Читать книгу 10 neue Alfred Bekker Strand Krimis Oktober 2021 - Alfred Bekker - Страница 13
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ОглавлениеDas Pirates Inn war ein Billardlokal am Rande des Port Morsis Shopping District. Es lag in einer engen Sackgasse, die vom Bruckner Boulevard abzweigte.
Tayla Brown arbeitete hier als Bedienung.
Das Pirates Inn lag in einer alten, umfunktionierten Fabrikhalle im Cast-Iron-Stil. Rein optisch passte die düstere Ästhetik dieses Gebäudes kaum noch zu den schmucken Läden, die hier in letzter Zeit entstanden waren und die billigen Striplokale und die leerstehenden Mietshäuser abgelöst hatten. Neues Leben war in diese Straße zurückgekehrt, nachdem sie lange Zeit ein Kampfgebiet verschiedener Gangs gewesen war. Der Bruckner Boulevard hatte eine Grenze zwischen den verfeindeten Gruppierungen gebildet. Jetzt herrschte Ruhe. Auch wenn die äußere Fassade und die Passanten auf dem Boulevard das nicht erahnen ließen – es war die Ruhe des Friedhofs. Mit Unterstützung der Syndikate hatten die Bronx Pirates hier die Macht übernommen. Viele der neuen Geschäfte bezahlten Schutzgelder an sie. Der Unterschied zu den streitbaren Vorgängern war nur, dass sich die Geldgier der Bronx Pirates in Grenzen hielt.
Im Pirates Inn war kaum etwas los. Ein paar einsame Spieler standen an den Tischen und ließen die Kugeln über den grünen Filz fliegen. Hier und da wechselten ein paar Dollarnoten den Besitzer. Im Hintergrund wurde Gitarren orientierte Rockmusik gespielt.
Normalerweise war der Pirates Inn ein Treffpunkt der Gang, die dieses Viertel beherrschte. Tayla hatte schon gesehen, wie das Kokain hier kiloweise den Besitzer wechselte.
Aber im Moment war keiner der Pirates so dumm, hier aufzutauchen. Schließlich musste man damit rechnen, dass der Tod des Bronx Commanders eine Menge Wirbel machte.
Tayla Browns Augen waren rotgeweint.
Seit einem halben Jahr war sie mit Alan Reilly zusammen gewesen. Ihre Mutter, bei der sie noch lebte, hatte alles getan, um sie und Alan auseinanderzubringen. Tayla spülte gedankenverloren die Gläser, und ihre Gedanken wanderten in die Vergangenheit. Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf. Sie hatte es einfach cool gefunden, die Freundin des Bronx Commanders zu sein – nicht einfach nur irgendein Girl, das seinen Vater nie kennengelernt hat und dessen Mutter dem Alkohol verfallen war. Ihr Bruder war cracksüchtig gewesen, im Rausch auf ein Motorrad gestiegen und so schwer verunglückt, dass er aus dem Koma nicht wieder erwacht war.
Dennoch – Alan Reilly hatte sie damit innerlich nie in Verbindung gebracht. Er war für sie so etwas wie der weiße Ritter gewesen, der seiner Cinderella aus der Bronx anbot, sie auf sein Pferd zu nehmen und mit ihr davonzureiten. Nur dass sein Pferd ein Trike gewesen war. Eine dreirädrige Maschine, wie sie sonst niemand in der ganzen South Bronx besaß.
Alan hatte mit Geld nur so um sich geworfen. Es hatte ihm nichts bedeutet. Tayla hatte sogar das Gefühl gehabt, dass er es im Grunde seines Herzens verachtet hatte. Zumindest war er immer mit dieser Attitüde aufgetreten.
Das Wichtigste aber war, dass er sie geliebt hatte.
So, wie noch niemand zuvor in ihrem Leben.
Sie spürte plötzlich eine Hand auf ihrem Rücken. »Ich weiß, dass du mich für diese Worte hassen wirst, Tayla, aber du solltest es nicht so schwer nehmen«, sagte eine weibliche, aber dennoch ziemlich tiefe Stimme – angeraut durch jahrzehntelanges Kettenrauchen und viel Whiskey. Sie gehörte Samantha Jameson, der Inhaberin des Pirates Inn. Sie war 42 Jahre alt, schlank und trug eine Mähne aus schwarz gefärbten Haaren.
Tayla wirbelte herum. »Wie kannst du so etwas sagen?«, fragte sie fassungslos.
