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IX
ОглавлениеIhr Weg führte sie vom Wasserfall aus weiter nach Südosten. Dabei hielten sie sich stets am äußersten Rand des Hochplateaus, da dort das Gelände oftmals durch überhängende Felsvorsprünge von oben nicht einsehbar war. Damit waren sie geschützt, falls – wie in den vergangenen Jahren schon einige Male vorgekommen – feindliche Jäger über das Plateau flogen oder sich sogar eine Anomalie hierher verirren sollte. Dort wo ihnen der Fels keinen Schutz bot, konnten sie meist auf dichten Wald ausweichen, der die schmalen, aber steilen Berghänge hinaufwuchs. Nur an wenigen Stellen mussten sie wieder ins Innere des Plateaus gehen, um dort nach einem geeigneten Weg zu suchen.
Da sie sich dabei ausnahmslos durch eher unwirtliches Gelände arbeiten mussten, kamen sie nur quälend langsam voran. Außerdem bewegten sie sich in einem Gebiet, das sich ziemlich weit ab von ihrem Lager befand. Weder Melia noch Kalipos und schon gar nicht Nimas kannten sich hier wirklich aus und auch Chalek war nicht immer sicher in seinen Schritten.
Alles in allem war es eine echte Tortur, die etliche Stunden in Anspruch nahm.
Doch niemand murrte, zumindest eine ganze Zeitlang nicht. Melia hatte absolutes Vertrauen zu dem Jungen, auch wenn er hier und da etwas unsicher schien. Letztlich aber bewegte er sich doch zielstrebig genug, um bei ihr keine Zweifel aufkommen zu lassen.
Kalipos war sich da nicht ganz so sicher in dem Jungen, doch beschloss er, ihm eine Chance zu geben und nahm Melias Zuversicht als Motivation.
Lediglich Nimas hielt das alles für ziemlichen Schwachsinn. Aber natürlich traute er sich nicht, das kundzutun. Da sich niemand mit ihm unterhielt – Kalipos ihn nur dann und wann anraunzte, er solle schneller machen – staute sich auch aufgrund des beschwerlichen Weges allmählich Frust in ihm auf. Er war zwar bemüht, sich so nahe wie möglich an Melia zu halten, doch ergab sich keine Gelegenheit, bei der er Körperkontakt zu ihr finden konnte. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass er in der letzten Stunde immer häufiger, lauter und gequälter gestöhnt hatte. Weil aber niemand darauf reagierte, konnte er seinen Frust nicht abbauen, sondern er wurde gar noch größer.
Schließlich hielt er es nicht mehr aus. „Wie lange müssen wir hier noch herumturnen?“ rief er mit deutlichem Ärger in der Stimme. Sie waren gerade dabei, eine kleine, aber sehr steile Anhöhe mit spitzen, schroffen Felsen zu erklimmen über die sich drohend ein mächtiger Felsvorsprung neigte. Nimas blieb abrupt stehen und atmete tief durch. Dabei warf er dem Jungen, der die Anhöhe bereits erklommen und sich umgedreht hatte, um Melia seine Hand zu reichen, einen düsteren Blick zu. Chalek, der zufällig in seine Richtung geschaut hatte, hielt in seiner Bewegung inne.
