Читать книгу Sammelband 7 Mystery Thriller - Der Sommer der Geheimnisse - Alfred Bekker - Страница 36
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Keith griff nach Pat, doch die hatte sich mit raschen Bewegungen seinem Zugriff entzogen. „Komm sofort wieder herunter!“, befahl er scharf, und die Sorge in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Doch jetzt legte Lord Ashbury dem jungen Mann die Hand auf die Schulter und blickte ihn ernst an, schüttelte dann den Kopf, während Pat schon weiter nach oben kletterte, gewandt und rasch, mit anmutigen Bewegungen..
„Sie hat ihren eigenen Kopf, und Sie werden mit keinem Wort Erfolg haben, wenn sie das nicht will. Ich fürchte, meine Tochter ist mir in mancher Beziehung sehr ähnlich“, sagte er ruhig.
Keith starrte nach oben.
Cedric hatte mit vor Hass verzerrtem Gesicht zugesehen, wie die junge Frau seine letzte Zuflucht erklomm, jetzt schaute er gehetzt umher. Es hätte für ihn wenig Zweck nach der Schaukel zu greifen, es war auf der anderen Seite ja kein Fänger, bei dem er landen konnte. Doch da entdeckte er das Drahtseil, das vom Trapez aus in die andere Richtung weiterging. Cedric war sicher auf dem Seil, und mühelos überwand er die Distanz zur anderen Seite.
„Cedric, du verrückter Kerl“, sagte Pat jetzt gezwungen fröhlich. „Komm, lass den Unsinn. Gehen wir gemeinsam hinunter. Hier oben kannst du doch nicht lange bleiben. Was soll denn das?“
„Wie bist du eigentlich aus der Höhle gekommen?“, erkundigte er sich, während er die letzten Schritte über das straff gespannte Seil auf die Plattform lief.
„Mein Vater und Keith haben mich gefunden. Du hattest doch nicht ernsthaft vor, mich da liegen zu lassen?“
„Aber nein, Pat. Ich hatte dir schon erklärt, dass man bedauerlicherweise deine Leiche im Feuer finden wird. Aber du hast jetzt meinen ganzen schönen Plan zunichte gemacht. Du bist ein ziemlich ungezogenes Mädchen.“
Pat verschluckte sich fast. Was redete der Mann da? War er jetzt vollkommen verrückt geworden?
„Und was hast du jetzt vor?“, fragte sie noch immer betont munter. „Willst du bis zum jüngsten Tag auf der Plattform hocken und einen neuen Rekord aufstellen? Sieh doch ein, Cedric, dass es vorbei ist. Komm her, mach doch nicht alles noch schlimmer.“
Pat trat behutsam auf das Seil, so als wollte sie zu dem Mann hinüber und ihn bei der Hand nehmen.
Unten standen Keith und der Lord, die Köpfe weit in den Nacken gelegt, und starrten atemlos auf die beiden Menschen dort oben. Keith wurde vor Sorge fast verrückt, und Lord Ashbury war unter der gebräunten Haut ebenfalls bleich. Doch er vertraute seiner Tochter, sie würde schon wissen, was sie tat. Das hatte sie in ihrem Leben bisher immer gewusst. Aber gefährlich sah das schon aus, und ihm wäre ebenfalls wesentlich wohler gewesen, hätte Pat sich entschlossen endlich herunterzukommen.
Die junge Frau hatte jetzt einige Schritte auf dem Seil gemacht, argwöhnisch beäugt von Cedric, der plötzlich keine Lust mehr hatte. „Geh zurück, Pat“, rief er. „Lass mich in Ruhe und vergiss mich. Ich habe dir persönlich nie etwas tun wollen. Aber wenn du jetzt nicht gehst, dann zwingst du mich dazu.“
Obwohl das Seil straff gespannt war, schaffte Cedric es mit einiger Mühe, eine Vibration zu erzeigen, indem er auf seiner Plattform herumhampelte.
Pat hielt inne.
„Du ist ein gutes Mädchen“, sagte er. „Aber komm mir nicht zu nahe. Ich habe nämlich nichts mehr zu verlieren, weißt du? Und damit du mir das auch glaubst, schau her.“
Er zog einen eiförmigen Gegenstand aus der Hose und hielt ihn hoch. Pat konnte nicht gleich erkennen, um was es sich handelte, aber dann machte Cedric eine Handbewegung und zog etwas aus dem Gegenstand heraus. Die junge Frau wurde kreidebleich, und ein erstickter Aufschrei kam von unten her, Keith hatte erkannt, was Cedric da in der Hand hielt.
„Eine Handgranate! O’Malley, sind Sie komplett verrückt geworden? Sichern Sie die Granate und kommen Sie herunter!“
„Ach, ihr da unten seid auch noch da? Nun, dann könnt ihr eine Menge Spaß haben, wenn ihr nicht bald verschwindet. Mir macht das nämlich nichts aus, wenn ich sie loslasse.“
„Pat, komm auf der Stelle herunter“, brüllte Lamont, und seine Stimme überschlug sich vor Angst.
„Er wird sie nicht zünden“, versuchte Pat den Mann zu beruhigen. „Warum sollte er sich selbst umbringen?“
„Du verstehst nicht“, rief Cedric. „Ich habe durchaus vor mich umzubringen. Aber ich möchte dich nicht gerne mitnehmen. Doch wenn du darauf bestehst, werde ich auch das tun.“
„Tu es nicht“, bat sie ruhig, obwohl ihr das Herz bis zum Halse klopfte.
