Читать книгу Kreuzweg vieler Welten : Science Fiction Sammelband: 1000 Seiten Roman Paket - Alfred Bekker - Страница 19
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Ernestine Freihaus in Welt 2 wusste selber nicht, wie ihr geschah. Gerade wollte sie zu jener Tanja Duwall, alias Sostra Tierens, zurückkehren, vor dem Haupteingang zum Einkaufszentrum, als plötzlich der Kontakt mit ihrem anderen Ich auf Welt 1 zustande kam. Sie sah deutlich vor ihren Augen jene Sostra Tierens, die hier als Kommandant Takeling auftrat, wie sie ihr gegenüber auf einem Metallstuhl saß und jetzt schreckensbleich und mit geweiteten Augen sie anstarrte.
Nach einer Sekunde verblasste das Bild. Ernestine war danach dermaßen schwindlig, dass sie dankbar war, als Tanja Duwall herbeisprang, um sie zu stützten.
Die zufälligen Passanten, die vorüber hasteten, immerhin vor dem Haupteingang des größten Einkaufszentrums der Hauptstadt, dachten wohl, zwei alte Freundinnen hätten sich endlich wiedergefunden, nahmen also kaum Notiz von dieser Szene.
Tanja Duwall drängte dennoch:
„Komm, wir müssen hier weg!“
Willenlos ließ sich Ernestine von ihr führen. Sie murmelte unterwegs nur:
„Wir müssen uns dringend unterhalten!“
„Ja“, bestätigte Tanja Duwall grimmig, „dieser Meinung bin ich allerdings auch!“
Abseits vom größten Trubel blieben die beiden stehen.
„Vielleicht sollten wir irgendwo etwas trinken gehen?“, schlug Ernestine vor.
Tanja schüttelte heftig den Kopf.
„Das würde dir so passen: Nein! Ich will hier und jetzt Rede und Antwort. Was, um alles in der Welt, war das vorhin?“
„Ich - ich weiß nicht recht“, versuchte sich Ernestine lahm herauszureden. „Ich erinnerte mich doch nur an etwas.“
„Eine Erinnerung? Wer war diese Frau auf dem Stuhl, die dich so entsetzt anstarrte? Eine Erinnerung? Im Ernst?
Nie im Leben! Das war etwas anderes. Zumal diese Frau eine verblüffende Ähnlichkeit hatte mit mir.“
„Weil du das selber warst?“, sagte Ernestine, als wäre es nur eine Vermutung.
„Ich selber? Nein, mit Sicherheit nicht. Ich habe nie auf einem Stuhl vor dir gesessen und dich entsetzt angestarrt. Das Entsetzen war echt. Wenn du mich jemals mit irgendetwas dermaßen entsetzt hättest, wüsste ich das. Oder meinst du, ich sei völlig verblödet?“
Ernestine wusste nicht, was sie sagen sollte. Und sie konnte auch nicht darüber nachdenken, weil sie wusste, dass diese Tanja Duwall ihre Gedanken las.
Tanja Duwall trat einen Schritt zurück.
„Ich weiß immer noch nicht, wer du bist!“, stellte sie fest.
Darauf wusste Ernestine durchaus die passende Antwort:
„Ich bin Ernestine Freihaus. Weißt du denn nicht mehr? Ich arbeite in der Innenstadt in einem Büro, ziemlich in der Nähe von hier. Deshalb kam ich jetzt zufällig hier vorbei und...“
„Zufällig?“, zweifelte Tanja Duwall. „Höre endlich auf mit diesen Lügen. Du weißt, wer ich einmal war, aber ich bin sicher, dass wir uns noch niemals begegnet sind. Also, woher kennst du meinen alten Namen? Wer bist du eigentlich wirklich? Und behaupte jetzt bitte nicht wieder, eine Büroangestellte, die mir jetzt zufällig über den Weg gelaufen ist.“
„Was hast du mit mir angestellt?“, fragte jetzt Ernestine ihrerseits zu Tanjas Überraschung.
