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XIV

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Wie lange sie mittlerweile unterwegs waren, vermochte Mavis nicht zu sagen, doch der Blick zum Himmel zeigte eine immer schneller fortschreitende Dämmerung.

Plötzlich verspürte er eine leichte Erschütterung des Bodens. Augenblicklich erklangen in ihm sämtliche Alarmglocken und er verlangsamte seinen Gang. Während er sich hektisch auf der vor ihnen liegenden Lichtung umschaute, erkannte er, dass Matu ebenfalls abstoppte. Auch Buras etwa fünf Meter vor ihnen blieb stehen. Tibak trat von hinten neben Matu und sie alle blickten angestrengt nach vorn.

Das da etwas sein musste, war ihnen allen klar, denn die Erschütterungen des Bodens nahmen zu. Doch als Mavis bereits mit dem Schlimmsten rechnete, nämlich einer Horde anstürmender Insektenbestien, hörte er ein panisches Quieken von der anderen Seite der vielleicht dreißig Meter breiten Lichtung und nur einen Augenblick später schossen zwei halbwüchsige Anuriga-Böcke aus dem Dickicht dort hinaus ins Freie. Die Gazellen-ähnlichen Wesen waren etwa halb so groß, wie ein ausgewachsener Mann, hatten dunkelbraunes, sehr kurzes Fell und vier schlanke Beine, mit denen sie eine beachtliche Geschwindigkeit erreichten. Deutlich war ihr schmaler, langgezogener, nach unten gebogener Kopf zu sehen. Ihre Mäuler waren in echter Panik weit aufgerissen war. Auf der Schädeldecke standen die für diese Art charakteristischen Hörner in die Höhe. Es waren zwischen sechs und zwölf Stück – je nach Alter und Geschlecht – sie wurden etwa dreißig Zentimeter lang und sie wuchsen wild in alle Richtungen.

Mavis Körper spannte sich bei ihrem Anblick automatisch an. Dass die Tiere offensichtliche Panik hatten und auf der Flucht waren, sah man deutlich. Und das konnte doch nur heißen, dass...

Einen Augenblick später war ein tiefes, bösartiges Brüllen zu hören und der Dschungel schien dort, wo die beiden Böcke noch vor einer Sekunde gewesen waren förmlich zu explodieren. Doch nicht etwa durch eine Gruppe heranrauschender Insektenbestien, sondern durch den riesigen, massigen und sehr muskulösen Körper eines Guri-Reptils. Trotz seiner eher plumpen, Echsen-ähnlichen Körperform hatte es eine beachtliche Geschwindigkeit und seine vier kräftigen Beine donnerten dumpf auf den Dschungelboden. Die für seine Spezies charakteristischen, wiegenden Bewegungen von Kopfteil und Schwanz ließen es noch alberner wirken, zumal diese Bewegungen auch noch gegenläufig waren. Angesichts des absolut furchterregenden, gut einen Meter langen Mauls, das gespickt war mit drei parallelen Reihen messerscharfer Backenzähne und vier mächtigen, spitzen, sicherlich dreißig Zentimeter langen Reißzähnen im vorderen Bereich, kam jedoch bei keinem der Männer Spott auf, denn sie waren sich sofort bewusst, dass sie es mit einem wahren Monstrum zu tun hatten.

Der Guri jagte hinter den Anuriga-Böcken her und brüllte bösartig und wild. Die Böcke wiederum schrien panisch auf und versuchten ihrem Gegner zu entkommen. Dabei schien ihnen das Glück hold zu sein, denn auf der freien Lichtung konnten sie ihren Geschwindigkeitsüberschuss viel besser nutzen und den Abstand zu dem Guri vergrößern.

Während Mavis erlebte, wie sie außerdem noch einen scharfen Haken nach rechts schlugen, konnte er sehen, dass Matu und auch Tibak gleichsam fasziniert von dem Geschehen vor ihnen einen Schritt nach vorn taten und sich jetzt schräg vor ihm befanden. Ein kurzer Blick zu Buras zeigte ihm, dass der Sergeant Schutz hinter einem dichten Busch gefunden hatte.

Mavis wollte den beiden Männern an seiner Seite gerade einen Wink geben, ebenfalls Deckung zu suchen, da die Anuriga-Böcke dem Guri alsbald entwischt sein würden und der sich dann womöglich- oder doch besser sehr wahrscheinlich – frustriert und stinksauer neue Opfer suchen würde, wobei sie ihm gerade recht kommen dürften, als sich plötzlich eine linke Hand fest auf seinen Mund und gleichzeitig ein rechter Arm um seinen Oberkörper schlang und er ruckartig in das Dickicht rechts neben ihm gezogen wurde, wo man ihn sogleich zu Boden drückte.

Mavis stöhnte auf und wollte sich gerade gegen die Kraft in seinem Rücken stemmen, als sich der Arm um seine Brust und auch die Hand von seinem Mund wieder entfernte. Blitzschnell wirbelte er herum, um seinen Widersacher auszumachen, als er abrupt und staunend verharrte, weil er in das Gesicht eines Jugendlichen blickte, der ihn mit großen, reglosen Augen anstarrte. Mavis schätzte den Jungen auf sechzehn oder siebzehn Jahre. Er wirkte dürr, war aber offensichtlich sehr kräftig. Seine Kleidung, bestehend aus dünnen, selbst zusammengenähten, dunklen Stoffen war vielfach zerrissen und sehr schmutzig. Mavis stieg sofort ein unangenehm erdiger und fauliger Geruch entgegen. Was ihm aber besonders auffiel, war das Gesicht des Jungen. Schmutzig, wie alles andere, besaß er keine Haare mehr auf dem Kopf. Dafür aber breitete sich eine tiefe Narbe quer über sein Gesicht bis zum Hinterkopf aus. Sie führte von der linken Wange unterhalb des linken Auges über die Nasenwurzel zwischen die Augen hindurch quer über die Stirn bis hinter das rechte Ohr. Sie war eindeutig genäht worden, doch sichtlich nicht professionell, denn neben der Narbe hatten sich viele kleine Wulste gebildet, die das einst sicherlich hübsche Gesicht des Jungen einigermaßen verunstalteten, ihm aber gleichzeitig ein viel älteres und sehr verwegenes Aussehen verliehen. Beim Blick in seine Augen wurde Mavis eiskalt klar, dass der Junge durch die Hölle, die er durchlebt hatte, für immer geprägt war. Ganz sicher wusste er, wie er sein Leben zu verteidigen hatte und noch sicherer, würde er nicht zögern, alles dafür Notwendige zu tun.

Mavis war im ersten Moment sprachlos, zumal er hinter dem Jungen zwei weitere Personen erkennen konnte. Es waren ein Junge und ein Mädchen. Sie waren um einiges jünger als er, vielleicht zwölf oder dreizehn. Ihre Kleidung und ihr Aussehen waren nicht minder schmutzig, doch konnte Mavis in ihren Augen neben dem Schrecken des Krieges auch noch ein gewisses Maß an kindlicher Neugier ihm gegenüber erkennen.

Dennoch aber war seine Überraschung, die drei hier zu sehen so groß, dass er nicht drum hin konnte, sich zu äußern. „Was zum...?“

Weiter kam er nicht, denn das Mädchen, das rechts hinter dem größeren Jungen gekauert hatte, spritzte plötzlich förmlich hinter ihm hervor und schlug Mavis mit ernstem Gesicht auf die Wange. Das tat nicht sonderlich weh, erschreckte ihn aber, weil er mit einer solchen Reaktion nicht gerechnet hatte. Bevor er aber nochmals etwas sagen konnte, sah er, wie der Ältere der drei, seinen rechten Zeigefinger auf den Mund legte und ihm mit mahnendem Blick andeutete, still zu sein. Gleichzeitig beugte er sich vor, legte seinen linken Arm um seinen Nacken und deutete mit dem rechten Arm in Richtung der beiden Anuriga-Böcke und dem Guri.

Mavis, der für einen Sekundenbruchteil in den Augenwinkeln sah, dass Matu und Tibak bisher keinerlei Notiz von ihm und den Kindern genommen hatten, weil sie noch immer viel zu fasziniert von dem Geschehen auf der Lichtung waren, nickte dem Jungen zu und sagte leise. „Ich weiß...!“

Doch wieder erntete er Ablehnung in Form eines kurzen Kopfschüttelns. Der Junge deutete ihm nochmals an, still zu sein und zeigte wieder in Richtung des Geschehens.