„Lass den Jungen in Ruhe!“ raunte ihm Kalipos von hinten zu, während er direkt hinter ihn trat und ihm einen kurzen, derben Stoß versetzte. „Und sieh zu, dass du weiterkommst!“
Melia hatte Nimas Worte natürlich nicht überhört, doch zog sie sich erst an Chaleks helfender Hand in die Höhe und verschnaufte, bevor sie darauf reagierte. „Bleib ruhig!“ sagte sie in besänftigendem Ton. „Es nützt niemandem, wenn wir unsere Geduld verlieren. Es ist sicher nicht mehr weit!?“ Sie schaute den Jungen an, der ihr zunickte. „Siehst du! Also entspann dich!“
Während Nimas mit einigem Widerwillen, aber von Kalipos getrieben, weiter nach oben kletterte, erwiderte er. „Das hast du vor einer Stunde auch schon gesagt. Woher willst du wissen, dass der Bengel noch weiß, wo wir sind oder wo wir hinmüssen? Am Ende verschwenden wir hier nur unsere Zeit!“
Bevor Melia antwortete, konnte man sehen, dass sich ihr Gesichtsausdruck deutlich verhärtete. „Niemand verschwendet hier seine Zeit!“ Sie atmete hörbar ein. „Wenn Chalek sagt, dass es hier einen weiteren Ausgang gibt, dann ist er auch hier irgendwo!“
Nimas hatte mittlerweile die Spitze des Anstiegs erreicht und streckte ihr seine rechte Hand entgegen, doch weder Melia noch Chalek reagierten darauf. Stattdessen erhielt er von Kalipos einen weiteren Schubs, der ihn letztlich unsanft nach oben beförderte. Während er dort verschnaufte sagte er. „Bis jetzt habe ich ihm das auch geglaubt, aber mittlerweile denke ich nicht, dass er noch weiß, wo wir lang müssen!“ Er schaute den Jungen direkt, abweisend und fordernd ins Gesicht. „Richtig?“
Melia wandte sich ebenfalls zu Chalek um, um seine Reaktion zu sehen. Kalipos drückte sich derweil schroff an Nimas vorbei nach oben.
Bevor Chalek antwortete, warf er Melia einen kurzen Blick mit einem sanften Lächeln zu, dann erwiderte er Nimas Geste und sein Antlitz wurde hart und finster. Schließlich schüttelte er selbstsicher den Kopf und agierte kurz mit seinen Händen.
„Du irrst dich!“ meinte Melia und schaute Nimas an. „Chalek weiß sehr genau, wo wir sind!“
„Ach ja?“ raunte Nimas wenig überzeugt zurück. „Wer es glaubt!“
Melia erhaschte einen kurzen Blick auf Kalipos. Sie sah, dass dem Anführer Nimas Tonfall offensichtlich nicht passte, aber auch, dass er ebenfalls Zweifel an Chaleks Orientierung hegte. Deshalb drehte sie sich zurück zu dem Jungen und fragte ihn. „Kannst du nicht mehr sagen?“
Chalek sah sie einen Moment ausdruckslos an, dann wandte er sich um und schaute in die andere Richtung. Nach einem kurzen Moment drehte er sich zurück und deutete Melia an, zu ihm zu treten. Sie tat es, während sich der Junge wieder umwandte und legte ihren Kopf dicht neben seinen. Chalek deutete mit dem linken Arm direkt nach vorn und gestikulierte dann mit den Händen. Melia hörte ihm aufmerksam zu, dann blickte sie angestrengt nach vorn. Anfangs war ihr Gesicht noch finster, dann aber erhellte es sich und sie nickte mit einem Lächeln. Chalek war ebenfalls erfreut und drehte sich zurück zu ihr. Mit ihren Händen gab sie ihm zu verstehen, dass sie es auch gesehen hatte. Dann wandte sie sich an Nimas und Kalipos. „Kommt her!“
Die beiden Männer traten zu ihr. Melia drehte sich um und deutete nach vorn. „Da! Seht ihr den großen Felsen auf der rechten Seite. Vielleicht eine Meile entfernt?“
„Ja!“ sagte Kalipos nach einem Moment des Suchens.
Nimas nickte mit einem Brummen. „Ich bin ja nicht blind!“
Melia überhörte diese Bemerkung einfach. „Etwas weiter links gibt es zwei kleinere Erhebungen. Sie sehen aus wie...!“ Sie suchte nach dem richtigen Vergleich. „...Brüste!“
„Brüste?“ Nimas verzog das Gesicht.
„Ja!“ Melia nickte. „Frauenbrüste halt!“
Nimas und Kalipos schauten angestrengt. Schließlich nickte Kalipos.