Ernestine hatte sich endlich wieder besser im Griff. Das Erlebnis, ohne eigenes Zutun plötzlich mit ihrem andere Ich verbunden zu werden, hatte sie dermaßen mitgenommen, wie sie insgeheim gestehen musste, dass sie tatsächlich eine Weile benötigt hatte, um das zu verarbeiten. Zumal sie ja überaus vorsichtig sein musste, um sich mit ihren Gedanken nicht zu verraten.
„Was ich mit dir angestellt habe?“, echote Tanja irritiert. „Was soll denn diese saublöde Frage? Ich habe gar nichts mit dir angestellt. Warum sollte ich denn auch?“
„Du forschst also nicht die ganze Zeit über schon in meinem Kopf herum?“, provozierte Ernestine sie.
Tanja erschrak sichtlich.
„Du weißt, dass ich das kann?“
„Natürlich weiß ich das, Tanja Duwall, alias Sostra Tierens.“ Und jetzt beschloss Ernestine, die Karten offen zu legen, zumindest was ihre wahre Rolle betraf. Ansonsten würde sie endgültig jegliches Vertrauen dieser Tanja Duwall verspielen und nicht mehr an sie heran kommen.
Anderseits: Eigentlich war ja Tanja Duwall jetzt nicht mehr so wichtig, denn es war inzwischen klar geworden, dass dieser Kommandant Takeling tatsächlich das zweite Ich von Tanja Duwall war, wie sie hier vor ihr stand.
Ernestine tat es trotzdem:
„Du hast recht: Unsere Begegnung ist nicht zufällig, und wir sind uns zuvor noch nie begegnet. Ich weiß allerdings so ziemlich alles über dich, zumindest das, was relevant ist. Und ich bin hier, um mit dir in Kontakt zu treten.“
Tanja Duwall sah sich gehetzt um, als würde sie jeden Augenblick so etwas wie einen tätlichen Angriff befürchten.
„Du brauchst keine Angst zu haben, Sostra, ich bin nicht hier, um dir Böses anzutun. Und ich bin außerdem allein gekommen.“
„Nenne mich nicht so!“
„Verzeihung, mein Fehler. Tanja Duwall, du musst wirklich nichts von mir befürchten. Dein Geheimnis ist bei mir bestens aufgehoben. Und ich habe auch keinerlei Interesse daran, irgendetwas in deinem Leben zu verändern.“
„Und wieso hast du mich trotzdem regelrecht überfallen?“
„Ich bin Kommandant der PSI-Squad!“, bekannte Ernestine Freihaus freimütig. „Deshalb weiß ich so viel über dich – und deshalb kannst du zwar meine Gedanken lesen, aber nichts von dem, was du nicht erfahren sollst aus diesen Gedanken.“
„Äußerst ungewöhnlich!“, gab Tanja Duwall zu.
Doch dann geriet sie wieder gelinde in Panik:
„Und wieso lauert mir eine der PSI-Squad auf? Ich habe nichts Verbotenes getan.“
„Nun, einmal davon abgesehen, dass es natürlich verboten ist, einen fiktiven Namen anzunehmen, um unterzutauchen, ist dir wirklich nichts vorzuwerfen. Aber ich bin natürlich nicht hier, um dir daraus einen Vorwurf zu machen. Es bleibt dein Privatvergnügen. Was auch immer dich dazu bewogen hat, auf diese Weise quasi unterzutauchen: Niemand hat etwas dagegen.“
„Jetzt weiß ich immer noch nicht, was das Ganze soll!“, warf ihr Tanja vor.
Ernestine musterte sie nachdenklich. Jetzt kam sie nicht mehr umhin, zumindest dabei Tanja Duwall an ihren Gedanken teilhaben zu lassen.
