Читать книгу Kreuzweg vieler Welten : Science Fiction Sammelband: 1000 Seiten Roman Paket - Alfred Bekker - Страница 12
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Ihr Körper versank in Schlafstarre, ihr Gehirn reduzierte sich auf die Grundfunktionen. Das typische Gehirnmuster eines Menschen in tiefem Schlaf entstand. In diesem Zustand waren keine Erinnerungen wach. Also würde ein Telepath vergeblich versuchen, sie anzuzapfen.
Ihr Geist war wie verschwunden. Und in diesem speziellen Fall war er das sogar: Verschwunden! Im wahrsten Sinne des Wortes nämlich. Denn jetzt weilte der Geist von Ernestine Freihaus nicht mehr in dieser Welt, sondern... in einer anderen.
Hier hieß sie genauso wie in ihrer Welt: Ernestine Freihaus. Ein Name, den sie von ihren Eltern bekommen hatte. Und auch das Schicksal ihrer Eltern hier unterschied sich nicht von ihren Eltern dort, woher sie gekommen war an diesem frühen Morgen: Sie lebten schon seit Jahren nicht mehr!
Es war Morgen in beiden parallel existierenden Welten. Ein strahlend heller Morgen, was sie im Hauptquartier der PSI-Squad in Gefangenschaft in einer Zelle ohne Fenster nicht gesehen hätte. Aber sie sah es hier, als sie sich erhob von ihrem Bett.
Es war zumindest beinahe die gleiche Welt, ergo das gleiche Wetter, der gleiche immer helle Himmel, falls er nicht gerade von Wolken getrübt wurde oder es Nacht war, eine Welt, die sogar genauso hieß: SULEIMAN. Hier wie da waren niemals in der Nacht Sterne sichtbar und niemals am Tag die Sonne. Es wurde einfach nur hell und dunkel. Ja, auf SULEIMAN galten Sonne und Sterne sogar als Mythos.
Es existierten auch keine Flugzeuge. Eben nur Gleiter, die höchstens vierhundert Meter hoch fliegen konnten. Aber einer Höhe von einem Kilometer wurde jeder Flug zur Todesfalle: Man verschwand einfach im Nichts! Und niemand wusste, wieso das war.
Zwei identische Welten einerseits – und doch andererseits mit gewissen Unterschieden, die sich gravierend auswirkten. Denn hier, in der parallelen Welt, herrschte keine gnadenlose Diktatur. Es verbreiteten auch keine rücksichtslosen Spezialeinheiten wie die PSI-Squad Angst und Schrecken. Es herrschte eine weitgehend harmonische Demokratie. Weltweit. Aufgeteilt in kleinere und größere Staaten zwar, die jedoch friedlich miteinander kooperierten.
Vor allem gab es hier eines absolut gar nicht: Jagd auf Mutanten, die ganz einfach nur einigermaßen normal leben wollten – und das auch noch unter Normalen! Ganz im Gegenteil: Hier hatten die Mutanten das Sagen!
Und sie nutzten ihre Vorherrschaft keineswegs dazu aus, die normalen Menschen zu unterdrücken, die bei weitem in der Mehrzahl geblieben waren!
Mutanten, die sich nicht an dieses eherne Gesetz des verbotenen Missbrauchs jeglicher Fähigkeiten hielten, wurden von den besonnenen Mutanten also als Kriminelle durchaus gejagt, isoliert von allem und damit für den Rest ihres Lebens unschädlich gemacht. Aber eben nur solche!
Ernestine Freihaus war das einzige Wesen auf beiden Welten jedoch, das überhaupt wusste, dass es tatsächlich zwei parallele Welten mit dem gleichen Namen gab. Ohne auch nur zu ahnen, wieso dies so war.
Sie sah es als ihre dringlichste Aufgabe an, herauszufinden, was dazu geführt hatte. Aus sehr gutem Grund, denn beide Welten waren untrennbar miteinander verbunden, obwohl es außer Ernestine niemand je bewusst wahrnahm. Diese beiden Parallelwelten waren sogar dermaßen stark miteinander verbunden, dass aller Schicksale voneinander abhängig waren. Falls also hier ein Mensch einer tödlichen Krankheit erlag, starb auch sein Gegenpart in der anderen Welt.
Dazu war eine Verbindung zwischen allen Lebewesen nötig, die stärker gar nicht mehr hätte sein können. Obwohl niemandem dies jemals bewusst wurde.
Außer eben einer, nämlich Ernestine Freihaus.
„Drüben“ war sie eine kleine Büroangestellte gewesen bis zu diesen Morgen, die alles tat, unauffällig zu bleiben, was letztlich doch nicht wunschgemäß abgelaufen war. Hier jedoch spielte sie eine völlig andere Rolle: Sie war im Grunde genommen das, was Kommandant Takeling drüben war. Sie gehörte nämlich einer Spezialeinheit an, einer Squad – als Kommandant.
