Читать книгу 10 neue Alfred Bekker Strand Krimis Oktober 2021 - Alfred Bekker - Страница 28
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ОглавлениеZwanzig Minuten später erreichten wir das John Doe Memorial Asylum, stellten uns vor und wurden der Leiterin vorgestellt. Sie hieß Dr. Susan Minchenheimer, war Psychiaterin und etwa fünfzig Jahre alt.
»Ich möchte Ihnen gegenüber gleich klarstellen, dass ich die ärztliche Schweigepflicht sehr ernst nehme, Agent Trevellian. Das bedeutet, ich werde keinerlei Fragen beantworten, die diese in irgendeiner Form verletzen könnten, es sei denn, Sie legen mir einen richterlichen Beschluss vor, der mich von dieser Schweigepflicht entbindet.«
»Das verstehe ich«, erklärte ich.
»Wissen Sie, der Ruf ist schnell ruiniert. Wenn auch nur das Gerücht entstünde, wir würden Informationen über Patienten leichtfertig weitergeben, dann können wir den Laden dichtmachen. Wir bekämen nur noch Patienten, deren Aufenthalt durch öffentliche Fürsorgestellen bezahlt wird, aber keine zahlungskräftige Kundschaft mehr.«
Sie hat tatsächlich ›Kundschaft‹ gesagt!, ging es mir durch den Kopf. Nicht ›Patientenschaft‹. Ein aufschlussreicher Versprecher, wie mir schien.
»Es geht um eine E-Mail, die Alan Reilly, der Anführer einer Straßengang in der Bronx, von hier aus bekam. Möglicherweise hat er darauf geantwortet.«
Ich holte einen Ausdruck der Mail mit sämtlichen Kopfzeilen aus der Innentasche meines Jacketts und zeigte ihn Dr. Minchenheimer. »Es kann keinen Zweifel an der Herkunft dieser E-Mail geben.«
»Es ist unsere allgemeine E-Mail-Adresse, über die von uns Anfragen beantwortet werden«, erklärte Dr. Minchenheimer. »Das geschieht im Sekretariat.«
Das Sekretariat wurde von einer jungen Frau namens Elizabeth MacCauley geleitet. Sie war eine freundliche Endzwanzigerin mit rot gelockten Haaren und einer kurvigen Figur, deren Silhouette einen leicht ablenken konnte.
»Haben Sie irgendeine Erklärung dafür, Miss MacCauley?«, fragte Dr. Minchenheimer in einem sehr strengen Ton und knallte ihr den Ausdruck auf den Tisch.
Elizabeth MacCauley stotterte herum.
Glücklicherweise ertönte Dr. Minchenheimers Pieper. Sie wurde auf die Station gerufen, und so hatten wir Gelegenheit, uns allein mit der Sekretariatsleiterin zu unterhalten.
»Wir hatten einen Patienten hier. Ein netter Kerl, irischer Abstammung wie ich.«
»Wie war sein Name?«, fragte ich.
»Ross Mulroney. Er hatte in Vietnam viel mitgemacht, war wohl lange in Gefangenschaft des Vietcong und ist dort schwer misshandelt worden.«
»Fehlte ihm ein halbes Ohr?«, fragte ich.
»Woher wissen Sie das?«
»Erzählen Sie weiter!«
»Mulroney hat Jahrzehnte hier verbracht. Er war nicht in unserer geschlossenen Abteilung, sondern hatte die Möglichkeit des freien Ausgangs. Schließlich war er nur traumatisiert und nicht gemeingefährlich. Der Versehrtenfond der Army hat seinen Aufenthalt hier bezahlt und hätte wahrscheinlich auch noch bis zu seinem Lebensende weiter gezahlt. Klinisch galt Mulroney als geheilt. Er brauchte nur ab und zu ein paar Medikamente, aber deswegen hätte er nicht hier zu bleiben brauchen. Aber dazu müssen Sie Dr. Minchenheimer befragen …«
»Nur wird die mir nicht allzu viel dazu sagen, fürchte ich.«
»Ärztliche Schweigepflicht, was?«
»So ist es.«
»Für mich gilt die nicht, schließlich bin ich kein Arzt. Ich sage Ihnen nur das, was Mister Mulroney mir gesagt hat. Ob das wiederum der Wahrheit entspricht, weiß ich natürlich auch nicht.«
»Schon klar, Miss MacCauley …«
Sie atmete tief durch und strich sich mit einer fahrig wirkenden Geste eine Strähne aus dem Gesicht. »Um ehrlich zu sein, mache ich mir Sorgen um ihn. Er mag zwar im klinischen Sinn nicht mehr behandlungsbedürftig sein, aber ob er im täglichen Leben klarkommt …«
»Wann ist er ausgezogen?«
»Er war das letzte Mal hier, als er diese E-Mail schrieb, die Sie mir gezeigt haben. Er bat mich darum, den Rechner benutzen zu dürfen, und wartete ziemlich ungeduldig auf eine Antwort.«
»Erhielt er sie?«
»Ja, zwei Stunden später. Mulroney wartete die ganze Zeit über in der Eingangshalle.«
»Existiert diese Antwort noch?«
»Nein, Mulroney hat sie sofort gelöscht, nachdem er sie gelesen hatte. Ich hatte sie zuvor geöffnet, da sie durch keinen Betreff gekennzeichnet gewesen ist.«
»Was stand drin?«, hakte ich nach.
»Eine Uhrzeit. Zweiundzwanzig Uhr, glaube ich. Und der Name einer Firma.«
»Matthews & Partners?«
»Können Sie hellsehen, Agent Trevellian?«
»Nur manchmal«, murmelte ich. »Miss Mulroney, Sie haben uns sehr geholfen. Jetzt habe ich noch eine letzte Frage an Sie.«
»Bitte.«
»Hatte Mr. Mulroney hier Kontakt zu Katzen?«
Elizabeth MacCauley sah mich erstaunt an und hob die Augenbrauen. Sie schüttelte energisch den Kopf. »Nein – hier jedenfalls nicht; im John Doe Memorial sind Tiere streng verboten. Naja, Dr. Minchenheimer hört es vielleicht nicht gerne, aber es ist nicht gerade die fortschrittlichste Richtung innerhalb der Psychiatrie, die hier vertreten wird. Andernorts hat man die heilsame Wirkung von Tieren auf psychisch Kranke nämlich längst erkannt und setzt sie entsprechend ein.«