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XI

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Melia hatte das Gefühl, als wäre ihr gesamter Rücken vollkommen taub, während er gleichzeitig widerlich heftige Schmerzschübe aussandte. Das einzig Gute daran war – wenn überhaupt – dass sie so nicht ohnmächtig wurde, sondern bei Bewusstsein blieb. Dennoch konnte sie sich anfangs nicht bewegen. Wohl aber hören, wobei sie sich in den ersten Momenten allerdings nicht sicher war, ob ihre Ohren nicht doch ernsthaft verletzt waren, denn sie vernahm nur ein sehr lautes Brummen. Erst nach einigen Sekunden wurde es sehr schnell schwächer und verstummte schließlich ganz. Dann hörte sie über sich Kalipos und den Jungen besorgt rufen und sie wusste, dass sie sich um ihre Ohren doch keine Sorgen zu machen brauchte. Um ihnen zu zeigen, dass alles in Ordnung war, zwang sie sich, sich auf den Rücken zu drehen, was ihr mit einem schmerzhaften Stöhnen auch gelang. Als sie ihre Augen wieder öffnete, konnte sie in die ängstlichen Gesichter der beiden Männer schauen. Kraftlos winkte sie ihnen zu.

„Barie, alles in Ordnung?“ rief Kalipos.

„Ja!“ stieß sie hervor. „Alles okay!“ Sie war noch immer bemüht, zu Atem zu kommen.

„Ich komme runter!“ rief der Anführer.

„Nein!“ Sie schüttelte den Kopf und hustete. „Das ist nicht nötig!“ Sie schloss ihre Augen, konzentrierte sich auf ihr Innerstes und drückte ihren Oberkörper dann in die Höhe. Während ihr ein wenig schwindelig wurde und sie ihre Arme zum Abstützen gebrauchen musste, sagte sie. „Es geht schon!“

Kalipos über ihr brummte und murmelte etwas Unverständliches, doch er blieb, wo er war.

Melia atmete noch ein paar Mal tief durch, dann blickte sie sich um. Zwei Meter neben sich konnte sie Nimas am Boden sehen. Seine Augen waren geschlossen, aus einer Wunde am Kopf troff Blut auf den Felsen. Sofort spiegelte sich in ihrem Blick Verärgerung wider, aber auch Sorge. Mit einem weiteren Stöhnen krabbelte sie zu ihm und kniete sich neben ihn. „Nimas?“ Er atmete, das konnte sie erkennen. Vorsichtig begutachtete sie seine Kopfwunde. Erleichtert stellte sie fest, dass es nur eine Platzwunde war. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass Nimas einen weichen Schädel und sich tatsächlich ernsthaft verletzt hatte, doch das glaubte sie nicht. Schnell holte sie aus ihrer Hosentasche ein Tuch und säuberte damit die blutende Wunde.

Im selben Moment begann Nimas zu stöhnen und drehte seinen Kopf in ihre Richtung. „Was...? Was ist passiert?“ Er schaute sie mit glasigen Augen an.

Melia huschte ein Lächeln über die Lippen, das jedoch sofort wieder verblasste und einem säuerlichen Gesichtsausdruck Platz machte. „Du bist abgerutscht...und hast mich mitgerissen!“

„Oh!“ Nimas war sichtlich verwirrt. „Das tut mir leid!“

„Macht ja nichts!“ erwiderte Melia. Als sie danach tief durchatmete, verzog sie ihr Gesicht, da sich ihr Körper noch immer weigerte, schmerzfrei zu funktionieren. Um sich abzulenken, schaute sie hinauf zu Kalipos und dem Jungen. „Nimas ist auch okay!“

„Wen interessiert das?“ sagte Kalipos wenige Meter über ihr leise. Dabei schaute er zu Chalek und als er das breite, schelmische Grinsen auf seinen Lippen sah, musste er ebenfalls lächeln.

„Könnt ihr uns ein Seil herunterwerfen?“

Kalipos wollte ihrem Wunsch gerade nachkommen, da klopfte ihm Chalek auf die Schulter und erklärte ihm mit seinen Händen etwas, was er jedoch nicht verstand.

„Warte!“ sagte er zu ihm, beugte sich über die Felsenklippe, bis er Melia und Nimas unter sich sehen konnte. „Barie?“ Er wartete, bis die junge Frau ihn ansah. „Der Junge will dir was sagen!“

„Ja?“ rief sie zurück.