Irritiert drehte Mavis sich zurück. Kaum hatte er die Tiere wieder ausgemacht, schoss mit einem wilden Fauchen ein zweiter Guri aus dem Dickicht in der Nähe eines gewaltigen, umgestürzten Baumes mit bizarren Wurzeln auf die heranstürmenden Anuriga-Böcke zu. Sein Maul weit aufgerissen, hatte er dort auf der Lauer gelegen und nutzte jetzt die Gelegenheit, blitzschnell nach vorn zu preschen und das vordere Tier direkt aus dem Lauf heraus zu packen. Der Bock schrie schmerzhaft quiekend auf, doch konnte er dem tödlichen Biss der Bestie nicht mehr ausweichen. Während Knochen knackten und Blut spritzte, krachte der hintere Bock noch gegen das Maul des Guri, weil er nicht mehr ausweichen konnte. Dadurch verletzte er sich augenscheinlich so schwer an der Schulter, dass er nicht mehr richtig rennen konnte. Das war die Chance für den hinteren Guri, der sie im nächsten Moment bereits gnadenlos ausnutzte.

Mavis war gleichermaßen fasziniert wie angeekelt von diesem Anblick, doch konnte er sich schnell wieder davon losreißen und wollte aufstehen, um Matu und den anderen von seinem Fund zu berichten. Kaum aber, dass er sich regte, schoss die rechte Hand des älteren Jungen hervor und schloss sich sehr fest um seinen rechten Oberarm. Zusätzlich riss er noch an ihm. Mavis drehte sich herum und starrte den Jungen mit finsterer Miene an, weil er dessen Reaktion jetzt nicht mehr verstand. Die Guri hatten doch, was sie so sehr begehrten. Während sie genüsslich fraßen, bot sich ihnen damit doch eine gute Gelegenheit, die Lichtung ungesehen zu verlassen. Bevor er das aber sagen konnte, wurde das Gesicht des Jungen noch finsterer, als sein eigenes und es war sogar deutlicher Ärger darin zu sehen. Wieder schüttelte der Junge den Kopf und deutete erneut in Richtung der Guri. Mavis war genervt, aber auch unsicher, was der Grund für dieses Verhalten war, doch noch während er sich wieder zur Lichtung umwandte, konnte er eine Art Knacken hören, dass ihm seltsam bekannt vorkam und ihm sofort eine eiskalte Gänsehaut über den Rücken jagte.

Denn der umgestürzte Baum mit den bizarr anmutenden Wurzeln, war ganz offensichtlich kein verdammter umgestürzter Baum, sondern - Mavis erschrak und war sofort tief geschockt – er bewegte sich! Die Wurzeln senkten sich über den zweiten Guri, der sich zunächst im Dickicht versteckt hatte, während sie sich weiter nach vorn schoben. Dabei kam ein massiger, dunkelgrüner Leib mit einem kurzen, dicken Schwanz und sechs mächtigen Beinen zum Vorschein. Mavis traute seinen Augen nicht mehr. Das, was sich da bewegte, war eine Insektenbestie, aber eine, die um ein Vielfaches größer war, als alle, die er bisher gesehen hatte. Mavis schätzte sie fünfmal so groß. Ihre furchterregenden Klauen, die er zunächst für Wurzeln gehalten hatte, sanken auf den Guri hinab, während sie einknickten und sich dabei schlossen. Das alles aber geschah nicht schnell, wie er es von den Monstren immer gewohnt war, sondern mit einer schon beinahe widerlichen Langsamkeit und Ruhe, dass ihm die Gänsehaut bis unter die Schädeldecke kroch.

Die beiden Guri waren so sehr mit Fressen beschäftigt, dass sie die Bewegungen hinter sich nicht bemerkten. Erst, als die Geräusche mehr als deutlich wurden und sich der mächtige Schatten der Klauen über sie senkte, erkannten sie sie, doch da war es bereits zu spät. Mit einem tiefen Fauchen schlossen sich die Klauen wie Platten einer Hydraulikpresse um die, weiß Gott nicht kleine Bestie von rund sieben Metern Länge und pflückten sie wie spielend leicht vom Boden. Der Guri erkannte sein Schicksal und brüllte panisch auf, doch schon wurde der zentimeterdicke Panzer, der seinen Körper ansonsten schützte mit einem widerlichen Krachen aufgebrochen und Blut und Gedärme schossen nach außen. Dabei schien die Insektenbestie keinerlei Kraftanstrengung zu benötigen, alles verlief ohne Verzögerungen in einer beinahe fließenden Bewegung.

Der zweite Guri hatte längst von seiner Beute abgelassen und starrte in panischer Angst auf das Ungetüm, das seinen Artgenossen auf so schreckliche Weise zermalmte. Instinktiv aber riss es sich davon los, drehte sich um und rannte davon.

Zwei Schritte waren ihm vergönnt, dann ertönte ein tiefes, mächtiges Brummen und aus dem Halbdunkel hinter der ersten Bestie schälte sich ein zweites, nicht minder großes Exemplar. Seine Klauen zuckten hervor und eine von ihnen donnerte mit unbändiger Wucht auf den Guri hinab. Der messerscharfe Dorn am Ende drang mühelos durch den harten Echsenpanzer. Der Guri schrie auf, versuchte aber dennoch verzweifelt seinem Schicksal zu entkommen, indem er mit aller Kraft weiterkrabbelte. Dadurch aber wurde sein Rücken durch den Dorn, der den Panzer durchschnitt, wie ein Messer weiche Butter, auf einer Länge von rund zwei Metern aufgerissen und Blut und Innereien quollen heraus, bevor die Gegenwehr des Tieres quälend erstarb. Das zweite Monstrum machte einen dröhnenden Schritt in seine Richtung, die Klauen schlossen sich um den blutigen, zuckenden Körper und rissen ihn in die Höhe. Die Klauen öffneten sich für einen Wimpernschlag, der Guri flog kurz durch die Luft, dann schnappten sie ruckartig wieder zu und mit der urgewaltigen Kraft von mehreren Tonnen zermalmten sie den Körper des Tieres weithin hörbar krachend und berstend.

Mavis war sichtlich geschockt und das aus weit mehr Gründen, als er glaubte, auf die Schnelle verkraften zu können. Nicht nur, dass er niemals damit gerechnet hatte, dass es noch weitaus größere Insektenbestien gab, als diese, gegen die er und all die anderen so viele Jahre schon gekämpft hatten, sondern auch die Tatsache, dass sie entgegen ihrer bisherigen Artgenossen nicht schnell und offen agierten. Bisher konnte man sich stets darauf verlassen, dass diese Kreaturen losstürmten, sobald sie die Chance auf ein Fressopfer sahen, sodass man sie frühzeitig hören und sehen konnte, was die Überlebenschancen zwar nicht gerade drastisch, so aber doch immerhin ein wenig erhöhte. Diese Exemplare aber lagen auf der Lauer und warteten geduldig, bis ihre Opfer so nahe an sie herangekommen waren, dass sie ihr gewaltiges Maul nur noch zu schließen und zuzuschnappen brauchten. Und das alles in einer derart langsamen und ruhigen Art und Weise, die nicht nur in einem absolut krassen Gegensatz zu den hektischen und rüden Attacken der anderen Bestien stand, sondern überaus gespenstisch wirkte und Mavis wahre Gänsehautschübe durch den Körper jagte.

Nur seiner militärischen Ausbildung hatte er es zu verdanken, dass er sich dennoch von diesem Anblick losreißen konnte, weil der Soldat in ihm mahnte, diesen Ort zu verlassen.

Während Matu, Buras und auch Tibak noch immer stocksteif auf das Geschehen am anderen Ende der Lichtung starrten, spannte Mavis seine Muskeln an und wollte sich aufrichten, als der ältere Junge ihn mit eiserner Hand zurückhielt. Mavis wollte etwas sagen, doch der Junge blickte nur starr nach vorn. Im nächsten Moment fauchten die beiden riesigen Bestien einander zu, während sie auf den toten Guri kauten, dann drehten sie sich um und machten sich in Richtung Norden davon. Mavis spürte, wie der Griff des Jungen ein wenig nachließ und nahm dies als Zeichen, dass er jetzt aufstehen könne. Sofort drückte er sich auf die Beine und machte zwei Schritte auf Matu zu, der die Bewegung neben ihm wahrnahm und seinen Kopf herumdrehte.

Was Mavis nicht sehen konnte, war das ziemlich entsetzte Gesicht des älteren Jungen, als Mavis sich entfernte. Mit einem leisen Aufschrei sprang er auf und wollte den Commander wieder zurückziehen. Im selben Moment trat er auf einen dünnen Ast, der halb verdeckt am Boden lag und ein kurzes, aber viel zu deutliches Knacken war zu hören.

