

„Keine Bewegung!“, rief Chaco. „Pfoten von den Waffen!“

„Zum Teufel, den habe ich schon mal gehört“, sagte der eine Mexikaner. „Den haben wir vergessen, in die Hölle zu schicken, Mario.“

Sie hatten alle drei ihre Waffen losgelassen. Ramirez trat sogar einen Schritt vom Tresen zurück.

„So ist es vernünftig. Ihr beiden Galgenvögel schnallt die Patronengurte ab und werft sie hinter euch.“ Chaco ging weiter. „Na los, ein bisschen Bewegung!“

Die Kerle befolgten den Befehl. Sekunden später polterten die Waffengurte mit den Colts vor Chacos Füße. Er hob sie auf, ging zur Basttür, trat sie mit dem Fuß auf und warf die Patronengurte auf die Fahrstraße.

„An die Wand mit euch!“, befahl Carringo.

Die beiden Kerle gingen nach links und stellten sich an die Wand, an der sie sich jedoch umdrehten.

Chaco hielt die Kerle mit dem Colt im Schach.

„Wusste ich’s doch“, sagte der eine. „Ich hätte sie gestern Abend abknallen sollen.“

Auch Mario Ramirez, der Hüne, wandte sich um und starrte die Freunde an. Sein Gewehr lag hinter ihm auf dem Tresen. Er ließ die Hände nach unten hängen, „Das ist nun der Dank, dass wir euch nicht in die Hölle schickten, in die ihr gehört, was?“

„Wir sind unterwegs, um nach Tampico zu reiten“, erwiderte Carringo. „Nur über das Tempo sind wir offensichtlich anderer Meinung als ihr. Ich denke aber, das ist unsere Sache. Aber deswegen sind wir freilich nicht böse, uns noch einmal mit Ihnen zu treffen, Señor Ramirez. So heißen Sie doch, nicht wahr ?“

„Was wollt ihr noch?“

Carringo schob den Colt ins Holster. „Ich wollte mich noch bedanken.“

„Für gestern?“

„Genau.“

Die drei Kerle begannen wie auf Kommando zu grinsen, da sie sofort begriffen, wie Carringos Worte zu verstehen waren.

„Und bei mir?“, fragte der Hüne, als hätte er doch noch gelinde Zweifel. „Oder lieber bei einem meiner Freunde?“

„Ich versuche es immer bei der richtigen Adresse“, entgegnete Carringo. „Die Wirkung ist dann in der Regel größer.“

Der Hüne zeigte die Zähne. Wild blitzten seine Augen unter den buschigen Brauen. Er spuckte in die Hände, rieb sie aneinander und stieß ein polterndes Lachen aus. Dann sprang er Carringo mit einer solchen Heftigkeit an, dass er ihn beinahe wirklich überrascht hätte.

Im letzten Moment rettete sich Carringo vor den mörderischen Fäusten durch einen Sprung zurück. Ramirez schlug in die Luft.

Carringo tauchte unter der Faust weg und setzte dem Kerl von unten einen Kinnhaken an. Es war ihm zwar, als hätte er gegen Felsgestein geschlagen, aber er hörte am lästerlichen Fluchen des Mannes, dass er auch Wirkung erzielte. Bevor Ramirez noch etwas tun konnte, drosch Carringo ihm die Rechte in den Leib.

Der Hüne krümmte sich fluchend zusammen. Carringo nahm die Hände hoch und knallte sie dem Kerl in den Nacken. Aber statt ihm vor die Füße zu stürzen, fuhr Ramirez mit einem Wutschrei hoch und schlug mit schwingenden Fäusten zu.

Getroffen flog Carringo zurück. Der Hüne setzte nach und warf sich mit der Schulter an seinen Gegner.

Carringo fiel über einen Tisch. Stühle flogen auseinander. Carringo landete auf dem Boden.

„Schlag ihn tot, Mario!“, brüllte der eine Mexikaner hitzig.

Ramirez ergriff den Tisch und schleuderte ihn zur Seite. Das Möbel brach an der Wand auseinander. Beine und geborstene Bretter flogen im aufgewirbelten Staub herum.

„Mein Tisch!“, jammerte der Keeper, die Hände gegen die Schläfen gepresst. „Es geht ja alles kaputt!“

„Hau ihn tot, Mario!“, brüllte der Mexikaner. Als wäre Chacos Colt nicht mehr da, wollte er vorwärts.