„Ich musste dich treffen, um sicher zu gehen, dass du identisch bist mit einem gewissen Kommandanten Takeling.“
„Wie bitte?“
Tanja verstand kein Wort, obwohl sie dieselbe Aussage auch in den Ernestines Gedanken lesen konnte.
„Die Frau, die auf dem Stuhl saß. Allerdings nicht vor mir, sonder vor meinem zweiten Ich in der parallelen Welt!“
„Para... was?“
„Ja, diese Welt hier gibt es zweimal – mit genau denselben Personen und dennoch unterschiedlich. Du bist in der anderen Welt eben Kommandant Takeling der dortigen PSI-Squad. Eine äußerst gefährliche Person, wie ich sagen muss, und es war nötig, herauszufinden, wer sie vorher gewesen war, also bevor sie zu Kommandant Takeling wurde.“
„Sostra Tierens?“, vermutete Tanja Duwall erschüttert.
„Oh, du lernst schnell. Prima. Dann kann ich mir viele unnötige Worte ersparen. Bitte, ich hätte jetzt auch einfach weggehen können, ohne es dir zu sagen. Denn ich kann mir jetzt ja sicher sein, dass wir uns nicht geirrt haben, dass du und jene Takeling tatsächlich die gleiche Person sind. Gewissermaßen!“
„Eine parallele Welt?“ Tanja schüttelte den Kopf. „Unfassbar!“
„In der Tat, zumal es nur einen Menschen gibt auf diesen beiden Welten, der das definitiv weiß, weil er mit seinem jeweiligen Gegenpart in Verbindung treten kann.“
„Du?“
„Ja, ich, Ernestine Freihaus.“
„Aber wieso musstest du das überhaupt wissen, das mit mir?“
„Weil mein anderes Ich in Gefangenschaft geriet und von jener Takeling verhört wird.“
„Also von mir?“ Tanja schüttelte abermals den Kopf. „Das ist ziemlich verwirrend!“, gab sie zu.
„Aber du glaubst mir, und das ist gut so.“
„Natürlich glaube ich dir, obwohl es absolut unglaubwürdig klingt, ehrlich gesagt. Aber du gehörst zur PSI-Squad. Wenn du einfach nur verrückt wärst, hättest du es wohl kaum zum Kommandanten geschafft dort.“
Ernestine musste lachen.
„Das ist wohl wahr. Aber jetzt muss ich noch unbedingt wissen, was du mit mir gemacht hast, dass ich ohne mein Zutun plötzlich mit meinem zweiten Ich verbunden wurde. Das war nämlich ein unverzeihlicher Fehler. Nicht für mich, aber für mein zweites Ich, weil dann diese Takeling das mit Sicherheit mitbekommen hat. Ich nehme an, sie hat in den Gedanken meines zweiten Ichs genau diese Szene vor dem Kaufhaus mit dir gesehen.“
„Was dein zweites Ich tatsächlich in große Gefahr bringt!“, entfuhr es Tanja. Ihre Sorge schien echt zu sein.
Erstaunlich, wie schnell sie sich auf die für sie doch völlig absurd wirkende Situation eingestellt hatte. Wohl nur, weil sie eben mit ihrer Telepathie in Ernestines Kopf sah, dass diese die Wahrheit sprach.
Jetzt winkte sie mit beiden Händen ab.
„Aber ich schwöre dir, Ernestine, ich habe überhaupt nichts getan! Das kann ich gar nicht. Zwar bin ich in der Lage, passiv Gedanken zu lesen, aber eben nicht, diese Gedanken auch noch zu manipulieren.“
Ernestine nickte vor sich hin.
Eigentlich erschien ihr das einleuchtend, denn wäre diese Tanja in der Lage gewesen, dann wohl auch Kommandant Takeling – und dann hätte sie diese Fähigkeit längst schon bei ihrem anderen Ich angewendet.
Was also war überhaupt passiert, was zu diesem kurzzeitigen Zwangskontakt geführt hatte?