Читать книгу 10 neue Alfred Bekker Strand Krimis Oktober 2021 - Alfred Bekker - Страница 14
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ОглавлениеMilo und ich hatten versucht, Tayla Brown zu finden. Bisher erfolglos. Sie wohnte noch bei ihrer Mutter. Nachdem wir Tayla dort nicht antrafen und erfahren hatten, dass sie gerade ihrem Job als Bedienung nachging, fuhren wir zum Bruckner Boulevard. Von der Mutter wussten wir, dass sie dort in einem Billardlokal arbeitete.
Den Sportwagen stellte ich in der Nähe des Eingangs ab. Wir stiegen aus, ich überprüfte kurz, ob meine SIG Sauer P226 geladen war. Anschließend betraten wir das Lokal.
Hinter dem Tresen drückte ein von hinten ziemlich grobschlächtig wirkender Mann eine junge Frau gegen die verspiegelten Regale. Ich erkannte sie sofort anhand des Fotos, das wir in Alan Reillys Wohnung gesehen hatten. Es handelte sich um Tayla Brown.
Eine Flasche fiel zu Boden und zerplatzte klirrend.
Der Kerl drehte sich kurz um.
Er griff sich Tayla, hielt sie wie ein Schutzschild vor sich und riss den gewaltigen 3.57er Revolver unter der Jacke hervor.
Ehe Milo irgendetwas tun konnte, richtete er den Lauf seines Revolvers auf meinen Kollegen. Der Kerl feuerte unmittelbar.
Milo wurde in der Brust getroffen. Die Wucht des Geschosses ließ ihn rückwärts taumeln und stöhnend zu Boden gehen.
Aber nur einen winzigen Augenblick später hatte ich aus meiner eigenen Waffe geschossen.
Meine Kugel traf den Kerl an der Schulter. Er schrie auf und taumelte zurück. Ein weiterer Schuss wummerte aus seinem großkalibrigen Revolver und schlug in den Tresen. Holz splitterte.
»FBI! Waffe weg!«, rief ich.
Der Kerl starrte in den Lauf meiner Waffe.
Einen Augenblick lang hing alles in der Schwebe. Der Kerl blinzelte nach links, zu einem seiner Begleiter hin. Aber die beiden anderen Männer, die Lederjacken mit den Emblemen der Bronx Pirates trugen, verhielten sich ruhig. Sie rührten sich nicht.
So ließ auch der Mann mit dem Colt die Waffe sinken. Ich trat auf ihn zu, nahm sie ihm ab und steckte sie mir hinter den Gürtel. Anschließend nahm ich die Handschellen hervor, warf sie ihm zu und befahl ihm, sich die Dinger anzulegen. Das war zwar nicht so, wie es in den entsprechenden Handbüchern für den Polizeidienst steht, aber ich konnte ihm die Schellen nicht selbst anlegen, weil ich nach wie vor die beiden anderen Kerle im Auge behalten musste.
Anschließend sah ich mir seine Schusswunde an.
Samantha Jameson kam mit einem Handtuch und schlang es als provisorischen Verband um Vanderills Wunde. »Der Emergency Service wird ja wohl bald hier sein«, meinte sie und ging hinter den Tresen zurück.
Ich blickte zu Milo hinüber, der sich langsam regte.
»Es tut höllisch weh«, sagte er. Er betastete vorsichtig seinen Brustkorb und öffnete seinen Blouson. Die Jacke war völlig ruiniert. Darunter kam der graue Kevlar-Stoff unserer Einsatzwesten zum Vorschein, die wir zum Glück beide angelegt hatten, bevor wir uns auf den Weg vom Matthews & Partners-Gelände zum Pirates Inn begeben hatten. Schließlich wussten wir inzwischen durch telefonische Rückfragen mit der Zentrale, dass dieses Lokal ein beliebter Treffpunkt der Gang war und einige ihrer Mitglieder dafür bekannt waren, gerne und schnell zur Schusswaffe zu greifen.
Ächzend stand Milo auf.
»Sie haben das Recht zu schweigen«, belehrte mein Kollege den Festgenommenen. »Falls Sie auf dieses Recht verzichten …«
»Ich kenne den Sermon«, knurrte er.
Ich durchsuchte ihn schnell, fand noch ein paar Hieb- und Stichwaffen sowie einen kleinkalibrigen 22er, den er im Ärmel trug, und einen Führerschein, der auf den Namen Mike Vanderill ausgestellt war. Ich war schon gespannt, was wir herausbekamen, sobald wir seinen Namen in unser Datenverbundsystem NYSIS eingaben.
Die beiden anderen Bronx Pirates wichen ein Stück zurück.