Chaco knallte ihm die Mündung gegen die Stirn. Der Kerl prallte fluchend an die Wand.

„Warte die Zeit ab mit deinem Gebrüll“, sagte Chaco.

Carringo war inzwischen wieder auf den Beinen. Wie ein Büffel stürmte der Hüne auf ihn zu. Stühle flogen auseinander.

Ramirez grinste selbstsicher. „Dich zerfetze ich in der Luft, Jüngelchen. Du hast keine Zeit mehr, deine Dummheit zu bereuen. Ich drehe dir eine Wendeltreppe in den Hals.“

Die beiden anderen brüllten begeistert und schlugen die Hände klatschend zusammen.

Chaco ließ sie gewähren und achtete darauf, dass er weit genug von ihnen entfernt war. Sein Colt richtete sich immer noch auf die beiden.

Ramirez brüllte, rannte vor und schlug zu.

Carringo glitt zur Seite. Die Faust streifte noch an seiner Hüfte entlang, dann traf sie die Steinwand wie einen Amboss. Ramirez’ Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze. Und Carringo schlug mitten hinein. Zweimal hämmerte er mit aller Kraft nach dem Gesicht mit dem gebrochenen und verschobenen Nasenbein. Dann schnellte Ramirez fauchend herum und packte einen Stuhl. Er hob den Stuhl mit einer Hand am Ende der Lehne hoch und setzte zu einem Rundschlag an, den er mit einer einzigen Bewegung ohne Absetzen durchführte.

Dennoch war der geschmeidige Carringo früh genug mit dem Kopf weg. Der Stuhl ging über ihn hinweg, donnerte ebenfalls gegen die Wand und zerbarst. Die Trümmer flogen umher. Carringo setzte dem Hünen die Handkante gegen den Hals. Ramirez taumelte an die Wand und zeigte die erste starke Wirkung.

Carringo nutzte die Gelegenheit und schlug auf den Riesen mit beiden Fäusten ein.

„Verdammt“, sagte der eine Mexikaner hinter Chacos Revolvermündung an der Wand.

Auch dem anderen war das Grinsen vergangen.

Ramirez taumelte und konnte die Initiative des Kampfes nicht mehr an sich reißen. Als er einen Stuhl erfasste und herumschwang, riss ihm Carringo diesen aus den Fingern und knallte ihm die Beine gegen die Brust.

Ramirez hielt sich an einem Tisch fest, dessen Beine laut über den Boden schrammten.

„Was soll denn dieser Lärm während der Siesta?“, schimpfte das Barmädchen. Es war auf der Galerie am oberen Ende der Treppe aufgetaucht.

Niemand beachtete das Mädchen.

Ramirez schob den Tisch zur Seite und stieß ihn Carringo entgegen. Der konnte zwar zurückspringen. Aber damit hatte der Hüne den Raum gefunden, den er nötig hatte, um zu einer Verschnaufpause zu gelangen.

Doch Carringo wollte ihm die Zeit nicht gönnen. Mit einem Sprung stand er auf dem Tisch. Mit dem zweiten Satz fiel er den gewaltigen Kerl an und stürzte mit ihm zu Boden.

Zwei Stühle kippten rechts und links um.

„Na los, poliert euch mal ordentlich die Fressen!“, schrie das Mädchen auf der Galerie begeistert.

Carringo setzte dem Kerl die Faust ins Gesicht, dann wurde er mit ungeheurer Wucht zur Seite geschleudert. Ramirez beförderte einen Stuhl hinterher, den Carringo nur noch mit dem Ellenbogen abwehren konnte. Schmerzen rasten durch seinen Körper wie Nadelstiche.

„Jetzt gib ihm Saures, Mario!“, brüllte einer der beiden Mexikaner. „Brich ihm alle Knochen, diesem verdammten Gringo!“

Sie standen gleichzeitig wieder. Ramirez war so wütend, dass es schien, als zuckten Blitze aus seinen Augen. Und auf einmal griff er hinter sich und brachte die Hand mit einem Kampfmesser zwischen den Fingern wieder zum Vorschein.

Carringo lief es eiskalt über den Rücken. Er trat zurück. Den Gedanken, den noch in dem Holster steckenden Colt zu ziehen, erwog er jedoch nicht.

