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III
ОглавлениеSie verharrten abrupt, als sie das Quieken vor sich hörten und in jedem von ihnen stieg ein ekliger Hitzeschauer auf.
Melia und Kalipos, die die Vorhut bildeten, stockte sofort der Atem und sie blickten sich mit ernsten Mienen an. Chalek hinter ihnen starrte sie mit weit geöffneten Augen an, blieb aber ebenfalls ruhig.
Teres und Nimas, die nebeneinander gingen, stießen einen spitzen Schrei aus, doch als sie die mahnenden Blicke von Kalipos und Melia auf sich sahen, bissen sie sich auf die Zähne und stöhnten nur noch leise, aber sichtlich entsetzt. Nudik am Ende der Gruppe schaute nervös nach allen Seiten, doch konnte er nichts erkennen.
Dafür konnten alle ein weiteres Quieken vernehmen, das nun keinerlei Zweifel mehr offenließ: Eine dieser furchtbaren Insektenbestien musste sich in der Nähe befinden.
Drei Stunden hatten sie gebraucht, um die Hochebene in Richtung Osten zu durchqueren. Sie waren schnell, aber vorsichtig gewesen und hatten die östlichen Ausläufer des Gebirges vor wenigen Minuten erreicht. Den Weg zu finden, der sie durch den Tunnel zu dem Bergsee führen würde, über den sie vor Jahren hierhergekommen waren, war nicht schwierig, wenngleich er durch erheblichen Pflanzenwuchs ziemlich versperrt war.
Letztlich erreichten sie den Tunnel, durchquerten ihn und gerade, als sie ihn wieder verlassen hatten und in den schmalen Gang traten, der nach etwa zwanzig Metern abrupt vor dem Felsentrichter endete, an dessen Fuß sich der wundersame Bergsee befand, hörten sie dieses nur allzu bekannte Quieken.
Melia und Kalipos schauten sich nochmals an. Ihnen war klar, dass das Geräusch nur aus einer Richtung kommen konnte, dennoch waren sie etwas irritiert.
Sie deuteten den anderen an, zu bleiben, wo sie waren und Teres und Nimas zusätzlich mit einem weiteren mahnenden Blick, still zu sein.
Dann huschten sie lautlos weiter. Wenige Meter vor der Felsenkante wurden sie immer langsamer und drückten sich zu beiden Seiten des Ganges an die Felswände.
Jetzt konnten sie nicht nur weiteres Quieken hören, sondern auch das deutliche Platschen von Wasser. Als sie sich anschauten war beiden bewusst, was geschehen sein musste.
Doch obwohl schon klar war, was sie zu sehen bekommen würden, konnten beide nicht drum hin, sich in einer ruckartigen Bewegung nach vorn zu beugen und über die Felsenkante hinweg in die Tiefe zu schauen. Fünfzehn Meter unter ihnen erkannten sie eine Insektenbestie mitten in dem kleinen, gut gefüllten Bergsee. Sie war sichtlich nervös und ihre Klauen zuckten wild umher, obwohl deutlich zu sehen war, dass sie bequem in dem See stehen konnte. Das Wasser stand etwa zwei Meter hoch und reichte der Bestie bis zum Maul. Ansonsten schien das Monstrum unverletzt, wenn auch noch immer ziemlich verwirrt über den Sturz in die Tiefe. Die Anwesenheit der Menschen hatte sie noch nicht bemerkt.
Melia zog ihren Kopf wieder zurück und drückte sich fest an den Felsen. Fieberhaft überlegte sie, was jetzt zu tun wäre.
Die Tatsache, dass dort unten eine der Bestien war, war schon schlimm genug, dass sie den Sturz aber auch noch überlebt hatte, war absolut schlecht. Ihr widerliches Quieken war weithin zu hören und würde früher oder später Artgenossen anlocken. Melia war klar, dass sie das nicht zulassen durften. Folglich gab es nur eine sinnvolle Lösung. Sie warf Kalipos einen Blick zu und erkannte darin noch Unschlüssigkeit, doch Melia zögerte nicht.