Kalipos wandte sich um und nickte Chalek zu. Der Junge beugte sich vor und als er Melia erkennen konnte, gestikulierte er wieder mit den Händen. Der Anführer legte dabei schützend seine Hände um seinen Bauch.

Melia verstand sofort, was Chalek von ihr wollte und nickte.

„Was ist?“ fragte Kalipos.

„Chalek sagt, wir sollen der Felsnische nach Westen folgen, dann kommen wir zu einem Aufgang!“

Kalipos zog den Jungen zurück und schaute ihn fragend an, woraufhin er ein vehementes Nicken erntete. Der Anführer lächelte und nickte ebenfalls. „Na, dann los!“ Und ohne zu zögern, machten sie sich auf dem Weg nach Westen.

„Kannst du aufstehen?“ fragte Melia Nimas ein paar Meter weiter unten.

„Ich... weiß nicht?“ antwortete er noch immer schwach und verwirrt.

„Komm!“ Sie griff ihm unter die Arme. „Versuch es!“ Sie atmete tief durch und zog ihn in die Höhe. Das kostete ihr sehr viel Kraft und sie prustete mehrmals dabei. Was sie nicht sehen konnte, war Nimas breites Grinsen, als er ihren Körper, besonders ihre Brüste, an dem seinen spüren konnte. Melia aber gab nicht auf und schließlich stand Nimas auf eignen Füßen. Sie stöhnte ausgiebig und als sie ein Lächeln auf seinen Lippen zu erkennen glaubte, brummte sie kurz und ihr Gesicht wurde finster. „Hier!“ sagte sie jedoch nur und reichte ihm das Tuch. „Halt dir das gegen deine Kopfwunde. Vielleicht hört sie von allein auf zu bluten!“

Nimas nahm das Tuch entgegen. „Und wenn nicht?“

„Müssen wir sie nähen!“ erwiderte Melia trocken.

Nimas Augen weiteten sich, doch blieb er stumm.

„Ich denke aber, sie wird sich von allein schließen!“ Sie lächelte kurz aufmunternd. „Und jetzt komm!“

Sie drehte sich um und ging vorsichtig die Nische entlang nach Westen. Nimas folgte ihr dichtauf.

*

„Halt an!“ rief Kaleena mit einem Male und hatte sogleich entgeisterte Blicke auf sich.

„Was?“ Vilo war sichtlich entsetzt, drosselte jedoch die Geschwindigkeit des Schiffes soweit, dass es im Schwebflug verharrte.

„Du sollst landen!“ erwiderte seine Frau.

„Warum?“ fragte Cosco.

„Diese Leute da oben können uns vielleicht helfen, das zu finden, was wir suchen. Ich will zu ihnen und sie danach fragen!“

„Aber...!“ Mavis war verwirrt. „Das sind doch nur Vermutungen! Das bringt doch nichts!“

„Wir wissen, wo der Kristall liegen soll...!“ Sie nickte Matu zu. „...und das ist mitten in feindlichem Gebiet. Wir können wohl kaum so ohne Weiteres da hin und ihn an uns nehmen. Jemand, der die Gegend kennt, wäre von großem Nutzen!“

Für einen Moment herrschte Stille im Cockpit.

„Mann!“ stöhnte Tibak auf. „Sie hat schon wieder Recht!“

„Ich werde allein gehen!“ sagte Kaleena mit fester Stimme, wenngleich ihre Augen ängstlich blickten.

„Was?“ Das war wieder ein Aufschrei ihres Mannes.

„Wenn ich Erfolg habe, komme ich mit ihnen zu unserem Treffpunkt. Wenn nicht, dann...nicht!“

„Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ rief Mavis entschieden. „Niemand macht hier irgendwas auf eigene Faust!“

„Ich werde mit ihr gehen!“ erwiderte Vilo. Schon drosselte er die Treibwerke und das Schiff setzte zur Landung auf einer kleinen Lichtung an.

„Ich auch!“ meinte Cosco mit einem Nicken.