Das Szenario um Mavis erstarb augenblicklich und es schien, als würde sich alles nur noch in Zeitlupe abspielen. Er hörte das Knacken des Astes, erkannte in Matus und Tibaks Gesicht außer Verwirrung darüber, wo er herkam und wer die Person hinter ihm war, auch Entsetzen über dieses widerliche Geräusch, und wusste, dass er selbst kaum anders blicken konnte. Mavis wirbelte zu dem Jungen herum und konnte auch in seinen Augen den Schrecken sehen, den sein Fehltritt in ihm verursachte.

Und dann drehten sich alle wie auf Kommando zum anderen Ende der Lichtung, in der Hoffnung, der so unfassbar furchtbare Feind wäre wahrhaftig taub und hätte das Knacken nicht gehört.

Für eine unendlich lange Sekunde schien auch tatsächlich nichts zu geschehen, bis schließlich das rechte der beiden Monstren urplötzlich seinen Schritt verlangsamte, dabei ein irritiertes Krächzen von sich gab und schließlich seinen mächtigen Schädel in ihre Richtung umwandte.

Einen Wimpernschlag später brach auch schon die Hölle los.

Die Bestie wirbelte in einer erstaunlich schnellen Bewegung zu ihnen herum, brüllte und fauchte dabei lautstark, sodass auch das andere Monstrum aufmerksam wurde.

Die Menschen am anderen Ende der Lichtung standen förmlich wie auf dem Präsentierteller und stocksteif da und waren sofort ausgemacht.

Wieder vibrierte der Boden unter Mavis Füßen, doch dieses Mal sehr...sehr viel vehementer.

Mavis gelang es, seinen Schrecken und seine Panik zu unterdrücken. „Oh Scheiße!“ brüllte er. „Weg hier!“

Buras rannte sofort los und kam direkt auf sie zu. Wohin auch sonst sollte er schon laufen?

Matu und Tibak wurden davon offensichtlich aufgerüttelt und wirbelten herum, als der Sergeant an ihnen vorbeistürmte. Mavis schätzte die Entfernung zu den Bestien auf gute zwanzig Meter, doch würden sie sich sputen müssen, um auf Abstand zu bleiben. Ein kurzer Blick nach rechts zeigte ihm, dass die beiden Kinder Hand in Hand aus dem Dickicht sprangen. Ihre Gesichter waren angespannt, aber lange nicht so panisch, wie er es vielleicht erwartet hätte. Als sie den älteren Jungen erreicht hatten, drehte der sich um und rannte hinter Buras und den anderen her.

Das war für Mavis das Zeichen, ebenfalls das Feld zu räumen.

Während er rannte, was das Zeug hielt, erkannte er, dass Buras und die anderen denselben Weg zurückliefen, den sie gekommen waren. Mavis hielt das für eine gute Idee, zumal ihm selbst nichts Besseres einfiel. Der Dschungel dort wurde wieder deutlich dichter und vielleicht konnten sie sich als Winzlinge, die sie gegenüber den monströsen Kreaturen in ihrem Nacken sicherlich waren, in den engen Zwischenräumen besser bewegen, als ihre Verfolger und somit erfolgreich flüchten.

Er ging dabei davon aus, dass ihnen der Junge und die beiden Kinder folgen würden, doch das taten sie nicht. Als sich der Weg vor ihnen gabelte und die Männer den rechten Weg nahmen, hielten sich die drei Halbwüchsigen nach links.

Das bemerkte Mavis allerdings erst, als er wieder hinter sich blickte, weil er sicher war, dass ihre Verfolger immer näher rückten. Doch neben der eiskalten Erkenntnis, dass er Recht hatte, sah er die drei Fremden die andere Abzweigung des Weges nehmen, die zunächst noch einige Meter parallel zu ihrem Weg verlief.

Mavis war im ersten Moment irritiert und unschlüssig, doch als er erkannte, dass die Bestien nicht auf die Kinder und den Jungen, sondern scheinbar nur auf sie achteten und weiter aufholten, rannte er schleunigst weiter hinter seinen Freunden her.

Bis zu dem Moment, da er aus dem anderen Gang heraus einen kurzen, spitzen Schrei vernahm, der eindeutig dem Mädchen gehörte. Zwischen den eng stehenden Bäumen befand sich ein Dickicht, durch das Mavis in den anderen Gang sehen konnte. Er sah, dass das Mädchen ganz offensichtlich gestolpert und zu Boden gestürzt war. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Der kleinere Junge war bei ihm, lag ebenfalls am Boden, doch war er bereits dabei aufzustehen. Wahrscheinlich hatte das Mädchen ihn mit sich gerissen. Im nächsten Moment drehte sich der ältere Junge zu ihnen um, sah, was geschehen war und stoppte ab. Gleichzeitig half der kleinere Junge dem Mädchen bereits auf die Beine. Sowohl Mavis, als auch der ältere Junge zögerten daher, ihnen zu Hilfe zu eilen, weil sie dachten, die beiden würden es allein schaffen.

Doch im selben Moment ertönte ein tiefes Brüllen, als die vordere Bestie das Unglück der beiden Kinder erkannte, sofort ihre Richtung änderte, mit unbändiger Wucht durch die Baumreihe donnerte, die die beiden Gänge voneinander trennte, dass das Holz wie explosionsartig in alle Richtungen schoss und direkt auf die beiden Halbwüchsigen zuhielt.

Da war Mavis klar, dass er keine Wahl hatte.

Während er sehen konnte, wie das zweite Monstrum unverändert hinter ihm und seinen Freunden her war, sprang er mit einer blitzschnellen Bewegung durch das Dickicht in den anderen Gang, wo er für einen Sekundenbruchteil verharrte. Rechts von sich sah er den älteren Jungen, der scheinbar ebenfalls zu Hilfe eilen wollte, jetzt aber wieder in seiner Bewegung innehielt und Mavis mit großen Augen anstarrte. Links von sich sah er die beiden Halbwüchsigen. Mavis schätzte die Entfernung zu ihnen auf knapp sieben Meter. Der Junge hatte das Mädchen mittlerweile auf die Beine gebracht, doch schon bei den ersten Laufversuchen schrie es wieder schmerzhaft auf und sackte auf die Knie.

Höchstens zehn Meter dahinter war die gewaltige Insektenbestie, die die Schwäche des Mädchens mit einem zischenden Fauchen kommentierte, während sie weiter voran stampfte.

Mavis wusste, dass er sich jetzt entscheiden musste. Entweder, er rannte los und versuchte, die beiden Kinder vor den furchtbaren Klauen des Feindes zu retten oder er akzeptierte ihren Tod als unumgängliche Folge des Krieges. Doch ihm war klar, dass er sich Letzteres niemals würde verzeihen können, Ersteres aber eine mehr als enge Kiste werden würde. Seine Wahl war daher klar und ohne weiteres Zögern rannte er los.

Er brauchte vier Sekunden, um die Entfernung zu überwinden. Dabei hatte er die Augen ganz fest auf die Bestie gerichtet, die immer näherkam. Mavis hatte das Gefühl, als würde sie nicht nur den kompletten Gang ausfüllen, sondern auch seine ganze, ihn umgebende Welt. Alles vor ihm schien nur noch eine monströse, furchtbare, bösartige Insektenbestie zu sein. Er spürte, wie sein Puls raste und seine Beine schwach wurden, doch er biss derart kräftig auf seine Zahnreihen, dass es schon wehtat.

Er zwang sich, sein Handeln nicht von der Angst vor dem Monstrum überschatten zu lassen, sondern das zu tun, was er tun musste.

Und so rannte er, so schnell er konnte, streckte seine Hände nach den beiden Kindern aus, sein Körper bereite sich bereits auf eine superschnelle, superenge Kehrtwendung vor, noch bevor er die beiden überhaupt erreicht hatte. Mavis war sicher, dass er schneller, besser und effektiver als je zuvor sein würde – und doch war es nicht ausreichend.

Er spürte es bereits einen Wimpernschlag, bevor er die Kinder erreicht hatte, dass es zu spät war. Aber natürlich konnte er nicht abstoppen, noch irgendetwas ändern. Seine Hände bekamen das Shirt des Mädchens zu packen, griffen sofort zu und rissen den kleinen, ausgemergelten Körper an sich. Das Mädchen sperrte sich nicht, schrie nur kurz auf, dann klammerte es seine dürren Arme um Mavis Hals. Mavis aber würdigte sie keines Blickes, denn der war starr nach vorn auf die monströse Kreatur gerichtet, die gerade ihren letzten Schritt in ihre Richtung tat und zeitgleich ihre gewaltigen Klauen weit geöffnet zu ihnen herabsausen ließ.

