Читать книгу Kreuzweg vieler Welten : Science Fiction Sammelband: 1000 Seiten Roman Paket - Alfred Bekker - Страница 10
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ОглавлениеDie Aufklärung kam für Ernestine erst im Hauptquartier der PSI-Squad. Zumindest halbwegs hieß das. Bei geschlossenem Zugang zum Laderaum des Gleiters konnte man unterwegs nicht mehr sehen, wohin der Weg führte. Auch als sich der Zugang wieder öffnete, sah man nicht viel. Außer einer Art Hangar für Schwebegleiter, die immerhin bis zu vierhundert Meter hoch fliegen konnten und selbstverständlich nur von besonders autorisierten Behörden benutzt werden durften, und einem unmittelbar anschließenden hell erleuchteten Gang, gab es nichts. Noch nicht einmal Türen, die von diesem Gang abführten. Zumindest keine sichtbaren. Sicherlich waren die Zugänge zu irgendwelchen Räumlichkeiten, die sich rechts und links des Ganges befanden, nur entsprechend getarnt.
Für wen eigentlich? Für Festgenommene, die hier entlang getrieben wurden wie sprichwörtliches Schlachtvieh, so wie Ernestine Freihaus jetzt?
Bis in eine Art Vernehmungsraum. Der hatte eine Größe von ungefähr zwanzig Quadratmetern, kahle Wände, die aus sich heraus zu leuchten schienen und dabei ein helles Licht erzeugten, das alles sehr gut erkennen ließ ohne zu blenden.
Inmitten gab es einen Tisch mit zwei Mulden.
Ernestine wartete nicht darauf, dass man sie dazu aufforderte: Sie setzte sich auf den ziemlich unbequem aussehenden Metallstuhl, der vor diesem Tisch stand, und legte die Unterarme in diese Mulden.
Sogleich schnappten Metallspangen um ihre Arme und fesselten sie an den Tisch.
Mehr noch: Ernestine spürte ein unangenehmes Kribbeln. Nicht so schlimm wie schwache Stromschläge, sondern halt einfach nur unangenehm.
Sie kannte die Gerüchte, dass die PSI-Squad die Möglichkeit hatte, PSI-Kräfte zu unterdrücken. Gerüchte, die anscheinend tatsächlich der Wahrheit entsprachen.
Was aber, wenn jemand überhaupt keine PSI-Kräfte besaß?
Nun, die PSI-Squad hatte sie festgenommen. Also schien zumindest einer der Vorwürfe zu lauten, ein PSI-Mensch zu sein.
Ernestine lächelte geringschätzig und sah nicht auf, als sie hinter sich Schritte vernahm.
Jemand umrundete den Tisch und nahm ihr gegenüber Platz.
Jetzt erst betrachtete Ernestine den Neuankömmling.
Nun, ganz so neu war dieser tatsächlich nicht, denn es handelte sich offensichtlich um den weiblichen Kommandanten der PSI-Squad, die sie hierher gebracht hatte. Zwar waren die Rüstungen alle so ziemlich gleich, aber Ernestine hatte ein gutes Auge. Ihr entgingen auch die geringsten Nuancen nicht.
„Hallo, Kommandant Takeling!“, sagte Ernestine freundlich.
Bevor sie eine Antwort bekam, nahm ihr Gegenüber den Helm ab. Eine hellblonde Haarfülle bahnte sich wie ein Schwall aus fein gesponnenen Goldfäden ihren Weg. Kommandant Takeling schüttelte zweimal den Kopf und bändigte damit diese Fülle, die wunschgemäß im Nacken landete.
Lächelnd betrachtete sie Ernestine Freihaus.
„Die Schöne und das Biest!“, sagte sie.
„Wie bitte?“, entfuhr es Ernestine Freihaus, denn sie hatte diesen Vergleich noch niemals zuvor gehört. Da war sie ziemlich sicher.
„Ach, es handelt sich nur um ein Theaterstück, das uralt sein muss und immer noch beliebt ist. Natürlich nur bei Leuten, die Theater mögen.“
„Theaterstück?“, wunderte sich Ernestine, denn sie hatte zwar das Wort schon gehört, wusste aber damit nicht viel anzufangen. Zumal sie daran noch nie interessiert gewesen war.
