Читать книгу Genesis V - Alfred Broi - Страница 7
IV
ОглавлениеMavis erwachte, weil ihn irgendetwas aufgeschreckt hatte, doch vermochte er nicht mehr zu sagen, was es war. Nachdem er seine Augen mit einem kurzen, erstickten Aufstöhnen aufgerissen hatte, brauchte er eine Sekunde, um sich zu orientieren und eine weitere, um das Entsetzen, das seinen Körper eingenommen hatte, wieder zu verdrängen.
Als ihm bewusstwurde, dass er noch immer an der Kabinentür im Inneren der Kitaja lehnte, machte sich Frust in ihm breit. Nicht einmal auf das Bett hatte er es geschafft. Er lauschte, doch er konnte nirgendwo ein verdächtiges Geräusch vernehmen, das darauf hindeutete, dass Jemand vor seiner Tür stand oder im Schiff selbst Aufruhr war. Entsprechend war er sicher, dass ein Traum Schuld an seinem blitzartigen, unsanften Erwachen war.
Mit einem tiefen Stöhnen drückte er sich gegen das Türblatt und versuchte, sich zu erheben, doch spürte er sofort schmerzhafte Verspannungen überall am Körper. Während der Weg auf seine Füße so zu einer echten Quälerei mit weiterem Stöhnen wurde, war ihm klar, dass es eine Scheißidee gewesen war, sich hier niederzulassen. Um seine Muskeln zu entlasten, streckte er sich zunächst ausgiebig und gähnte dabei mehrmals.
Dabei fiel ihm auf, dass er es nicht nur nicht geschafft hatte, das Bett zu nutzen, sondern auch noch immer in demselben Overall steckte, der in Kos Korros vollkommen durchnässt worden war und jetzt ziemlich eklig stank.
Mavis rümpfte die Nase, legte Melias Foto auf einen kleinen Tisch an der rechten Seite und entkleidete sich. Kurzerhand sprang er schnell unter die Dusche, was ihm sichtlich guttat. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, zog er frische Unterwäsche und bordeigene, dunkelrote Oberbekleidung, bestehend aus einer Hose und einem Hemd aus leichtem, aber festem Webstoff, an.
Schließlich betrachtete er sich noch einen Moment im Spiegel, doch war ihm sein eigenes Spiegelbild wieder einmal befremdlicher, als es sein sollte. Er lenkte sich ab, indem er seine Armbanduhr anlegte und dabei überrascht feststellte, dass er fast drei Stunden geschlafen hatte. Doch er bereute das nicht, denn er hatte, wie erhofft, trotz allem ziemlich gut geschlafen und fühlte sich etwas ausgeruhter und kräftiger, als noch zuvor, wenngleich sein Erwachen auch wenig erbaulich gewesen war. Doch durch die Dusche hatte er das gut wegstecken können, zumal er sich absolut nicht erinnern konnte, was ihn wohl so aufgeschreckt haben mochte.
Als letztes nahm Mavis das Foto von Melia wieder zur Hand. Als er ihr Antlitz betrachtete, huschte ein deutliches, wenn auch leicht wehmütiges Lächeln über seine Lippen. Er schloss seine Augen, drückte das Foto an sein Herz und atmete einmal tief durch. Dann hob er es vor sein Gesicht und öffnete seine Augen. „Ich liebe dich, Melia!“ Wieder lächelte er, führte das Foto zu seinem Mund und küsste es sanft. Als er es von sich schob, betrachtete er es nochmals einen Moment innig, dann sagte er. „Und ich werde dich wiedersehen!“ Hiernach schob er es in die Brusttasche seines Hemdes, atmete ein weiteres Mal tief durch, drehte sich um und verließ die Kabine.
