Читать книгу Kreuzweg vieler Welten : Science Fiction Sammelband: 1000 Seiten Roman Paket - Alfred Bekker - Страница 17
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ОглавлениеNach der Trennung von ihrem anderen Ich und der Rückkehr in ihren Körper, der ja nach wie vor in der Zelle lag, erwachte Ernestine.
Es war immer noch taghell hier. Anscheinend wurde absichtlich das Licht nicht gelöscht, vielleicht um der Gefangenen jegliches Zeitgefühl zu nehmen?
Sie richtete sich langsam auf, setzte sich auf den Rand der Liege und blickte zu Wand hinüber.
Als wäre das ein verabredetes Zeichen, öffnete sich dort der Durchgang nach draußen. Darin erschien Kommandant Takeling. Sie wirkte ungewöhnlich ernst.
„Was war denn das?“, fragte sie anstelle einer Begrüßung.
„Wie bitte?“, machte Ernestine nur und schaffte es, ihren Kopf weitgehend leer erscheinen zu lassen.
Die Telepathin musterte sie aufmerksam. Es war erschreckend und faszinierend zugleich, das Forschen im Kopf durch die Telepathin nicht zu spüren und dabei trotzdem zu wissen, dass sie jetzt dort regelrecht herumwühlte. Um was zu erfahren?
Die Frage wurde natürlich von Kommandant Takeling aufgenommen. Sie antwortete darauf, obwohl diese Worte nicht über Ernestines Lippen gegangen waren:
„Ich will wissen, was während deines Tiefschlafs geschehen ist!“
„Während des Tiefschlafs? Nicht dein Ernst, Kommandant Takeling: Was meinst du denn, was im Kopf so abläuft, während ein Mensch sich im Tiefschlaf befindet?“
„Ja, klar, leugne nur, Ernestine – und versuche, mich zu verhöhnen. Das macht mir nichts aus, weil ich es ganz genau weiß, dass du dich absichtlich in Tiefschlaf versetzt hast. Ungewöhnlich lang sogar. Und was hast du in dieser Zeit gemacht?“
„Na, geschlafen?“
Takeling lachte unecht.
„Also gut, reden wir Klartext...“
Sie trat zur Seite, um einem noch ziemlich jung erscheinenden Mann in sportlicher Freizeitkleidung Platz zu machen. Ebenfalls ein Mitglied der hiesigen PSI-Squad? Das war jedenfalls nicht zu erkennen.
Erstaunt betrachtete Ernestine von ihrer Liege aus den Neuen.
Oder war er sogar mit dabei gewesen, als man sie regelrecht überfallen hatte?
„Nein“, antwortete Takeling auf diese lautlos gestellte Frage: „Dieser hier war nicht mit dabei gewesen. Er arbeitet sozusagen nur aus dem Hintergrund und geht niemals persönlich in einen Einsatz. Dafür ist er viel zu wertvoll für uns.“
„Aha?“, machte Ernestine, nur wenig interessiert. Obwohl sie sich in Gedanken durchaus fragte:
Was soll das denn jetzt eigentlich?
Kommandant Takeling lächelte entwaffnend.
„Dieser junge Mann hier, so unscheinbar er auch wirken mag, ist in der Tat die wichtigste Person überhaupt in der PSI-Squad, weil er der einzige Mensch ist auf der ganzen Welt, der PSI-Aktivitäten aufspüren kann. Bei dir hat das zwar ziemlich lange gedauert, und doch hat er es geschafft, dir auf die Schliche zu kommen. Allerdings behauptet er, deine Signatur sei so ungewöhnlich, dass er nicht in der Lage sei, dich einzuordnen.“
„Jetzt verstehe ich endlich!“, behauptete Ernestine und tat sogar erleichtert, ohne sich in Gedanken natürlich zu widersprechen: „Er hat etwas bei mir entdeckt, was er nicht einordnen kann, aber jeder ist jetzt dennoch überzeugt davon, dass es sich bei mir nur um PSI handeln kann. Dabei bin ich nur in der Lage, mich in Tiefschlaf zu versetzen, wie du schon richtig festgestellt hast, Takeling. Ich darf dich doch so nennen, oder? Hast es mir ja selber angeboten.“
Die Angesprochene schüttelte heftig den Kopf.