Nimas brummte nur unzufrieden. „Ich sehe nichts!“
„Doch!“ beharrte Melia. „Sie sind da! Du bist doch blind!“ Sie grinste. „Also. Das ist unser Ziel. Eine Meile, mehr oder weniger. Dann sind wir am Ziel. Okay?“
Kalipos nickte und Melia war zufrieden. Sie drehte sich zu Chalek, gab ihm einen leichten Kuss auf die Stirn und deutete ihm an, weiterzugehen.
Kalipos wollte ihnen folgen, doch er sah Nimas finsteres Gesicht.
„Titten!“ Er schüttelte den Kopf. „Pah!“
„Hast du ein Problem damit?“ zischte der Anführer im Flüsterton.
Nimas wollte schon etwas Zorniges erwidern, doch Kalipos Blick war eiskalt und steinhart. „Nein!“ sagte er schließlich. „Kein Problem!“
„Dachte ich es mir doch!“ Kalipos grinste kurz breit, dann wurde er wieder ernst. „Wäre mir ansonsten eine Freude, dich abzulaschen!“ Nimas hielt seinem Blick nur einen Moment Stand, dann begann er zu blinzeln, weil er merkte, dass sein Gegenüber es ernst meinte. „Und jetzt los, Mann!“ Er gab Nimas einen Schubs, woraufhin der brummte, sich dann aber umdrehte und wortlos hinter Melia und dem Jungen herging.
Kalipos folgte ihm dichtauf. Als er sicher war, dass ihn niemand mehr ansah, wurde das Gesicht des Anführers sorgenvoll und skeptisch. Denn wenn er ehrlich war, hatte er Melias Brüste nicht wirklich dort ausmachen können. Doch das behielt er für sich, war sich aber nicht mehr sicher, wie lange sein Vertrauen in Melia und den Jungen seine Zweifel noch unterdrücken konnte.
*
„Schläfst du?“ fragte Vilo und schaute verstohlen zu Mavis hinüber. Sein Freund saß tief in seinen Sitz gedrückt, hatte sich seit geraumer Zeit nicht mehr bewegt und sein Atem ging regelmäßig, tief und langsam. Doch als Vilo sein Gesicht im Profil sehen konnte, waren Mavis Augen geöffnet.
„Was?“ erwiderte sein Freund, allerdings eine Spur zu laut und zu mürrisch. Deutlich konnte Vilo die Irritation im Blick des Anderen sehen. Mavis öffnete seine Augen übergroß, richtete seinen Oberkörper mit einem kurzen Ruck auf und saß dann wie erstarrt da. „Schlafen? Bist du verrückt?“ Doch schon im selben Moment gähnte er lautstark bis über beide Ohren.
Vilo grinste breit und nickte. „Du Lusche!“
„Alter, halt bloß dein Maul!“ zischte Mavis etwas gereizt. „Du hast gerade noch einen gut bei mir!“ Er schaute Vilo mit verzogenen Mundwinkeln an.
„Aber geschlafen hast du doch!“ Vilo ließ sich seine gute Laune nicht verderben.
„Das war reine Augenpflege!“ wand sich Mavis. „Schließlich bin ich hier der Boss und du nur der Fahrer!“
„Aha!“ Jetzt rümpfte Vilo doch die Nase.
„Und als Boss bin ich in mich gegangen und habe über unsere Mission nachgedacht!“
„Blödmann!“ Vilo lachte verächtlich auf. „Du warst im Wald und hast die Säge angehabt!“
„Was habe ich?“
„Geschnarcht, Alter. Das hast du!“
„Pah!“ Mavis lachte ebenfalls auf, doch sein Blick war alles andere als selbstsicher. „Hab ich gar nicht!“
„Naja, aber fast!“ lenkte Vilo ein.
„Sag ich doch!“ Mavis war wieder zufrieden.