Im Laderaum der Kitaja war es angenehm ruhig. Mavis konnte bei einem kurzen Rundblick nur Captain Tibak und seine Männer erkennen, die in ein leises Gespräch vertieft waren und dabei etwas aßen und tranken, sowie Leira, die in einer anderen Ecke mit halb geschlossenen Augen vor sich hindöste. Das monströse Wesen registrierte sein Erscheinen mit einem kurzen Flackern seiner Lider und einem entspannten Brummen, das Mavis ein leichtes Lächeln auf die Lippen zauberte. Auch Tibak und seine Leute schauten zu ihm auf und nickten ihm zu. Mavis erwiderte ihren Gruß und verspürte jetzt ebenfalls Hunger. „Wo kriege ich auch sowas her?“ fragte er, als er zu ihnen trat.
Tibak nickte nach rechts. „In der Küche. Kaleena hat es zubereitet. Nicht viel, aber schmackhaft!“
Mavis nickte nochmals. „Danke!“ Er wandte sich ab und ging in den kleinen Raum, der dem Schiff als Bordküche diente.
„Hey Süße!“ begrüßte er seine Freundin, als er eintrat.
Kaleena stand mit dem Rücken zu ihm an einer langen Anrichte und war gerade dabei, Nahrungsmittel aus verschiedenen Schalen in eine größere umzufüllen. Als sie Mavis bemerkte, drehte sie sich mit einem Lächeln zu ihm um. „Hallo Schlafmütze! Na, endlich wach?“ Sie versuchte, Mavis Blick zu erhaschen, während sich in ihre Freude ein Anflug von Sorge mischte.
Doch der Commander wich ihr aus. „Der Job hier ist echt stressig. Und wenn ihr dabei seid, gleich um ein Vielfaches mehr. Da braucht man ab und an eine Ruhepause!“ Jetzt blickte er sie doch kurz an und grinste breit.
Kaleena nickte. „Kein Problem. Aber...!“ Sie wartete, bis Mavis, der mittlerweile neben sie getreten war und neugierig auf die Schalen auf der Anrichte starrte, sie wieder ansah. „...sollte Schlaf deinen...Stress nicht lösen können, hoffe ich, du nutzt die Gelegenheit, dich einem Freund oder...einer Freundin anzuvertrauen!“ Ihre Augen weiteten sich.
Mavis schaute sie für einen Augenblick ernst an, dann umspielte ein Lächeln seine Lippen und er nickte. „Natürlich, das weißt du!“
Kaleena erwiderte sein Lächeln, doch blieb es unsicher. „Das hoffe ich. Für dich. Alles andere könnte dich vielleicht...früher oder später...umbringen!“
Jetzt lachte Mavis leise auf. „So oft, wie ich schon hätte tot sein müssen!“ Er schüttelte den Kopf. „Unkraut vergeht nicht, es sein denn...!“
„Es sei denn, was?“
„Ich bekomme nicht auf der Stelle etwas von deiner leckeren Mahlzeit und sterbe eines natürlichen Todes, in dem ich jämmerlich verhungere!“
Kaleena verzog die Mundwinkel und schüttelte den Kopf. „So siehst du auch aus!“ Sie drehte sich mit einem tiefen Atemzug zurück zu den Schalen. „Ich weiß auch gar nicht, was du hast, das ist doch bloß...!“
Doch Mavis hob die linke Hand und Kaleena stoppte. „Nein, sag es nicht. So wie es riecht, ist es lecker. Das reicht mir vollkommen!“ Er nahm sich eine leere, kleine Schüssel zur Hand und reichte sie seiner Freundin. „Also rein damit!“ Er hielt inne und lächelte sie freundlich an. „Bitte!“
Jetzt lächelte Kaleena ehrlich und offen. „Natürlich, mein Großer!“ Sie nahm einen Löffel und füllte etwa aus der großen Schale in die kleine Schüssel. „Hier!“ Sie reichte sie ihm zurück. „Lass es dir schmecken!“
„Danke!“ Mavis nahm sich einen Löffel von der Anrichte und begann sofort, ziemlich gierig zu schlingen. Als er seinen Mund zum ersten Mal gefüllt hatte, nickte er mit einem wollüstigen Stöhnen. „Prima!“ Dann wandte er sich ab.
„Mavis?“
„Ja?“ Er drehte sich zurück zu Kaleena.