„Verdammt!“ Mavis Stimme war ernst und schien verärgert und war gerade laut genug, dass alle ihn hören konnten. Dann schloss er seine Augen und saß einen Moment ganz still. In dieser Zeit wandten sich alle Anwesenden in seine Richtung. Schließlich atmete er einmal tief durch, öffnete seine Augen wieder und drehte sich herum. Sein Blick war ernst, aber auch irgendwie traurig. Fast alle rechneten jetzt mit einer Standpauke ihres Anführers. Doch als er sprach, klang seine Stimme erschlagen. „Du hast Recht!“ Er nickte Kaleena mit gequältem Gesichtsausdruck zu. „Wir könnten Hilfe bei der Suche brauchen. Vielleicht...!“ Er hielt einen Augenblick inne. „...ist es nicht die schlechteste Idee, diese Menschen dort oben aufzusuchen. Zumindest ist es einen Versuch wert!“ Wieder nickte er, dann schaute er in die Runde. „Aber das heißt noch lange nicht, dass wir hier alle irrewerden, klar?“ Sein Blick wurde noch säuerlicher. „Vilo, du begleitest deine Frau!“ Sein Freund war zufrieden und nickte ihm zu. „Captain?“ Er wandte sich an Cosco. „Sie nicht!“ Bevor der jedoch etwas erwidern konnte, fuhr Mavis fort. „Die Suche nach dem Kristall hat noch immer oberste Priorität. Das andere ist nicht mehr als eine vage Hoffnung. Zumindest noch nicht. Außerdem muss irgendeiner dieses verdammte Schiff fliegen!“ Er schaute Cosco mit großen Augen an und schließlich nickte der Captain, wenn auch etwas widerwillig. „Also! Vilo und Kaleena machen sich auf die Suche. Nehmt Leira mit, die kann auf euch aufpassen!“

Vilo nickte sofort. „Gute Idee!“

„Was ist mit Jovis?“

„Der kommt auch mit!“ entschied Kaleena. „Bei dir ist immer zu viel Halli-Galli!“ Sie grinste Mavis an.

„Von mir aus!“ Er lachte kurz auf, dann wurde er wieder ernst. „Und jetzt raus mit euch!“

*

Endlich hatten sie den schmalen Aufstieg erreicht. Am oberen Ende konnte Melia bereits Chalek und Kalipos sehen, die zu ihnen herunterkamen.

Als sie sie erreicht hatten, schaute der Anführer ihr mit besorgter Miene in die Augen. „Und?“

„Alles bestens!“ erwiderte Melia und lächelte. „Nimas hat eine Platzwunde am Kopf, aber ich denke, dass ist halb so wild. Und mir tun nur alle Knochen weh. Nichts, was eine Woche Sonne, Strand und Meer nicht wieder kurieren könnten!“ Sie grinste breit.

Während der Junge zu ihr trat und sie freudig umarmte, schaute Kalipos die junge Frau wieder in einer Mischung aus Respekt und Hochachtung an. So zierlich sie auch sein mochte, Barie war wahrscheinlich weitaus stärker, als irgendeiner von ihnen oder gar der ganzen Gruppe hier auf dem Hochplateau. Für einen kurzen Moment war er in Gedanken versunken, als ihn Melias Frage wieder in die Wirklichkeit holte.

„Das was?“ Sie schaute Chalek, der ihr mit ein paar Gesten etwas zu erklären versucht hatte, überrascht an. Der Junge wiederholte seine Worte. „Das Boot?“ Melia kräuselte die Stirn und schaute Kalipos fragend an.

Der Anführer musste lächeln, als er ihr zunickte. „Es war ein Flugboot hier!“

„Hier? Wann?“

„Als ihr ausgeknockt wart!“

„Und?“

Kalipos zuckte mit den Schultern. „Nichts, und! Sie blieben einen Moment vor dem Gipfel im Schwebflug, dann sind sie wieder abgedreht und nach unten geflogen!“

Melia blickte in die entsprechende Richtung.

„Sie sind unter dem Nebel verschwunden!“

„Das war’s?“

Kalipos nickte. „Das war’s!“

„Keine Zeichen, keine Botschaften, kein...!“ Sie schob die Unterlippe vor. „...irgendwas?“

Kalipos schüttelte den Kopf. „Es waren fünf Männer, wenn ich richtig gesehen habe und eine Frau! Sie kamen nicht vor hier!“

„Woher weißt du das?“

„Tibuner haben eine rötliche Hautfarbe, das weißt du doch!“ erklärte er. „Die hatten sie nicht. Ich schätze, sie kamen aus dem Norden, aus Orotash oder vielleicht sogar aus Poremien!“

„Poremien?“ Das war Nimas und sein Blick war eine Mischung aus Freude und Sorge.