In einer fließenden Bewegung nahm sie ihr Impulsgewehr aus der Lederscheide in ihrem Rücken und aktivierte es. Mit einer kurzen Handbewegung wechselte sie die Schussfunktion auf den integrierten Granatwerfer unterhalb des Laufs. Dann schaute sie wieder zu Kalipos. Der Anführer blickte ernst und irgendwie durch sie hindurch. Sie erkannte, dass er nachdachte, das Für und Wider abwog und sie ließ ihm diese paar Momente, da sie nicht ohne seine Zustimmung schießen würde. Sein Blick aber wurde schnell wieder klar und er nickte ihr zu, gab ihr aber zu verstehen, auf sein Kommando zu warten.
Kalipos schob seinen Oberkörper wieder über den Felsenrand und schaute in die Tiefe, doch das Monster war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass es nach oben blickte. Er wandte sich an Melia, nickte und formte mit den Lippen lautlos das Wort Okay.
Melia schloss kurz ihre Augen und atmete durch, dann griff sie die Waffe fester, drückte den Lauf gegen ihre rechte Schulter, wirbelte herum, richtete ihn nach unten und visierte die Bestie an.
Doch gerade in dem Moment, da sie abdrücken wollte, hörte sie neben sich ein weiteres Quieken. Instinktiv hielt sie inne und ihr Kopf zuckte nach rechts.
Einen Wimpernschlag später warf sie sich in einer ruckartigen Bewegung zurück gegen die Felswand. Während Kalipos sie erstaunt anstarrte, spürte sie eine widerliche Hitzewelle in sich aufsteigen.
Einen Augenblick später hörte auch er, was sie so entsetzt hatte und erstarrte ebenfalls.
Und noch einen weiteren Moment später war da ein vollkommen anderes Geräusch zu hören. Es war dumpf, wurde schnell lauter, hatte einen schnellen Rhythmus – und es kam aus dem See in der Tiefe.
Mit wild klopfendem Herzen schob Melia ihren Oberkörper bis an den Felsenrand und spähte hinunter.
Ihre dunkle Vorahnung sollte sie nicht getäuscht haben. Deutlich war zu sehen, wie die Wasseroberfläche in dem kleinen See zu sprudeln begann. Das dumpfe Dröhnen wurde rasend schnell lauter und zu einem gespenstischen Fauchen.
„Oh Scheiße!“ entfuhr es ihr langgezogen und sichtlich geschockt.
Dann mischte sich in das Fauchen das Kreischen der Bestie und im selben Augenblick schoss der Wasserspiegel schlagartig in die Höhe.
Tu es! schoss es Melia in den Kopf und ohne zu Zögern wirbelte sie wieder zurück in Richtung See, drückte gleichzeitig den Knauf der Waffe gegen ihre rechte Schulter.
Doch kaum realisierte sie die Situation erneut, stieg panisches Entsetzen in ihr auf, als sie die monströse Bestie quiekend und um sich schlagend auf sich zu rauschen sah. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich unwillkürlich.
Melia musste sich förmlich zwingen, zu handeln, aber ihr Überlebenswille war letztlich stärker. Sie visierte ihr Ziel nur kurz an, dann drückte sie ab.
Das Projektil aus der Waffe donnerte quasi ohne Verzögerung in den Rumpf der Kreatur und detonierte augenblicklich. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich nur noch weniger als einen Meter unterhalb der Felsenkante. Sie schrie schmerzhaft auf, als das Geschoss ihren Panzer durchschlug, doch war das Rauschen des Wassers mittlerweile so laut, dass es kaum noch zu hören war.
Einen Wimpernschlag später jagte die tödliche Energie der Sprengkapsel nach außen und zerfetzte den Rumpf der Bestie, ließ ihn wie einen Luftballon zerplatzen.
Während die Flutwelle aus dem See über die Felskante hinwegstieg und sich in ihre Richtung bewegte, schossen die zerfetzten Körperteile der Kreatur auf sie zu und klatschten schließlich zusammen mit dem Wasser wuchtig gegen sie.
Melia, aber auch die anderen, hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Instinktiv hatte sie sich zwar weggedreht, doch spürte sie deutlich, wie Knochen und Innereien über sie hinwegschwappten.