Ramirez lachte. Die Klinge fuhr blitzend durch die Luft.

„Jetzt wirst du geschlachtet, Gringo!“, rief das Mädchen lachend. „Teufel, Teufel, beinahe hätte ich die schönste Stunde des Jahres verschlafen.“

Ramirez grinste und sprang.

Carringo war eiskalt. Zu lange hatte es zwischen der Schrecksekunde und dem Angriff gedauert, als dass seine Überraschung hätte anhalten können. Und er zahlte Ramirez die Hinterlist heim, bevor der sein Messer einsetzen konnte.

Ebenso wie der Hüne den Stuhl emporgehoben und mit ihm zugedroschen hatte, so packte Carringo einen Stuhl halb hinter sich, wirbelte ihn über den Kopf und schmetterte ihn dem heimtückischen Messerhelden auf den Schädel. Bevor das Messer Carringo erreichte, krachte der schwer getroffene Ramirez zu Boden, dass es nur so dröhnte. Das Messer glitt aus seiner Hand.

Carringo trat gegen die heimtückische Waffe. Sie rutschte unter Tischen und Stühlen weg.

Das Mädchen klatschte die Hände zusammen. „Bravo, Gringo, bravo! Dem hast du’s aber gezeigt!“

Ramirez rollte stöhnend auf dem Rücken. Da kein Blut an seinem Kopf zu sehen war, konnte er keine ernsthafte Verletzung davongetragen haben. Nur die Wucht des Schlages hatte ihm fast die Besinnung geraubt.

„Das mit dem Messer hättest du nicht tun dürfen“, sagte Carringo verächtlich. „Alles, aber nicht solche Hinterlist, du Scheißkerl!“

Den beiden Mexikanern an der Wand war das Grinsen vergangen.

Carringo ging zum Tresen, nahm die Tequila-Flasche, schenkte sich ein Glas voll und trank es aus.

Der Wirt lehnte noch kreidebleich an der Wand und vergaß, dass sein Mund offen stand.

Carringo warf das Glas ins Wasserbecken. Eine kleine Fontäne spritzte in die Höhe.

„Bravo, Gringo!“, rief das Mädchen.

„Kann man der nicht sagen, dass sie die Klappe halten soll?“ Carringo schaute den Wirt an.

Georgio klappte den Mund, lief um den Tresen herum und zur Treppe im Hintergrund. „Verschwinde, du dummes Luder. Los, tummel dich! Na, hast du Zitronen auf den Ohren?“

„Idiot“, sagte das Mädchen pikiert, ging in sein Zimmer und donnerte die Tür zu.

Carringo trat zu Chaco, der den Colt sinken ließ.

„Schafft ihn hinaus und haut ab, ihr Bastarde“, sagte Carringo bissig.

Die beiden drückten sich wie geprügelte Hunde an den Freunden vorbei und gingen zu Ramirez, der unfähig war, sich zu erheben. Sie nahmen ihn an den Handgelenken und Füßen und trugen ihn aus der Cantina.

„Ramirez, heute siehst du schön verwichst aus!“, rief das Mädchen lachend aus dem Fenster.

„Die kann es doch nicht lassen!“ Der Wirt fluchte leise vor sich hin, trat hinter den Schanktisch und stellte drei Gläser darauf.

Carringo ging zur Tür und schob sie auf.

Die beiden Kerle hatten Ramirez in den Sattel gesetzt. Der Hüne sank auf den Hals des Tieres.

„Sie hätten etwas für den Schaden verlangen sollen“, sagte Chaco an der Theke. „Schließlich wollten die Kerle doch Streit mit Ihnen.“

„Ich bin froh, dass das vorbei ist.“ Der Wirt seufzte.

Die Kerle ritten die Straße nach Westen hinunter und den Bergen in der Ferne entgegen.

Carringo stand noch draußen und beobachtete die drei Reiter auf der sonnendurchglühten Piste.

Das Gelächter des Mädchens schallte hohnvoll hinter den Mexikanern her.

„Die ist nicht ganz richtig im Köpfchen, was?“, fragte Chaco am Tresen.

„Ja, Señor.“

Carringo ging hinein.

Die Hand des Keepers zitterte noch nachträglich, als er Tequila einschenkte und den Freunden die Gläser über den Tresen schob. „Der geht auf meine Rechnung.“

Sie griffen zu, stießen mit dem Mann an und tranken.