„Lauf!“ brüllte Mavis dem Jungen zu, während er selbst sich nicht bewegen konnte, weil das furchtbare Maul der Bestie keine drei Meter mehr von ihm entfernt war und sein Gehirn ihm signalisierte, dass es keinen Sinn mehr hatte, noch zu flüchten. Zeitgleich wurde das Brüllen des Monsters immer lauter, dass er glaubte, es müsste gleich sein Trommelfell platzen. Ein widerlich fauliger Atem umhüllte ihn und er spürte deutlich den Luftzug der heranpeitschenden Klauen.

Instinktiv drehte er den Kopf des Mädchens weg vom Geschehen und schloss gleichzeitig seine Augen in Erwartung des eigenen Todes. Einen Augenblick später krachte etwas irrsinnig Hartes mit großer Wucht gegen seinen Körper und drückte ihn kraftvoll zur Seite weg, dass er und das Mädchen, wie Kegel aus der Bahn geworfen und meterweit quer durch den Dschungel geschleudert wurden.

Während er flog, konnte Mavis den verzweifelten, schmerzhaften Schrei des kleineren Jungen hören. Er riss seine Augen auf und musste mitansehen, wie sich die gewaltigen Klauen der monströsen Bestie um seinen Körper schlossen und ihn innerhalb eines Wimpernschlags furchtbar zerquetschten.

Sein Schrei erstarb abrupt und bestialisch. Dann rauschte Mavis in dichtes Unterholz und sein Blickfeld wurde dunkel.

Als er wuchtig zu Boden schlug und die Luft aus den Lungen verlor, wurde ihm das Mädchen aus den Händen gerissen. Während er überall gleichzeitig Schmerzen verspürte, krachte er mit dem Rücken voran auf den Dschungelboden und polterte sich mehrmals überschlagend durch die Gegend, bevor er mit der linken Schulter rüde gegen einen Baum knallte und zum Erliegen kam. Er schrie qualvoll auf und das Bild vor seinen Augen verschwamm. Angesichts des schrecklichen Todes des kleineren Jungen wäre er jetzt liebend gern liegengeblieben und hätte sich seinem Schmerz hingegeben, doch plötzlich tauchte ein Schatten über ihm auf. Mavis riss sich zusammen und erkannte den älteren Jungen.

„Los hoch!“ fauchte er, nachdem er sicher zu sein schien, dass Mavis noch lebte, dann war er auch schon wieder weg.

Mavis versuchte durchzuatmen, doch das gelang ihm nicht. Dennoch drückte er sich in die Höhe, wobei er versuchte, den Schmerz in seinem Körper zu ignorieren. Als er wackelig auf den Beinen stand, sah er, dass der ältere Junge bei dem Mädchen war und es vom Boden hob. Es hatte seine Augen geschlossen, doch irgendetwas sagte Mavis, dass es noch am Leben war, da es der Junge wohl sonst nicht an sich genommen hätte.

Einen Augenblick später waren all diese Gedanken schon wieder unwichtig, denn hinter dem Dickicht konnte Mavis erneut das Monstrum erkennen, wie es sich zu ihnen drehte und mit erfreutem Quieken auf sie zukam.

Mavis atmete tief durch und wollte zu dem Jungen rennen, doch da sah er, dass der sich in seine Richtung drehte. Eine Sekunde später war er neben ihm. „Los jetzt!“ rief er mit finsterer Miene.

Mavis nickte. „Ich nehme sie!“ Er streckte seine Arme aus.

Der Junge gab ihm bereitwillig das Mädchen. „Ich werde nicht anhalten!“ erwiderte er aber dann und in seinem Blick konnte Mavis nichts sehen außer Entschlossenheit.

Im nächsten Moment rannte er schon in einem Irrsinnstempo durch den Dschungel.

Mavis hatte nicht vor, ihn zu verlieren und so beschleunigte er so gut er konnte, während er hinter sich hören und auch spüren konnte, wie das mächtige Insektenmonstrum den Dschungel auf der Jagd nach ihnen umpflügte.

*

Matu rannte, was das Zeug hielt. Seine Lungen kochten, sein Puls raste und schlug bis unter die Schädeldecke. Dabei verspürte er eine verdammte Scheißangst in sich, die ihn beinahe schwindelig werden ließ.

Unmengen an Adrenalin schossen durch seinen Körper und sorgten dafür, dass er weitaus schneller laufen und dieses Tempo auch noch weitaus länger durchhalten konnte, als normalerweise.

Doch das grauenhafte Monstrum in seinem Nacken gab ihm keinen Grund zum Nachlassen.

Tibak und Buras musste es ähnlich ergehen, denn auch sie rannten wie die Teufel, obwohl das Gelände alles andere als einfach zu nehmen war, denn es ging immer steiler bergauf, während der Urwald um sie herum immer dichter wurde.

Doch auch ihr Verfolger hatte immer deutlicher damit zu kämpfen, denn die Steigung nahm ihm seine Geschwindigkeit und allein seine unbändige Kraft reichte auf Dauer nicht mehr aus, um die gewaltigen Urwaldbäume weiterhin zu zerstören, um sich einen Weg zu seinen Opfern zu bahnen.

Entsprechend kamen beide Seiten gleichsam langsamer voran, was den Menschen aber kaum half, da ihnen die Bestie somit noch immer dicht auf den Fersen blieb.

Dass Commander Mavis nicht mehr bei ihnen war, hatte Matu längst erkannt. Zumindest glaubte er, dass sie ihn verloren hatten, genauso, wie das zweite Monster, denn eben mal stehenbleiben, um durch zu schnaufen und einen sinnvollen und ruhigen Blick nach hinten zu tun, war ganz sicher nicht drin.

Matu erinnerte sich daran, dass er einen jungen Mann gesehen hatte und auch zwei Kinder. Wo sie hergekommen waren, konnte er nicht sagen, nur, dass sie plötzlich neben Mavis auftauchten, als irgendjemand auf diesen unsäglichen Ast getreten und die beiden Insektenmonstren auf sie aufmerksam gemacht hatte. Von da an tobte die Hölle hinter ihnen und ihnen blieb nur die Flucht.

In den ersten Momenten war Mavis auch noch hinter ihnen gewesen, doch dann war er plötzlich nicht mehr zu sehen.

Matu hoffte, der Commander hatte ihren Jägern auf andere Art entkommen können, glauben tat er es jedoch nicht.

Aber Zeit für Trauer oder Sorge hatte er jetzt ganz sicher nicht, denn noch immer war auch ihr Leben in höchster Gefahr.

Allmählich spürte Matu jedoch, wie seine Kräfte schwanden. Er musste viel öfter husten, der Schweiß rann in Strömen in sein Gesicht, brannte in den Augen, sein ganzer Körper schien zu glühen und ihm wurde ein ums andere Mal übel. Allzu lang, dessen war er sicher, würde er nicht mehr durchhalten.

Plötzlich hörte er hinter sich das wütende Brüllen der Insektenbestie, sofort danach stürzten mindestens zwei Bäume um, dann aber quiekte das Monstrum auf, ein tiefer, dumpfer und sehr heftiger Schlag war zu hören, der den Boden vibrieren ließ, wieder quiekte die Bestie auf, dann ertönte ein heftiges Poltern, dem mehrere weitere Bäume zum Opfer fielen und das Brüllen ihres Verfolgers entfernte sich schlagartig bergab.

Instinktiv blieb Matu stehen und erkannte, dass auch Tibak und Buras sich umgewandt hatten. Während der Captain mehrmals tief durchatmete, erbrach der Sergeant seinen Mageninhalt.

Dabei starrten sie alle in die Tiefe, wo sie im Halbdunkel die monströse Kreatur ausmachen konnten, wie sie den Abhang hinabstürzte.

„Verdammte Kacke!“ stieß Buras atemlos hervor, noch während ihm Schleim aus dem Mund floss. „Das war haarscharf!“

Tibak nickte. „Ich bin vollkommen alle!“

„Wo ist Commander Mavis?“ fragte Matu wild nach Luft ringend.

Tibak zuckte die Schultern. „Ich habe ihn bei den Kindern gesehen. Dann war das zweite Monster weg und er auch. Keine Ahnung, wo er jetzt ist!“

„Jedenfalls nicht hier, verdammt!“ stöhnte Buras.

„Dann müssen wir ihn suchen!“ rief Matu, doch war es mehr ein Flehen, denn eine überzeugte Meinung.

In diesem Moment aber ertönte von weiter unterhalb der Böschung wieder ein bösartiges Brüllen und nur einen Augenblick später begann das altvertraute Stampfen der mächtigen Beine des Insektenuntiers, die deutlich zeigten, dass die Bestie den Sturz nicht nur überlebt hatte, sondern auch die Jagd nicht aufgeben wollte und dabei offensichtlich weitaus wütender war, als noch zuvor.

