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Es war später Nachmittag, als wir die Dexter Row in der Bronx erreichten. Mr. McKee konnte dabei nur einen Teil des ihm zur Verfügung stehenden Personals für diesen Einsatz abstellen – schließlich konnte sich jederzeit etwas in der Sache der großen Konferenz der Imperioli-Familie bewegen.

Ich stellte den Wagen in einer Seitenstraße ab, wo wir auf Jay und Leslie trafen. Wenig später traf noch Agent Fred LaRocca mit vier weiteren G-men in einem Van vom Typ Chrysler Voyager ein.

Wir legten die Kevlar-Westen, Kragenmikros und Ohrhörer an, überprüften die Ladung unserer Waffen, und dann ging es los. Robert ›Wire‹ Smith wohnte im vierten Stock eines dreigeschossigen und recht gut erhaltenen Brownstone-Baus.

Wir pirschten uns heran.

Milo klingelte bei anderen Wohnungen. Die Außentür öffnete sich mit einem Summen, und wir stürmten herein. Ein irritierter älterer Mann kam uns entgegen.

»FBI! Gehen Sie wieder in Ihre Wohnung und bleiben Sie dort!«, wies Jay ihn an.

Kollegen bewachten jeweils den Aufzug, den Haupt- sowie den Notausgang.

Wir anderen rannten die Treppe hinauf, nahmen jeweils mehrere Stufen mit einem Schritt und erreichten schließlich Wires Wohnung.

Ich drückte auf die Klingel.

»Aufmachen, hier spricht das FBI!«, rief ich.

Keine Antwort.

Ich versuchte es noch einmal.

Wieder ohne Erfolg.

Jay nickte mir zu.

Ich nahm kurz Anlauf und trat die Tür ein. Sie sprang zur Seite. Ich stürmte hinein. Milo und Jay sicherten mich und folgten mir. Leslie blieb in der Tür stehen.

Die Wohnung hatte drei Räume. In allen dreien herrschte das reinste Chaos. Aber nach ein paar Sekunden war klar, dass niemand in der Wohnung war.

Wir steckten die Waffen weg.

»Verdammt, so ein Mist!«, knurrte Jay Kronburg. »Der Vogel ist ausgeflogen.« Er zog das Kragenmikro näher an seine Lippen. »Einsatz beendet, Jungs. War alles umsonst.«

»Aber er hat ein paar Dinge zurückgelassen, die ihn lebenslang nach Rikers Island bringen können«, stellte Milo fest. Er deutete auf eine Kiste, in der Wire Einzelteile aufbewahrte, die offenbar beim Bau des Doppel-Tuckers übrig geblieben waren.

»Fassen wir besser nichts an und warten auf die Scientific Research Division!«, schlug Jay Kronburg vor.

Mein Handy schrillte. Ich nahm den Apparat ans Ohr.

»Hier Trevellian.«

Eine wohl vertraute weibliche Stimme meldete sich.

Es war niemand anderes als Tayla Brown, die Freundin des ermordeten Bronx Commanders.

»Diese Nummer stand auf Ihrer Karte, Mr. Trevellian.«

»Sie sollten mich doch Jesse nennen.«

»Jesse …«

Es folgte ein Augenblick des Schweigens. Ich hörte ihren schweren Atem. Es schien so, als würde sie noch mit sich ringen, ob sie mir das, was sie mir sagen wollte, nun auch wirklich mitteilen sollte oder nicht. Ich beschloss, ihr Zeit zu geben, sosehr die Ungeduld in mir auch brodelte. Aber es hatte keinen Sinn, wenn sich Tayla Brown wieder in ihr selbst gewähltes Schneckenhaus zurückzog. Dass sie mich überhaupt angerufen hatte, war schon ein großer Schritt für sie.

Dabei hatte ich noch einige weitere Fragen an sie …

Vor allem jetzt, da wir das John Doe Memorial Asylum in Newark besucht hatten und klar war, dass es eine Verbindung zwischen dem geheimnisvollen Veteranen und Alan Reilly alias Bronx Commander gegeben hatte.

Ich hörte die junge Frau schlucken.

»Ich muss Ihnen unbedingt etwas sagen … Jesse … Eigentlich hätte ich Sie schon längst anrufen sollen. Aber vielleicht …« Sie stockte plötzlich. Ich hatte das Gefühl, dass sie mir am Telefon womöglich entglitt. Jeden Moment rechnete ich damit, dass Tayla einfach das Gespräch beendete und es sich anders überlegte.

»Ich bin ganz in der Nähe. Was halten Sie davon, wenn ich eben bei Ihnen vorbeischaue, dann können wir uns besser unterhalten.«

Sie zögerte. »In Ordnung, Jesse.«

»Bis gleich.«

»Hey, was soll das? Wir sind immer noch auf der Suche nach diesem Killer, der sich Wire nennt!«, meinte Jay.

»Die Frau, mit der ich eben telefoniert habe, ist vielleicht die Einzige im Umkreis von zwanzig Straßenzügen, die bereit wäre, mit uns zu sprechen – und vielleicht weiß sie, wo man nach Wire suchen könnte!«

Jay wechselte mit Milo einen etwas irritierten Blick. »Er muss es ja wissen!«

Bis zur Adresse von Tayla Brown war es nicht weit. Nur ein paar Blocks. Ich stellte den Sportwagen auf dem Bürgersteig ab.