„Aber hör mal...Boss!“ Vilo betonte das letzte Wort wenig freundlich. „Wenn du nicht geschlafen hast, sondern über unsere Mission nachgedacht, ist dir dann wenigstens was Sinnvolles eingefallen?“
„Ähm...?“ Mavis war sichtlich irritiert. „...sollte es?“
Vilo wiegte den Kopf mit verkrampfter Miene. „Eigentlich schon!“
„Inwiefern?“
„Na, falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte. Du warst gute vier Stunden weg!“
„Was?“ Jetzt war Mavis sichtlich geschockt. Ein kurzer Blick auf die Uhr aber sagte ihm, dass Vilo nicht gelogen hatte. „Aber...!“ Er pustete die Luft in die Wangen. „Scheiße!“
„Du sagst es!“ Vilo nickte.
„Wo sind wir jetzt?“
„Fast da!“ erwiderte Vilo trocken. „Also zumindest kurz davor. Ich schätze, noch etwa eine Stunde!“
Mavis überlegte und wiegte den Kopf hin und her. „Okay! Das ist doch prima. Wo ist jetzt dein Problem?“
„Mein Problem ist, dass ich Gesellschaft brauche, sonst penne ich dir hier auch gleich weg!“
„Dann hilf dir selber!“ gab sein Freund lasch zurück.
„Und wie?“
„Sing dir ein Lied!“ Mavis zuckte mit den Schultern. „Spiel an dir rum! Aber lass mich gefälligst in Ruhe weiterarbeiten!“
„Wage es ja nicht, wieder die Augen zu schließen!“
Mavis verzog das Gesicht und atmete tief durch. „Mimose! Aber gut. Worüber möchte der Herr sich denn mit mir unterhalten?“
„Über unsere Mission!“ erwiderte Vilo etwas genervt.
„Was ist damit?“
„Wir brauchen einen Plan!“
„Ich dachte...!“ Mavis zog die Augenbrauen zusammen. „Hatten wir denn keinen?“
Vilo schüttelte mit ernster Miene den Kopf. „Ich glaube nicht!“
Plötzlich wurde Mavis wieder locker. „Na, aber das ist doch prima!“
„Was bitte schön soll denn daran prima sein?“
„Dann hast du ja was zu tun! Denk dir einen schlauen Plan aus und lass mich in Ruhe!“
Doch Vilo schüttelte den Kopf. „Ich bin nur der Fahrer! Für so wichtige Dinge ist ja wohl der Boss zuständig!“
Mavis verzog sofort das Gesicht. „Mist!“ raunte er säuerlich, aber als Vilo siegessicher grinste, meinte er. „Also gut. Wie wäre es damit: Wir wissen, wo wir hinmüssen. Du bringst uns dahin, wir schauen uns um, finden den Kristall, nehmen ihn an uns und machen uns wieder aus dem Staub!“ Jetzt grinste Mavis.
„Was?“ Vilo war nicht begeistert.
„Klingt für mich doch wie ein kleiner, sauberer, erfolgreicher Plan!“
„Ich dachte immer, du stehst nicht auf kleine, saubere, erfolgreiche Pläne, sondern eher auf die grobe, irre und panische Variante!?“
„Was soll das denn heißen?“
„Nichts!“ Vilo merkte sofort, dass sein Scherz nicht gefunkt hatte.
„Stimmt nämlich auch nicht!“ meinte Mavis. „Eigentlich würde ich gern irgendwo am Strand in einem Liegestuhl sitzen zusammen mit...!“ Er verstummte und sein Blick wurde traurig.
Vilo wollte ihm schon etwas Aufmunterndes erwidern, doch er wusste, dass er das nicht konnte. Also beschloss er, das Thema wieder zu wechseln. „Was also schlägst du vor?“
Mavis reagierte einen Moment lang nicht, dann atmete er tief durch und schaute seinen Freund mit klarem Blick an. „Dass du uns an die Oberfläche bringst!“
„Und dann?“
„Holen wir uns über das Langstreckenradar die brandheißen News von der tibunischen Küste!“
*
Chalek trat aus dem kleinen Waldstück, durch das sie sich in den letzten zehn Minuten gekämpft hatten, hinaus auf einen kleinen, flachen Felsvorsprung. Der Boden im Wald war steil und zerklüftet gewesen. Sie konnten nur langsam und mit größter Konzentration agieren und es kostete allen viel Kraft.