„Ich weiß gar nicht, was ich ohne Ihre Hilfe hätte tun sollen“, sagte der Wirt. „Ich kenne die Kerle doch. Die hauen alles kurz und klein, wenn bei denen die Gäule durchgehen.“

„Ist ja vorbei“, erwiderte Chaco freundlich lächelnd.

Georgio schenkte noch einmal ein. „Dabei hatte ich geahnt, dass diese Kerle aufkreuzen. Jiminez Spinola war nämlich da. Der hat Leute gesucht. Er besitzt einen kleinen Rancho in der Nähe und züchtet Pferde. Und man hat ihm Silva erschossen. Das war sein Peon.“

Sie tranken mit dem Wirt und schauten ihn gespannt an.

„Reden Sie weiter“, sagte Carringo. „Allmählich fängt das an, uns zu interessieren, schätze ich.“

„Ja?“

„Wirklich.“

„Sie sollten sich vielleicht besser aus dem Staube machen. Einen Angestellten von Don Carlos verprügelt man nicht ungestraft.“

„Wer ist Don Carlos?“, fragte Carringo. Sie hatten nun so oft diesen Namen gehört, dass er es endlich genauer wissen wollte.

„Don Carlos Falange besitzt eine große Hazienda. Und es stehen viele Leute auf seiner Lohnliste.“

„Aha.“

„Und dann verfielen dieser Jiminez Spinola und sein Bruder Adolpho eines schönen Tages auf den verrückten Einfall, ebenfalls Pferde züchten zu wollen. Sie müssen wissen, dass Don Carlos weit und breit die einzige Pferdezucht besitzt, die es hier jemals gab.“

„Konkurrenz ist gut für die Qualität der Ware.“ Chaco hob sein Glas. „Trinken wir erst mal, bevor das Zeug zu warm wird. Es schmeckt ja dann nicht mehr besonders.“

„Auf Ihr Wohl, Señores. Und nochmals herzlichen Dank!“ Georgio stieß mit den Freunden an. Sie tranken die Gläser leer und stellten sie ab. Als der Wirt erneut zur Flasche griff, winkte Carringo ab.

„Wir werden ja betrunken, Señor. Und das bei dieser Hitze. Nein, es ist wirklich genug.“

„Wollen Sie vielleicht lieber noch etwas vom Whisky trinken?“, fragte Georgio geschäftig.

„Nein.“

„Es ist sehr guter Whisky. Aus Kentucky.“

„Ja, wir haben es gesehen. Aber bitte nicht. Erzählen Sie weiter!“

„Eigentlich habe ich doch schon alles gesagt. Die Spinola-Brüder wollten auch Pferde züchten. Don Carlos sah in dem kleinen Rancho freilich zuerst keine Konkurrenz. Dafür waren die Spinolas nicht groß genug. Mit den zwei Peons, die sie beschäftigten, stellten sie auch sonst keine Macht dar. Aber dann gelang es ihnen, prächtige Pferde zu züchten. Man wurde auf sie aufmerksam. Sie erhielten Aufträge und schnappten Don Carlos auch einmal etwas bei der Armee weg. Das lag wohl vor allem daran, dass sie mit Eifer und Liebe bei der Zucht waren, während Don Carlos das als reines Geschäft betrachtet. Seine Devise ist, je mehr Pferde, desto besser. Die Spinola Brüder denken beinahe umgekehrt. Sie züchten lieber wenige Pferde, aber dafür erstklassige.“

„Und mit was fingen die Spinola Brüder an?“, fragte Chaco.

„Sie hatten früher ein paar magerer Rinder. Aber eines Tag es tauchte ein Gringo bei ihnen auf und berichtete, dass er wilde Mustangs in den Bergen gesehen hätte. Niemand glaubte es. Doch Jiminez Spinola ritt in die Berge und brachte zwei eingefangene Wildpferde mit. Don Carlos nahm auch das noch nicht ernst. Aber Spinola fing immer neue Pferde. Sehr gute Mustangs. So fing das an. Als Don Carlos dann sah, dass es eine gute Zucht wurde, die er zu fürchten hatte, wollte er den Rancho kaufen. Er versprach Spinola sogar, ihn und seinen Bruder und die Peone als Angestellte zu halten. Aber Jiminez lehnte natürlich ab.“