„Ich habe es ernst gemeint. Niemand geht allein durchs Leben. Ich bin deine Freundin und ich liebe dich. Ich bin immer für dich da. Vergiss das nicht. Ganz besonders nicht, wenn das Licht im Tunnel so klein scheint, dass du es nicht mehr zu sehen glaubst!“
Mavis schaute sie wieder einen Moment ernst an, dann zeigte sich ein mildes Lächeln auf seinen Lippen. Er nickte mehrmals bedächtig. „Danke! Ich weiß das zu schätzen!“ Er hielt ihren Blick einen Augenblick fest. „Und ich werde auf dich zurück kommen...wenn es soweit ist!“ Dann wandte er sich ab und verließ den Raum.
Und während Kaleena ihm besorgt hinterher sah und hoffte, dass er sein Versprechen halten würde, hielt Mavis vor der geschlossenen Tür kurz inne, schloss die Augen, atmete tief durch und war sich mehr als sicher, dass es widerlich war, Freunden derart eiskalt ins Gesicht zu lügen.
Dann aber riss er sich zusammen und ging zu Tibak und seinen Männern.
„Wo ist Commander Vilo?“ fragte er, während er sich einen weiteren Löffel in den Mund schob. Wenngleich das Essen nach seinen Worten zu Kaleena auch seinen Reiz verloren hatte, wusste er doch, dass er Nahrung brauchte, um bei Kräften zu bleiben.
„Er ist mit seinem Sohn in eine der anderen Kabinen gegangen!“ antwortete Captain Tibak. „Ich denke, er wird auch schlafen!“
Mavis nickte. „Okay! Wenn mich Jemand suchen sollte, ich bin im Cockpit!“
Captain Cosco spürte immer deutlicher, dass sein Körper allmählich abbaute, auch weil der Flug durch das parulische Meer entlang der Küste nach Madori absolut eintönig war. Anfangs hatte er sich noch mit Pater Matu unterhalten und dabei festgestellt, dass der Priester in so ziemlich allen Belangen total anders war, als er ihn sich vorgestellt hatte. Schon allein sein militärischer Hintergrund war beachtlich. Die Geschichte aber, wie er dennoch ein Mann des Glaubens wurde, war wahrlich faszinierend und beeindruckend zugleich. Cosco erkannte in Matu einen Mann, der klare moralische Werte und ein großes Ehrgefühl besaß. Anders aber, als so viele Priester, die Cosco bisher kennengelernt hatte, war er dabei ehrlich und aufrichtig. Doch er war auch ein Mensch, der von Zweifeln und Ängsten geplagt wurde und dennoch niemals aufgeben würde, an sich und anderen zu arbeiten. Stets war er auf der Suche, sich selbst zu einem besseren Menschen und Santara zu einem besseren Ort zu machen, weshalb er keinerlei Zweifel daran ließ, das er all seine Kraft in den Kampf gegen ihre Aggressoren stecken würde.
Cosco war tief beeindruckt von Matu.
Natürlich redeten sie auch über ihn und seine Vergangenheit und der Pater war nicht minder interessiert und angetan von Coscos bisherigem Leben, doch irgendwann kam die Sprache natürlich auch auf seinen Sohn Kendig und die Unsicherheit und Sorge, ob es ihm und auch den anderen gut ging, drückte mächtig auf ihre Stimmung, sodass das Gespräch alsbald versiegte und jeder seinen eigenen Gedanken nachhing.
Anfangs war das noch angenehm, dann aber sehr schnell nur noch monoton und ermüdend.
Auch die Tatsache, dass sie die madorische Küste mittlerweile erreicht hatten und sich dem Gebiet, in dem sie auftauchen und die Landmasse überqueren wollten, näherten, konnte kaum für Begeisterung sorgen.
Und so sehnte sich Cosco allmählich danach, dass Commander Vilo ihn ablösen würde.
Auch Matu empfand die momentane Monotonie sehr ermüdend, doch konnte er Cosco verstehen, dass der keinen Spaß mehr an einer Unterhaltung hatte. Matu war erfreut gewesen, dass und wie sehr sein bisheriges Leben Cosco interessiert hatte. Deshalb hatte er sehr viel von sich erzählt, weil er ziemlich sicher war, dass der Captain vertrauenswürdig war. Auch an Coscos Geschichte fand Matu reges Interesse, doch als die Sprache auf seinen Sohn Kendig kam, wurde der Captain zusehends ernster und wortkarger.