Der Junge atmete daher mehrmals tief ein, um zu verschnaufen, doch als er auf das blickte, was sich links vor ihnen auftat, huschte ein breites Lächeln auf sein Gesicht.
Melia kam einige Sekunden nach ihm aus dem Wald. Auch ihr Atem ging schwer. Deutlich stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Sie japste mehrmals, beugte sich nach vorn und stützte ihre Hände auf ihre Oberschenkel. Während sie so verschnaufte, konnte sie hören, wie Nimas mit mürrischem Brummen hinter ihr auftauchte. Ihr war sofort klar, dass er spätestens jetzt wieder nicht mehr an sich halten konnte und schimpfen würde. Sie hob ihren Kopf und warf Chalek einen Blick zu, um ihn darauf vorzubereiten. Doch als sie das breite Grinsen in seinem Gesicht sah, stutzte sie.
Wir sind da! gab der Junge ihr zu verstehen.
„Ehrlich?“ Melia war sichtlich überrascht, doch Chalek nickte und deutete mit dem linken Arm in die entsprechende Richtung.
Melia richtete ihren Oberkörper wieder auf und streckte ihn durch. Dabei blickte sie nach vorn und war sogleich etwas entsetzt, denn vor ihnen erhob sich ein äußerst steiles, extrem zerklüftetes und augenscheinlich sehr gefährlich zu besteigendes Geröllfeld bis hinauf zum Rand des Hochplateaus in etwa sechzig Metern Höhe. Sie war sich zwar nicht sicher, was sie erwartet hatte, aber sicherlich nicht das. Und das Gefühl der Unsicherheit und des Zweifelns, das sich schlagartig in ihr breitmachte, gefiel ihr überhaupt nicht. Chalek erkannte dies und als sich ihre Augen trafen, sah Melia, dass sein Lächeln verschwand und er enttäuscht schien.
„Was ist los?“ fragte Kalipos, der sich mittlerweile erholt hatte.
„Wir sind da!“ erwiderte Melia und gab gleichzeitig Chalek zu verstehen: Das sieht gefährlich aus!
„Was soll das heißen, wir sind da?“ hob Nimas verärgert an.
Ja, sieht es! erwiderte Chalek. Aber ich habe einen Weg hinaufgefunden. Er ist schwer, aber nicht unmöglich!
„Ihr wollt mir doch jetzt nicht erzählen, dass wir diese...!“ Nimas Stimme war eiskalt und zornig. „...Wand erklimmen sollen?“
„Halt die Luft an, Mann!“ zischte Kalipos aber sofort und baute sich drohend neben ihm auf. „Und lass den Jungen erklären!“ Er schaute Melia an.
„Doch, wir müssen da rauf!“ erwiderte die junge Frau. „Aber...!“ fügte sie schnell hinzu. „...Chalek sagt, er hätte einen Weg gefunden, der passierbar ist!“
„Ja, für ihn vielleicht!“ rief Nimas. „Aber doch nicht für uns Erwachsene!“
„Ich sag es dir jetzt zum allerletzten Mal: Halt deine verdammte Klappe!“ Kalipos hatte Mühe, sich im Zaum zu halten. „Wir sind so weit gekommen, jetzt ziehen wir das auch durch. Hast du das ein für alle Mal verstanden?“
Nimas funkelte den Anführer einen Moment lang böse an, dann nickte er mit einem mürrischen Brummen. „Ach, leck mich!“ nuschelte er dabei leise.
Kalipos blickte ausdruckslos, aber mit bohrenden Augen zurück, dann wandte er sich ohne ein weiteres Wort an den Jungen. „Kannst du uns da wirklich sicher raufbringen?“
Chalek nickte.