„Ich habe das persönlich überprüft, mehrfach sogar: Klar warst du im Tiefschlaf, aber der verlief anders als bei einem normalen Menschen.“
„Anders? Inwiefern? Weil er vielleicht länger dauerte als gewöhnlich? Das ist doch vielleicht nur eine besondere Eigenschaft bei mir, die mir leider in die Wiege gelegt wurde. Dafür kann ich nichts.“
„Nein, dafür kannst du nichts. Und ja, das wurde dir in die Wiege gelegt: Dich in Tiefschlaf zu versetzen, um... was zu tun? Kannst du dabei deinen Geist durch Wände gehen lassen oder wie? Was sonst?“
Jetzt lächelte Ernestine.
„An Fantasie mangelt es dir ja nicht, wie ich sehe. Aber was sagt denn euer lebender PSI-Detektor hier dazu?“ Sie wandte sich direkt an diesen. „Wie darf ich Sie denn nennen?“
„Gar nicht!“, antwortete Takeling an seiner Stelle.
Er blieb konzentriert und neutral. Worauf konzentrierte er sich denn eigentlich? Klar, auf Ernestine, aber was wollte er jetzt bei ihr noch feststellen?
Beinahe verlor Ernestine ein wenig ihrer innerlichen Beherrschung, aber sie hatte jahrelang für so etwas trainiert. Wenn sie nicht wollte, konnte sie auch der beste Telepath nicht aushorchen. Sonst wäre sie nie Kommandant der PSI-Squad in der anderen Welt geworden.
Also lächelte sie jetzt nur und wartete ab.
Der lebende PSI-Detektor, wie Ernestine ihn nannte, wandte sich an Takeling.
„Nichts!“, sagte er.
Kommandant Takeling war darüber alles andere als amüsiert.
„Aber du hast doch während des Tiefschlafs von ihr PSI-Aktivitäten wahrgenommen?“
„Ja, ich habe etwas wahrgenommen, aber etwas, was ich nicht einordnen kann, wie ich schon sagte.“
„Ist es nun PSI gewesen oder nicht?“
„Ich bin der Meinung, dass ja, aber ich weiß es einfach nicht sicher, weil es eben von allem abweicht, was mich meine Erfahrung lehrt.“
„Also gut, bleiben wir zunächst dabei. Du kannst vorerst abtreten. Aber halte dich zur Verfügung.“
Er nickte ihr nur kurz zu, bedachte Ernestine keines Blickes mehr und verschwand.
Ernestine hörte seine leisen Schritte, wie sie sich im Gang entfernten, während Kommandant Takeling ganz eintrat.
Die Tür hinter ihr blieb offen. Sie schien nicht zu befürchten, dass Ernestine Tendenz hatte auszubrechen, und damit lag sie durchaus richtig, denn Ernestine rechnete sich keine Chancen aus, weit zu kommen. Sie kannte ein solches Gefängnis, weil es so etwas natürlich auch in der anderen Welt gab. Niemand konnte da entrinnen, es sei denn, er hatte ganz besondere Fähigkeiten. Aber in einem solchen Fall wäre Kommandant Takeling nicht so sorglos hier aufgetreten.
Jetzt ging sie zum Tisch hinüber, nahm den Metallstuhl, der davor stand, drehte ihn so, dass sie Ernestine direkt ansehen konnte, wenn sie sich darauf niederließ, und setzte sich.
Ernestine lächelte immer noch.
„Es tut mir leid, wenn ich dich dermaßen enttäuschen muss: Du meinst natürlich, dass du einen Mutanten eingefangen hast, und jetzt willst du, dass es irgendwie weiter geht. Was würde denn in einem solchen Fall, also wenn ich wirklich ein Mutant wäre, als nächstes passieren? Irgendein PSI-Labor oder was? Gibt es so etwas überhaupt bei euch?“
Stumm beobachtete Takeling sie, um nicht zu sagen: Sie schätzte Ernestine ab.
„Du bist nicht die kleine Büroangestellte, die du spielst. Ich habe es genauestens überprüft. Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt, dass du jemals mit anderen Mutanten zusammengekommen wärst. Ich finde nichts in deinen Erinnerungen außer eben dein ödes Dasein als Büroangestellte, mit jedem Tag dem gleichen Trott.“
„Wie gesagt: Ich bedauere es sehr, dass ich dich dermaßen enttäusche, aber leider kann ich halt nicht mehr bieten.“
„Du könntest durchaus, aber du willst nicht, und du bist immerhin geschickt genug, alle verräterischen Gedanken vor mir zu verbergen. Ehrlich gesagt, das habe ich noch niemals zuvor erlebt. Die einzigen, die es bisher geschafft haben, ihre Gedanken vor mir einigermaßen zu verbergen, waren Mutanten mit telepathischen Fähigkeiten.“
„Aha? Gewissermaßen kann ein Telepath den anderen nicht belauschen oder was? Da wusste ich gar nicht.“
„Weil du sowieso überhaupt gar nichts über Mutanten weißt, nicht wahr?“, fragte Takeling provozierend.