Kalipos, Melia und Chalek schauten ihn überrascht an.

„Ja, warum?“ fragte der Anführer.

Nimas aber schüttelte nur den Kopf. „Ach nichts. Nur so!“

„Und jetzt?“ Melia wandte sich wieder Kalipos zu.

„Gehen wir zurück zu den anderen und erzählen ihnen von diesem Ausgang. Dann kehren wir mit denen zurück, die mit uns kommen wollen und verschwinden von hier!“

„Aber das Flugboot!?“

Kalipos runzelte die Stirn. „Was ist damit?“

„Wäre es groß genug, um uns alle aufzunehmen?“

„Ähm!“ Der Anführer stutze. „Was meinst du?“

„Selbst, wenn wir hier einen zweiten Ausgang gefunden haben. Wer weiß schon, was wir da unten...?“ Sie deutete auf den Dschungel. „...finden werden? Wenn diese Leute ein Flugboot haben, vielleicht kommen sie ja dann auch von einem Ort, der sicherer ist, als alles, was wir je hier bekommen können!?“

Kalipos schaute sie für einen langen Moment irritiert an. „Und...was sollen wir deiner Meinung nach jetzt tun?“

„Vielleicht sind sie schon längst über alle Berge. Vielleicht aber auch nicht!“ erwiderte Melia. „Vielleicht sind sie noch hier in der Nähe, aus welchem Grund auch immer! Also würde es Sinn machen, nach ihnen zu suchen!“ In den Augen ihres Gegenübers sah sie noch keine Überzeugung, deshalb fügte sie hinzu. „Wir wollen doch sowieso da runter. Also schlage ich vor, ich und Chalek tun das jetzt gleich im Anschluss, während ihr zur Gruppe zurückkehrt und hiervon berichtet!“

„Okay!“ erwiderte Kalipos vorsichtig. „Und was dann?“

„Ihr kommt mit denen zurück, die gehen wollen und folgt uns in den Dschungel!“

„Aber wie sollen wir wissen, welchen Weg ihr genommen habt?“

Melia überlegte kurz und schaute sich um. Plötzlich erhellte sich ihr Gesicht. „Hier!“ Sie bückte sich und nahm einen faustgroßen, fast weißen Stein in die Hand. Dann machte sie einen halben Schritt auf die Felsen zu und schabte mit dem Stein darüber. Es entstand ein deutlich sichtbarer, weißer Strich, den Melia noch zu einem Pfeil erweiterte. „Damit zeigen wir euch die Richtung! Okay?“

Wieder verfiel Kalipos in einen langen Moment des Schweigens, bevor er nickte. „Also gut. Das überzeugt mich!“

Melia war zufrieden und lächelte.

„Aber ich gehe allein zurück zum Lager!“ fügte der Anführer mit einem mürrischen Blick auf Nimas hinzu.

Nimas Augen verengten sich kurz, dann nickte er. „Dasselbe wollte ich auch gerade vorschlagen!“

Jetzt grinste Kalipos kurz, aber breit.

Daraufhin stöhnte Melia, verdrehte die Augen und schaute Chalek an. Der Junge reagierte ähnlich und beide mussten lachen. „Na prima!“ meinte Melia schließlich. „Dann geht Nimas eben mit uns!“

„Ich habe aber keine Lust mir in der Steilwand da die Knochen zu brechen!“ erwiderte Nimas jedoch.

Jetzt war Melia überrascht, denn sie hatte geglaubt, Nimas würde sich freuen, Kalipos los zu sein. „Was willst du dann tun?“

„Ich warte hier! Entweder auf Kalipos und die anderen...!“ Er nickte dem Anführer zu. „... oder auf euch!“ Er schaute Melia an.

Die war sichtlich ratlos und prustete die Luft in ihre Wangen. „Von mir aus. Wenn du das so willst!“ Sie verzog die Mundwinkel und schaute Kalipos fragend an.

Der Anführer musterte Nimas einen langen Moment, als wolle er abschätzen, ob und was sein Gegenüber im Schilde führen konnte, doch dann nickte er. „Okay. Du wartest hier!“

Nimas lächelte zufrieden.

