Читать книгу Genesis V - Alfred Broi - Страница 8
V
Оглавление„Barie!“ Kalipos Stimme klang aufgeregt, besorgt, fast schon verzweifelt. „Um Himmels Willen, Barie!“
Hektisch war er dabei, ein Seil vorzubereiten, um zu ihr in den Bergsee zu gelangen, als er plötzlich stutzte, weil er eine Bewegung ihres rechten Arms zu erkennen glaubte.
Die Welt um sie herum, die beim Aufprall schlagartig schwarz geworden war, erhellte sich allmählich wieder.
Doch Melia war sich nicht wirklich sicher, ob sie sich darüber freuen sollte, denn ihr gesamter Körper war ein einziger, aufschreiender Schmerz.
Natürlich war ihr ihr Absturz von der Felsenkante noch voll bewusst – und auch die Sicherheit, dass sie ihn nicht überleben würde. Das letzte, an das sie sich noch erinnern konnte, war allerdings, dass ein seltsames Leuchten ihren Körper umgeben und sie eine unerklärliche Wärme in sich gespürt hatte.
Dann war der Aufprall erfolgt und schlagartig alles dunkel geworden.
Jetzt aber konnte sie nicht nur Licht über sich erkennen, sondern auch aufgeregte Stimmen hören, die ihren Namen riefen.
Instinktiv bewegte sie sich, wobei ihr wieder derbe Schmerzen in alle Glieder fuhren, doch Melia zwang sich, nicht darauf zu achten. Mit einem furchtbar erbärmlichen Stöhnen, drehte sie sich auf die rechte Seite und drückte ihren Oberkörper dann in die Höhe, bis sie aufrecht sitzen konnte. Der merkwürdig glitschige, teilweise aber sehr harte Untergrund war dabei nicht gerade hilfreich. Mit schweren, tiefen Atemzügen versuchte sie ihren Organismus in den Griff bekommen, doch gelang ihr das nicht. Sie konnte gerade noch ihren Kopf anheben, um zu erkennen, dass Kalipos, Chalek und auch die anderen mit ernstlich besorgten Mienen auf sie herabschauten, dann erfasste sie eine derart wuchtige Welle an Übelkeit, dass ihr Oberkörper kraftlos wieder nach hinten kippte und sie erneut der Länge nach zu Boden schlug. Dort drehte sie sich sofort zur Seite weg, um sich übergeben zu können. Der Schleim, den sie hervorwürgte, schmeckte widerlich und ließ ihren Magen krampfhaft zusammenzucken. Nach einigen Momenten aber konnte Melia wieder genug Atem schöpfen, um den Brechreiz zu unterbinden. Dabei wurde sie ihrer unmittelbaren Umgebung gewahr und sofort schoss ihr in den Kopf, was sie letztlich in die Tiefe gerissen hatte und wie der Sturz abgelaufen war. Die tote Bestie voraus und sie dicht hinterher. Und deshalb wusste sie jetzt auch, worauf sie hier lag. Der Anblick des zerfetzten Insektenkörpers um sie herum und des Blutes und der Gedärme, in denen sie beinahe schwamm, verursachten weitere Übelkeit und Ekel in ihr.
Der Ekel aber war stärker und so gelang es ihr, sich mit einem wilden Aufschrei komplett auf die Beine zu drücken, einige Stolperschritte weg von dem Kadaver des Monsters zu machen, bevor sie wieder die Kraft verließ und sie hart auf ihrem Hosenboden landete, wo sie erst einmal wieder verschnaufen musste.
„Barie!“ Wieder hörte sie eine aufgeregte Stimme von oben und sie war sicher, dass sie Kalipos gehörte.
Sofort hob sie ihren rechten Arm. „Okay!“ stieß sie noch immer ziemlich atemlos hervor. „Es ist alles okay!“
Kalipos fünfzehn Meter über ihr atmete wie alle anderen auch erleichtert auf und entspannte sich wieder. „Bist du verletzt?“
Bevor Melia darauf antwortete, verlangsamte sie zunächst ihre Atmung, um ruhiger zu werden. Dann horchte sie gewissenhaft in sich hinein. Zwar war da scheinbar überall tauber Schmerz, doch sie glaubte nicht, dass etwas gebrochen war, da sie bei ihren Bewegungen, die sie bisher gemacht hatte, nichts dergleichen gespürt hatte. Ob sie äußerliche Schnittwunden oder ähnliches hatte, konnte sie kaum sagen, da sie ohnehin über und über mit Blut und anderen Flüssigkeiten beschmiert war. Allerdings verspürte sie keinen solchen Schmerz. Was letztlich innere Verletzungen betraf, konnte sie jedoch nur hoffen.
„Nein!“ erwiderte sie deshalb. „Ich glaube nicht. Außer, stinken wie ein Muri gilt als Verletzung!“ fügte sie hinzu. Der Vergleich mit dem Wiesel—ähnlichen, kleinen Nager, dessen Fell absolut erbärmlich stank und so viele Feinde fernhielt, gefiel ihr und sie musste leise auflachen. „Dann allerdings schwebe ich in akuter Lebensgefahr!“ sagte sie mehr zu sich selbst und musste breit, aber säuerlich grinsen.
