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Eine kühle, stürmische Nacht in New York. Vom Atlantik peitschte ein scharfer Wind durch die schnurgeraden Häuserzeilen bis hinauf zur South Bronx, dem heruntergekommensten Teil der Acht-Millionen-Metropole. Ganze Straßenzüge standen unter der Kontrolle aggressiver Drogengangs. In manche Gebiete trauten sich selbst die Einsatzkräfte des New York Police Department nur in Mannschaftsstärke hinein.

Eine schwarze Limousine bog in die 132. Straße ein, eine trostlose Sackgasse. Zu beiden Seiten rosteten Lagerhallen mit Wellblechdächern vor sich hin. Nur ein Teil der Straßenbeleuchtung funktionierte noch.

Ein siebensitziger Van vom Typ Chrysler Voyager folgte der Limousine dichtauf.

Beide Fahrzeuge fuhren auf das Gelände von Matthews & Partners, einer inzwischen Bankrott gegangenen Fabrik für Plastikverpackungen. In der Haupthalle hatte es vor zwei Jahren einen verheerenden Brand gegeben. Das Gebäude war komplett ausgebrannt. Noch immer stand es als Ruine da, die bis heute nicht saniert worden war.

Rußgeschwärzte Betonwände ragten vier Stockwerke hoch empor. Vom Dach waren nur die Stahlträger übrig geblieben.

Die Türen des Vans öffneten sich.

Ein halbes Dutzend Bewaffneter sprang heraus. Männer in dunklen Rollkragenpullovern und Sturmhauben, die nur die Augen frei ließen. Bewaffnet waren sie mit MPs, automatischen Pistolen und Pumpguns.

Die Männer schwärmten aus, hielten die Waffen im Anschlag.

Jetzt erst öffnete sich die Beifahrertür der Limousine.

Ein Mann im schwarzen Anzug und mit asiatischen Gesichtszügen umrundete den überlangen Wagen. Er spannte einen Schirm auf, öffnete hinten links die Tür. Zwei Dobermänner sprangen ins Freie. Sie setzten sich hechelnd auf den Boden und spitzten die Ohren.

Ächzend folgte ihnen ein schwergewichtiger Mann Ende fünfzig. Ein grauer Bart umrahmte sein breites Gesicht. Er trug einen braunen Kaschmirmantel und schlug den Kragen hoch.

»Ich hoffe, dieser Bastard hält sich an die Verabredung, Nguyen«, wandte er sich an den Asiaten.

Dieser neigte leicht den Kopf. »Wenn Sie mich fragen, ist das ein Amateur, Mr. Imperioli.«

»Den Eindruck habe ich langsam auch.« Der Dicke schüttelte gedankenverloren den Kopf. »Mein Instinkt sagt mir, dass noch mehr dahinter steckt.« Er bückte sich und kraulte einem seiner Dobermänner den Nacken.

Scheinwerfer leuchteten auf.

Mehrere Motorräder brausten auf das Firmengelände. Es waren drei Harleys und ein so genanntes Trike.

Die Maschinen stoppten.

Die Harley-Fahrer trugen Lederjacken mit der Aufschrift BRONX PIRATES. Ihre Bewaffnung bestand aus Pumpguns.

Der Trike-Fahrer schien ihr Anführer zu sein.

Auch er trug eine Lederjacke, dazu ein Piratentuch. Er stieg von seiner dreirädrigen Maschine. Unter seiner Lederjacke blitzte der weiße Perlmuttgriff eines Magnum-Revolvers vom Kaliber 4.57 hervor.

Lässig kaute der Trike-Fahrer auf seinem Kaugummi, machte schließlich sogar eine Blase damit und ließ sie geräuschvoll zerplatzen.

»Sie sind spät dran, Alan Reilly!«, stellte Brian Imperioli fest.