Obwohl sie sogleich widerlicher Ekel befiel, stieß sie nur einen kurzen Schrei aus. Kalipos und Chalek waren nicht zu hören, auch Nudik nicht. Wohl aber Teres und vor allem Nimas schrien erbärmlich auf.
Dennoch glaubte Melia nicht, dass sie bei dem Rauschen des Wassers sehr weit zu hören waren, ebenso, wie sie ziemlich sicher war, dass auch die Explosion der Granate weitestgehend überdeckt worden war.
Im nächsten Moment war die Flutwelle über sie hinweggerauscht. Mit dem Blick auf einen blutdurchtränkten Boden auf dem sich Gedärme und weitere Körperteile der Bestie verteilten, wirbelte Melia wieder herum und richtete sich gänzlich auf.
Sie suchte sofort Kalipos, doch als sie sah, dass er von oben bis unten von Insektenblut übergossen war, erstarrte sie. Ebenso ihr Gegenüber, als er sie erblickte und da wusste sie, dass sie nicht viel besser aussah.
Im nächsten Moment registrierte sie, dass ein Teil des Wassers wieder in den See zurückfloss und dabei Blut und Körperteile des Monsters mit sich nahm.
Nein! schrie sie innerlich auf, doch konnte sie es nicht verhindern. Jetzt war vollkommen egal, ob die Kreaturen auf der anderen Seite der Felswand mitbekommen hatten, was geschehen war, denn spätestens beim Anblick dieser Brühe würden sie wissen, dass etwas nicht stimmte.
Melias Verstand arbeitete auf Hochtouren. Die Felswand zwischen ihnen war zu hoch und zu steil, als dass die Monstren darüber hinweg hätten klettern können. Auch der Sprung in den fast leeren See würde für ihre Feinde nichts bringen, denn es würde jetzt wieder Stunden dauern, bevor die geheimnisvolle Druckwelle aus dem Inneren das Wasser erneut in die Höhe peitschte. Natürlich konnten die Bestien versuchen, an den Felswänden entlang auf ihre Seite zu klettern – Melia schloss absolut nicht aus, dass sie es in ihrer unersättlichen Fressgier tatsächlich versuchen würden – doch bezweifelte sie, dass ihre Klauen wirklich hart genug waren, um diesen Fels zu durchdringen, um genügend Halt an ihm zu finden.
Nein, all das war weder sinnvoll noch Erfolg versprechend. Doch nichts davon würden die Bestien auch tun müssen. Es reichte schon aus, zu wissen, dass hier Menschen waren. Sie mussten dann nur umkehren und Verstärkung holen. Und dann würden sie in ihrer grausamen Blutgier sicherlich Mittel und Wege finden, zu ihnen auf das Hochplateau zu gelangen.
Nein, Melia war sich sofort klar bewusst, dass sie etwas tun mussten, um genau das zu verhindern.
Schon konnte sie von der anderen Seite der Felswand erst überraschte und irritierte, dann aufgeregte und wütende Rufe hören. Ihr Feind hatte die Gefahr gerochen, es blieb keine Zeit mehr für sie.
Und plötzlich hatte Melia eine Idee. Wahnwitzig und lebensgefährlich, aber nicht unmöglich und deshalb zögerte sie keine Sekunde.
Sie sprang bis an den Rand der Felsen, erkannte für einen Sekundenbruchteil, dass der See unter ihnen jetzt beinahe leer war und das Blut und die Körperteile der toten Bestie darin, dann zuckte ihr Kopf herum in Richtung andere Seite. Sie brauchte nur einen kurzen Moment, um zu sehen, was sie erhofft hatte: In der Felswand gab es noch immer drei Metallösen, die sie vor Jahren dort hineingetrieben hatten, um auf diese Seite zu gelangen. Ihr Anblick zeigte Melia deutlich, dass sie von Rost befallen waren. Womöglich nicht nur oberflächlich, sodass sie keinesfalls mehr tragfähig waren, aber Melia wusste, dass sie dieses Risiko eingehen musste.
Sie wirbelte zurück, machte zwei schnelle Schritte, bei denen sie ihre Waffe wieder in die Halterung in ihrem Rücken drückte, stand dann direkt vor Kalipos und riss ihm förmlich das Seil, das er schräg über die Brust gewickelt trug, vom Körper. Es hatte an beiden Enden je einen Karabinerhaken, das wusste Melia.