„Such dir ein gutes Versteck und behalte die Umgebung im Auge!“ ermahnte ihn Kalipos, dann drehte er sich um, nur um doch noch einmal herumzuwirbeln und Nimas mit ernsten Gesicht und schmalen Augen anzustarren. „Und sei beim Wichsen verdammt nochmal leise!“ Während sein Gegenüber brummte und ihn zornig anfunkelte, zeigte sich bei ihm ein breites Grinsen. Dann wandte er sich an Melia und den Jungen. „Ich werde mich beeilen!“

„Wartet auf uns am Fuße des Berges. Wir werden bis zum Morgengrauen zurück sein. Ob nun mit oder ohne Hilfe!“ meinte Melia.

Kalipos sah sie mit Bewunderung an. „Viel Glück!“

„Dir auch!“ Melia lächelte, umarmte ihn kurz, dann wandte sie sich um und überließ Chalek die Führung.

Kalipos blieb noch einen Moment, wo er war und schaute ihnen nach, bis sie hinter einer Ecke verschwunden waren, dann machte auch er sich auf den Weg. Doch während er den beiden in Gedanken nochmals Glück wünschte, überkam ihm das ungute Gefühl, dass er sie womöglich niemals wiedersehen würde.

*

„Fertig?“ fragte Mavis, als er in den Laderaum trat, sich umblickte und direkt vor Vilo stehenblieb. Er konnte Leira erkennen, der man ein Geschirr um den massigen Leib gelegt hatte, sodass sie an den Seiten je eine große Rucksacktasche tragen konnte, an denen zusätzlich einige Gewehre befestigt waren. Kaleena stand nicht weit entfernt von ihr. Sie trug einen Rucksack auf dem Rücken und hängte sich gerade ein Gewehr über ihre linke Schulter.

Vilo hatte seinen Rucksack geschultert und die Gurte fest angezogen. Er hielt inne, schaute Mavis direkt in die Augen und nickte mit ernster Miene.

Mavis atmete tief durch. „Seid verdammt nochmal vorsichtig!“ sagte er mit leiser Stimme. „Kein Risiko!“

Vilo brummte. „Du mich auch!“

Mavis verzog das Gesicht zu einer gequälten Maske, doch dann nickte er und brummte ebenfalls. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, kamen Leira, Kaleena und Jovis zu ihnen. Sofort huschte Mavis ein breites Lächeln über die Lippen. „Hey, Sportsfreund!“ Er beugte sich vor, schnappte sich den Jungen und hob ihn spielend in die Höhe. „Ab mit dir auf deinen Stammplatz!“ Er drehte sich zu Leira und setzte Jovis auf ihren Rücken. Das Monstrum brummte liebevoll und grinste.

„Mama will mir nicht sagen, wo es hingeht!“ Jovis machte einen Schmollmund.

„Auf ein Abenteuer natürlich!“ rief Mavis und zwinkerte Kaleena zu. „Spannend, aufregend...aber auch gefährlich!“ Das letzte Wort betonte er ganz besonders. Er sah, dass der Junge eingeschüchtert zusammensank. „Also nichts für Kinder und Weicheier!“ Er schaute sein Patenkind ernst an, dann grinste er plötzlich. „Deshalb bist du ja auch dabei! Als Boss auf dem Chefsessel!“ Er deutete auf Leira und beugte sich dann zu dem Jungen. Als er weitersprach, flüsterte er verschwörerisch. „Hey, ich mache mir ein bisschen Sorgen um deine Eltern. Sie sind nicht mehr die Jüngsten, weißt du!?“ Der Junge schaute ihn mit großen Augen an. „Meinst du, du kannst mir einen Gefallen tun?“ Jovis nickte sofort. „Kannst du für mich ein bisschen auf die beiden aufpassen, damit ihnen nichts geschieht?“

Der Junge schaute ihn wieder einen Moment mit großen Augen an und Mavis hatte schon Zweifel, ob seine Taktik funktionieren würde, doch dann nickte der Junge kräftig. „Klar, mach ich!“

Mavis lächelte zufrieden. „Dann verlasse ich mich auf dich!“

„Was ist mit Leira?“

„Ach, die kann auf sich selbst aufpassen. Aber es kann natürlich nicht schaden, wenn du sie auch im Auge behältst!“