»Irgendwann musste es doch so weit mit Alan kommen«, war Samantha Jameson überzeugt. Sie zündete sich eine Zigarette an, obwohl das eigentlich inzwischen in allen New Yorker Lokalen verboten war. Aber erstens glaubte sie nicht, dass einer der wenigen Gäste sie bei den Behörden melden würde, und zweitens war es eine Art Trotzreaktion. Gegen das Rauchverbot verstieß sie ganz bewusst immer wieder, weil sie der Meinung war, dass sich ein Bürgermeister in diese Dinge nicht einzumischen hatte.
»Ich habe ihn geliebt!«, sagte Tayla.
»Er hat dich mit seinem Geld geblendet, Schätzchen. Da verwechselst du etwas!«, erwiderte Samantha hart. »Tayla, einer, der sich von seinen Leuten wie eine Comic-Figur nennen lässt, der hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank. Bronx Commander – dass ich nicht lache!«
»Samantha!«
»Ist doch wahr.«
Samantha sprach in gedämpftem Tonfall weiter. »Er hat sich einfach übernommen. Hat gedacht, er wäre unverwundbar oder so etwas …«
»Was weißt du denn schon!«
Die Geräusche mehrerer Motorräder ließen die beiden Frauen aufhorchen. Eine Harley wurde demonstrativ aufgedreht. Da wollte sich jemand offenbar schon von Weitem ankündigen.
»Oh, nein!«, murmelte Tayla.
Sie legte das Tuch zur Seite, mit dem sie gerade noch Gläser abgetrocknet hatte.
Am liebsten hätte sie fluchtartig das Pirates Inn verlassen, aber es war zu spät. Die Türen flogen auseinander.
Drei Männer in Lederjacken kamen herein. Auf den Jacken waren Aufnäher mit einem Totenkopf zu sehen – dem Symbol der Bronx Pirates.
Der Mann in der Mitte hatte ein kantiges Gesicht und dunkle Augen. Er war sehr breitschultrig. Für einen kurzen Moment schob sich die Jacke zur Seite, und ein großer Revolver vom Kaliber 3.57 wurde sichtbar.
Tayla kannte den Kerl nur zu gut.
Er hieß Mike Vanderill und hatte von Anfang an ein Auge auf sie geworfen. Selbst als klar gewesen war, dass sie dem Bronx Commander gehörte, hatte er es nicht sein lassen können. Einmal war es deswegen zwischen Alan und Mike beinahe zu einer handfesten Auseinandersetzung gekommen.
Mike Vanderill nannte sich innerhalb der Gang »The Shark«, was Tayla ziemlich lächerlich fand.
Die Kerle in seiner Begleitung – beide deutlich kleiner als er, waren ihm treu ergeben. Ihre wirklichen Namen kannte Tayla nicht. Sie wusste nur, dass ihre Gang-Namen Skeleton und Ghost lauteten. Die beiden verteilten sich im Raum. Ghost spielte unsachgemäß mit einem Queue herum.
»Was wollt ihr hier?«, rief Samantha. »Ihr müsst doch verrückt sein, hier aufzutauchen!«
»Maul halten, Alte!«, knurrte Mike Vanderill und trat an den Tresen heran. Ghost holte derweil sein Springmesser heraus, ließ die Klinge herausschnellen und zog sie wieder ein.
Mike Vanderill umrundete den Tresen. »Tayla, zier dich nicht so. Alan ist tot …«
»Passt dir wohl gut in den Kram, was?«, fauchte Tayla.
Vanderill grinste. »Hey, du bist halt eine richtige Wildkatze.«
»Lass mich einfach in Ruhe, hörst du?«
»Vielleicht werde ich ja der Nachfolger des Bronx Commander!«
Er fasste sie beim Handgelenk. Sein Griff war eisern. Wie ein Schraubstock.
Es war unmöglich für sie, sich daraus zu befreien.
»Du tust mir weh!«
»Ich will nur, dass du mir mal richtig zuhörst, Tayla! Dein Typ ist nicht mehr! Die Karten werden neu gemischt, und wenn du dein interessantes Leben weiterführen willst, wird das wohl kaum mit den paar Mäusen klappen können, die dir Samantha für den Abwasch im Pirates Inn zahlt!«
Er drückte sie grob gegen die Wand.
Tayla schlug der Puls bis zum Hals.
»Lasst sie in Ruhe, Jungs!«, mischte sich Samantha ein.
Mike Vanderill drehte den Kopf in ihre Richtung und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Du solltest dir sehr gut überlegen, wem du hier versuchst, Vorschriften zu machen!«
Samantha biss sich auf die Unterlippe. Besonders mutig war sie nicht. Aber das war auch ein Grund dafür, weshalb man ihr nie etwas getan hatte und das Pirates Inn noch in ihrem Besitz war. Sie war vorsichtig, duckte sich, wo immer es ging, und hielt sich aus allem heraus. Das war das Beste.