„Was...? Was tust du?“ fragte sie der Anführer, dem man den Schrecken noch immer ansah.
„Ich weiß nicht?“ stieß sie hektisch hervor, während sie das eine Ende des etwa fünf Meter langen Seils in ihr Klettergeschirr an der Hüfte einhakte. „Ist einfach eine Idee!“ Sie sah Kalipos mit großen Augen an und riss eine Handgranate von seinem Gürtel. „Ich muss es versuchen!“
„Aber...?“ Kalipos starrte mit weitaus größeren Augen zurück. „Das ist Wahnsinn!“
Melia grinste kurz. „Dann wünsch mir Glück!“ Ohne weiter zu zögern wirbelte sie herum und rannte los. Während sie mit wenigen Schritten extrem beschleunigte, umfasste sie mit der linken Hand die Handgranate fester, während sie den Karabinerhaken am anderen Ende des Seils in die rechte Hand nahm.
Von Kalipos aus, der an der linken Wand des schmalen Ganges stand, war sie direkt auf die Felskante zu gerannt. Doch kurz bevor sie sie erreichte, bog sie um neunzig Grand nach rechts und rannte die drei Meter bis zur anderen Seite direkt an der Felskante entlang, dann stieß sie sich mit einem Aufschrei ab, wobei sie ihren rechten Arm weit nach vorn streckte.
Mit dieser Aktion hatte sie erreicht, dass sie ganz dicht beinahe parallel zur Felswand dahinsauste, während sich unter ihr nur die gähnende Leere des Felsentrichters auftat, der letztlich in dem See endete.
Schon tauchte vor ihr die erste Metallöse auf. Deutlich konnte Melia den Rost erkennen, der eine dicke, feste Schicht auf dem Metall gebildet hatte.
Oh bitte, lass sie nicht durchgerostet sein! schoss es ihr durch den Kopf, da hatte ihre rechte Hand die Öse erreicht und sie donnerte ihren Haken wuchtig hinein.
Kaum einen Wimpernschlag später ließ der Vorwärtsdrang nach und die natürliche Anziehungskraft des Planeten zog sie in die Tiefe. Doch anstatt zu brüllen, war Melia auf diesen Moment durchaus gefasst. Sie drehte ihren Körper so, dass sie mit dem Gesicht zur Felswand sah, stemmte ihre Beine gegen den harten Stein und begann an ihm entlang in Richtung ihrer Feinde zu laufen.
Wieder einen Moment später straffte sich das Seil. Die Metallöse ächzte erbärmlich, als das gesamte Gewicht auf ihr lag. Wahre Brocken von Rost lösten sich knackend von ihr, das Seil schabte an ihr entlang und eine kleine, dunkelbraune Staubwolke stieg empor. Doch sie hielt dem Gewicht stand – zumindest vorerst. Melia wurde rüde zusammengestaucht, als das Seil an ihrem Hüftgeschirr riss, doch war sie viel zu konzentriert, um den Schmerz wirklich zu spüren. Sie hatte gewusst, dass dieser Moment kommen würde und anstatt jetzt den Halt zu verlieren, nutzte sie den Umstand, um wahrhaftig Schwung zu holen. Schon hatte sie den Tiefpunkt ihres Weges hinter sich gelassen und rannte auf der anderen Seite an der senkrechten Felswand in die Höhe.
Innerhalb von nur einer Sekunde aber spürte Melia, wie ihr Schwung schon wieder nachließ und ihre Kräfte beinahe versagten, doch gab sie nicht auf. Mit einer letzten, fast übermächtigen Kraftanstrengung gelang es ihr, soweit nach oben zu gelangen, dass sie mit dem ausgestreckten linken Arm die Felskante erreichen konnte, auf der sich die anderen Bestien befanden.
Einen Augenblick zuvor konnte sie zwei Monster erkennen, die auf sie herabstarrten und überrascht quiekten, weil sie nicht damit gerechnet hatten, Melia zu sehen.