Als Tibak das hörte, schüttelte er den Kopf. „Wohl kaum!“ Er brummte verächtlich angesichts des nahenden Ungetüms. „Wir sind noch nicht aus dem Schneider und müssen erst mal selber sehen, wie wir klarkommen!“ Er schaute zu Buras, der ihm zunickte, dann zu Matu.

Der Pater rang mit sich und seinen Gefühlen, doch letztlich war klar, dass Tibak Recht hatte. Ihnen blieb nach wie vor nur die Flucht. Also nickte auch er.

Tibak atmete daraufhin tief ein und streckte seinen Körper ganz durch, während er die Brust weit herausstreckte. „Dann ab!“

Einen Moment später hasteten die drei Männer wieder den Abhang hinauf, während ihnen allen bewusst war, dass sie keinesfalls genügend Zeit zum Verschnaufen gehabt hatten, um genügend Kräfte für eine weitere, längere Flucht zu sammeln. Wenn sie nicht bald den Gipfel erreichten, würden sie ihrem Gegner nicht mehr entkommen können.

*

Er hatte absolut keine Ahnung mehr, wo er war, so oft hatten sie Hacken geschlagen und ihre Laufrichtung geändert.

Wann immer sie das taten, konnten sie die Bestie in ihrem Nacken etwas mehr auf Distanz halten, doch auf gerader Strecke holte sie regelmäßig wieder auf, sodass sie weder in ihrem Tempo, noch in ihrer Aufmerksamkeit nachlassen durften.

Mavis spürte aber, dass seine Kräfte nachließen und er wäre am liebsten stehengeblieben und hätte sich seinem Schicksal ergeben, wenn da nicht die Tatsache gewesen wäre, dass der Junge vor ihm nicht einfach nur wahllos durch den Dschungel rannte, sondern der Commander das Gefühl nicht loswurde, dass er trotz all der wilden Richtungsänderungen dennoch ein bestimmtes Ziel ansteuerte.

Aber viel wahrscheinlicher war, dass Mavis sich das alles nur wünschte, damit ihre Hetzjagd nicht umsonst war, denn dem Monstrum hier zu entkommen war absolut aussichtslos.

Wenn der Junge also nicht noch ein Ass - in welcher Form auch immer – im Ärmel hatte, dann würde ihre Flucht schon sehr bald ein schreckliches Ende finden.

Doch kaum hatte er diesen Gedanken ausgedacht, da musste er sich schon wieder aufs Äußerste konzentrieren, weil der Junge vor ihm einen scharfen Hacken nach links schlug. Mavis tat es ihm gleich, hatte aber arge Mühe, dabei nicht gegen einen Baum zu krachen, der plötzlich vor ihm auftauchte. Instinktiv drückte er seine rechte Schulter nach vorn und schrammte an ihr am Stamm entlang. Mavis spürte den Schmerz, doch zwang er sich, ihn zu unterdrücken. Schon zuckte der Junge nach rechts weg. Mavis folgte ihm. Keine fünf Meter später folgte eine Richtungsänderung nach links, dann wieder links, rechts, nochmal rechts und sicher auch noch ein halbes Dutzend weiterer Hacken, sodass Mavis beinahe schwindelig wurde.

Plötzlich aber tauchte ein schwarzer Schatten vor ihm. Mavis war so überrascht, dass er kurz aufschrie und Mühe hatte, ihn nicht umzurennen. Es gelang ihm gerade so, ihm auszuweichen und ebenfalls abzustoppen. Er erkannte den Schatten als den Jungen, der ihn scheinbar gar nicht weiter beachtete – abgesehen von der Tatsache, dass er wieder seinen rechten Zeigefinger auf den Mund gelegt hatte zum Zeichen, dass er still sein sollte – und ansonsten nur starr in die Richtung schaute, aus der sie gekommen waren.

Mavis war vollkommen verwirrt und konnte im ersten Moment nichts Anderes tun, als mehrmals tief durchzuatmen. Dann kam ihm der Gedanke, der Junge sei verrückt geworden, denn was bitte schön erwartete er denn zu sehen oder zu hören? Bis er plötzlich erkannte, dass er tatsächlich nichts mehr hörte, besser gesagt, nur noch ein entferntes Brüllen und Stampfen, das in der nächsten Sekunde vollkommen verstummte. Unsicher schaute er den Jungen an, der sich jedoch noch einige Momente lang nicht bewegte, bevor er sich sichtbar entspannte und tief durchatmete. „Alles okay?“ fragte er dann Mavis und warf ihm einen düsteren Blick zu.

Der Commander nickte.

„Dann weiter!“ Der Junge setzte sich wieder in Bewegung. „Aber leise!“ mahnte er noch, dann rannte er halb geduckt durch den Dschungel.

Mavis hätte sich gern noch etwas ausgeruht und ihm einige tausend Fragen stellen wollen, doch beschloss er, dem Jungen weiterhin zu vertrauen und ihm stumm zu folgen.

*

„Cosco?“ Tibak hatte den Kommunikator zur Hand genommen, als sie den Gipfel der Anhöhe fast erreicht hatten. Da sie noch immer ein höllisches Tempo vorlegten – vorlegen mussten – hatte er kaum genug Atem, um zu sprechen, daher beschränkte er sich auf kurze, abgekackte Worte. „Captain?“ Doch noch immer bekam er keinerlei Antwort, was ihn zu einem gestressten Stöhnen veranlasste. „Verdammt!“

Dann war da wieder das bösartige Brüllen der Bestie und Tibak musste entsetzt erkennen, dass sie dabei war, mächtig auszuholen.

Mitten hinein aber ertönte die Stimme des Captains. „Ja, hier Cosco?“

„Hier ist Tibak!“ ächzte der Captain, während er versuchte, nochmals zu beschleunigen, weil der Boden unter seinen Füßen immer deutlicher vibrierte.

„Captain!“ Coscos Stimme klang sorgenvoll, aber ruhig. „Na endlich! Was...?“

Weiter kam er nicht, denn da hatte Tibak schon mit letzter Kraft. „Notstart! Notstart!“ gebrüllt.

Im Cockpit der Kitaja blickten sich Cosco und Dek verwundert an, doch war beiden klar, dass Tibak kein Mann war, der zu Übertreibungen neigte. Wenn er einen Notstart verlangte, dann nur, weil er notwendig war.

Cosco nickte Dek daher zu, drehte sich um und warf die Triebwerke an.

„Ich gehe nach hinten!“ meinte Dek und verließ im Laufschritt das Cockpit.

Der Gipfel war erreicht und das Rennen über ebene Fläche fast wie eine Wohltat für die Beine und den Rest des Körpers.

Der vor ihnen liegende Dschungel lichtete sich alsbald und Tibak erkannte das Gelände teilweise wieder. Die Kitaja konnte nicht mehr weit sein.

Das Brüllen in ihrem Rücken zeigte ihm mehr als deutlich, dass auch ihr Verfolger die mörderische Steigung hinter sich gelassen hatte. Das Vibrieren des Bodens nahm weiterhin zu, das Brüllen wurde immer lauter und die Bäume fielen immer schneller. Die Bestie war dabei weiter aufzuholen.

Da!

Als sie ein besonders dichtes Unterholz passiert hatten, öffnete sich der Urwald zu einer Lichtung, auf deren gegenüberliegender Seite sie das Flugboot bereits erkennen konnten. Zu seiner Erleichterung stellte Tibak fest, dass auf Cosco nach wie vor Verlass war, denn der Captain hatte das Schiff gerade eben schon unter dem Felsvorsprung hervormanövriert. Die Landekuven waren noch ausgefahren, doch die Triebwerke hatten bereits so viel Schub, dass sie nur noch so gerade eben den Boden berührten, stets bereit, dass Schiff auch seitlich schnell zu bewegen. Da Cosco nicht genau wusste, aus welcher Richtung die anderen kommen würden, wusste er auch nicht, wie er das Schiff stellen sollte. Die hintere Ladeluke war die Größte, doch im Moment rannten die Männer auf die linke, die Pilotenseite des Schiffes zu. Deutlich konnte Tibak Cosco im Cockpit erkennen.

„Die seitliche Luke!“ brüllte er in den Kommunikator.

Cosco wandte seinen Kopf und sah die Männer heransausen. Sofort gab er die Information an Dek weiter. Einen Augenblick später wurde die Luke geöffnet.