Außerdem nannte man diese Spezialeinheit ebenfalls... PSI-Squad. Jedoch unterschieden sich ganz erheblich ihre Ziele und ihre Methoden von denen in der anderen Welt. Sie gingen niemals rücksichtslos vor, um Kollateralschäden zu vermeiden. Und sie machten eben niemals Jagd auf Unschuldige, die einfach nur möglichst normal leben wollten, sondern ausschließlich auf kriminelle PSI-Menschen.
Diese gab es leider immer wieder, und deshalb war die PSI-Squad in dieser Welt auch bitter nötig.
Ganz im Gegensatz eben zur Parallelwelt, wo ganz offensichtlich nur deshalb Jagd gemacht wurde auf Mutanten, um sie zu konditionieren oder zumindest an ihnen grausige Experimente durchzuführen. Vor allem jedoch, um zu verhindern, dass ihnen jemals das gelang, was ihnen hier gelungen war: Nämlich die Macht zu übernehmen und dabei Frieden und Wohlstand über die ganze Welt zu bringen.
Ernestine musste nicht nachdenken, um zu entscheiden, was sie für besser fand: Die Macht in den Händen besonnener Mutanten oder in den Händen rücksichtsloser Normalmenschen. Sie hatte an diesem Morgen ja eindrucksvoll genug am eigenen Leib spüren müssen, was es hieß, Opfer von denen zu werden.
Das Schlimmste war für sie eigentlich die Erkenntnis, dass ausgerechnet Mutanten maßgebend waren in der PSI-Squad drüben. Sie jagten doch tatsächlich ihre eigenen Leute, und es war ihnen völlig egal dabei, ob sie dabei Schaden anrichteten und es sogar Menschenleben kostete.
Sie trat ans Panoramafenster, durch das sie Aussicht hatte über die gesamte Stadt Thunmaher. In einer Wohnung, die sich in der anderen Welt nur die Höchstprivilegierten hätten leisten können. Im gewissen Sinne war natürlich auch sie hier privilegiert, als Kommandant der PSI-Squad. Obwohl sie leider keinerlei PSI-Fähigkeiten hatte.
Außer einer, um genauer zu sein: Sie war eben das einzige Wesen, das bewusst in beiden Welten lebte. Was für sie ein unschätzbarer Vorteil war. Denn wenn sie in einer Welt zu Tode kam, zog sich ihr Geist in die andere Welt zurück, um von dort aus erneut hinüber zu wechseln und zu neuem Leben zu erwachen.
Das war durchaus schon vorgekommen. Nicht in der anderen Welt, in der sie sich gerade schlafend in einer Zelle befand, während ihrer beider Geister sich hier vereint hatten, sondern ausgerechnet hier im Einsatz. Jedes Mal war es um gefährliche hoch kriminelle Mutanten gegangen, die ihre besonderen Fähigkeiten eingesetzt hatten, um alle anderen, vor allem die Normalmenschen, denen sie weit überlegen waren, zu übervorteilen, ohne jegliche Skrupel.
Psychopathen gab es halt auf beiden Seiten, sowohl unter Mutanten als auch unter normalen Menschen, und es musste ihnen das Handwerk gelegt werden. Ganz besonders könnte das eigentlich in der anderen Welt zutreffen, in der ganz offensichtlich Psychopathen die Macht hatten.
Seit Ernestine die Erfahrung gemacht hatte, dass es bei der PSI-Squad drüben Mutanten gab wie jene Takeling, keimte in ihr sogar der Verdacht, dass es möglicherweise auch in der Führungselite drüben Mutanten gab. Es würde erklären, wieso sie dermaßen darauf aus waren, jegliche Mutanten für eigene Zwecke zu missbrauchen, ehe von denen auch nur die geringste Gefahr für sie hätte ausgehen können.
Ob sie damit richtig lag, konnte sie natürlich nicht sagen. Es war auch bislang nicht ihre Mission gewesen drüben, dies herauszufinden. Denn ihre Mission hatte völlig anders gelautet:
Möglichst unauffällig bleiben und dabei alles tun, um unter anderem herauszufinden, ob es noch jemanden dort drüben gab wie sie, der in der Lage war, in beiden Welten bewusst zu leben.
Das hieß, hier, in dieser Welt, wussten ihre Auftraggeber natürlich um ihre besondere Fähigkeit, und sie bemühten sich ihrerseits hier, jemanden wie Ernestine zu finden.
Bislang leider vergeblich.
Und nun das: Sie war auf jeden Fall drüben aufgeflogen. Mit Konsequenzen, die jetzt noch gar nicht absehbar waren.
Ernestine musste endlich Bericht erstatten an ihre Kommandozentrale. Vielleicht fiel denen dort ein, wie sie sich in der anderen Welt weiterhin verhalten sollte, um den Schaden möglichst klein zu halten, der dadurch mit Sicherheit entstanden war.
Zumindest würde man dort nicht einmal ahnen können, welche Fähigkeit sie besaß. Obwohl sie sich dennoch fragte, wie man überhaupt auf sie hatte aufmerksam werden können.