Aber das war ihr vollkommen egal. Sie löste mit Daumen und Zeigefinger den Sicherungsstift, öffnete ihre linke Hand und gab der Granate noch ein wenig Schwung, sodass sie in einem sanften Bogen etwa drei Meter weit in den angrenzenden Gang hineinfiel. Dann ging es auch schon wieder abwärts.
Dabei hatte sie verdammtes Glück, denn eine der beiden Bestien, die sie erkannt hatte, hätte beinahe schnell genug reagiert. Ihre rasiermesserscharfen Klauen sausten in die Tiefe und verfehlten Melia nur um Haaresbreite, bevor sie außer Reichweite kam.
Wieder stemmte sie ihre Beine gegen die Felswand und lief so am ausgetreckten Seil quasi in einem Halbkreis auf die andere Seite in Richtung Kalipos und den anderen. Schon konnte sie sehen, wie der Anführer zu Boden fiel, seinen Oberkörper über die Kante schob und die Arme nach ihr ausstreckte.
Plötzlich begann die gesamte Felswand zu erzittern, als die Handgranate explodierte und ihre tödliche Energie freigab. Inmitten dieses ohrenbetäubenden Krachens waren deutliche Schreie von sterbenden Bestien zu hören. Außerdem das Geräusch von Körpern, die zerfetzt wurden und zerplatzten. Eine wahre Welle aus Blut und Gliedmaßen schoss aus dem Gang, in dem die Monster standen und klatschte lautstark in den See.
Melia hatte Mühe, ihre Beine durchgedrückt zu halten und sie drohte abzurutschen. Mit einem gequälten Aufschrei aber gelangte sie tatsächlich in die Höhe, wo sie Kalipos Hände hätte ergreifen können.
Doch mitten hinein in den verhallenden Donner der Granatenexplosionen war das deutliche Kreischen von Insektenbestien zu hören und Melia war sofort klar, dass ihre Aktion zwar gut, aber nicht gut genug gewesen war.
Kalipos streckte sich soweit er nur konnte. Mit etwas Glück würde er Melia ergreifen können. Ganz sicher, wenn sie ihm ihrerseits dabei half. Doch echtes Entsetzen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er erkannte, dass sie genau dies nicht tat.
Kaum einen Meter unter ihm legte sie ihren ausgestreckten rechten Arm wieder an das Seil vor ihrem Körper und versteifte sich zusehends. „Bin gleich zurück!“ rief sie mit einem Lächeln auf den Lippen, das Kalipos angesichts dieser irren und bedrohlichen Situation vollkommen unverständlich war.
Doch er hatte keinerlei Einfluss auf ihr Handeln. „Nein, nicht!“ stieß er noch verzweifelt hervor und konnte doch nur hilflos mit ansehen, wie seine Freundin an der Felswand entlang ein weiteres Mal zur anderen Seite lief.
In den ersten beiden Sekunden konzentrierte sich Melia einzig darauf, genug Schwung zu holen, um auf der anderen Seite so hoch wie möglich, mindestens aber so hoch wie nötig zu kommen.
Ihre Beine schmerzten tierisch, ihre Lungen kochten beinahe, ihr ganzer Körper rebellierte gegen diese hohe Belastung.
Dennoch ließ sie nicht nach, holte alles aus sich heraus und es gelang ihr schließlich wirklich auf der anderen Seite so hoch zu gelangen, dass sie ihren rechten Fuß auf die Felskante stemmen und sich letztlich gänzlich in den Gang dort hineinziehen konnte.
Während sie die zerfetzten Körper von mindestens drei Insektenbestien erkennen konnte, riss sie ihr Gewehr in einer schnellen und flüssigen Bewegung aus der Arretierung im Rücken.
Plötzlich nahm sie Bewegung vor sich wahr und schon stürmten zwei noch lebende Monster mit wütenden Schreien auf sie zu. Melia hielt die Waffe mit beiden Händen fest vor ihren Körper und drückte dann einfach ab. Die Projektile donnerten mit einem Höllenlärm auf ihre Gegner zu, doch konnten sie natürlich nicht die gleiche Wirkung erzielen, wie eine Granate. Während ihre Körper unter den unzähligen Einschlägen zuckten, stürmten sie unbeirrt auf Melia zu und kamen bedrohlich nahe.