Kalipos über ihr lächelte zufrieden. „Ich denke, das ist nochmal schiefgegangen!“ Er schaute den Jungen direkt an und nickte ihm anerkennend zu. „Gut gemacht, Chalek! Keine Ahnung wie...!“ Er klopfte ihm auf die Schulter. „...aber gut gemacht!“
Der Junge grinste breit und fröhlich.
„Ich komme zu dir runter!“ rief Kalipos dann hinab.
„Was?“ Melias Blick verdunkelte sich. „Nein!“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich komme rauf zu euch. Werft mir einfach ein Seil runter!“
Kalipos nickte zwar, aber sein Blick blieb skeptisch. „Glaubst du, du schaffst das?“
„Klar!“ Melia nickte, musste dann aber nochmals übel husten, wobei ihr weiterer Schleim aus dem Mund floss. „Ich fühle mich wie das blühende Leben!“ Sie spuckte angeekelt aus. „Und jetzt mach schon!“
Es dauerte keine zehn Sekunden und es baumelte ein Karabinerhaken vor ihrer Nase. Melia wollte ihn schon in ihr Hüftgeschirr einhaken, als sie erkannte, dass dort noch das andere Seil befestigt war. Da es jedoch beim Absturz zerrissen war, klinkte sie den Haken einfach aus und ließ ihn achtlos fallen. Als sie den anderen Haken befestigt hatte, gab sie Kalipos ein Signal. Oben auf der Felsenkante standen neben ihm Nimas und Nudik. Zu dritt war es ein leichtes für sie, die junge Frau hinaufzuziehen. Anfangs gab sich Melia noch Mühe, mitzuhelfen, doch ihre Kraft verließ sie recht schnell und am Ende begnügte sie sich damit, dass sie einfach nur still am Seil hing.
Als sie schließlich der Felsenkante nahe genug gekommen war, ließ Nimas das Seil als Erster los, sprang vor, kniete sich nieder und reichte Melia seine rechte Hand.
Da sie einfach nur froh war, wieder bei den anderen zu sein, ergriff sie sie ohne zu zögern.
Mit einem breiten Grinsen zog Nimas sie in die Höhe, bis sie schließlich ihre Füße auf die Kante stellen und somit selbst stehen konnte. Doch natürlich gab sich Nimas damit nicht zufrieden. Er ließ ihre Hand nicht los, sondern zog weiter an ihr, um sie schließlich in die Arme zu schließen. Die Aussicht, ihren Körper zu spüren, erfreute ihn sichtlich.
Einen Augenblick aber, bevor dies geschah, sah er jedoch, dass die Kleidung der jungen Frau über alle Maßen mit Blut und anderen Körpersäften durchtränkt war und schon wandelte sich sein Lächeln zu einer angeekelten Grimasse.
Melia erkannte dies. „Danke!“ sagte sie zu Nimas, dann umarmte sie ihn und drückte sich fest an ihn, wodurch er zwar deutlich ihren Körper zu spüren bekam, aber auch von oben bis unten beschmutzt wurde. Ein ersticktes Stöhnen entfuhr ihm dabei.
Kalipos, der in Melias Blick erkennen konnte, dass allein dies ihre Absicht war, musste kurz grinsen.
Dann aber wurde er wieder besorgt, als Melia stöhnte und an Nimas hinab zu Boden sank. Kraftlos lehnte sie sich schließlich gegen die Felswand.
Während Chalek, der sich zunächst etwas zurückgehalten hatte, sich jetzt zwischen Nimas und Melia zwängte, ihre linke Hand ergriff und fest drückte, holte Kalipos seine Feldflasche hervor und reichte sie ihr. „Hier! Trink!“
Melia ließ sich das nicht zweimal sagen und nahm einen tiefen Schluck.
„Los!“ rief Kalipos den anderen zu. „Sammelt unsere Sachen zusammen und sondiert die Umgebung!“ Sein Blick war ernst und hart und Nudik, Nimas und Teres befolgten den Befehl ohne Widerworte.
Als Melia die Flasche wieder absetzte, wirkte sie schon entspannter. Ein Blick auf Chalek brachte ihr sogleich ein Lächeln auf die Lippen. Dann wandte sie sich an Kalipos. „Was zum Teufel ist eigentlich geschehen? Warum bin ich nicht tot?“ Sie deutete mit dem Kinn zur Felsenkante.
Bevor Kalipos antwortete, blickte er sich verstohlen um. „Das hast du Chalek zu verdanken!“ erwiderte er in leisem Ton. „Er hat wieder ein...Wunder gewirkt!“
Melia drehte sich zu dem Jungen und sah ihn fasziniert und dankbar an.
„Er hat wohl eine Art Schutzschild um dich errichtet! Zumindest sah es so aus. Ich weiß es nicht. Er hatte wohl nicht die Zeit, es wirkungsvoller zumachen, deshalb hattest du noch immer verdammtes Glück!“
„Wie?“ Melia sah Chalek direkt in die Augen. Der Junge hielt ihrem Blick problemlos Stand, dann legte er seine rechte Hand auf sein Herz und deutete auf sie. Schließlich lächelte er breit mit funkelnden Augen.