Matu beschloss daraufhin, nicht weiter zu fragen und er konnte sehen, dass Cosco ihm dafür dankbar war.
Es blieb dann für beide jedoch nur noch, ihren eigenen Gedanken nachzuhängen und das war eine äußerst monotone Angelegenheit.
So hoffte auch Matu darauf, bald abgelöst zu werden.
Als Mavis in das Cockpit kam, hatte er sein Essen beinahe komplett vertilgt. Nur noch ein kleiner Rest befand sich in der Schale.
Wortlos stellte er sich zwischen Piloten- und Kopilotensitz und legte seine Unterarme auf die Sessellehnen. Ein Blick aus der Fronscheibe sagte ihm, dass auch in diesem Teil des Meeres von der einst schillernden Farben- und Lebenspracht nichts zurückgeblieben war außer einer ekelhaften, leblosen Brühe, durch die die Kitaja ihrem Ziel entgegenpflügte. Doch Mavis hatte diesen Anblick schon oft genug ertragen müssen, sodass er lediglich angewidert seine Nase rümpfte und stattdessen in seine Schale blickte.
„Commander!“ rief Cosco dann aber erfreut und schaute kurz neben sich. Sogleich blickte auch Matu in seine Richtung und in seinem Blick glaubte Mavis Erleichterung zu sehen.
„Captain!“ Mavis lächelte kurz. „Wie ist die Lage?“
„Keine besonderen Vorkommnisse!“ erwiderte Cosco sichtlich unmotiviert.
„Na, na!“ meinte Mavis daraufhin mit einem kurzen Lacher. „Das hört sich ja gerade so an, als wäre ihnen ein bisschen Hektik, Panik und Irrsinn lieber!?“
„Besser, als sich den Hintern platt zu sitzen...!“ erwiderte Matu ebenfalls angesäuert. „...wäre es schon, ja!“
Mavis lächelte den Pater an, dann warf er einen Blick auf das Sonargerät. „Na, so wie es aussieht, haben wir die Küste Madoris ja fast erreicht und können auftauchen!“
Cosco nickte. „In einer Minute!“
„Was ist in einer Minute?“
Alle Köpfe wirbelten herum und sie waren sichtlich überrascht, dass sich Vilo lautlos und unbemerkt herangeschlichen hatte.
Mavis aber konnte beim Anblick seines Freundes einen gewissen Zorn noch immer nicht unterdrücken und so wurde sein Blick ernst und säuerlich. „Sind immerhin schon acht Stunden vergangen, ohne dass du uns ein weiteres Mal verraten hättest!“ Ob das jetzt so stimmte, war ihm ziemlich egal, Hauptsache, er bekam damit das fröhliche Grinsen aus dem Gesicht seines Gegenübers.
Er brauchte keine Sekunde darauf zu warten. „Was?“ Vilo war sichtlich geschockt. „Mann Mavis, also ehrlich, ich...!“ Seine Miene wirkte deutlich gequält.
„Ja, ja, schon gut!“ wehrte Mavis ab. Während er zufrieden damit war, Vilo seinen Fehltritt nochmals vor Augen geführt zu haben, entspannten sich auch Cosco und Matu, die sichtlich Schlimmeres befürchtet hatten. „Reg dich ab. War nur ein kleiner Rippenstoß!“ Er blickte Vilo mit einem freudlosen Lächeln an, dann wurde sein Blick schlagartig ernst. „Diese Sache ist noch nicht ausgestanden. Wir werden ganz sicher noch darüber reden!“ Sein rechtes Auge verengte sich zu einem Schlitz. „Aber nicht hier und jetzt. Jetzt werden wir erst mal auftauchen!“
Vilo brummte genervt, aber auch erleichtert. Mavis wandte sich wortlos um und gemeinsam beobachteten sie dann Cosco und Matu, wie sie das Schiff ohne großen Geschwindigkeitsverlust sanft aus den Wogen des parulischen Ozeans manövrierten.
