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Wenig später erreichten wir das Portal der Villa. Ein Butler öffnete uns und führte uns in einen weiträumigen Salon. Durch die Fensterfront hatte man einen Panoramablick auf den für New Yorker Verhältnisse groß angelegten Garten.

Die geschiedene Mrs. Francesca Imperioli stand mit verschränkten Armen vor uns und musterte uns einen nach dem anderen von Kopf bis Fuß.

Zwei Männer, Ende zwanzig oder Anfang dreißig, befanden sich ebenfalls im Raum.

Ich erkannte sie von den Fotos wieder, die wir von den Imperioli-Söhnen in unserer Datenbank hatten.

»Mr. Leon Imperioli und Mr. Alex Imperioli? Wir haben hier einen Durchsuchungsbefehl, der es uns erlaubt, die von Ihnen in diesem Haus bewohnten Räume zu durchsuchen.«

Fred holte die Schriftstücke hervor und hielt sie den Imperioli-Brüdern hin. Leon machte nur eine wegwerfende Handbewegung. Er war der Jüngere der beiden. Das schwarze Haar war nach hinten gekämmt. Sein Lächeln wirkte überheblich. In seinen Augen bemerkte ich ein eiskaltes Glitzern. Wer solche Söhne hat, braucht keine Feinde mehr, dachte ich.

Alex hingegen hielt sich an seinem Drink fest.

Sein Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Der elegante Maßanzug, den er trug, hatte schätzungsweise zweitausend Dollar gekostet. Trotz des Zerwürfnisses mit dem Großen Alten konnte es ihm also finanziell nicht allzu schlecht gehen.

»Tun Sie, was Sie tun müssen, Mister …«

»Trevellian«, ergänzte ich.

»Ich weiß nicht, ob du dir diesen Namen merken musst, Bruderherz«, mischte sich Leon ein und kicherte irre.

»Könnte schon sein, dass wir in Zukunft öfter miteinander zu tun haben«, erwiderte ich kühl.

»Adriano!«, bellte Alex, worauf der Butler, der zwischenzeitlich den Raum verlassen hatte, wieder erschien.

»Sie haben gerufen, Sir?«

»Zeigen Sie den Gentlemen vom FBI unsere Räume, oder was sonst sie auch immer zu sehen wünschen. Sie sollen wissen, dass wir nichts zu verbergen haben! Gar nichts!«

»Sehr wohl, Sir.«

Sam Folder, Leslie Morell und Fred LaRocca folgten dem Butler.

»Sie beide waren nicht auf der Beerdigung Ihres Vaters«, stellte ich fest. »Gab es dafür einen bestimmten Grund?«

Alex und Leon wechselten einen schnellen Blick miteinander.

»Ich dachte, es hätte sich in Little Italy herumgesprochen, dass unser Vater keine besonders hohe Meinung von uns hatte«, erklärte Alex. »Wir sind nicht auf das Erbe angewiesen. Seit ein paar Jahren betreiben wir ein Import/Export-Geschäft, das recht lukrativ ist.«

»Ich dachte immer, dass man Gegensätze wenigstens über den Gräbern vergessen kann«, sagte ich. »Ist der Familiensinn in Little Italy nicht mehr so ausgeprägt wie früher?«

»Worauf wollen Sie hinaus, Trevellian?«, fragte Leon und verschränkte dabei abweisend die Arme vor der Brust.

»Heute ist ein brutaler Anschlag auf die Trauergemeinde auf dem St. Josephs Cemetery verübt worden. Ihre Stiefmutter und ein Cousin von Ihnen beiden namens Victor DiAndrea sind dabei ums Leben gekommen.«

Die Gesichter der Imperioli-Brüder erstarrten zu Masken.

»Um es auf den Punkt zu bringen: Dass DiAndrea und Ihre Stiefmutter aus dem Weg sind, dürfte Ihnen doch hervorragend in den Plan passen«, meldete sich Jay Kronburg zu Wort. »Und dass Sie nicht an dem Begräbnis teilgenommen haben, ließe sich auch so erklären, dass Sie vielleicht schon wussten, was passieren würde …«

Leon Imperiolis Kopf lief dunkelrot an. Er ballte die Hände zu Fäusten. Jeder Muskel und jede Sehne seines Körpers schienen zum Zerreißen gespannt zu sein. Im letzten Moment griff ihn sein Bruder am Oberarm und verhinderte, dass er sich wutentbrannt auf Jay stürzte.

»Ganz ruhig, Leon. Das wollen die doch nur! Dass wir austicken und die Beherrschung verlieren. Aber das wird nicht passieren. So übel die Beleidigungen auch immer sein mögen, die Sie uns an den Kopf werfen!«

»Das sind keine Beleidigungen«, wies ich ihn zurecht. »Wir fragen uns einfach nur, wer ein Motiv und die Gelegenheit für diese Tat hätte.«

»Ich werde ohne meinen Anwalt nichts mehr zu der Sache sagen«, kündigte Alex Imperioli an. »Ich weiß, dass Sie es nur darauf anlegen, uns irgendetwas am Zeug zu flicken, aber Sie werden nichts finden.«

»Wo waren Sie heute zwischen vierzehn und sechzehn Uhr?«, fragte ich. »Wenigstens auf diese Frage können Sie uns noch Auskunft geben.«

»Das kann ich auch tun«, mischte sich jetzt Francesca ein. Sie sah mir ruhig ins Auge. »Alex und Leon waren den ganzen Tag über hier bei mir. Das werde ich vor jeder Jury der Welt schwören, sooft es von mir verlangt wird.«

»Damit geben Sie sich gleich selbst ein Alibi!«, stellte ich fest.