„Ja!“ Melia streichelte sanft seine Wange. „Ich dich auch!“
„Prima!“ Das war Nudik, der wieder zu ihnen trat. Sein Gesichtsausdruck zeigte Sorge und Hektik, aber nicht, dass er zugehört hatte. „Und was zum Henker machen wir jetzt?“
Kalipos schaute ihn überrascht an. „Was meinst du?“
„Ich denke, wir sollten zurückgehen!“ meinte Teres mit einem deutlich ängstlichen Unterton in der Stimme.
„Was? Aber warum?“ rief Kalipos.
„Nein lass!“ Melia legte ihre linke Hand auf seinen Unterarm. „Sie haben Recht. Wir müssen die anderen von diesem Vorfall unterrichten. Es wird nicht lange dauern und andere Bestien werden den Weg hierherfinden. Wir müssen unsere Entscheidung neu überdenken!“
„Da gibt es wohl nichts mehr zu überdenken!“ rief Nudik. „Seht euch um. Alles hier sagt deutlich, was geschehen ist. Diese Monster werden uns finden. Wir sind hier nicht mehr sicher. Wir müssen das Plateau verlassen. Und zwar so schnell wie möglich!“
„Aber, wenn wir jetzt alle holen und dann über diesen Weg fortgehen, laufen wir Gefahr, diesen Untieren in den engen Bergschluchten zu begegnen. Das wäre töricht...und unser aller Tod!“
„Aber...!“ hob Nudik nochmals an, als ihn Chalek mit einem lauten, hektischen Stöhnen unterbrach.
Melia schaute ihn sofort an und achtete genau auf seine Hände.
„Was sagt er?“ fragte Kalipos.
Melia antwortete nicht, sondern hörte dem Jungen weiter aufmerksam zu. Dabei nickte sie mehrmals, bis sie schließlich erstarrte und große Augen bekam. „Du hast was?“
„Was?“ Kalipos war sichtlich nervös. „Was hat er?“
Wieder blieb Melia still, weil Chalek noch etwas erklärte und sie ihn ausreden lassen wollte. Dann nickte sie wieder und prustete die Luft aus ihren Wangen. „Du hast wirklich!“
„Was zum Teufel hat er?“ Kalipos war jetzt sichtlich ungehalten.
Melia blickte zu ihm auf. „Er hat einen zweiten Ausgang von hier gefunden!“
„Er hat was?“ Das war fast ein Aufschrei und nicht nur von Kalipos.
„Aber...!“ Der Anführer stockte und schaute den Jungen durchdringend an. „Wir haben seinerzeit das ganze Plateau gründlich abgesucht. Es gibt keinen weiteren Ausgang!“
Ich weiß! erwiderte Chalek. Er muss durch die Erschütterungen der Erde, die in letzter Zeit immer häufiger auftreten, entstanden sein!
Nachdem Melia übersetzt hatte, blieb Kalipos einen Moment lang stumm, dann nickte er. „Das ist denkbar!“ Er atmete einmal tief durch. „Ich will gar nicht wissen, wie du ihn entdeckt hast. Ich will nur wissen, wo er ist?“
Chalek gestikulierte kurz mit den Händen und während Melia sagte. „Im äußersten Südwesten!“ deutete er selbst mit beiden Armen in die angegebene Richtung.
Kalipos schien etwas erwidern zu wollen, doch er schob nur seine Lippen nach vorn und stemmte seine Arme in die Hüften. „Verdammt, Junge!“ Er schüttelte den Kopf, bis plötzlich ein dünnes Lächeln auf seinen Lippen erschien. „Dann nichts wie los!“ Kalipos wandte sich an Nudik. „Du und Teres geht zurück zur Höhle und warnt die anderen! Der Rest folgt dem Jungen!“ Er nickte Chalek zu, der sich daraufhin sofort auf den Weg machte.
Kalipos reichte Melia eine Hand und half ihr, aufzustehen. Als er sicher war, dass die anderen ihn nicht mehr hören konnten, hielt er sie zurück und wartete, bis sie ihn direkt ansah. „Das war...ungeheuer mutig von dir, Barie!“ meinte er dann.
Melia lächelte sofort. „Es war eine Bauchentscheidung. Ich hatte viel zu viel Angst, um mir darüber Sorgen zu machen!“
Kalipos kniff seine Augen zusammen und lächelte leicht säuerlich. „Ehrlich? Ich möchte dich nicht zum Feind haben!“
Jetzt lachte Melia einmal auf. „Keine Sorge. Das hast du nicht!“ Plötzlich verschwand ihr Lächeln und sie sah Kalipos ernst an. „Es sei denn, wir finden nicht bald etwas Wasser, damit ich den Dreck und den Gestank loswerde. Dann könnte es doch sein, dass ich glatt vergesse, wer meine Freunde sind!“
Kaum hatte sie es ausgesprochen, grinste sie aber auch schon wieder breit und zusammen mit Kalipos folgte sie Chalek nach Südosten.