„Okay!“ Auch Kalipos nickte. „Dann tu es!“
*
Vilo behielt ihre Geschwindigkeit bei, während er in einen sanften Steigflug ging. Er rechnete damit, dass er Mühe haben würde, das Schiff bei diesen aufgewühlten Wassermassen ruhig zu halten, doch zu seiner Überraschung geschah nichts dergleichen. Offensichtlich musste sich der Sturm über ihnen gelegt haben. Bei einer Tiefe von zweihundert Metern erhöhte er den Steigungswinkel immer mehr und schließlich schoss das Boot mit noch immer weit über vierhundert Meilen in der Stunde durch die ruhige Wasseroberfläche in den überraschend wolkenarmen Himmel.
Mavis hatte sich in den letzten Momenten ziemlich in seinen Sitz gekrallt. Als die Kitaja aus dem Meer hinausschoss, betrug ihr Steigungswinkel beinahe sechzig Grad und er hatte das Gefühl, als würden sie direkt in den gleißenden Sonnenstern rasen, der nach langer Zeit mal wieder ungehindert am Himmel prangte. Teils fasziniert von seinem Anblick, erkannte er aber auch sehr schnell den milchigen Dunst, der am Himmel in allen erdenklichen Farben waberte und wie ein halbdurchsichtiger Schleier über dem galpagischen Ozean lag. Dabei überwog die Farbe Grün eindeutig und Mavis wusste sofort, dass es Zeugnisse der teuflischen Gifte waren, die ständig und unablässig aus den Wandlern ihrer Feinde in die Atmosphäre gepumpt wurden.
Währenddessen drosselte Vilo ihre Geschwindigkeit und sorgte dafür, dass das Schiff in einen Parallelflug in geringer Höhe zur Wasseroberfläche ging.
Als Mavis sich aber noch immer nicht rührte, blickte er zu ihm herüber und fragte. „Mavis?“
Sein Freund reagierte nicht sofort, dann aber nickte er. „Ja, alles klar. Ich mach schon!“ Er beugte sich nach vorn und gab einige Befehle in den Rechner ein.
Vilo schaute ihm einen Augenblick zu, dann blickte auch er zum Himmel. Natürlich sah auch er den milchigen Schleier und konnte ihn mit den Giften aus den Atmosphärenwandlern assoziieren. Somit konnte er Mavis Gefühlslage verstehen, er selbst empfand ähnlich.
„So!“ sagte Mavis dann nach einem weiteren Augenblick. „Hier!“ Er sorgte dafür, dass das Bild des Langstreckenradars auf dem Hauptbildschirm zu sehen war. „Dann lass uns mal sehen, was wir haben!“
Kaum erschien das Bild auf dem Schirm, betrachteten es beide Männer jeder zunächst still für sich selbst.
Zu sehen war die Küstenlinie Tibuns. Der obere Bildrand endete knapp unterhalb der tibunisch-oritaischen Grenze, der untere Bildrand reichte bis etwa fünfhundert Meilen nördlich der Grenze zu Waribant im Süden. Ziemlich zentral im Bild lag Porista, die Hauptstadt des Landes. Immititosh und der Uto-Avo-See einige hundert Meilen nördlich waren gerade noch im Bild. Im Süden gab es keine größeren Städte mehr, da er fast gänzlich von dichtem Dschungel bewachsen war.
Da das Amulett als Standort des Kristalls einen Ort in unmittelbarer Nähe von Porista angezeigt hatte, war das weitere Hinterland Tibuns ebenfalls nicht auf dem Bildschirm.
Einzig der Tafelberg mit seinem Hochplateau einige Meilen südwestlich der Stadt war am linken Bildrand noch gut zu erkennen.
„Okay!“ meinte Vilo schließlich. „Laut Shamos und Matu liegt unser Ziel etwas südwestlich von Porista. Also so ziemlich zwischen der Stadt und diesem Bergmassiv da!“
Mavis nickte. „Und damit genau da, wo der Feind ist!“ Er spielte auf die Tatsache an, dass quasi das gesamte Stadtgebiet, aber auch die nähere Umgebung nur so von feindlichen Signalen wimmelte. Außerdem thronte der widerliche Rüssel einer verdammten Anomalie über dem Norden der Stadt, Alles erinnerte ihn stark an das Bild, das sich ihnen stets geboten hatte, wenn sie Ara Bandiks angeflogen hatten.