Das Gesicht des Trike-Fahrers erstarrte zu einer Maske. »Ich mag es nicht, wenn man mich bei meinem Sklaven-Namen nennt«, erklärte er großspurig. »Ich bin der Bronx Commander. Kapiert?«

Imperiolis Lächeln wurde eisig. »Cassius Clay alias Muhammad Ali hatte vielleicht das Recht, sich einen anderen Namen zu geben – aber nicht ein kleiner Gang-Leader, dem ich gestatte, in ein paar Straßenzügen Kokain zu verkaufen.«

Alan Reilly stutzte. »Hey, was soll das?« Er klemmte mit zur Schau gestellter Lässigkeit die Daumen hinter den Gürtel mit dem breiten Totenkopf-Verschluss. »Warum so giftig, Mr. Imperioli? Ich sehe überhaupt keinen Anlass für Streit. Die Geschäfte laufen wunderbar. Ich hoffe, Sie haben die nächste Lieferung gleich dabei. Unsere Leute können gar nicht so viel Crack aufkochen, wie uns die Junkies am liebsten aus den Händen reißen würden!« Der Mann, der sich selbst »Bronx Commander« nannte, lachte heiser. »Wir mussten das Zeug dermaßen verdünnen, dass einige Kunden schon anfingen zu meckern.«

»Was Sie nicht sagen, Reilly.« Imperioli machte dem Bronx Commander ein Zeichen. »Kommen Sie, ich möchte mit Ihnen etwas unter vier Augen besprechen.«

»Und was ist mit dem neuen Stoff?«

»Sie kriegen schon, was Sie brauchen, Reilly!«

»Verdammt, ich heiße Bronx Commander!«

Reilly trat auf Imperioli zu, zögerte aber plötzlich mit Blick auf die beiden Dobermänner. Imperioli lachte leise, kraulte dabei die Tiere erneut hinter den Ohren. »Die sehen nur gefährlich aus, in Wirklichkeit sind das ganz friedliche Tiere …«

»Wenn Sie es sagen.«

»Kommen Sie mit zum Wagen!«

Reilly folgte Imperioli.

Nguyen, der Leibwächter blieb bei ihnen. Nach wenigen Schritten erreichten sie die Limousine.

»Scheiße, was gibt‘s denn so Wichtiges?«

»Werden Sie gleich sehen!«

Imperioli schnipste mit den Fingern.

Seine Männer rissen daraufhin ihre Waffen hoch und feuerten. Die MPs ratterten los. Mündungsfeuer leckten aus den kurzen Mündungen heraus.

Die drei Harley-Fahrer kamen nicht dazu, auch nur einen einzigen Schuss abzugeben. Ihre Körper zuckten unter den Treffern.

Ehe Reilly zu seinem Magnum-Revolver greifen konnte, versetzte Nguyen dem Gang-Leader eine Kombination von Karateschlägen. Der selbst ernannte Bronx Commander sackte ächzend zu Boden. Trotz der brutalen Schläge schaffte er es noch, die Waffe herauszureißen.

Der Leibwächter kickte sie ihm zielsicher aus der Hand.

Die Dobermänner knurrten.

»Bewegen Sie sich nicht, Reilly!«, befahl Imperioli. »Sonst zerfleischen die Hunde Sie!«

Der Bronx Commander rang nach Luft.

Imperioli trat näher an ihn heran. Die Dobermänner wichen nicht von der Seite ihres Herrn. Sie hechelten.

»Verdammt, was soll das?«, brachte Reilly schließlich heraus.

»Ich lass mich nicht für dumm verkaufen, Reilly«, erwiderte Imperioli kalt.

»Ich habe alles getan, was Sie wollten!«

»So?« Imperioli lachte zynisch. »Sie sind doch ein erbärmlicher Feigling, Reilly. Ich kann es nicht leiden, wenn man mich betrügt, aber noch weniger kann ich es ausstehen, wenn mich jemand anlügt!«

»Mr. Imperioli, wir können über alles reden …«

Der Dicke gab seinem Leibwächter ein Zeichen.

Nguyen versetzte dem am Boden liegenden Bronx Commander daraufhin einen brutalen Tritt. Reilly stöhnte auf, krümmte sich wie ein Embryo zusammen.

»Warum haben Sie Koks von der Konkurrenz genommen, Reilly? Sie wussten doch, was darauf folgt!«

»Bitte, Mr. Imperioli!«

»Wer wimmert da wie ein Baby? Der Bronx Commander?«

»Es wird nie wieder vorkommen, Mr. Imperioli!«

»Nein, wird es auch nicht!«, bestätigte der Dicke mit eisigem Unterton. Er pfiff zwischen den Zähnen hindurch. Die Dobermänner gehorchten. Mit gefletschten Zähnen stürzten sie sich auf Reilly. Fast eine halbe Minute lang gellten die Schreie des Bronx Commanders ungehört durch die kalte Nacht. Dann war Ruhe.