Der Junge grinste und nickte nochmals. „Warum kommst du eigentlich nicht mit?“

„Ich?“ Mavis war etwas überrascht, daher musste er kurz durchatmen, bevor er antwortete. „Ich und die Jungs...!“ Er deutete auf Captain Tibak und seine Männer, die bereits damit beschäftigt waren, sich auf ihren Einsatz vorzubereiten. „...machen was Anderes. Das nennt sich Teamwork. Ihr macht euer Ding, wir machen Unseres. Aber am Ende treffen wir uns alle wieder und retten die Welt! Alles klar?“

Jovis schob den Unterkiefer vor und nickte, obwohl man sehen konnte, dass nicht wirklich alles klar war.

Dennoch klopfte Mavis ihm sanft auf die Schulter. „Bis dann, mein Großer!“ Er wartete nicht auf eine Reaktion des Jungen, sondern drehte sich um und ging zu Kaleena und Vilo.

„Danke!“ sagte seine Freundin mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Wofür?“

„Du hast ihm die Angst genommen!“

Mavis lachte leise verächtlich auf. „Ich würde ihm gern die Hölle aus seinem Leben nehmen!“

„Das werden wir!“ erwiderte Vilo sofort. „Das ist unsere Mission!“

Mavis nickte, aber es war kein überzeugtes Nicken. Dann atmete er tief durch. „Nun, los jetzt!“ sagte er mit lauter Stimme. „Wir haben auch noch was Anderes vor und nicht den ganzen Tag Zeit, euch hinterher zu winken!“ Er versuchte zu grinsen, doch es gelang ihm kaum.

Kaleena trat zu ihm, umarmte und küsste ihn auf die Wange. „Ich liebe dich. Pass auf dich auf!“

Wieder konnte er nur nicken. Dann kam Vilo, legte den rechten Arm um ihn und drückte ihn kurz kräftig. „Wir sind bald wieder vereint. Und dann, Alter...!“ Er wartete, bis Mavis ihn direkt ansah und die große Entschlossenheit in seinen Augen erkennen konnte. „...werden wir so richtig Gas machen, das verspreche ich dir!“

„Alles klar!“ Mavis nickte zufrieden und lächelte sogar ein wenig.

Dann drehten sich Vilo und Kaleena weg und machten sich daran, das Schiff über die hintere Laderampe zu verlassen, die Captain Tibak gerade geöffnet hatte. Leira folgte ihnen.

„Onkel Mavis?“ rief Jovis aber mit einem Male und das bärige Monstrum blieb stehen.

„Ja?“ Mavis trat zu ihnen und schaute seinem Patenkind in die Augen.

„Ich hab dich lieb!“ Und im selben Moment umarmte ihn der Junge kurz, aber kräftig und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

Mavis lächelte, aber eher müde und traurig. Er streichelte Jovis durch die Haare und küsste ihn auf die Stirn. „Ich dich auch, Jovis. Ich dich auch!“ Mittlerweile waren auch Kaleena und Vilo auf der Rampe stehengeblieben und hatten sich zu ihnen herumgedreht. Mavis erhaschte ihre freudigen Blicke und erkannte den Glanz in Kaleenas Augen.

Mavis spürte, wie sich ein dicker Kloss in seinem Hals, aber auch in seinem Herzen bildete. Leira erkannte das und setzte sich sofort in Bewegung. Mavis war ihr sehr dankbar dafür und es gelang ihm, den Vieren nachzuwinken, bis sie das Schiff verlassen und Tibak die Ladeluke wieder geschlossen hatte. Dann senkte er seine Hand und schloss die Augen, bevor sich Tränen in ihnen bilden konnten. Für einen langen Moment blieb er reglos stehen.

Schließlich bemerkte er, dass Jemand neben ihm war. Als er seine Augen wieder öffnete, erkannte er Captain Tibak.

„Sollen wir starten?“ fragte er.

Mavis atmete einmal tief durch und nickte dann mit ernster Miene. Sie konnten hier nicht verweilen, sie hatten eine Mission zu erfüllen. Doch während er sich umdrehte und zu Cosco in das Cockpit zurückkehrte, kam in ihm eine widerliche Unsicherheit auf, ob er seine Freunde und den Jungen jemals wiedersehen würde.

Genesis V

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