»Ich hoffe, die Kleine führt dich nicht nur an der Nase herum«, meinte Milo.

»Nein, das glaube ich nicht«, widersprach ich ihm. »Die ist jetzt reif für eine Aussage. Schließlich ist ihr geliebter Bronx Commander bei der ganzen Tragödie ums Leben gekommen. Welchen Sinn hat es da noch zu schweigen?«

»Auch wieder wahr.«

Wir stiegen aus.

Tayla erwartete uns vor dem Haus. Im Hauseingang saß ein Mann Mitte zwanzig mit glasigen Augen und eingefallenem Gesicht. Er wirkte vollkommen teilnahmslos. Zweifellos war er auf Crack. Für kurze Zeit war für ihn die Welt in Ordnung, bevor sie sich in eine Hölle zurückverwandeln würde, sobald die Wirkung des Stoffs nachließ.

»Hi«, begrüßte Tayla uns. Sie schenkte dem Süchtigen nur einen kurzen Blick.

»Gehen wir nicht zu Ihnen rein?«, fragte ich.

»Nein.« Sie machte eine Pause, schluckte und meinte: »Ich wohne bei meiner Mutter, und die kann ziemlich unangenehm werden, wenn sie zu viel getrunken hat.«

»Und das hat sie jetzt?«

»Das hat sie fast immer.«

Sie sah mich an. Ein Blick, der Entschlossenheit signalisierte. »Ich will alles ändern in meinem Leben«, sagte sie. »Und dazu gehört auch, dass ich jetzt alles sagen werde. Sonst geht das Töten weiter.«

»Haben Sie von dem Massaker auf dem St. Josephs Friedhof gehört?«

Sie nickte. »Die Nachrichten waren voll davon. Und ich weiß auch, wer sich diese Teufelei ausgedacht hat.«

»Er nennt sich Wire, nicht wahr?«

»Das wissen Sie schon? Den Namen bekam er aufgrund seiner Stacheldrahttätowierung rund um den rasierten Schädel. Außerdem gibt es noch ein zweites Gangmitglied, das den bürgerlichen Namen Robert Smith trägt, genau wie er.« Sie schluckte. Tränen glitzerten in ihren Augen, und sie begann damit, sie hastig wegzuwischen. »Ich habe die Bilder im Lokalfernsehen gesehen … Mein Gott, das ist so furchtbar. Damit will ich nicht das Geringste zu tun haben.«

»Wir haben Baupläne solcher Modellflugzeuge auch auf dem Rechner von Alan Reilly gefunden, Tayla.«

»Natürlich! Wir hatten keinen Online-Zugang, deswegen hat er sich das Zeug immer bei Alan aus dem Netz geholt und sich schließlich sogar einen kompletten Bausatz bestellt. Wenn ich gewusst hätte, dass …«

»Das konnte niemand ahnen«, beruhigte ich sie. »Wir waren in Wires Wohnung. Er war nicht dort. Haben Sie eine Ahnung, wo er sich jetzt befinden könne?«

»An der Swindon Plaza gibt es einen Hinterhof, da schrauben die Bronx Pirates an ihren Höllenmaschinen herum.«

»Das finden wir schon.«

Über Funk gab ich die Meldung an Jay weiter, damit der schon mal den Einsatz vorbereiten konnte. Das Navigationssystem in seinem Wagen hatte mit Sicherheit auch einen Plan der Swindon Plaza und ihrer Umgebung, der dem neuesten Stand entsprach.

»Sie haben uns sehr geholfen«, sagte Milo und wollte sich schon umwenden. Aber ich hatte noch ein paar Fragen an Tayla.

»Einen Moment, Tayla. Es gibt da noch was.«

»Bitte.«

»Hatte Alan Reilly jemals Kontakt zu einem Mann, dem das halbe Ohr fehlte?«

»So Ende fünfzig? Der immer einen Militärorden am Regenmantel hängen hatte?«

»Ja, genau den meine ich. Er heißt Mulroney.«

»Den Namen habe ich nie erfahren. Ich sah ihn zum ersten Mal, als er Alan abpasste, nachdem wir aus dem Pirates Inn herauskamen. Er erschien wie aus dem Nichts. Alan wollte gerade die Maschine starten.«

»Was wollte er?«

»Er wollte Alan ein Geschäft vorschlagen. Es hatte irgendetwas damit zu tun, dass dieser Typ herausgefunden hatte, dass die Bronx Pirates für das Imperioli-Syndikat mit Drogen dealen. Mehr konnte ich nicht verstehen.«

»Haben Sie Alan nicht danach gefragt?«

»Er meinte, es wäre besser, wenn ich nichts wüsste.«

»Verstehe.«

»Haben Sie eine Ahnung, was das für ein Geschäft war?«

Ich nickte. »Man nennt es Verabredung zum Mord«, sagte ich etwas härter, als ich eigentlich beabsichtigt hatte. »Ich glaube, dass die beiden verabredet haben, dass Alan diesem Mulroney eine Nachricht schickt, sobald er eine Gelegenheit bekommt, Brian Imperioli zu erschießen.«

»Aber – warum, Jesse?«

»Das werden wir auch noch herausbekommen. Ganz sicher.«

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