Das normale Volk hatte sowieso keinen Zugang zu Theatern. Es gab nur Dauerberieselung aus genehmigten Übertragungskanälen mit Bild und Ton und natürlich allerlei Propaganda.
Nicht nur Ernestine Freihaus wusste, dass ihre Welt eine Diktatur war, in der nur die Privilegierten von allem Luxus verwöhnt wurden, der überhaupt denkbar war, während der weitaus größte Teil der Bevölkerung in erzwungener Teilprimitivität bleiben musste.
Außer eben der Dauerberieselung. Die war erlaubt. Und Bodenfahrzeuge, um beispielsweise den zugewiesenen Arbeitsplatz zu erreichen. Falls es keine ausreichend gute sonstige Möglichkeit gab, wie Transbusse oder Trails.
Besonders wenn man in einem reinen Wohnviertel untergebracht war wie in Seehafen, das zwar so hieß, wo es aber weit und breit keinerlei Seehafen gab, noch nicht einmal das, was man einen See hätte nennen können. Von hier aus hatte man wenig Chancen, per Trail oder Transbus auf die andere Seite der Hauptstadt Thunmaher zu gelangen. Immerhin eine Stadt mit angeblich zwanzig Millionen Einwohnern. Eine Stadt mithin, in der es eigentlich niemals wirklich Nacht wurde und man kaum jemals allein war, falls man sich nicht in seiner in der Regel ziemlich kleinen Wohnung verschanzte.
Außer für Ernestine Freihaus die letzte Nacht, bei der noch nicht einmal das gelungen war letztendlich. Sie hatte ihre knapp bemessene Freizeit allein daheim verbringen wollen, um endlich mal gründlich auszuschlafen. Bei einer beinahe Fünfzigstundenwoche etwas, was wirklich auch einmal sein musste. Daher hatte sie sich komplett abgeschottet. Was gegen die PSI-Squad jedoch völlig sinnlos blieb.
Und jetzt saß sie hier, gut eine halbe Stunde nach der zwangsweisen Abholung durch die PSI-Squad.
Die Superblondine ihr gegenüber winkte mit beiden Händen ab.
„Ich muss mich nun doch ein wenig entschuldigen, dass wir so ungestüm waren bei Ihrer Abholung.“
„Ungestüm?“, echote Ernestine und dachte an das große Loch in der Außenwand im siebten Stock ihres Wohnblocks, genau dort, wo sich ihre kleine Wohnung befand.
Ehemalige Wohnung!, berichtigte sie in Gedanken und dachte wehmütig an all die lieb gewonnenen Dinge, die sie dort leider hatte zurücklassen müssen.
Die Superblondine lehnte sich bequem zurück – soweit bequem überhaupt auf einem solchen Metallstuhl möglich war -, und betrachtete mit ihren strahlendblauen Augen ihren unfreiwilligen Gast.
Ernestine war leicht dunkelhäutig und hatte langes, pechschwarzes Haar. Ihr Äußeres stand irgendwie im Widerspruch mit dem Äußeren des Squadkommandanten.
„Wer ist nun von uns beiden die Schöne und wer das Biest?“ Diese Frage konnte sich Ernestine beim besten Willen nun doch nicht verkneifen.
Die Blondine lachte amüsiert.
„Du bist natürlich die Schöne, meine liebe Ernestine, und ich das Biest. Immerhin, wenn man die Umstände unseres Kennenlernens berücksichtigt...“
Die tickt nicht ganz richtig!, war Ernestines respektloser Eindruck. Sind denn alle Mitglieder der PSI-Squad so bescheuert? Ist das etwa die Einstellungsvoraussetzung?
Sie konnte das ja nicht wirklich wissen, weil sie, dem großen Suleimangott sei es gedankt, noch niemals mit denen zu tun gehabt hatte. Es war das erste Mal. Aber sie musste zugeben, dass sie niemals auch nur im Entferntesten damit gerechnet hätte, dass eine Vernehmung auf solche Art ablaufen würde.
Falls man das überhaupt Vernehmung nennen konnte. Aber was war es sonst, was hier zelebriert wurde?
„Einfache Frage“, meinte Ernestine mit der gebotenen Vorsicht, „und ich hoffe, es kommt nicht falsch rüber oder so: Wieso bin ich eigentlich hier?“
„Weil ich dich unbedingt kennenlernen musste, Ernestine Freihaus“, war die irritierende Antwort.