Tibak, Buras und Matu beschleunigten auf den letzten Metern nochmals. Mit letzter Kraft hechelten sie in das Innere des Schiffes. „Schließ die verdammte Luke wieder!“ brüllte Tibak, kaum, dass er an Dek vorbei war. Während er weiterrannte, entledigte er sich seines Rucksacks. Buras und Matu fielen quasi in sich zusammen und klatschten vollkommen ausgepowert auf den Boden des vorderen Laderaums. Tibak aber stürmte ins Cockpit. „Weg! Weg! Weg!“ schrie er vollkommen atemlos, wäre beim Eintreten fast gestolpert und konnte sich gerade noch fangen, indem er seine Arme auf die Lehne des Kopilotensitzes hämmerte.

„Was zum Teufel ist denn los?“ rief Cosco sichtlich irritiert zurück.

Bist du blind oder was? wollte Tibak ihn schon anbrüllen, doch stattdessen deutete er mit dem rechten Arm aus dem Cockpitfenster auf die Lichtung. Aber schon während er das tat, konnte er sehen, dass es nichts zu sehen gab. Das Monstrum, dass sie hinter sich wähnten, war nicht mehr da. Die Lichtung war leer. „Oh verdammt!“ stieß er hervor.

„Allerdings, Captain!“ erwiderte Cosco ziemlich verärgert. „Also was zur Hölle...?“ Plötzlich hielt er inne und seine Augen weiteten sich, starrten auf etwas, das hinter Tibak zu sein schien. „...ist denn das?“

Tibak wandte sofort seinen Kopf herum, doch schon hörte er das infernalische Brüllen des Insektenungetüms, das im selben Moment mit unbändiger Wucht direkt vor ihnen aus dem Dschungel brach.

„Oh Kacke!“ schrie Cosco, doch war der Captain geistesgegenwärtig genug, um trotz des Schocks dennoch zu reagieren. Ein kurzer Schub auf die Manövrierdüsen und die Kitaja schoss einige Meter nach rechts, konnte so die entscheidende Kluft zwischen sich und den wütend herabsausenden Klauen der gewaltigen Bestie bringen. Haarscharf zischten sie an der Außenhülle vorbei und donnerten in den Boden, dessen Erschütterung deutlich zu spüren war.

Doch Cosco agierte schon weiter, gab einen kurzen Schubstoß auf die rechten Vertikaltriebwerke, sodass das Schiff zur Pilotenseite überkippte und gleichzeitig an Höhe gewann. Kaum war das geschehen, sorgte er dafür, dass das Heck der Kitaja schnell nach links wegdriftete, während es ebenfalls an Höhe gewann. Das Schiff stand nun schräg zum Boden, das Heck stand gute zehn Meter in die Höhe, das Cockpit schwebte knapp über dem Boden. Und direkt vor ihnen befand sich die monströse Kreatur, die ganz offensichtlich stinksauer war.

„Mann ist die hässlich!“ rief Cosco.

Doch Tibak konnte Coscos Ruhe nicht teilen und schon im selben Moment wurde er bestätigt, als sich das Monstrum mit einem wütenden Schrei blitzschnell nach vorn warf, ihr ganzes Blickfeld einnahm und das Cockpit verdunkelte. „Verdammt Achtung!“ brüllte Tibak und spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss.

Aber Cosco hatte alles im Griff. Wieder gab er Schub auf die Manövrierdüsen und das Schiff driftete nach hinten, konnte so dem Angriff der Bestie entgehen, die sich daraufhin auf ihre Hinterbeine stellte und ein infernalisches Brüllen ausstieß. Irgendwie schien das Cosco zu erzürnen, denn sein Gesicht, das vorher angespannt, aber auch fasziniert wirkte, glich jetzt nur noch einer versteinerten Maske. Ohne zu Zögern sorgte er dafür, dass sich das Schiff blitzschnell horizontal um seine eigene Achse drehte, wobei sich das Heck wieder absenkte und sich jetzt dort befand, wo noch einen Augenblick zuvor das Cockpit war. So ließ Cosco das Schiff verharren und starrte auf die Heckkameras, die deutlich das wütende Ungetüm hinter ihnen zeigten.

„Komm schon!“ flüsterte Cosco mit verbissener Miene.

Tibak war irritiert und starrte den Captain unsicher an. Dann sah er in den Heckkameras, wie das Monster zu einem weiteren Angriff ansetzte und auf sie zustürmte. Tibak sog ängstlich die Luft ein.

Doch Cosco blieb ganz ruhig, wartete, bis die Bestie nahe genug heran war, dann gab er vollen Schub auf die Haupttriebwerke, während er das Ruder gänzlich zu sich zog, sodass das Schiff zwar kräftig erzitterte, sich aber keinen Zentimeter von der Stelle bewegte.

Ein wilder, schmerzhafter Schrei der monströsen Kreatur gab Aufschluss, was er damit bezweckte, denn die glühende Hitze der Antriebsgase trafen die Bestie frontal und dieser Kraft hatte auch sie nichts entgegen zu setzen. Der glühende Strahl klatschte auf den Panzer der Kreatur, brachte ihn innerhalb weniger Sekunden zum Bersten, drang in den Körper ein und verdampfte dort alle lebenswichtigen Organe. Die Bestie bäumte sich wild schreiend noch einmal auf, dann wich alle Kraft aus ihren Gliedmaßen und sie stürzte unkontrolliert zu Boden.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Cosco das Ruder wieder freigegeben. Während das Schiff ruckartig nach vorn schoss, drosselte er sofort wieder die Geschwindigkeit und ließ die Kitaja in einer sanften Schleife in etwa zehn Metern Höhe über die Lichtung kreisen.

In diesem Moment kamen Matu, Buras und Dek in das Cockpit und staunten nicht schlecht, als sie mitten auf der Lichtung einen Berg aus lichterloh brennendem Insektenmonster sehen konnten, das noch qualvoll zuckte und schmerzhafte Schreie ausstieß, seinen Tod aber nicht mehr verhindern konnte.

„Verdammtes Mistvieh!“ zischte Buras. „Gut gemacht Captain!“ Er nickte Cosco voller Genugtuung zu.

„Von wegen gut gemacht!“ erwidert Tibak jedoch und schaute mit mürrischem Blick in die Runde. „Das Feuer wird nicht unentdeckt bleiben!“

„Und jetzt?“ fragte Matu erschlagen.

„Haben sie eine Verbindung zu Commander Vilo herstellen können?“ fragte Tibak.

Doch Cosco schüttelte den Kopf. „Dieser Dschungel scheint alle Funkwellen zu fressen!“

„Dann müssen wir zu ihm!“

„Was?“ Matu war sofort entsetzt. „Und was ist mit Commander Mavis?“

Cosco sah sich kurz um. „Wo ist der eigentlich?“

Tibak wich seinem Blick aus. „Wir wurden getrennt!“ presste er hervor.

„Was?“ Jetzt war der Captain entsetzt. „Verdammter Mist!“

Tibak nickte. „Sie sagen es! Und deshalb müssen wir zu Commander Vilo. Wir müssen Commander Mavis suchen, aber wir dürfen auch unsere Mission nicht vergessen!“

Cosco nickte zögerlich und lenkte das Schiff in die entsprechende Richtung, während Tibak den anderen sagte, sie sollten sich ausruhen.

„Und sie glauben, er lebt noch?“ fragte Cosco, nachdem Matu, Buras und Dek das Cockpit verlassen hatten.

Tibak verzog das Gesicht und nickte dann. „Keine Sorge. Dieser Mann hätte schon so oft tot sein müssen, dass er eigentlich nur überleben kann!“

*

Mavis spürte Unruhe in sich, weil er ziemlich sicher war, dass der Junge sie zurück in den Bereich führte, wo sie das Monstrum verloren hatten und er befürchtete, sie könnten ihm wieder zu nahekommen.

Gerade aber, als er diese Sorge in Worte fassen wollte, hörte er ein leises Stöhnen auf seinen Armen und nur einen Moment später öffnete das Mädchen seine Augen. Mavis stoppte ab und ein Lächeln erschien auf seinen Lippen. „Hallo!“ sagte er leise und sanft.

Davon wurde auch der Junge aufmerksam. Er machte kehrt und kam zurück, doch in seinem Blick lag keine Freude.

„Wie geht es dir?“ fragte Mavis, denn die Augen des Mädchens flackerten noch unsicher.

„Tily!“ antwortete sie schwach und schaute Mavis an.

„Was?“ Mavis war etwas irritiert. Der ältere Junge sprach offensichtlich seine Sprache, er ging davon aus, dass das auch für das Mädchen galt.

„Mein Name ist Tily!“

„Tily!“ Mavis lächelte breiter. „Natürlich! Wie geht es dir Tily?“ Er warf dem älteren Jungen einen Blick zu, den dieser mürrisch und missbilligend erwiderte und sich sofort danach wieder nervös umschaute.