„Zu der Zeit ist aber noch nichts passiert?“, fragte Carringo. „Ich meine, dass es zu Kämpfen kam?“

„Aber nein! Auf der Hazienda arbeiteten ehrenwerte Männer. Die konnten zwar verstehen, dass Don Carlos die lästigen Spinolas los sein wollte, aber die hätten keine Waffe gegen die Brüder erhoben. Man hatte ihnen ja nichts getan. Aber so nach und nach hat Don Carlos seine alten Leute in die Wüste geschickt, einen nach dem anderen. Dafür erschienen neue Reiter. Rohes Gesindel wie jene, die eben hier waren. Die lassen sich auf jede Schweinerei ein, wenn sie dafür nur bezahlt werden. Und sie werden dafür bezahlt.“

„Hat Spinola niemals Pferde an Don Carlos verkauft?“, fragte Chaco.

„Am Anfang hin und wieder einen Hengst. Doch, das schon. Aber so etwas ist ja üblich. Später dann nicht mehr. Dieser Kampf geht bereits seit Jahren. Scharf wurde er erst in der jüngsten Zeit, seit Spinola Don Carlos den Armeeauftrag wegschnappen konnte. Das ist sozusagen das äußerliche Zeichen der Anerkennung für seine besseren Pferde. Ein Offizier der Kavallerie war da und hat die Tiere begutachtet, die von Don Carlos und die von Spinola. Und die Spinolas erhielten den Zuschlag.“

„Das muss Don Carlos allerdings wie ein Blitz getroffen haben“, gab Carringo zu.

„Der hat vor Wut geschäumt. Er muss sich wohl augenblicklich vorgenommen haben, Spinola und seinen Bruder zu vernichten, bevor die ihnen noch richtig über den Kopf wachsen. Seitdem laufen noch mehr so finsterer Typen hier herum. Sie tauchen oft genug in Rio Verde auf. Hier, bei mir. Aber freilich kann niemand genau sagen, dass sie für Don Carlos reiten.“

„Was?“ Chaco beugte sich vor. „Wie meinen Sie das, niemand könnte es genau sagen?“

„Na ja, es wurde uns nie gesagt. Und niemand von uns hat die Kerle bis zur Hazienda verfolgt. Das geht uns doch auch nichts an. Also vermuten wir nur, dass Ramirez, dieser Hüne, und die anderen für Don Carlos Falange reiten.“

Chaco schaute Carringo an. „Er weiß es gar nicht genau.“

„Es wird aber schon so sein“, erwiderte Carringo. „Don Carlos spielt dabei den Ehrenmann, wie?“

„Genau! Der würde es weit von sich weisen, mit den Übergriffen auf den Rancho etwas zu tun zu haben. Aber er wird sich kaum genieren, den Rancho eines Tages für ein Butterbrot zu kaufen.“

„Falls dann noch einer lebt, der verkaufen könnte“, schränkte Chaco ein.

„Ja, vorausgesetzt, einer der Spinola-Brüder lebt noch, wenn es so weit ist. Denn dabei geht es ja noch um eine sagenhafte Herde schwarzer Mustangs, die in der Sierra versteckt sein soll. Das hat Spinola jedenfalls mehr als einmal erzählt. Allerdings hat noch niemand die Pferde gesehen.“

Die Freunde blickten sich verstohlen ah, sagten jedoch nichts.

„Aber das soll uns hier in der Stadt egal sein. Jedenfalls danke ich Ihnen noch vielmals für die Hilfe. Einen trinken wir noch darauf, was, Señores?“

„Aber nur einen“, sagte Chaco.

Der Wirt schenkte die Gläser voll Tequila.

Aus der Küche quoll blauer Dunst durch die offene Tür, der beträchtlichen Gestank mitbrachte.

„Himmel, das Feuer!“, rief der Wirt und fuhr herum. „Ich habe den Topf nicht ganz mit Wasser gefüllt und auf dem Herd stehenlassen. Es muss verdunstet sein.“

Als der Mann verschwunden war, sagte Carringo leise: „Wir verkrümeln uns.“

Chaco nickte. „Mit so einer Sache sollten wir besser wirklich nichts zu tun haben.“

„Das ganze Wasser ist verkocht“, sagte der Wirt, der zurückkam. „Also dann!“ Er nahm sein Glas und hob es an.