»Hören Sie, wir haben Dad gehasst!«, gab Leon zu. »Aber keiner von uns hätte ihn umgebracht und deshalb einen Mord in Auftrag gegeben. So weit ging die Feindschaft dann doch nicht.«

»Für ihn waren wir einfach nicht hart genug«, berichtete Leon. »Weicheier – wie oft hat er uns so genannt. Außerdem hat er unsere Mutter wegen eines intriganten Flittchens verlassen, das sich nur ins gemachte Nest setzen wollte.«

»Sie müssen wissen, dass unser Dad niemanden wirklich ernst genommen hat, der nicht in Vietnam war«, ergänzte Alex.

Ich nickte. »Auf der Trauerfeier hat jemand, der auf mich wie ein Veteran wirkte, seinen Orden von der Brust genommen und ins Grab geworfen.«

Alex zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. Ich weiß nur, dass er die Kontakte mit den Leuten aus seiner ehemaligen Einheit immer gepflegt hat. Außerdem ließ er sich von einem Vietnamesen bewachen.«

»Mr. Nguyen Van Thö.«

Er sah mich etwas überrascht an, dann lächelte er. »Ja, genau dem. Als es mit der Regierung in Saigon zu Ende ging, hat Dad dem einen oder anderen geholfen, außer Landes zu kommen. Möglichst in die USA. Der Vater seines Leibwächters und dessen Familie gehörten wohl auch dazu. Nguyen ist ja bereits hier in New York geboren und besaß daher die amerikanische Staatsangehörigkeit.«

»Ja, ein richtiger Wohltäter war Dad«, höhnte jetzt Leon. »Aus dieser Perspektive habt ihr G-men ihn wahrscheinlich noch nie betrachtet, oder?« Er lachte rau. »Aber ich glaube, in einem Fall hat er seine Großzügigkeit bitter bereut.«

Ich fixierte ihn mit meinem Blick und hob die Augenbrauen. »So?«

»Sie kennen den Typ. Mit großer Sicherheit werden Sie in Ihren Giftschränken ein paar Dossiers über ihn finden. Es ist Raymond Wou aus Chinatown.«

Leon sprach den Namen des dicken Chinesen französisch aus – Rämong Wuu.

»Mr. Wou stammt aus Indochina?«

»Überprüfen Sie es anhand Ihrer Daten, Trevellian! In Vietnam lebten damals viele chinesische Händler. Das war schon immer so. Und Mr. Wous Spuren führen auch dorthin. Er ist übrigens auch nur ein halber Chinese – die andere Hälfte ist französisch.«

»Wieso sollte es Ihr Vater bereut haben, Wou damals ins Land geholt zu haben?«

»Weil Dad später ein paar gravierende Probleme mit ihm hatte, die meines Wissens bis zu seinem Tod nicht ausgeräumt waren.« Leon zuckte mit den Schultern. »Weiter kann ich da leider nicht ins Detail gehen. Ich war ja nicht Zeuge und bin aufs Hörensagen angewiesen. Aber besonders dankbar hat sich Mr. Wou nicht gezeigt.«

Plötzlich öffnete sich knarrend die Tür.

Ich drehte mich herum und hatte eigentlich erwartet, jemanden eintreten zu sehen.

Aber dort war niemand.

Zumindest kein Mensch.

Eine Katze schlich in den Raum. Sie miaute laut, näherte sich Alex in einem weiten Bogen und strich an seinem Hosenbein entlang. Alex bückte sich und nahm das Tier auf den Arm. »Sobald Sie wissen, wer unseren Vater umgebracht hat …«

»… sollen wir Ihnen Bescheid sagen, damit Sie losziehen, um Ihre Vorstellungen von Gerechtigkeit durchzusetzen?«, schnitt ich ihm das Wort ab. Die selbstgerechte und überhebliche Art der beiden Imperioli-Brüder ging mir ziemlich auf die Nerven. Alex‘ Zynismus war kaum zu überbieten. Er blieb der Beerdigung seines Vaters fern, dachte aber offenbar daran, sich in Little Italy als jemand zu profilieren, der die Familienehre wiederherstellte, indem er den oder die Mörder seines Vaters tötete – beziehungsweise jemanden, den er dafür hielt.

Aber bevor Alex und Leon die Nachfolge ihres Vaters antreten konnten, musste dies wohl geschehen. Andernfalls hätte er gewiss Schwierigkeiten gehabt, akzeptiert zu werden.

Alex strich der Katze über den Rücken.

Inzwischen kehrte Fred zusammen mit dem Butler in den Salon zurück. »Das sind Räume, dagegen ist jedes Hotelzimmer richtig individuell gestaltet«, sagte er resignierend.

Alex quittierte die Worte mit einem spöttischen Lächeln, während er fortfuhr, die Katze zu streicheln.

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