Die Küste Madoris war flach und sandig. Cosco beschleunigte das Schiff wieder auf vierhundert Meilen in der Stunde und jagte kaum zehn Meter über der sich vor ihnen schier endlos ausbreitenden Wüste nach Westen.
Madori war ein wahrhaft flaches Land. Die höchsten Erhebungen in Form einer sanft geschwungenen Hügellandschaft gab es im äußersten Südosten vor der Landzunge, auf der sich die Hauptstadt Fortilas befand, doch die erreichten kaum mehr als einhundert Höhenmeter.
Auch im Norden und Nordwesten gab es eine solche Hügellandschaft, doch zeigte sie im Gegensatz zu ihrem südlichen Pendant vielfach äußerst steile, schroffe und bizarr gezackte Felsformationen.
Der Rest des Landes war eine einzige Wüstenlandschaft. Kahl, heiß, lebensfeindlich.
Wenn Lexis vom Himmel brannte – und das tat sie an achtundneunzig Prozent aller Tage – erreichten die Temperaturen hier bis an die sechzig Grad bei äußerst geringer Luftfeuchtigkeit, und brachten die Luft über dem Sandboden zum Flirren.
Madori wurde auch das Land des Feuers genannt. Obwohl es wohl so gut wie nichts gab, dass hier jemals in Flammen würde aufgehen können, wirkte der Wüstensand in seiner Mischung aus glutroten, orangefarbenen und gelben Sandkörnern wie ein sich stetig bewegendes, wogendes Flammenmeer, aus dem es kein Entrinnen mehr zu geben schien.
„Partnertausch?“ fragte Vilo.
Während Mavis ihn kurz anschaute und nickte, warf Cosco ihm einen verwirrten Blick zu, bevor er begriff, was der Commander wollte.
„Moment noch!“ Mitten hinein in sein erfreutes Nicken darüber, dass Ablösung bevorstand, verharrte Matu plötzlich mit dem Blick auf das Radargerät.
„Was ist?“ fragte Vilo sofort.
„Ich empfange hier einige beunruhigende Signale!“
„Auf den Schirm!“ befahl Mavis.
Matu gab einen Befehl ein und das Radarbild erschien auf dem Hauptbildschirm im Cockpit. Die drei anderen Männer erkannten sofort, was der Priester meinte. Abgesehen von der doch etwas überraschenden Tatsache, dass überhaupt feindliche Präsenz hier zu finden war, konnten sie deutlich verbündete Signale erkennen. Mavis schätzte, dass es etwa zwei Dutzend waren. Demgegenüber gab es über sechzig Feindmeldungen.
Sie alle befanden sich im Westen des Landes, dort wo die zerklüftete Hügellandschaft zu finden war. Ihr Weg führte sie zwar nach Nordosten, doch waren sie in der offenen Wüste unterwegs. Der Grund war einfach, denn es war klar zu erkennen, dass die feindlichen Signale dicht hinter den anderen her waren.
„Verdammt!“ stieß Vilo hervor. Er schaute sich um und konnte in den Gesichtern der anderen die gleiche Erkenntnis sehen, die er selbst hatte: Hier gab es offensichtlich Flüchtlinge, deren Lager von den Feinden aufgespürt worden war und die jetzt versuchten, nach Norden zu entkommen. Um zumindest einigermaßen schnell voran zu kommen, mussten sie dabei jedoch über die offene Wüste fliehen. Ein gefährliches Unterfangen, dass augenscheinlich auch zum Scheitern verurteilt war, denn zwar waren die Flüchtlinge überraschend schnell unterwegs und die Entfernung zwischen Jägern und Gejagten betrug rund eine halbe Meile, doch war auch zu sehen, dass sie langsam näher rückten.
„Das sind Insektenbestien!“ meinte Cosco mit Blick auf die feindlichen Signale.
Mavis nickte. „Und ihre Opfer müssen Sandbuggys oder so etwas haben. Ansonsten hätten sie diese Monster längst eingeholt!“
Er erntete zustimmendes Nicken.