„Äh, ja, zugegeben, aber das hätten Sie doch auch einfacher haben können: Ich habe beispielsweise eine Klingel an der Wohnungstür und bin schon ein ganz großes Mädchen, das sogar schon ganz von allein von innen diese Tür öffnen kann. Ein einfaches Hallo - und wir wären ungefähr so weit gewesen wie wir es jetzt hier sind.“
Die Blondine lachte lauthals und wollte sich gar nicht mehr beruhigen.
Als sie endlich wieder sprechen konnte, meinte sie anerkennend:
„Also, das eine muss ich dir wirklich lassen, schöne Ernestine: Unterhaltsam bist du allemal.“
Plötzlich wurde sie todernst und schnellte sich vor wie ein zuschnappendes Raubtier.
Ein Vergleich, der Ernestine unwillkürlich zusammenzucken ließ.
„Du fragst ja gar nicht, wieso du überhaupt hier bist, meine Schöne.“
„Aber das habe ich doch gerade, und Sie haben behauptet, mich einfach nur kennenlernen zu wollen“, protestierte Ernestine lahm.
Die Blondine stand auf und begann, sich ohne weitere Worte aus ihrer Rüstung zu schälen.
Den Helm hatte sie einfach zu Boden fallen lassen. Jetzt folgte das Oberteil mit den Ärmeln und danach die Hose mitsamt den Stiefeln.
Mehr oder weniger fassungslos sah Ernestine ihr dabei zu. Sie konnte sich nicht erinnern, dass es jemals etwas in ihrem Leben gegeben hatte, was sie auch nur annähernd so irritiert hatte.
Am Ende stand die Superblondine in einem leichten Freizeitanzug vor ihr und setzte sich wieder hin, mit einem leisen Lächeln um die Mundwinkel.
„Ich muss mich schon wieder entschuldigen, liebste Ernestine. Ich hätte das blöde Ding auch vorher schon ausziehen können, aber ehrlich gesagt, ich habe es einfach nicht mehr länger ausgehalten. Ich musste einfach zu dir hier herein kommen, um dich ganz persönlich kennenzulernen.“
Ernestine hatte auf der Zunge, etwas ziemlich Unüberlegtes zu sagen, was die Blonde sicherlich als tödliche Beleidigung aufgefasst hätte. Sie konnte es gerade noch in letzter Sekunde verhindern, indem sie sich selber auf die Zunge biss, was ziemlich schmerzte. Ohne sich natürlich etwas anmerken zu lassen.
Kommandant Takeling, die so makellos war als Superblondine, als wäre sie von einem verrückten Wissenschaftler eigens für diese Rolle designt worden, begann, am Tischrand mit den Fingern zu trommeln. Irgendeine Melodie, wie Ernestine vermutete. Allerdings eine, die ihr überhaupt nicht bekannt vorkam. Aber falls es sich tatsächlich um eine Melodie handelte, klang das ziemlich untalentiert. So etwas wie Rhythmusgefühl schien der Superblondinen fremd zu sein.
Was soll das?, fragte sich Ernestine unwillkürlich.
Aber überhaupt: Was soll das?
„PSI-Squad!“, sagte sie vorsichtig, dabei die Blondine nicht aus den Augen lassend. „Das signalisiert doch eigentlich, dass Sie Jagd machen auf PSI-Menschen, oder?“
Die Blondine strahlte sie regelrecht an.
„Na und? Fühlen Sie sich denn überhaupt nicht betroffen?“
„Was denn - ich? Also, ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder, Sie nahmen an, ich sei einer der PSI-Menschen, die unerkannt unter den normalen Menschen leben wollen, also illegal, anstatt sich dem Staat zu Forschungszwecken zur Verfügung zu stellen, oder aber...“
Sie brach ab.
„Oder aber?“, forderte sie die Blondine freundlich auf und fuhr fort mit ihrer Fingertrommel.
Ernestine spürte, dass sie das zu nerven begann, aber sie schwor sich hoch und heilig, tapfer zu bleiben. Wenn sie hier nicht mitspielte, konnte das nur übel für sie enden. Obwohl diese Blondine mit ihrem verrückten Gehabe das Gegenteil zu signalisieren schien.