Vilo brummte und nickte. „So viel zu einem kleinen, geschmeidigen Plan!“
Mavis erwiderte nichts, sondern nickte nur mehrmals vor sich hin, während beide Männer wieder stumm ihren Gedanken nachhingen.
„Wir haben aber doch gar keine andere Wahl!“ meinte Mavis dann. „Wenn der Kristall dort ist, wo Matu und Shamos es sagen und wir ihn wirklich holen wollen, dann müssen wir eben auch dorthin!“
„Aber wir können wohl kaum direkt anfliegen!“ gab Vilo zu bedenken.
Mavis schüttelte den Kopf. „Sicher. Aber wir müssen trotzdem so nahe wie möglich ran, wollen wir nicht noch tageklang durch diesen verdammten Dschungel eiern!“
„Da hast du Recht!“ stimmte Vilo zu. „Das macht keinen Sinn!“ Er betrachtete nochmals das Radarbild. „Dann schlage ich vor, wir nutzen die einzige Deckung, die weit und breit zu sehen ist!“
„Das Bergmassiv!“ Mavis nickte nachdenklich. „Tausendvierhundert Meter Höhe sollten Deckung genug sein!“
„Ich könnte südlich davon auftauchen!“ Vilo deutete auf die entsprechende Stelle auf dem Radarschirm. „Dann eine kurze Strecke querab und schon wären wir hinter dem Massiv verschwunden!“ Er hielt kurz inne und fuhr dann fort, während er mit dem rechten Zeigefinger die Strecke nachzeichnete. „Dann dicht und niedrig an den Ausläufern entlang nach Westen und schließlich nach Norden, bis...!“ Er überlegte kurz. „...dahin würde ich sagen!“ Er deutete auf eine Art Verwerfung oder besser Gebirgskette, die im nordwestlichen Bereich des Tafelberges abzweigte und einige hundert Meilen mehr oder weniger Richtung West-Nordwest verlief. Sie war mit knapp vierhundert Metern Höhe wesentlich niedriger, als der Berg selbst, aber sicherlich hoch genug, um sich hinter ihr unbemerkt anzuschleichen. Tatsächlich waren es von dort aus nur noch vier Meilen bis zu ihrem Zielpunkt und sechs bis Porista.
Mavis überlegte einen Moment stumm, dann nickte er. „Guter Plan!“ lobte er, denn zusätzlich bot die Gebirgskette auch noch den Vorteil, dass das Gelände von Süden her lange vorher sanft bis fast zur Gipfelhöhe anstieg und mit dichtem Urwald bewachsen war, bevor sie nach Norden hin steil und nahezu vegetationslos abfiel. Entsprechend war die Chance, dort im dichten Buschwerk ein gutes Versteck für das Schiff zu finden nicht mal schlecht. „Und das von einem popligen Fahrer!“ Er schob die Unterlippe vor.
Vilos Lächeln verschwand. „Oh danke, Boss! Du motivierst mal wieder grandios!“ Er schüttelte mit einem Lachen den Kopf. „Also?“
„Dein Plan steht. Der Boss nickt ihn ab! Geh wieder auf Tauchstation und dann weiter mit Volldampf nach Westen!“
Vilo war zufrieden, nickte und leitete schon das Eintauchmanöver ein.
„Ich werde derweil...!“
Vilo hielt plötzlich inne und schaute seinen Freund mit finsterer Miene an. „Wehe!“
Mavis blickte säuerlich zurück. „...die anderen holen, um ihnen unseren...!“
„Na?“ raunte Vilo sofort.
Mavis räusperte sich. „Ähm...deinen Plan...zu erklären!“
Vilo stimmte mit einem Nicken zu und grinste dabei.
„Und jetzt flieg, Alter, bevor dein Boss dich zum Sanitäroffizier degradiert!“
„Zum was?“
„Zum Klojungen!“