»Sollen wir hier aufräumen, Sir?«, erkundigte sich Nguyen.

Brian Imperioli schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, ich möchte, dass alles genauso bleibt, wie es jetzt ist! Das soll dem Rest dieser Rattenbande eine Warnung sein! Mich hintergeht man nicht!«

Nguyens asiatisches Gesicht blieb vollkommen regungslos. »Wie Sie wünschen, Sir.«

Er gab seinen Leuten ein Zeichen. Die Bodyguards stiegen wieder in den Van. Türen klappten. Brian Imperioli blickte mit einem zufriedenen Lächeln auf Reilly hinab. Sein Gesicht war kaum noch zu erkennen, so schlimm hatten die Dobermänner gewütet.

»Niemand betrügt einen Imperioli!«, murmelte der Dicke vor sich hin.

Der Van mit den Bodyguards startete bereits.

»Avanti, Jungs!«, rief Imperioli.

Die Dobermänner waren damit gemeint. Sie setzten sich augenblicklich in Bewegung und hetzten hechelnd zur Limousine. Der Chauffeur öffnete ihnen die Hintertür. Sie sprangen auf die Rückbank und warteten dort artig auf ihr Herrchen. Brian Imperioli folgte ihnen gemessenen Schrittes. Wenig später hatte auch er zusammen mit Nguyen auf der Rückbank Platz genommen.

»Einer muss die Drecksarbeit übernehmen«, erklärte Imperioli düster, nachdem die Tür geschlossen war.

»Ja, Sir«, bestätigte Nguyen.

»Das war schon damals in Vietnam so. Verdammt, die Drecksarbeit blieb immer an mir hängen. Weißt du, wie die Jungs mich damals genannt haben?«

»Nein, Sir.«

»Den Mann ohne Nerven.« Einer der Dobermänner schmiegte sich an Brian Imperioli. Der Dicke kraulte ihn daraufhin hinter den Ohren. Das Tier knurrte wohlig. »Eigentlich würde ich mich ja liebend gerne aus dem blutigen Teil des Business zurückziehen. Ich war lange genug der Schlächter. Aber was bleibt mir für eine Wahl?«

Imperioli langte in die Innentasche seines Mantels, holte ein Zigarrenetui heraus und steckte sich eine dicke Havanna in den Mund. Nguyen gab ihm Feuer.

Der Wagen setzte sich in Bewegung und folgte dem Van mit Imperiolis bewaffneter Kampftruppe.

»Wir haben einfach zu viele Weicheier in der Familie«, meinte der große Boss mit deutlich hörbarer Resignation in der Stimme. Er sah Nguyen offen an. »Aber was kann man von einer Jugend erwarten, die mit dem silbernen Löffel voll Koks auf die Welt gekommen ist? Denen fehlt einfach die nötige Härte. Am Ende bleibt es doch wieder an den alten Haudegen hängen, alles zusammenzuhalten …«

»Ja, Sir«, sagte Nguyen.

Die beiden Wagen fuhren die Sackgasse zurück, über die sie auf das Firmengelände gelangt waren.

Ein Blitz zerriss die Nacht.

Eine gewaltige Explosion war zu hören.

Der Van verwandelte sich in einen Feuerball.

Imperiolis Chauffeur trat auf die Bremse. Die Reifen quietschten. Imperioli hatte sich nicht angeschnallt und wurde mitsamt den Hunden nach vorn gegen die gepanzerte Trennscheibe zur Chauffeurkabine geschleudert. Brian Imperioli stöhnte auf. Er war benommen. Blut rann ihm an der Stirn hinab.

»Alles in Ordnung, Mr. Imperioli?«, fragte Nguyen, der sich besser hatte schützen können.

Imperiolis Augen waren schreckgeweitet.

Nur Sekunden später verwandelte sich auch seine Limousine in einen explodierenden Feuerball.

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