»Hände hoch und an die Wand !«, befahl ich ihnen. Eine Jacke mit der Aufschrift BRONX PIRATES zu tragen oder sich eine ganz spezielle Form des Totenkopfs auf die Lederjacke aufbügeln zu lassen, war nicht strafbar.
Das Tragen bestimmter Waffen jedoch schon. Die Waffengesetze New Yorks waren für US-amerikanische Verhältnisse relativ streng. Ich fand eine SIG Sauer P226, wie wir sie selbst benutzten. Diese sechzehnschüssige Pistole war längst zur Standardwaffe sämtlicher New Yorker Polizeieinheiten geworden und hatte den bei einigen Kollegen immer noch sehr beliebten Smith & Wesson Revolver vom Kaliber .38 Special abgelöst, der mit seiner sechsschüssigen Trommel einfach nicht mehr über genug Feuerkraft verfügte, um mit den gut gerüsteten Gangstersyndikaten der heutigen Zeit mithalten zu können.
Der zweite Mann besaß eine Beretta.
Beide Waffen konfiszierte ich. Außerdem stellten wir anhand der mitgeführten Dokumente die Personalien fest. Ihren Führerscheinen nach waren beide Männer Motorradliebhaber. Sie hießen Daniel Montago und Kevin LaCoste. Milo verständigte unterdessen telefonisch die Kollegen, deren Aufgabe es sein würde, die Männer abzuholen. Bei LaCoste und Montago würde man es wahrscheinlich bei einem Protokoll belassen, bevor die Sache an die Staatsanwaltschaft ging und sie wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz angeklagt wurden. Geld- oder Bewährungsstrafen waren dabei üblich. Für Mike Vanderill allerdings stand mehr auf dem Spiel.
Ich wandte mich an Tayla Brown.
»Jesse Trevellian, FBI«, stellte ich mich vor und deutete kurz in Milos Richtung. »Das ist mein Kollege Special Agent Milo Tucker. Wir wollten zu Ihnen.«
»Zu mir?« Ihre Stimme klang tonlos.
»Sie waren die Freundin von Alan Reilly, den man hier in der Gegend auch den Bronx Commander genannt hat, nicht wahr?«
Sie nickte schluckend. »Ja«, flüsterte sie so leise, dass es kaum mehr als ein Hauch war.
»Sie wissen, was mit ihm geschehen ist?«, fragte ich.
»So etwas spricht sich hier mit Lichtgeschwindigkeit herum, Agent Trevellian.«
»Alan Reilly wurde zusammen mit drei anderen Männern brutal ermordet. Wahrscheinlich von den Gorillas eines Mafioso namens Imperioli, der seinerseits nur kurze Zeit später umgebracht wurde. Jetzt ist es unsere Aufgabe, den Fall aufzuklären.«
Tayla Brown stemmte die schlanken Arme in die Hüften und lachte rau. »So wie Sie das sagen, klingt es fast so, als würden Sie selbst wenigstens daran glauben«, höhnte sie. »In Wahrheit ist es Ihnen bei jemandem wie Alan doch völlig gleichgültig. Sie hoffen doch jetzt nur darauf, irgendeines der großen Tiere dranzukriegen, mit denen er seine krummen Geschäfte gemacht hat! So ist es doch, oder?« Sie atmete tief durch, ihre Brüste hoben und senkten sich dabei. Tränen glitzerten in ihren rehbraunen Augen. Sie wischte sie hastig weg.
»Da irren Sie sich«, erwiderte ich sachlich. »Aber zunächst hätte ich gerne gewusst, was sich soeben hinter dem Tresen abgespielt hat.«
»Für mich sah das mindestens wie eine üble Nötigung aus«, ergänzte Milo.
»Das war gar nichts!«, meldete sich Vanderill zu Wort.
»Zuerst würde ich das gerne von Miss Brown hören«, schnitt ich Vanderill das Wort ab.
Dessen Gesicht wurde dunkelrot, und ich war heilfroh, dass er die Hände wenigstens vorne zusammengekettet hatte, denn ich stufte sein Temperament trotz der Schusswunde als ziemlich unberechenbar ein.
Taylas Augen wurden schmal. Sie fixierte Mike Vanderill mit ihrem Blick. Sie trat einen Schritt auf ihn zu. »Dir passt es doch hervorragend, dass der Bronx Commander jetzt weg vom Fenster ist, weil du denkst, dass du dann bei mir landen kannst! Aber da bist du schief gewickelt, mein Lieber! Ich will nichts von dir! Selbst, wenn du der letzte Kerl auf der Welt wärst!«
Als Tayla mit geballten Fäusten auf Vanderill losgehen wollte, hielt ich sie am Oberarm fest.
»Ich denke, Mister Vanderill hat das verstanden«, stellte ich fest.