„Ich...weiß nicht?“ erwiderte Tily. „Wo ist Amul?“

Mavis Lächeln verschwand. „Er...!“ begann er, doch er brauchte nicht mehr zu sagen, denn der ältere Junge warf seinen Kopf herum und als er Tilys Blick auf sich wusste, schüttelte er stumm den Kopf.

Als Reaktion auf diese schlimme Nachricht, senkte Tily aber nur ihren Blick und atmete einmal tief durch.

„Kannst du laufen?“ fragte der Junge, während er sich wieder umschaute.

Das Mädchen schien einen Moment zu überlegen, dann schaute sie Mavis an und nickte.

Der Junge nickte zurück. „Dann los! Wir dürfen nicht verweilen!“

Mavis ließ Tily sanft herunter und hielt sie noch einen Moment fest, weil sie sehr wackelig auf den Beinen stand. „Geht es wirklich?“ fragte er besorgt.

Doch Tily nickte mit einem entschlossenen Brummen.

Mavis akzeptierte ihren Entschluss, aber reichte er ihr seine linke Hand, die sie nach einem kurzen Zögern, allerdings ohne jegliche Regung in ihrem Gesicht, nahm.

„Seid ihr endlich fertig?“ zischte der Junge und wandte sich zum Gehen.

Mavis nickte und folgte ihm. „Wie heißt du?“

„Uninteressant!“ erwiderte der Junge knapp.

Mavis rümpfte die Nase.

„Kupus!“ antwortete stattdessen Tily und als Mavis ihr dafür ein dankbares Lächeln zuwarf, erschien auch auf ihren Lippen ein winziger Hauch davon.

„Und wohin gehen wir jetzt?“

Plötzlich wandte sich der Junge mit einem gestressten Stöhnen herum, baute sich vor Mavis auf und funkelte ihn zornig an. „Das wirst du noch früh genug erfahren!“ Er brummte verächtlich. „Und jetzt sei...still!“ Mitten hinein in seine Worte wurden seine Augen plötzlich riesig groß und ihm entglitten alle Gesichtszüge.

Und noch bevor Mavis eine Frage nach einer möglichen Ursache hierzu auch nur im Ansatz formulieren konnte, hörte er hinter sich ein altbekanntes Knacken, das ihn sofort frösteln ließ. Einen winzigen Augenblick später schob sich ein Schatten über sie und Mavis konnte die fruchtbaren Klauen der Insektenbestie sehen, wie sie sich auf sie herabsenkten. Dabei war hinter ihnen ein triumphierendes Fauchen zu hören.

Ein kurzer Blick auf Tily zeigte, dass sie stocksteif vor Angst war, doch auch in den Augen des Jungen, sah er nur noch blankes Entsetzen. Beide würden hier und jetzt sterben, wenn er nichts dagegen tat. Aber was konnte er schon noch tun, keine drei Meter von dem wohl mächtigsten Monstrum entfernt, dass er je gesehen hatte?

Plötzlich spürte er den kalten Stahl seines Impulsgewehrs in seiner rechten Hand und sofort übernahm der Soldat in ihm wieder das Kommando. Seine linke Hand zuckte nach vorn und er drückte Kupus Tilys Hand in die Seine. Dann sagte er nur. „Lauft!“ Zeitgleich lud er das Gewehr durch. Hatte er im ersten Moment noch Zweifel im Gesicht des Jungen gesehen, so sah Mavis jetzt, wie er auf der Stelle herumwirbelte, losrannte und Tily mit sich riss.

Und genau das war der Moment, da sich auch Mavis herumwarf und ohne zu zögern abdrückte.

Noch bevor sich der Schuss löste, sah sich Mavis dem grauenhaften, weit geöffneten Maul der Bestie gegenüber, während die vorderen Beine der Kreatur dicht neben ihm zu Boden schlugen.

Dann zuckte das Projektil aus dem Lauf, schoss in das Maul und krachte von innen gegen den Oberkiefer, wo es augenblicklich explodierte. Das Untier brüllte auf, doch weit mehr aus Überraschung, denn aus Schmerz und war für einen Moment aus dem Konzept.

Mavis hatte auch nicht damit gerechnet, dass ihre Waffen hier besser funktionieren würden, als bei den kleineren Exemplaren. Er wollte lediglich einen Augenblick Vorsprung haben, um überhaupt eine Chance zur Flucht zu bekommen.

Und genau das sollte ihm gelingen.

Seinen Sturz zu Boden rollte er über die linke Schulter gekonnt ab und war sofort wieder auf den Beinen, die er förmlich in die Hand nahm und davonlief, noch bevor sein Gegner sinnvoll reagieren konnte. Zwar hämmerte das Monster nahezu alles in seiner näheren Umgebung mit seinen Klauen wütend kurz und klein, doch konnte es Mavis nicht erwischen, wenngleich er zweimal äußerstes Glück hatte, nicht von den herabsausenden Klauen zerquetscht oder aufgeschlitzt zu werden.

Nur wenige Meter vor sich erkannte er Kupus und Tily und er beschloss, ihnen zu folgen. Während sich das Monster hinter ihm wieder gefangen hatte und brüllend hinter ihm her polterte, holte Mavis schnell auf. Sicherlich wäre Kupus allein viel schneller gewesen, doch er musste sich ja noch um Tily kümmern. Plötzlich war er sicher, dass es absolut keine gute Idee war, den Beiden zu folgen und das Untier so auf ihre Fährte zu bringen. Nein, es war besser, wenn er dafür sorgte, dass die Bestie ihn verfolgte, sodass Kupus und Tily sich in Sicherheit bringen konnten.

Er wollte gerade entsprechende Maßnahmen ergreifen, als eine der Klauen der Kreatur so dich hinter Mavis in den Boden schlug, dass er von den Füßen gerissen und nach vorn geschleudert wurde. Anstatt die Aufmerksamkeit von seinen beiden neuen Freunden abzulenken, donnerte er laut schreiend mitten in sie hinein und riss sie rüde um. Gemeinsam polterten sie einige Meter durch die Gegend und gerade, als sie ihren Schwung verloren, hatte Mavis das Gefühl, der Boden unter ihm würde sich auflösen und anstatt wieder die Kontrolle über sein Handeln zu bekommen, rutschte er zusammen mit Kupus und Tily einen langen, steilen Abhang hinunter.

Es schien überhaupt kein Ende nehmen zu wollen und Mavis wusste nicht einmal mehr, wo oben oder unten war, so oft hatte er sich mittlerweile schon überschlagen.

Plötzlich aber flachte der Boden innerhalb weniger Meter stark ab, doch als Mavis schon die Hoffnung hatte, sie hätten es hinter sich gebracht, tauchte ein großer Felsbrocken vor ihnen auf und alle drei krachten ziemlich rüde dagegen. Tily, Kupus, aber auch er mussten schmerzhaft aufschreien.

Mitten hinein aber ertönte das tiefe Brüllen der Insektenbestie, die hinter ihnen ebenfalls den Abhang hinabrauschte. Immer stärker vibrierte der Boden, während der gewaltige Körper des Monsters den Urwald umpflügte.

Instinktiv sprang Mavis trotz aller Schmerzen auf die Beine, bückte sich sofort wieder und zog sowohl Kupus, als auch Tily in die Höhe, doch dann hielt er inne, weil er sah, dass es hoffnungslos war. Das Monstrum würde sie überrollen oder an dem Felsen zerquetschen. Eine andere Alternative gab es nicht mehr. Ihr Weg war hier und jetzt zu Ende.

Ein Schatten zuckte von rechts heran.

Mavis nahm ihn erst gar nicht wahr. Erst als nur einen Wimpernschlag später ein zweiter Schatten daneben erschien, wurde er aufmerksam.

Vollkommen überrascht erkannte er zwei Personen in dunklen Kleidern. Eine von ihnen, groß und kräftig, stand vor Kupus, die andere, kleiner und schlanker, vor Tily. Sie ergriff das Mädchen um die Taille, zog es an sich, um im nächsten Moment wie von Geisterhand getrieben mit ihr in den Himmel zu schießen. Mavis wollte ihr nachschauen, denn er glaubte eine Art Sicherungsgeschirr an dieser Person entdeckt zu haben, da erschien eine dritte Gestalt direkt neben ihm und versperrte ihm die Sicht. Stattdessen blickte er in das grimmige Gesicht eines Hünen mit stahlblauen Augen und tiefroter Haut. „Festhalten!“ sagte er nur mit dunkler Stimme, dann schlang er abrupt seine Arme um Mavis Oberkörper und noch bevor der richtig begriff, was geschah, schoss auch er zusammen mit dem Hünen blitzschnell in die Höhe.