„Das ist aber wirklich der Letzte, Señor.“ Carringo griff nach seinem Glas und stieß mit Georgio und Chaco an. Er legte das leere Glas ins Spülbecken und wandte sich um.

Der Raum sah wüst aus. Die Trümmer lagen überall verstreut. Stühle und Tische waren zusammengeschoben, manche Stühle lagen in Haufen aufeinander.

„Das bringe ich alles wieder in Ordnung“, murmelte der Wirt. „Sieht schlimmer aus, als es ist.“

„Wir wollten sie noch fragen, ob Sie einen gelbhäutigen Mann hier gesehen haben? Einen Fremden, der ein kleines Kind bei sich hat.“

„Ein gelbhäutiger Mann? Einen Chinesen?“

„Keinen Chinesen, einen Japaner. Er ist jedoch wie ein Mexikaner gekleidet.“

„Nein. So einen Mann habe ich nicht gesehen. So einer war nicht in Rio Verde.“

„Und das wissen Sie genau?“, fragte Chaco.

„Mir entgeht keiner, der in die Stadt reitet. Und bei mir schaut auch jeder Fremde herein.“ Der Wirt blickte zu den Fenstern hinaus. Auf der anderen Straßenseite war ein Mann in einer grauen Uniform aufgetaucht.

„Auch der noch“, sagte Georgio. „Sieht ihm aber ähnlich. Als er gebraucht wurde, hat er sich in seiner Hütte verkrochen.“

Die Freunde sahen den Sheriff, der die Straße überquerte, die Veranda vor der Cantina betrat und die Basttür aufschob.

Er war ein kleiner, bärbeißiger Mann. Mit leicht gespreizten Beinen, eine schwarze Revolvertasche vor dem Bauch und die Hände auf dem Rücken, so blieb er stehen.

Draußen führte der Stallmann die gesattelten Pferde der Freunde auf die Straße. Carringo und Chaco wussten sofort, dass der Sheriff das veranlasst haben musste. Es kam sonst kaum jemand in Rio Verde dafür in Frage.

„Unruhestifter können wir hier nicht gebrauchen“, sagte der Mann schroff.

Der Wirt schwieg mit zusammengepressten Lippen. Mit dem Sheriff schien er sich unter keinen Umständen anlegen zu wollen.

„Wir wollten sowieso gerade die Stadt verlassen“, sagte Carringo freundlich.

Der Blick des Sheriffs verfinsterte sich. „Mich auch noch auf den Arm nehmen wollen, was?“, fragte er.

„Nein, sie wollten wirklich gerade aufbrechen!“, sagte der Wirt hastig.

Ein vernichtender Blick traf ihn von dem kleinen Ordnungshüter. Der Wirt zog den Kopf ein und schob sich vom Tresen weg.

Draußen ließ der Stallmann die Pferde stehen und verschwand.

Der Sheriff trat zur Seite. „Auf was wartet ihr dann noch, wenn ihr sowieso verschwinden wollt?“

„Komisch ist das schon“, sagte Chaco.

„Was ist komisch?“, schnauzte der Sheriff mit böse funkelnden Augen.

„Dass Sie auch schon aufkreuzen.“

Chaco grinste den Mann an und tat, als bemerke er dessen Wut nicht. „Zumal doch der Rummel bereits vorbei ist und die wichtigsten Unruhestifter die Bühne sozusagen längst verlassen haben.“

„Vielleicht ist das gerade der Trick an seiner Arbeit“, sagte Carringo, während er hinter dem Freund vorbeiging und die Cantina verließ.

„Unverschämt!“, fauchte der Sheriff.

Chaco verließ die Cantina ebenfalls. Sie stiegen auf die Pferde und ritten die Straße hinunter nach Südosten. Hinter ihnen schimpfte der Sheriff in erwachtem Pflichtbewusst sein her, aber sie schauten nicht mehr zurück.

„Soll ich dir was sagen?“ Carringo schaute den Freund an.

„Na?“

„Ich bin froh, dass wir aus dieser Geschichte heraus sind.“

„Hoffentlich sind wir das auch wirklich. Mir wäre wohler, wenn wir schon fünfzig Meilen weiter geritten wären.“

9 ungewöhnliche Western April 2020: Western Sammelband 9006

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