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Tayla Brown hatte den Morgen verschlafen. Erst am frühen Nachmittag stand sie auf, stand fast eine Stunde unter der Dusche und machte sich schließlich fertig. Als sie in die Küche kam, saß ihre Mutter wie gebannt vor dem Fernseher, der den Tag über in der Küche lief. Meistens hatte sie einen der Lokalsender eingeschaltet, die über das Kabel gesendet wurden und sich ausschließlich mit Ereignissen aus New York befassten. Wenn irgendwo die City Police die Verfolgung eines Verdächtigen aufnahm, so konnte man sicher sein, dass mindestens einer dieser Sender einen Helikopter in unmittelbarer Nähe in der Luft hatte.

»Tayla, hast du das schon gesehen?«

»Was denn?«

»Na, was heute auf dem St. Josephs Cemetery in der Elizabeth Street geschehen ist.«

Tayla hatte zwar bemerkt, dass die Bilder auf dem Schirm immer wieder Verletzte zeigten, die in Einsatzfahrzeuge des Emergency Service gebracht wurden, begriff aber nicht sofort, worauf ihre Mutter hinauswollte. Erst als der Reporter aus dem Off heraus ein paar Erklärungen abgab, erfasste sie, worum es ging.

»Sie haben ein Flugzeugmodell benutzt und mindestens zwölf Menschen getötet, aber sie rechnen damit, dass einige der Schwerverletzten diese Nacht nicht überleben werden«, erklärte die Mutter.

»Mum, das mag ja sein …«

Sie sprach nicht weiter, sondern starrte nur auf den Schirm, als sie dort das Modellflugzeug heranfliegen sah.

Es hatte drei eiförmige Gegenstände an der Unterseite.

»Wir zeigen Ihnen Aufnahmen des FBI«, sagte dazu eine Sprecherin. »Der Chef des FBI Field Office New York, Mr. Jonathan D. McKee, bittet um Ihre Mithilfe. Wer hat ein Objekt, wie Sie es hier in einer vergrößerten Standaufnahme sehen können, in den letzten Tagen gesehen? Wenn Sie Hinweise geben können, so setzen Sie sich bitte umgehend mit dem FBI in Verbindung.«

Die Nummer des Field Office New York wurde eingeblendet, während die Reporterin noch ein paar eingehende Zuschauerfragen an den seriös und distinguiert aussehenden FBI-Chef von New York weiterleitete.

»Die Welt ist so schrecklich, wie kann so etwas geschehen?«, fragte Taylas Mutter.

»Du hast bereits getrunken«, stellte Tayla fest. Sie brauchte nicht einmal in ihre Nähe zu kommen, um den Geruch wahrzunehmen. Der Klang ihrer Stimme, der weinerliche Tonfall, die etwas nachlässige Artikulation – zwar waren diese Anzeichen bei einer langjährigen Spiegeltrinkerin wie ihrer Mutter nur sehr schwach ausgeprägt, aber Tayla hatte längst einen siebten Sinn dafür entwickelt, sie zu erkennen.

Mums Kaffeetasse ist leer!, stellte Tayla fest. Aber wahrscheinlich war darin auch nicht Kaffee gewesen, sondern Brandy oder Cognac.

Das war das Schlimmste.

Mum konnte sich ihre Sucht nicht eingestehen. Manchmal wirkte das geradezu lächerlich, weil es so offensichtlich war und es überall in der Wohnung kleine Verstecke gab, in denen sie Alkohol deponiert hatte. Wenn Tayla sie darauf ansprach, rastete Mum völlig aus.

Einmal aus diesem Dreck herauskommen – das war Taylas Ziel gewesen, seit sie klein war. Früher hatte sie ihren Dad dafür verflucht, dass er die Familie verlassen hatte. Das hatte sich im Laufe der Jahre geändert. Längst schon verfluchte sie ihn nur noch dafür, dass er sie damals nicht mitgenommen hatte.

Mindestens zwei Mal die Woche träumte sie, dass sie ihm gegenüberstand und ihn fragte, weshalb er das nicht getan hatte. Er blieb dann immer stumm wie ein Fisch. So sehr sie ihn im Traum auch anschrie, sie bekam keine Antwort.

Instinktiv suchte sie jemanden, der sie aus ihrer Lage befreite. Jemanden, der sie in ein anderes Leben führte, das nicht von Geldsorgen geprägt war – und davon, sich um eine Mutter kümmern zu müssen, die langsam dem Abgrund entgegensteuerte. Und zwar sehenden Auges.

Von Alan Reilly hatte sie gedacht, dass er vielleicht der Prinz auf dem weißen Schimmel sein könnte, der sie aus ihrem Elend hätte retten können, aber diese Seifenblase war zerplatzt.

Und ich trage Mitschuld, dachte sie.

Tränen rannen ihr über das Gesicht.

Ihre Mutter warf ihr einen kurzen, trüben Blick zu.

Taylas Tränen bemerkte sie gar nicht. Sie schaute in ihre leere Tasse.

Auf dem Fernsehschirm wurde erneut das vergrößerte Standbild des Doppel-Tucker-Modells eingeblendet, das auf dem St. Josephs Cemetery Tod und Vernichtung gebracht hatte.

Ich muss mich beim FBI melden!, durchfuhr es sie, und das Herz begann ihr bis zum Hals zu schlagen. Auch wenn du bei den Bronx Pirates unten durch bist – du musst es einfach tun und den Cops sagen, was du weißt.

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