Für einen Moment herrschte bedrückende Stille im Cockpit, in dem sich alle bewusstwurden, dass zwei Dutzend Buggys vielleicht vier oder mehr Dutzend Menschen bedeutete und sich hier ein weiteres, widerliches Massaker und Schlachtfest anbahnte, es sei denn...
„Verdammt!“ zischte Mavis und atmete einmal tief durch. „Wie weit ist das bis dahin?“
Matu schien sofort erleichtert und reagierte ohne zu zögern, in dem er die entsprechende Abfrage in den Terminal veranlasste.
„Aber, Mavis…!“ hob Vilo an.
„Was?“
„Du hast doch nicht allen Ernstes vor, eine Rettungsaktion zu starten!“
Mavis Blick war ernst und seine Lippen nur noch dünne Striche. „Und warum nicht?“
„Wir haben eine andere Mission. Das weißt du doch. Wir müssen nach Tibun. Wir können ihnen nicht helfen!“
„Entfernung zweihundertsechzig Meilen!“ rief Matu und starrte Mavis mit flehenden Augen an.
„Ich weiß verdammt gut, dass wir einen anderen Plan haben!“ Mavis sah man an, dass er innerlich das Für und Wider gegeneinander abwog. „Aber da draußen sind unschuldige Menschen. Willst du sie wirklich ihrem Schicksal überlassen!“
Vilo wollte schon antworten, doch er sah, dass aller Augen auf ihn gerichtet waren und so stockte er zunächst. Deutlich war zu sehen, dass es ihm nicht gefiel, hier die Position des Oberarsches einzunehmen, dennoch aber konnte er Mavis Plan nicht gutheißen. „Wir haben keine andere Wahl. Wir müssen es tun! Wir sind doch auch viel zu weit weg, um noch rechtzeitig dort sein zu können!“
„Captain?“ fragte Mavis Cosco.
„Also, wenn ich die Nachbrenner einschalte, kann ich das Schiff auf etwa tausend Meilen beschleunigen. Dann wären wir in zwanzig Minuten bei ihnen. Vielleicht auch früher. Vorausgesetzt...!“
„Was?“
„Diese Lady hält die Geschwindigkeit noch durch. Die letzten sieben Jahre waren alles andere als ein Spaziergang für sie!“ Cosco hörte, wie Mavis die Luft scharf einsog, während Vilo zu triumphieren schien. „Allerdings...!“ fügte er deshalb noch schnell hinzu. „... hat sie auch schon oft genug bewiesen, welch hervorragendes Boot sie ist!“
Mavis brummte zufrieden. „Noch was?“
Vilo war etwas verlegen. „Na und selbst, wenn wir schnell genug da sein könnten, was nicht sicher ist!“ Er schaute Cosco fragend an, der den Mund verzog und die Achseln zuckte. „Das sind über sechzig Bestien. Das schaffen wir niemals. Die Übermacht ist einfach zu groß!“
„Captain?“ Wieder richtete Mavis seine Frage an Cosco.
„Ähm, die Sache mit der Übermacht könnten wir möglicherweise relativieren!“
„Ach, und wie?“ Vilo lachte einmal verächtlich auf. „Sie werden unser ganzes Waffenarsenal verballern und dennoch nur die Hälfte dieser Monstren erledigt haben!“
„Schon!“ bestätigte Cosco mit einem Nicken. „Aber wir haben da ein paar zusätzliche Waffensysteme an Bord!“
„Häh!“ Vilo war sichtlich irritiert. „Was heißt das denn?“
„Ähm...!“ begann Cosco.
Doch Mavis kam ihm zur Hilfe und führte klar und schnell aus. „Das solltest du eigentlich wissen. Schließlich warst du dabei, als wir beschlossen hatten, dieses Schiff damit zu bestücken!“ Er wartete, bis sich in Vilos Gesicht neben Irritation auch erste Erkenntnis zeigte. „Erst als fast alles fertig war, war klar, dass wir ein Boot mit einem größeren Laderaum brauchen würden!“
„Die Boritas!“ Vilo war sichtlich verblüfft.