„Oder aber, Sie nehmen zumindest an, dass ich von irgendeinem illegalen PSI-Menschen weiß, und erhoffen sich von mir entsprechende Aussagen.“
„Erhoffen? Nun, behaupten denn nicht die Gerüchte, dass wir Aussagen in der Regel zu erzwingen trachten? Also, wenn ich das richtig verstehe, heißt es, wir foltern unsere Opfer bis zum Tode, um an das heranzukommen, was wir wissen wollen.“
„Ist es denn so?“, erkundigte sich Ernestine prompt, und schon wieder hätte sie sich gern auf die Zunge gebissen, obwohl es schon zu spät war: Die möglicherweise zu provokanten Worte hatten ihre Lippen leider schon verlassen.
Die Blondine lachte nur kurz auf wie über einen lahmen Scherz.
„Natürlich nicht, liebe Ernestine. Und übrigens, ich bin für dich ganz einfach Takeling. Du brauchst mich nicht zu siezen. Wir sitzen ja hier beide im wahrsten Sinne des Wortes im selben Boot.“
Sie zeigte mit dem Zeigefinger ihrer Linken in die Runde, während die Finger ihrer Rechten immer noch mit dem nervigen Trommeln beschäftigt blieben.
„Obwohl es sich natürlich nicht wirklich um ein Boot handelt, sondern um eine Art Vernehmungszimmer.“
Sie deutete auf die beiden Unterarmfesseln.
„Ach ja, meine Schöne, ist es dir bequem genug?“
„Nun – äh -, ich kann nicht klagen.“
„Gut, prima, da bin ich aber froh. Ich möchte nämlich nicht, dass du dich nicht wohl fühlst.“
„Sollte ich mich denn wohlfühlen?“
„Ja, klar! Das klingt jetzt wahrscheinlich ein wenig verrückt, also lass es mich ein wenig anders formulieren: Wohlfühlen den Umständen entsprechend meine ich natürlich.“
„Ja, alles bestens!“, log Ernestine.
Prompt drohte Takeling mit dem erhobenen Zeigefinger.
„Jetzt schwindelst du mich aber an, böse, böse schöne Frau!“, warf sie Ernestine vor.
Ernestine zuckte erschrocken zusammen. Jetzt begriff sie endlich, was die ganze Charade hier sollte: Die Blondine war ein Telepath. Sie brauchte keine gezielten Fragen zu stellen, sondern musste nur ihr Vernehmungsopfer durch sinnlos erscheinende Ablenkungsmanöver in Sicherheit wiegen, um dabei möglichst viel und natürlich möglichst unbemerkt in dessen Erinnerungen herumstochern zu können, um genau das dort zu finden, wozu man Ernestine überhaupt festgenommen hatte.
Was allerdings die Telepathin nicht wissen konnte: Ernestine hatte längst gelernt, ihre Gedanken so zu steuern, dass genau dieses niemals passieren konnte: Blondie würde niemals auf diese Weise zu einem Ziel gelangen!
Zwar fiel es Ernestine schwer, sich soweit zu beherrschen, dass nicht doch noch der eine oder andere ketzerische Gedanke in ihr aufblitzte, den sie niemals hätte ungestraft über die Lippen bringen dürfen, aber ansonsten würde auch der fähigste Telepath sich sprichwörtlich bei ihr die Zähne ausbeißen.
Doch ihr Erschrecken war natürlich von Takeling durchaus bemerkt worden. Sie betrachtete Ernestine besonders aufmerksam. Diese spürte es zwar nicht, weil dazu die Squad-Frau viel zu geschickt vorging, doch sie war sicher, dass Takeling dabei versuchte, noch tiefer in ihre Gedanken einzudringen.
Sie stieß dabei scheinbar auf keinerlei Widerstand. Obwohl dieser natürlich da war, dieser Widerstand. Doch Ernestine hatte alles, was sie hätte belasten können, so versteckt in den Tiefen ihrer Seele, dass sie in diesem Moment noch nicht einmal selbst Zugang dazu erhalten hätte.
Vor Squad-Kommandant Takeling schien eine völlig unbescholtene, noch jung wirkende und ziemlich rassige Schönheit zu sitzen, die immer nur fleißig ihrer Arbeit nachging in einem Büro der Innenstadt, beinahe keinerlei Freunde oder Bekannte hatte und es eben ganz besonders liebte, allein zu leben.