Ernestine hörte nicht auf zu lächeln.
„Ja, ganz genau!“, bestätigte sie.
„Und jetzt, in diesem Moment, scheint es keinerlei PSI in dir zu geben. Du wirkst wie ein ganz normaler Mensch.“
„Eben wie eine kleine Büroangestellte? Bestimmt deshalb, weil ich das halt bin: Eine kleine Büroangestellte. Und ich finde das keineswegs so öde wie du. Klar, das ist sicherlich nicht so aufregend wie der Dienst in der PSI-Squad, zugegeben, aber ich bin voll und ganz zufrieden mit meinem Job, mit meinem Leben...“
„Mit deiner Wohnung?“, unterbrach Takeling sie.
„Tja, falls es die überhaupt noch geben würde. Es ist schon ziemlich schlimm für mich, dass ich durch euch all die kleinen, jedoch lieb gewonnenen Dinge, die ich in meiner Wohnung hatte, für immer verloren habe.“
„Wer sagt das denn?“, widersprach Takeling. „Wir haben die komplette Wohnung natürlich ausgeräumt. Als wir bei dir eindrangen, haben wir nur die Wand teilweise aufgelöst, aber sonst nichts beschädigt. Inzwischen wurde alles gesichtet und von speziellen Kollegen überprüft. Wenn wir hier fertig sind und das Ergebnis zu deinen Gunsten ausfällt, kannst du alles wieder haben.“
„Oh, wirklich?“, freute sich Ernestine, und sie gab keinerlei Anlass dazu, an ihrer Freude zu zweifeln, auch nicht für einen Telepathen.
Takeling schnalzte verächtlich mit der Zunge.
„Ich muss zugeben, dein Schauspiel ist exzellent. Allein dafür bist du nicht zu Unrecht festgenommen worden. Diese ganze Charade von einem möglichst unauffälligen Leben als möglichst unauffällige Person passt so wenig zu dir wie...“
Sie brach ab, weil ihr anscheinend gar kein passender Vergleich einfallen wollte.
Jetzt musste Ernestine lachen.
„Bitte, sei mir nicht böse, Takeling, und nicht nur deshalb nicht, weil ich mir das ganz und gar nicht leisten kann in meiner Situation, aber vielleicht versuchst du nur mit aller Macht, etwas in mir zu sehen, was ich ganz einfach nicht bin!“
„Ja?“, machte daraufhin Takeling und ließ ihren Oberkörper vorschießen. „Was wäre das denn deiner Meinung nach?“
„Na, ein Mutant halt! Und nein, ich bin leider kein Mutant. Nicht dass ich mir das je gewünscht hätte, aber ich kann halt nicht damit dienen. Euer lebender Detektor hat sich geirrt. Und er ist ja noch nicht einmal sicher.“
„Er nicht, ja, aber ich umso mehr, denn vielleicht ist ja genau das deine ganz besondere Fähigkeit? Du beherrschst die perfekte Tarnung, und es ist meine verdammte Aufgabe, dahinter zu kommen, was du in Wahrheit verbirgst. Wer ist diese schöne Ernestine Freihaus mit dem perfekten Alibi als Nichtmutant in Wirklichkeit? Na?“
„Ach, du meinst doch nicht etwa, es wäre besser für mich, weniger gut auszusehen, um damit noch leichter etwas verbergen zu können, was ich leider nicht bin?“, vergewisserte sich Ernestine und konnte nicht verhindern, dass es ein wenig zu süffisant klang.
Kommandant Takeling lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme unter den wohlproportionierten Brüsten.
„Ja, zugegeben, das trifft so ungefähr zu. Ich finde tatsächlich, dass dies dein einziger Fehler ist. Und natürlich der Umstand, dass du leider im Tiefschlaf einen Hinweis gibst auf eine PSI-Fähigkeit, die anscheinend dermaßen selten auftritt, dass unser lebender Detektor, wie du ihn nennst, keinerlei Vergleich findet.“
Ernestine sah sie an und wusste in diesem Moment definitiv, dass sie diese Zelle niemals würde verlassen können, ohne dass Kommandant Takeling zu einem Schluss gekommen war, den sie akzeptieren konnte.