Mavis nickte mit einem breiten Grinsen. „Ja, sie sind hier!“
„Aber...!“
„Na ja, nicht alle, versteht sich, aber zumindest drei haben wir rein bekommen, bevor man auf den Docks von Eshamae auf uns aufmerksam geworden ist!“
„Ihr habt noch die Zeit gehabt, drei Boritas zu klauen?“ Vilo schüttelte ungläubig den Kopf.
„Hey!“ rief Mavis aber sofort. „Stehlen ist ein so böses Wort. Außerdem sind diese Dinger unser Eigentum...!“ Er hielt inne, weil Vilo die Stirn runzelte. „Na ja, zumindest unser geistiges Eigentum. Und dann war das auch kein Diebstahl, sondern...ein Abschiedsgeschenk des Nuri!“
Vilo schaute Mavis und Cosco noch einen Moment mit verzogenen Mundwinkeln an, dann schüttelte er wieder lächelnd den Kopf. „Ihr seid echt verrückt!“
Sofort löste sich die Anspannung im Raum.
Doch Vilo war offensichtlich noch nicht fertig, denn er wurde sogleich wieder ernst und meinte. „Trotzdem ist das viel zu gefährlich!“ Er sah in den Gesichtern der Anderen sogleich Unfrieden, doch er blieb standhaft. „Wir bringen uns und das Schiff in eine nicht kalkulierbare Gefahr. Wir schwächen unsere Ressourcen und können eigentlich nur verlieren. Am Ende haben wir vielleicht einige Menschenleben retten können, uns selber aber geschwächt: Einen Verlust zu beklagen oder das Schiff beschädigt. Und dann können wir unsere eigene Mission nicht mehr so ausführen, wie wir es wollen und müssen. Und dann wird es uns nicht gelingen, den gesamten Planeten zu retten. Dann haben wir das Überleben aller gegen das Leben dieser Menschen eingetauscht!“ Er wartete, bis er alle angeschaut hatte. „Und das ist ein zu großes Risiko! Tut mir leid!“
Mavis schaute Vilo einen Moment ausdruckslos an, dann nickte er bedächtig, während er einmal tief durchatmete. „Eine Mission, die nur auf Vermutungen und vagen Schlussfolgerungen basiert!“ Er blickte zu Matu und sah, dass der Priester nicht ganz einverstanden mit seinen Äußerungen war, sich aber zurückhielt. „Nichts von alledem, was wir erhoffen, könnten wir am Ende finden. Wir fliegen nach Tibun, um uns alle und dieses Schiff dort für nichts als den Hauch einer Hoffnung in Gefahr zu bringen. Tut mir leid...!“ Er schüttelte den Kopf. „...aber das ist mir zu wenig. Diese Gefahr hier ist real und ich kann und werde diese Menschen nicht hilflos ihrem Schicksal überlassen. Du magst das können...!“ Er starrte Vilo direkt in die Augen. „...ich nicht!“
Vilo Gesichtszüge weichten augenblicklich auf und wurden sichtlich gequält. „Verdammt, Mavis. Das ist nicht fair. Wir waren uns doch alle einig, dass wir Shamos und Matus Worten folgen wollten!“
„Das werden wir auch!“ Mavis nickte. „Nachdem wir uns um diese Menschen gekümmert haben! In Tibun werden wir auch nichts Anderes finden, als Kampf und Irrsinn. Und bevor ich für einen Mythos mein Leben lasse, der vielleicht gar nicht existiert, sterbe ich lieber hier bei dem Versuch, realen Menschen zu helfen!“
Vilo blieb einen Moment stumm. Er konnte in den Augen von Cosco und Matu sehen, dass sie auf Mavis Seite waren und Captain Tibak und seine Leute brauchte er ohnehin nicht zu fragen. Und so nickte er widerstrebend. „Also gut! Aber versprich mir, dass wir dann unsere Mission weiter fortführen!?“
„Klar!“ Mavis grinste zufrieden. „Es sei denn...!“
„Ja, ja!“ wehrte Vilo genervt ab. „Ich weiß schon! Flüchtlinge gibt es überall!“