„Geh zurück“, forderte der Direktor und ließ das Seil wieder schwingen.
Und jetzt war es soweit, dass Pat sich nicht mehr halten konnte. Mit einem leisen Aufschrie fiel sie auf das Seil, und in reflexartigen Bewegungen umklammerte sie es und hing jetzt da zwischen Himmel und Erde, zwischen Tod und Leben.
„Pat, halt durch“, brüllte Keith und schaute sich und verzweifelt um. Was sollte, was konnte er tun, um die geliebte Frau vor dem Absturz zu bewahren? Wenn wenigstens das Netz noch gespannt gewesen wer, dann hätte sich Pat einfach fallen lassen können. Aber so – ließe sie sich fallen, würden ihr mit Sicherheit eine Menge Knochen gebrochen, wenn nicht Schlimmeres. Warum war denn keiner vom Zirkuspersonal hier? Und wo war die Feuerwehr, die hatten doch sicher Sprungtücher.
Angesichts dieser Hilflosigkeit hätte Keith irgendetwas tun können, gegen eine Wand schlagen, mit dem Fuß aufstampfen, sich abreagieren, aber was hätte das genutzt?
Lord Ashbury blieb bemerkenswert ruhig, obwohl doch sein einziges Kind dort hing und um sein Leben kämpfte.
Doch jetzt schien Rettung zu nahen, Colin, der Weißclown tauchte hinter dem Vorhang auf, blickte hoch zum Trapez, und ein Fluch entfuhr seinen Lippen, dann verschwand er blitzschnell.
„Pat, es tut mir leid“, sagte Cedric jetzt und schaute sie traurig an. „Aber es gibt für mich keinen Ausweg mehr. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.“
„Ich verzeihe dir alles, sobald ich wieder festen Boden unter den Füßen habe“, presste sie zwischen den Zähnen hervor.
Pat wusste nicht, wie lange sie sich noch halten konnte. Durch die stundenlange Gefangenschaft in der Kälte war ihr Körper verzerrt, und Krämpfe durchfluteten sie. Das Seil schnitt in ihre Hände, und sie kämpfte immer dringender gegen den Wunsch an einfach loszulassen. Da sie aber sehr wohl wusste, was dann mit ihr passierte, suchte sie ihre letzten Kräfte zusammen, um sich zu halten. Warum tat sich denn da unten nichts? Kam denn niemand zu Hilfe?
„Cedric, hilf mir“, flehte sie. Vielleicht brachte das den Mann zur Vernunft.
Er schaute sie traurig an. „Tut mir leid, alles“, sagte er tonlos.
Dann schrie Pat auf, denn Cedric ließ den Sicherungsbügel der Granate los, steckte sie in den Hosenbund und sprang von der Plattform herunter.
„Nein, nicht“, gellte ihr Schrei durch die Luft.
Aber es war zu spät. Einen Augenblick später erschütterte die Explosion das Zirkuszelt, und die Druckwelle ließ Pat schaukeln. Sie spürte, wie Blut an ihren Handgelenken herunterlief, der Schmerz wurde fast übermächtig, und es wäre so leicht gewesen, einfach loszulassen und nichts mehr zu spüren. Tränen liefen ihre Wangen herunter, und sie wusste, sie würde es nicht mehr lange aushalten. Wenn nicht ganz schnell etwas geschah, dann war alles vorbei.
Pat versuchte den Blick nach unten zu richten. Ihr Vater lag am Boden, von der Wucht der Explosion zur Seite geschleudert. Die Überreste von Cedric lagen ebenfalls am Manegenrand, nur Keith stand aufrecht und schaute sie verzweifelt an.
Jetzt aber kam Leben in die Manege, Colin hatte seinen Kollegen und ein Luftkissen dabei, das die beiden häufig bei ihrer Vorstellung benutzten. Es war zwar jetzt nicht ganz voll mit Luft, doch es musste einfach genügen.
Keith atmete auf, als er die Hilfe sah. Mit vereinten Kräften schoben die drei Männer das Luftkissen unter Pat.
„Lass los“, rief Keith. „Jetzt kannst du fallen.“
Doch Pats Hände waren jetzt so verkrampft, dass sie es nicht gleich schaffte, ihre Finger vom Seil zu lösen. Sie schluchzte, während sie ihren Händen immer wieder den Befehl gab das Seil loszulassen.
„Was machst du denn noch? Spring endlich“, rief Keith.
Lord Ashbury war mittlerweile wieder aufgestanden und beobachtete die Bemühungen seiner Tochter. Dann hielt auch er die Anspannung nicht mehr aus.
„Willst du einen neuen Rekord im Seilhalten aufstellen?“, fragte er jetzt bitterböse, um seine Tochter zu reizen. Er wusste, wie ihr beizukommen war. „Wenn du noch ein bisschen länger durchhältst, hole ich einen Notar, der kann dann den Eintrag ins Guinnes-Buch der Rekorde aufnehmen. Allerdings weiß ich nicht, ob du dann noch was davon hast.“
Wut kroch in Pat hoch. Ihr Vater hatte kein Recht in dieser Form über sie zu urteilen. Hatte sie nicht alles versucht, um Cedric von solchen Dummheiten abzuhalten? Und jetzt hing sie hier in der Luft, und ihm fiel nichts Besseres ein, als sie in ihrer Erschöpfung und Verzweiflung auch noch zu verspotten.
Mit einem zornigen Aufschrei ließ sie los.