Egal, was sie auch tun würde: Diese Takeling würde niemals aufhören, sie zu verdächtigen, ein Mutant zu sein.
Hatte sie denn unter solchen Umständen überhaupt noch etwas zu verlieren?
Ohne vorher zu überlegen, einfach nur, um zu vermeiden, dass die Blondine schon zuvor wusste, was sie sagen würde, kam es über Ernestines Lippen:
„Jetzt weiß ich endlich, woher ich dich kenne, Sostra Tierens!“
Kommandant Takeling fuhr dermaßen heftig zusammen, als hätte sie einen starken Stromschlag erhalten. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie Ernestine an. In ihr ging dabei etwas vor, was Ernestine überhaupt nicht begreifen konnte.
Bis nach einer gefühlten Ewigkeit Kommandant Takeling ächzte:
„Wie kommen Sie auf diesen Namen?“
Wieso siezte die Squad-Frau plötzlich ihre Gefangene?
Ernestine Freihaus musterte sie – und glaubte zu begreifen: Sie hatte anscheinend allein schon mit der Nennung des echten Namens etwas in Kommandant Takeling ausgelöst, das diejenigen, von denen sie konditioniert worden war, offensichtlich so tief in ihr begraben hatten, dass sie selbst nichts mehr davon gewusst hatte.
Mit anderen Worten: Kommandant Takeling hatte möglicherweise gar nicht mehr gewusst, dass sie ehemals Sostra Tierens gewesen war.
Prompt wollte in Ernestine so etwas wie Hoffnung aufkeimen, doch diese wurde sogleich von der Squad-Frau wieder nachhaltig zerstört:
„Das ist also deine besondere PSI-Begabung! Du weißt Dinge, die du niemals wissen kannst!“
„Nein, keineswegs: Ich habe dich einfach nur wieder erkannt, eben als Sostra Tierens!“, versuchte Ernestine sich zu herauszureden.
Und abermals zuckte Kommandant Takeling bei der Nennung dieses Namens zusammen.
Unbarmherzig fuhr Ernestine fort:
„Nur ist es anscheinend so, dass du alles Wichtige vergessen hast, was damals jene Sostra Tierens ausgemacht hat, weil man dich zum Kommandanten Takeling hat werden lassen. Ich weiß zwar nicht, wie die das angestellt haben, aber ich halte es für wahrhaft unglaublich.“
„Ich kann mich in der Tat kaum mehr an das erinnern, was du mein früheres Leben nennst. Das war eine andere Person damals. Ich bin das schon lange nicht mehr. Schon seit Jahren, um genauer zu sein. Und jetzt behauptest du tatsächlich, mich aus dieser Zeit zu kennen?“
„Nun, wir waren nicht gerade dick befreundet. Allein schon, weil wir beide lieber allein bleiben wollen. Schon immer. Du anscheinend deshalb, weil du nicht ständig mit fremden Gedanken überflutet werden wolltest, und...“
„Schluss damit!“, herrschte Kommandant Takeling sie an. Jetzt hatte sie sich wieder vollkommen im Griff.
Man konnte auch sagen: Jetzt hatte wieder die Konditionierung die volle Kontrolle über sie übernommen.
Es war schon mehr als ungewöhnlich, wenn man sogar in der Lage war, einen ausgewachsenen Telepathen dermaßen zu konditionieren. Auf jeden Fall hatte man aus einer harmlosen PSI-Frau, die einfach nur in Ruhe hatte gelassen werden wollen, eine regelrechte Waffe werden lassen. Sicherlich ziemlich erfolgreich. Da war es kein Wunder, dass sie niemals Ernestine würde wieder frei lassen.
Es gab für Ernestine hier nur noch zwei Optionen: Entweder sie verriet der Squad-Frau ihre wahre Fähigkeit, um danach genauso zum Roboter im Dienst der hiesigen PSI-Squad zu werden, oder aber sie fand hier ihren Tod.
Zwar war sie in der Lage, danach zu neuem Leben zu erwachen, doch wenn die PSI-Squad hier sie einmal gefunden hatte, würde sie das auch ein zweites Mal schaffen. Davon jedenfalls musste Ernestine ausgehen.
Sie konnte sich keine Situation mehr vorstellen, die auswegloser hätte sein können.