In den Augenwinkeln konnte er die Bestie erkennen, die nur noch wenige Meter von dem Felsbrocken entfernt war und weiterhin ein irres Tempo draufhatte.

Kupus! Er sah den Jungen mit dem Fremden noch immer am Boden. Himmel, sie mussten da weg, bevor...! Erst in allerletzter Sekunde zuckten ihre Körper in die Höhe und Mavis konnte jetzt ganz deutlich das Geschirr an der fremden Person erkennen, an dem in Hüfthöhe zu beiden Seiten so etwas wie Seile abgingen und nach oben führten.

Im nächsten Moment wurde Mavis flau im Magen, weil ihr Steigflug den Zenit erreicht hatte und sie wieder fielen, während sie sich rückwärts bewegten.

Dann krachte das Monstrum gegen den Felsbrocken und quiekte schmerzhaft auf, doch wirbelten seine Klauen dabei so wild umher, dass eine davon die beiden Seile durchtrennte, die Kupus und die andere Gestalt nach oben beförderten. Wild schreiend sausten sie führerlos durch die Luft und die Gestalt verlor den Jungen aus der Umklammerung. Während sie selbst neben der Bestie auf den weichen Urwaldboden schlug, klatschte Kupus vollkommen hilflos auf den großen Felsbrocken vor ihnen. Sein Schrei verstummte schrecklich abrupt.

„Nein!“ Mavis war tief entsetzt, als er harten Untergrund unter seinen Füßen spüren konnte. Ein kurzer Blick zeigte ihm, dass der Hüne ihn auf einen dicken Ast gute zehn Meter über dem Grund gebracht hatte, auf dem neben Tily und der Gestalt, die sie umklammert hielt und die Mavis jetzt als junge Frau erkannte, noch drei weitere Personen standen und das Geschehen am Boden verfolgten. Die Gestalt, die jetzt auf dem Urwaldboden lag und sich vor Schmerzen windete, hatte sofort die volle Aufmerksamkeit der Insektenkreatur, die gerade dabei war, sich wieder vollkommen aufzurichten.

Mavis glaubte wahnsinnig zu werden, weil doch vollkommen klar war, was gleich passieren würde, scheinbar aber niemand zur Hilfe eilen wollte.

Plötzlich jedoch ertönte ein lauter, schriller Pfiff, der nicht nur seine Aufmerksamkeit auf sich zog, sondern auch die des Monsters. Mavis Augen zuckten wild umher und erkannten mit einem Male eine große Gestalt mitten auf dem großen Felsbrocken. Sie stand aufrecht und starrte auf die Kreatur herab. Sie schien eine Art Gewehr in der Hand zu haben, doch hing der rechte Arm kraftlos an der Seite herab.

Der spinnt, dessen war Mavis sich vollkommen klar, denn der Fels war lange nicht hoch genug, um sicheren Schutz vor der Bestie zu bieten. Das schien die auch zu erkennen, denn sie wandte sich zu dem Mann um, öffnete ihre Klauen ganz weit und stieß ein zorniges Fauchen aus.

Doch während sie das tat, trat ein weiterer Mann neben den Mann auf dem Felsen, schulterte augenblicklich ein Gerät, das Mavis an einen Granatwerfer erinnerte, zielte kurz und drückte sofort ab. Das Projektil zischte aus dem Lauf und jagte direkt in das weit geöffnete Maul der Kreatur.

Die Wirkung war fatal. Fast schien es so, als habe sich das Monster verschluckt, denn es quiekte auf, sein Körper erzitterte und seine Gliedmaßen zuckten wild umher. Es taumelte, driftete nach links, schlug um sich, traf dabei den armen Kerl am Boden, der dadurch den Tod fand, wankte wieder zurück nach rechts und erstarrte plötzlich direkt vor dem Felsen mit einem überraschten Quieken. Einen Augenblick später erzitterte sein ganzer Körper erneut und immer heftiger, bevor es von innen heraus irrsinnig wuchtig explodierte und sich Unmengen an Blut, Innereien und anderen Körperflüssigkeiten torpedogleich in alle Richtungen verteilten.

Alle Personen im näheren Umkreis konnten dem nicht entkommen und auch der Ast, auf dem Mavis sich befand wurde davon betroffen, wobei er mit einer solchen Wucht davon erfasst wurde, dass es ihn beinahe von den Füßen gerissen hätte, wenn ihn der Hüne nicht rechtzeitig gepackt hätte.

Mavis nickte ihm dankbar zu, dann schaute er zurück zu Boden. Das Monstrum war tot, nur noch Teile des Panzers und all seine Gliedmaßen, die gespenstisch gekrümmt in den Himmel ragten, waren intakt, der Rest der Bestie war vollkommen zerfetzt. Dabei fiel Mavis auf, dass er weder Rauch noch Feuer sah, lediglich ein wenig Dampf, hervorgerufen durch die Körperwärme der Innereien. Das Projektil, dass das Untier getötet hatte, konnte also keine herkömmlichen Explosivstoffe enthalten haben. Doch bevor Mavis weiter darüber nachdenken konnte, wurde er überwältigt von dem bestialischen Gestank des Kadavers.

Dann ertönte wieder ein Pfiff und Mavis erkannte, dass der Mann auf dem Felsen in seine Richtung deutete.

„Kommen sie!“ sagte der Hüne und schlug ihm gegen den linken Arm. Dann drehte er sich um und ging auf dem dicken Ast des Baumes bis zum Stamm, wo er in einer großen Öffnung verschwand. Mavis folgte ihm und war erstaunt, als er erkannte, dass der Stamm des Baumes in diesem Bereich komplett ausgehöhlt war, noch mehr aber, als ihm gewahr wurde, wie gewaltig der Stamm war, was ihm bisher gar nicht aufgefallen war. Mavis schätzte seinen Durchmesser auf mindestens drei Meter. Das dunkle Holz wurde durch einige, kleine Leuchtkristalle in fahles Licht getaucht. An den Außenseiten waren Stufen belassen worden, auf denen Mavis dem Hünen nach unten folgte.

Etwa fünf Meter tiefer gab es eine zweite Öffnung durch die sie auf einen weiteren Ast traten, der aber lange nicht mehr so breit und stark wirkte, wie der erste. Dafür führte er sie direkt auf eine kleine Anhöhe über die sie den Felsbrocken erreichen konnten.

Der Gestank war hier noch erdrückender, doch wurde Mavis Blick sofort von Kupus angezogen. Der Körper des Jungen lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Felsen, seine Gliedmaßen standen in unnatürlichen Winkeln von seinem Rumpf ab und eine große, dunkle Blutlache hatte sich ausgehend von seinem Kopf großflächig ausgebreitet. Mavis verspürte sogleich eine Gänsehaut gepaart mit Schmerz, Trauer und Wut.

„Wer sind sie?“ fragte der Mann, der als Erster auf dem Felsbrock erschienen war. Er hatte Mavis Größe, war sichtbar muskulös, von tiefroter Hautfarbe mit Glatze und stechend grünen Augen. Sein Tonfall war nicht freundlich, aber auch nicht abweisend, eher trauernd.

„Mein Name ist Mavis!“

Der Mann nickte und betrachtete seine Kleidung. „Sie sind Soldat!“

„Commander der poremischen Streitkräfte!“ erwiderte Mavis.

„Poremier?“ Jetzt war der Mann sichtlich überrascht. „Dann sind sie weit weg von zuhause!“

Mavis nickte.

Der Mann musterte ihn einen Moment stumm, dann wandte er sich an den Hünen. „Abmarsch!“ Der Hüne nickte, drehte sich um und gab den Befehl an die Anderen weiter. Der Anführer schaute Mavis an. „Der Gestank wird schon bald andere anlocken!“ erklärte er.

Mavis nickte.

„Mein Name ist Tuvil!“ Er deutete auf die anderen Personen. „Wir sind der kümmerliche Rest aus Porista und haben nicht weit von hier unser Lager. Kommen sie!“ Er deutete Mavis an, ihm zu folgen. „Sind sie hier gestrandet oder gibt es einen Grund für ihre Anwesenheit?“

Mavis, der neben Tuvil ging, stoppte kurz ab und schaute den Anführer ausdruckslos an. „Nein, es gibt einen Grund! Aber das ist eine lange Geschichte!“

Tuvil nickte und Mavis glaubte, sogar ein dünnes Lächeln auf seinen Lippen zu sehen. „Sie können sie erzählen, wenn wir unser Lager erreicht haben! Ich hoffe doch, sie sind schwindelfrei!?“ Jetzt grinste er kurz, doch bevor Mavis antworten konnte, wandte Tuvil sich um und der Commander konnte ihm nur noch stumm folgen.

Genesis V

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