Angesichts der furchtbaren Klauen und des widerlichen Kreischens der Bestien begann Melia zu schreien, auch, weil sie das Gefühl hatte, dass ihr ganzer Körper unter der Kraft der Gewehrsalve zu vibrieren schien.
Zwei Meter, bevor sie sie erreicht hatten, knickten bei dem vorderen Monster die Vorderbeine weg und es krachte mit einem schmerzhaften Aufschrei rüde zu Boden, wo einige weitere Projektile den Schädel immer mehr zerfetzten, bis eine Blutfontäne in die Höhe schoss und den Tod der Kreatur besiegelte.
Für den Hauch einer Sekunde überkam Melia ein Glücksgefühl, dann sah sie, wie die letzte noch lebende Bestie hinter ihrem Gefährten hervorschoss und einen gewaltigen Satz in ihre Richtung machte.
Melia schrie noch lauter, riss die Waffe ein wenig in die Höhe. Mit seiner Aktion war das Monster innerhalb eines Augenblicks direkt vor Melia, doch entblößte es dadurch auch seine Brust, in die jetzt die Gewehrkugeln ungehindert eindringen konnten und lebenswichtige Organe zerstörten.
Mitten hinein in ihren Sprung mischte sich deshalb ein letzter, erstickter Schrei. Als die Kreatur etwa einen Meter vor Melia wieder auf dem Boden aufsetzte, war sie bereits tot. Das gesamte Gewicht ihres Körpers donnerte auf den Felsen, ihre Klauen zerbrachen mit einem widerlichen Knacken.
Wieder empfand Melia für den Hauch eines Sekundenbruchteils so etwas wie Freude, dann erkannte sie, dass der tote Körper der Bestie nicht zum Erliegen kam, sondern noch immer genug Schwung besaß, um jetzt wie eine schwarze Lawine auf sie zuzurollen.
Instinktiv sprang sie nach rechts, drückte ihren Körper gegen die Wand des Ganges, während die Bestie an ihr vorbeirauschte.
Und fast schien es, als sollte sie Glück haben, doch dann verfing sich eine der gebrochenen Klauen des Monsters in ihrem Seil. In dem Moment, da die Kreatur über die Felsenkante hinweg in die Tiefe polterte, erkannte Melia mit entsetztem Blick ihr Unglück. Doch da war es zu einer Reaktion schon zu spät. Einen Augenblick später rauschte das Seil in die Tiefe und eine schreiende Melia mit ihm.
Es war wirklich zum verrückt werden, doch Chalek verspürte eher Wut auf sich selbst, als aufsteigenden Irrsinn.
Er hielt sich absolut nicht für einen ängstlichen Jungen. Er war ganz im Gegenteil sicher, dass er ausgesprochen mutig war. Nicht umsonst hatte er keine Probleme damit, auch nachts allein auf dem Plateau herumzuschleichen. Und doch – jedes Mal, wenn er eine dieser furchtbaren Insektenbestien auch nur zu sehen bekam, schien er für eine gewisse Zeit wie gelähmt vor Angst, bis er sich endlich zusammenreißen und agieren konnte. Ihm war bewusst, dass dies eines Tages sein Todesurteil sein mochte, doch gab es nichts, was er dagegen tun konnte.
So auch dieses Mal. Kaum hatte er das Monstrum in dem Bergsee unter ihnen gesehen, verkrampfte sich alles in ihm wieder vollständig. Und nicht nur das. Dieses Mal schien die Reaktion ganz besonders heftig zu wirken, denn er brauchte deutlich länger, als sonst, um wieder zu sich zu kommen. Chalek führte dies darauf zurück, dass er absolut nicht damit gerechnet hatte, diesen Kreaturen hier und auf diese Art und Weise zu begegnen. Der Schock darüber war wuchtig und allumfassend.
Natürlich aber war er nicht unfähig, seine Umgebung zu realisieren und so bekam er mit, das und was Melia tat, um ihre Feinde zu eliminieren. Wieder war er sich mehr als bewusst, welch außergewöhnlicher Mensch seine Barie war. Sie war die schönste Frau, der er je begegnet war, die Aufrichtigste und Emotionalste, aber auch die Verwirrteste - und ganz sicher die Mutigste.
Und mit dieser inneren Stärke handelte sie dort, wo alle anderen zögerten und erstarrten. Doch Chalek konnte es förmlich spüren, dass dieser Gegner mächtiger war, als zu befürchten.
Und so nahm er all seine Kraft und all seinen Mut zusammen, um sich letztlich aus seiner widerlichen Lethargie zu befreien. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte sich Melia längst das Seil von Kalipos genommen und eine Handgranate und war einfach von der Felskante gesprungen.
Völlig entsetzt sprang er neben den Anführer und ließ sich auf die Knie sinken. da sah er seine Freundin die Granate abliefern und an dem ausgestreckten Seil zu ihnen zurückkommen. Kalipos neben ihm legte sich flach nieder, schob seinen Oberkörper über den Rand und streckte seine Arme nach ihr aus. Doch gerade als Chalek es ihm gleichtun wollte, war klar, dass die Explosion der Granate nicht alle Bestien getötet hatte und so griff Melia nicht zu, sondern rannte ein zweites Mal zur anderen Seite. Während Chalek neben Kalipos rutschte und seinen Oberkörper soweit es nur ging über die Felskante schob, hörte er Gewehrfeuer, das Quieken und Brüllen der Bestien und die Schreie seiner Freundin. Obwohl er angestrengt nach rechts schaute, konnte er kaum etwas erkennen.
Bis zu dem Moment, da er zunächst einen dumpfen Schlag hörte, die Schüsse plötzlich endeten und dann ein großer schwarzer Körper in die Tiefe rauschte – gefolgt von seiner geliebten Barie, die keinen halben Meter über der leblosen Bestie mit dem Rücken voran, weit aufgerissenen Augen und lautem Schreien, vollkommen hilflos mit den Armen ruderte.
Ein so unendlich tiefer und schmerzhafter Schock durchzuckte ihn bei diesem Anblick, dass sein ganzer Körper einmal wild erzitterte, bevor sich ein panischer, halb erstickter Schrei aus seiner ansonsten stummen Kehle löste, dass Kalipos augenblicklich eine Gänsehaut über den Körper kroch. Chalek streckte seine Arme ganz weit nach unten, seine Hände waren zu Krallen verzerrt.
Ein schmerzhafter Stich fuhr Kalipos ins Herz, denn er wusste, wie sehr der Junge Melia liebte, doch war ihm ebenso klar, dass die junge Frau den Aufschlag fünfzehn Meter tiefer in dem beinahe leeren Bergsee nicht überleben würde.
Plötzlich aber schossen Lichter aus dem Fingerspitzen des Jungen. Gleißend weiß, halb durchsichtig und irgendwie milchig, vereinten sie sich von den fünf Fingern ausgehend zu einem Lichtbündel pro Hand und schossen dann direkt auf Melia zu. Dort trafen sie auf ihre Brust, breiteten sich blitzschnell weiter aus und hatten ihren Körper schon einen Augenblick später komplett umhüllt.
Melia spürte, wie ihr Körper von einer unsichtbaren Wärmequelle erfasst wurde. Gleichzeitig konnte sie das Licht erkennen, dass sie innerhalb eines Wimpernschlags komplett einhüllte. Ihr Schrei veränderte sich, wurde weniger panisch, dafür unsicher und irritiert.
Kalipos war sichtlich überrascht und wusste, dass er hier Zeuge eines weiteren Wunders des Jungen wurde, wenngleich er nicht sicher war, ob das ausreichen würde, um Melia zu retten, denn noch immer rauschte sie mit unverminderter Geschwindigkeit in die Tiefe.
Das bemerkte auch Melia und ihr Schrei wurde wieder lauter und panischer.
Dann erfolgte der Aufprall.
Zunächst die Bestie, dann Melia. Und genau in dem Moment, da ihr Fall so abrupt endete, glühte das Licht um sie herum kurzzeitig grell auf, bevor es nach allen Seiten davonstob wie eine Druckwelle, die sich rasant ausbreitete.
Gleichzeitig erstarb Melias Schrei schlagartig und eine gespenstische Ruhe legte sich über den Felsentrichter.